Magazinrundschau
Handelt kühn!
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
30.12.2008. "Ihr Projekt ist Macht", meint Salman Rushdie in Outlook India über die islamischen Terroristen. In Literaturen mahnt Sigrid Löffler zum Abschied: Literaturkritik muss auch nein sagen können. In der New York Review of Books erklärt Alan Rusbridger vom Guardian, warum investigative Berichterstattung so verdammt teuer ist. Im Nouvel Obs erklärt Claudio Magris: Ich war ein frühreifer Schüler von Svevo! In Elet es Irodalom erklärt György Dragoman, er sei ein ungarischer Autor, kein Siebenbürgener. Babelia beklagt den Zustand der serbischen Architektur. Die New York Times liest Michael Wolffs Murdoch-Biografie.
Outlook India (Indien), 19.12.2008
Outlook India hat nach den Massakern von Bombay einen Essay von Arundhati Roy publiziert, der in den Sätzen kulminierte, dass Indien vor dem Scheideweg zwischen "Gerechtigkeit" und "Bürgerkrieg" stehe (unser Resümee, hier der Artikel, der auch im Guardian veröffentlicht wurde). Die Website von Outlook India bringt nun den Mitschnitt eines Gesprächs, in dem sich Salman Rushdie scharf gegen Roys These ausspricht: "Ich glaube nicht, dass das Projekt dieser Terroristen irgendetwas mit Gerechtigkeit zu tun hat. Wenn das Kaschmir-Problem gelöst und ein gerechter Frieden in Palästina hergestellt wäre - würde Al Qaida dann abrüsten? Glauben wir wirklich, dass Lashkar-e-Toiba und Jaish-e-Mohammad die Waffen niederlegen und zu Pflugscharen schmieden und wieder Bauern werden würden, weil ihre Arbeit getan ist? Das ist doch lachhaft, oder? Denn das ist nicht ihr Projekt. Ihr Projekt ist Macht." Noch schärfer attackiert Rushdie Roys Satz, das Hotel Taj Mahal sei allenfalls eine Ikone der sozialen Ungerechtigkeit in Indien: "Diese Bemerkung in ihrem Artikel ist abscheulich. Die Idee, dass reiche Tote nicht zählen, weil sie reich waren, ist abscheulich... Sie sollte sich schämen." Auf dieser Seite lässt sich das Gespräch in Video und Audioformat verfolgen.
Literaturen (Deutschland), 01.01.2009

