Magazinrundschau
Schwierigkeit ist künstlerisch wünschenswert
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
23.12.2008. Das Zeitalter des Buchs ist zu Ende, verkündet der Lektor Tom Engelhardt in The Nation. Im New Statesman macht sich Jonathan Derbyshire Gedanken zum Konzept der Weltliteratur seit Goethe. In Polityka lobt Adam Michnik die Kommunisten für das bestandene Examen in polnischem Patriotismus. Schwierig sind heute nicht mehr Bücher, sondern Computerspiele, erklärt John Lanchester in der London Review of Books. Der Economist würdigt H.M., den Mann ohne Erinnerungen. Standpoint kritisiert die Auswüchse der deutschen Russlandliebe. Die New York Times erzählt, wie Mexiko erfolgreich die Kultur der Armut bekämpft.
The Nation (USA), 05.01.2009

(Nachtrag: Auch Andre Bernard, früher Verleger von Hartcourt, fürchtet in der Washington Post "dass etwas schrecklich Trauriges passiert, eine grundsätzliche Verschiebung in der kulturellen Landschaft verändert auf eine unbestimmte Art, wie und was wir lesen; dass ein verschrobenes, knirschendes, finanziell unerträgliches Geschäft, dass die begehrenswertesten und perfektesten Objekte produziert - Bücher - untergeht und dass wir das ganze Ausmaß dieses Verlustes noch begreifen müssen.")
New Statesman (UK), 18.12.2008

Polityka (Polen), 19.12.2008
Adam Michnik erklärt im Interview mit Jacek Zakowski (hier auf Deutsch), warum er sich nicht davon abbringen lässt, dass die Kommunisten auch einige Verdienste um die 3. Republik erworben haben: "Ich habe die Formulierung 'ehrenwerter Mann' schon einmal gebraucht und bin heute lieber vorsichtig. Ich bin nicht dafür zuständig, Zertifikate auszustellen. Aber erinnere dich daran, dass ich schon vor dem Runden Tisch von der anderen Seite den Vorwurf hörte, wir kümmerten uns nicht um die Polen in Litauen, die von den Litauern diskriminiert würden. Als Staatspräsident hatte Jaruzelski genügend Mittel, um solche Emotionen zu schüren. Wenn die Kommunisten damals die ukrainische Frage so gehandhabt hätten, wie es die Radio-Maryja-Rechte heute tut, hätten sie die ethnischen Emotionen anheizen können. Aber sie taten es nicht. Bei aller Verdammung des kommunistischen Systems und sämtlichen Verbrechen der volkspolnischen Zeit sowie den Sauereien, die einen großen Teil der polnischen Gesellschaft demoralisierten, muss man klar sagen: 1989 haben diese Leute das Examen in polnischem Patriotismus bestanden."
London Review of Books (UK), 01.01.2009

Weitere Artikel: Die Romanautorin Hilary Mantel erinnert sich an ihre Zeit im saudi-arabischen Jeddah vor fünfundzwanzig Jahren. Sara Roy schildert die Lage im Gaza-Streifen, Adam Shatz kommentiert die Unruhen in Griechenland. Besprochen werden John Updikes Roman-Sequel "The Widows of Eastwick" und Gus van Sants neuer Film "Milk".
Economist (UK), 19.12.2008

Im großen wissenschaftslastigen Weihnachts-Special geht es unter anderem um die Einsamkeit chinesischer Vogelbeobachter und unser Shopping-Hirn. Vorgestellt wird eine medizinische Studie, die zum Ergebnis kommt, dass Ecstasy gegen das Post-Traumatische-Stress-Syndrom hilft. Außerdem werden wir sehr ausführlich über biologische Spekulationen aufgeklärt, die zum Ergebnis kommen, dass Musik als Zeichen prächtiger Reproduktionsfähigkeit evolutionäre Vorteile gebracht hat.
Weltwoche (Schweiz), 18.12.2008