In ihrer letzten Titelgeschichte feiert Löffler den ungarischen Autor Sandor Marai als Tagebuchschreiber von Weltrang: "Sein wichtigstes Reflexions- und Selbstverständigungsmedium jedoch wurde sein Tagebuch, das ihn zu einem der bedeutendsten Diaristen des Jahrhunderts machen sollte, neben Franz Kafka, Thomas Mann und Julien Green... In Momenten schonungsloser Ehrlichkeit mit sich selbst bekennt er, dass die eigene Stimme ihm 'Brechreiz' bereite, diese 'melodiöse Marai-Stimme, die zuletzt schon wirklich etwas Drehorgelartiges hatte, eine knarrende Melodie. Ich hasse diese Stimme'. Und für die Nachkriegszeit schwört er sich: 'Wenn ich am Leben bleibe, wird meine einzige Lebensaufgabe sein: Ich muss zehn Bände lang schweigen.'"
Weitere Artikel: Martina Meister nähert sich dem Bestseller-Phänomen Anna Gavalda nicht ohne Sympathie. Der Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch denkt über das Ich und das Geld und Unsichtbare Hände nach, die womöglich gar nicht existieren. In seiner "Kriminal"-Kolumne befasst sich Franz Schuh mit Richard Starks Roman "Fragen Sie den Papagei" und erklärt dabei, warum Kriminalliteratur Expertisen der Enge besitzt. In der Netzkarte stellt Aram Lintzel die Hass-2.0-Community Hatebook vor. Die britische Autorin Antonia S. Byatt erzählt, was sie gerade so liest (eine ganze Menge Verschiedenes gleichzeitig). Besprochen werden neue Hörbücher und Jan Schüttes Isaac-B.-Singer-Verfilmung "Bis später, Max!".
New York Review of Books (USA), 15.01.2009
Alan Rusbridger, Redakteur des Guardian, schreibt über die Schwierigkeiten investigativer Berichterstattung in Zeiten, wo die Zeitungen durch Finanz- und Zeitungskrise ohnehin schon geschwächt sind. Beeindruckend schildert er, dass es heute praktisch unmöglich ist, über die Steuervermeidungsstrategien von Milliardenkonzernen wie Tesco zu berichten - der Guardian tat's, irrte sich in einigen Punkten, korrigierte die Irrtümer und entschuldigte sich und wurde von Tesco dennoch mit einer millionenschweren Klage überzogen. Die Konsequenz: "Wir mussten entdecken, dass der einzig mögliche Weg, sich vor der Veröffentlichung selbst zu schützen, darin liegt, Zehntausende von Dollars bei Steuer-, Buchhaltungs- und Rechtsexperten auszugeben. Die einzigen Leute, die letztlich qualifiziert sind, eine absolute Sicherheit vor Klagen zu schaffen, sind diejenigen, die solche Strategien für die Unternehmen entwickeln. Die sind nicht billig und stehen nicht selten in Interessenkonflikten."
Außerdem sehr lesenwert ein Artikel David Coles, der einige Bücher über die von der Bush-Regierung zugelassene Folter liest und nun die nächste Frage an die Obama-Regierung stellt: "In welcher Weise soll die Nation für die Missbräuche in der Vergangenheit gerade stehen, welche Gegenmittel gibt es, und wie können wir sicher gehen, dass solcher Missbrauch nicht wieder geschieht?". Und hier noch mal der Link zur chinesischen Charta 2008 (wir hatten schon in den Feuilletons darauf hingewiesen.)
Außerdem sehr lesenwert ein Artikel David Coles, der einige Bücher über die von der Bush-Regierung zugelassene Folter liest und nun die nächste Frage an die Obama-Regierung stellt: "In welcher Weise soll die Nation für die Missbräuche in der Vergangenheit gerade stehen, welche Gegenmittel gibt es, und wie können wir sicher gehen, dass solcher Missbrauch nicht wieder geschieht?". Und hier noch mal der Link zur chinesischen Charta 2008 (wir hatten schon in den Feuilletons darauf hingewiesen.)
Nouvel Observateur (Frankreich), 23.12.2008