Alexej Wenediktow, Chefredakteur von Radio Echo Moskau, dem letzten unabhängigen Radiosender Russlands beschreibt den steigenden Druck auf die Journalisten in Putins Russland: "Es gibt objektive Zeichen für einen negativen Trend in den letzten acht Jahren. Insgesamt wurden 43 Gesetzesnovellen erlassen, welche alle die Pressefreiheit einschränken, und keine einzige Novelle, die unsere Möglichkeiten erweitern würde. In den letzten zehn Jahren wurden zwölf bis siebzehn Journalisten ermordet, aber in keinem Fall wurde bis zu Ende ermittelt. Es geht nicht darum, dass wir umgebracht werden, dies ist Teil unseres Berufsrisikos. Entscheidend ist, dass die Behörden diese Fälle nicht so untersuchen, wie sie es sollten. Hier wird der Journalist nicht als eine öffentliche Institution betrachtet, sondern vielmehr als Instrument in den Händen von jemandem."
Standpoint (UK), 01.01.2009

Times Literary Supplement (UK), 17.12.2008
Beschwingt von der Lektüre stellt Susannah Clapp Michael Holroyds Buch "A Strange Eventful History" über das dramatische Leben der Schauspieler Ellen Terry, Henry Irving und ihrer Familie vor: "Er war ein elektrisierender Hamlet und ein Impressario, der das Publikum in Scharen ins West End zog. Sie war eine Schauspielerin, die 'Kritiker in Liebhaber verwandelte'. Sein Manager schrieb 'Dracula'. Ihr Sohn erfand das Bühnenbild neu. Und ihr Großneffe, John Gielgud, nutzte die Innovationen dieses Hamlets und den eloquenten Charme seiner Verwandten, um einer der vornehmsten Schauspieler des 20. Jahrhunderts zu werden. Michael Holroyds unglaubliches neues Buch beschreibt eine Dynastie von Dramatikern, eine Dynastie, die zum Teil aus dem Erbgut und zum Teil aus der Imitation geformt wurde. Während er das Leben von Ellen Terry, Henry Irving und ihrer (biologisch nicht gemeinsamen) Kinder erzählt, erhellt er eine Theaterperiode, in der die Ästhetik der britischen Bühne umgewandelt wurde, und Schauspieler einen neuen Status errangen: Irving war der erste theatralische Ritter."
Besprochen werden außerdem Mary Beards für den Besucher "unentbehrliches" Buch über Pompeji und Jean-Pierre Ohls Dickens-Roman "Mr. Dick or the Tenth Book".
Besprochen werden außerdem Mary Beards für den Besucher "unentbehrliches" Buch über Pompeji und Jean-Pierre Ohls Dickens-Roman "Mr. Dick or the Tenth Book".
Salon.eu.sk (Slowakei), 10.12.2008

(Salon.eu.sk hat Chwins unbedingt lesenswerten Text aus Tygodnik Powszechny ins Englische übersetzt.)
New York Times (USA), 21.12.2008

Außerdem: Lynn Hershberg porträtiert den Schauspieler Philip Seymour Hoffman - oder vielmehr: sie lässt ihn erzählen und flicht nur die notwendigsten Informationen ein, was sehr viel spannender ist als ein Porträt, weil Hoffman wirklich was zu sagen hat. Mark Leibovich schickt einen Bericht über die Pressestrategie Obamas und seinen Pressesprecher, Redneck und Bulldogge Robert Gibbs.
In der Bookreview gehts unter anderem - in einer Doppelbesprechung - um Ingo Schulzes "Neue Leben" und Christoph Heins "Landnahme", Stewart O'Nans Roman "Songs for the Missing", Ingrid D. Rowlands Biografie Giordano Brunos, Gustav Niebuhrs Buch "Beyond Tolerance" über den interreligiösen (interfaith) Dialog in den USA und Christopher Plummers Erinnerungen "Inspite of Myself".
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