Spectator (UK), 27.12.2008

Espresso (Italien), 25.12.2008

Elet es Irodalom (Ungarn), 19.12.2008

Point (Frankreich), 18.12.2008

New Yorker (USA), 05.01.2009

Anthony Lane sah im Kino Ari Folmans animierten Dokumentarfilm "Waltz with Bashir" und Brian Singers Stauffenberg-Film "Valkyrie". Bei Letzterem habe er sich gelegentlich in eine "etwas überspannte Fortsetzung der Harry-Potter-Verfilmungen" versetzt gefühlt, außerdem werfe der Film neben anderen die wirklich drängendste historische Frage auf: nämlich ob die Nazis je eine solche Bedrohung für den Weltfrieden hätten werden können, "wenn der General der Nachrichtentruppe, Erich Fellgiebel, so ausgesehen und sich gebärdet hätte wie sein Darsteller Eddie Izzard".
Außerdem: Ariel Levy bespricht eine Neuauflage von Alex Comforts Ratgeber-Klassiker "The Joy of Sex". Kelefa Sanneh porträtiert den amerikanischen Songwriter und Musiker Will Oldham, der mit alternativem Country die amerikanische Musik umbaut. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "The Limner" von Julian Barnes und Lyrik von Richard Wilbur (hier und hier) und Liz Waldner.
Babelia (Spanien), 27.12.2008
Javier Mozas schreibt über die architektonische Gegenwart Serbiens: "Mit Titos Tod endete die Architektur in Serbien. Titos Nachfolger war außerstande, auch nur ein einziges erwähnenswertes Gebäude errichten zu lassen. Er leistete sich den Spaß, eine U-Bahn-Station ohne dazugehörige U-Bahn-Linie zu bauen und, ein Jahr nach der Niederlage, ein schizophrenes 'Denkmal des Sieges über die NATO' zu errichten. Dies sind nur die herausragenden Beispiele seines Versagens. Das im Krieg zerstörte Verteidigungsministerium steht bis heute unverändert da: Es gibt kein Geld für die Wiederinstandsetzung, außerdem wollen die Leute es als Mahnmal für die ausländische Aggression gegen das serbische Volk erhalten. Die Bürger Belgrads können es selbst nicht glauben, in welch heruntergekommenem Zustand sich Architektur und Stadtplanung derzeit befinden - das einzig Gute an der gegenwärtigen serbischen Architektur ist die Hoffnung, sie könne irgendwann aus ihrer Asche wieder auferstehen."
New York Times (USA), 28.12.2008
Mit großem Vergnügen hat David Carr für die Book Review Michael Wolffs Murdoch-Biografie "The Man Who Owns the News" gelesen, auch wenn Murdoch selbst für seinen Geschmack etwas zu selten zu Wort kommt. "Es wurde viel geredet über Wolffs Allianz mit Murdoch - dass sie zu Komplizenschaft und Speichelleckerei führen würde. Aber Wolff bleibt seiner wahren Natur treu, die erfreulich fies ist. Es ist ein angeborener Reflex von der Art, wie Trollope ihn beschrieben hat: 'Seine Satire entspringt eher seiner eigenen kaustischen Natur als den Sünden der Welt, in der er lebt.' Wolff fühlt sich nicht direkt abgestoßen von Murdochs Bereitschaft, seine Medien für kalte Geschäfte zu benutzen, sondern beschreibt ihn als launischen, monomanischen Zeitungsschreiberling, einen Trickbetrüger mit schlechtem Gehör, null Interesse an den Paradigmen der neuen Medien und keinen Freunden, mit denen er reden kann. Es wird auch herausgestrichen, dass er 'ein guter Familienmann ist - auch wenn er drei davon hat'. Wie der Mann, über den er schreibt, ist Wolff eine Klatschbase, die geübt darin ist, Informationen zu gewinnen und Schwächen zu erkennen."
Jane und Michael Stern staunen über Tilar J. Mazzeos Biografie der Witwe Clicquot und ihres Champagnerimperiums: "Was für ein vorausschauender Entrepreneur sie war, mit einer Einstellung zum Geschäft, die sich mehr wie 21. Jahrhundert als 19. Jahrhundert anhört. Gegen Ende ihres Lebens, in den 1860ern, schrieb sie an ihre Urenkel: 'Die Welt ist in permanenter Bewegung und wir müssen die Dinge für morgen erfinden. Man muss vor den anderen da sein, entschlossen und anspruchsvoll sein. Lasst euch von eurer Intelligenz leiten. Handelt kühn.'"
Außerdem: David Streitfeld erklärt in einem melancholischen Artikel, warum es - auch - seine Schuld ist, dass Buchläden aussterben werden. Daniel Gross empfiehlt nachdrücklich Michael Lewis' Buch über Finanzkrisen, "Panic. The Story of Modern Financial Insanity" (Norton). Michael Hirsh schreibt über Niall Fergusons "The Ascent of Money. A Financial History of the World".
Jane und Michael Stern staunen über Tilar J. Mazzeos Biografie der Witwe Clicquot und ihres Champagnerimperiums: "Was für ein vorausschauender Entrepreneur sie war, mit einer Einstellung zum Geschäft, die sich mehr wie 21. Jahrhundert als 19. Jahrhundert anhört. Gegen Ende ihres Lebens, in den 1860ern, schrieb sie an ihre Urenkel: 'Die Welt ist in permanenter Bewegung und wir müssen die Dinge für morgen erfinden. Man muss vor den anderen da sein, entschlossen und anspruchsvoll sein. Lasst euch von eurer Intelligenz leiten. Handelt kühn.'"
Außerdem: David Streitfeld erklärt in einem melancholischen Artikel, warum es - auch - seine Schuld ist, dass Buchläden aussterben werden. Daniel Gross empfiehlt nachdrücklich Michael Lewis' Buch über Finanzkrisen, "Panic. The Story of Modern Financial Insanity" (Norton). Michael Hirsh schreibt über Niall Fergusons "The Ascent of Money. A Financial History of the World".
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