Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.08.2005. In der FAZ fragt Monika Maron: Was hat man nur gegen Angela Merkel? Die FAZ ergründet auch die Höhen und Tiefen der Stimme von Anna Netrebko. Die Welt ergründet die Höhen und Tiefen der Zeitschrift Spex und bringt außerdem ein großes Porträt der Bechers. In der SZ bekennt Peter Zadek, dass er mit Konzepttheater nichts anfangen kann. Die taz spricht mit der meistgehörten Sängerin der Welt: Asha Bhosle.

Berliner Zeitung, 26.08.2005

Der irakische Autor Khalid al-Maaly schreibt über Religion, Zensur und Terror in der arabischen Presse. Die palästinensische Tageszeitung Al-Quds al-Arabi etwa "gehörte zu den Unterstützern von Saddam Hussein, was sie nach wie vor ist. Und sie favorisiert jeden, der einer islamistischen Linie folgt. Zwar versuchte der Chefredakteur sich nach dem 11.9. den nicht-arabischen Medien als ein unabhängiger Liberaler zu präsentieren. Doch er spricht, wie viele andere arabische Intellektuelle auch, mit zwei Zungen; eine Zunge beruhigt den Westen, die zweite Zunge ist für den arabischen Verbrauch bestimmt. Den verlässlicheren Maßstab stellen die Kommentare auf Arabisch dar. Ein Beispiel sind die Äußerungen des Chefredakteurs über Osama Bin Laden im Satellitensender Al-Dschasira, wo er ein ständiger Gast ist. Wenn er ihn erwähnt, fügt er hin und wieder die Worte "Gott segne ihn und schenke ihm Heil" hinzu. Ein Zusatz, der normalerweise dem Propheten Mohammed vorbehalten ist."

Welt, 26.08.2005

Cornelius Tittel hat ein Porträt des Fotografen-Ehepaars Bernd und Hilla Becher geschrieben, die bekanntlich überall auf der Welt abrissgeweihte Industriebauten fotografierten. Bernd Becher erzählt: "Wir haben im Laufe der Zeit eine Art Ideologie entwickelt, ohne sie auszuformulieren. Ich habe immer gesagt, dass wir die Sakralbauten des Calvinismus dokumentieren. Der Calvinismus lehnt ja die Kunst ab und hat deshalb auch nie eine eigene Architekturform entwickelt. Die Gebäude, die wir fotografieren, kommen ja genau aus diesem rein ökonomischen Denken." Heute wird im Hamburger Bahnhof in Berlin eine Becher-Retrospektive eröffnet.

Außerdem in der heutigen Welt: Max Dax gratuliert der Spex zum 25. Geburtstag und zitiert eine Original-Glossolalie von Diedrich Diederichsen über die slowenische Band Laibach aus dem Jahr 1986: "Der Sozialismus ist die Idee von der Verwirklichung der als richtig erkannten Idee. Ihn aufzugeben hieße die Verwirklichung von Ideen überhaupt aufzugeben. Verwirklichung aber ist etwas Grausames, das wir gewohnt sind, Gott vorzubehalten. Wer sich an die Verwirklichung macht, wird zum Übermenschen, er begeht die Grausamkeiten, von deren Notwendigkeit Nietzsche spricht."

Schließlich denkt Norbert Lammert, Angela Merkels Kandidat für die Kultur im Interview mit Christiane Hoffmans über Bedingungen von Kulturpolitik nach: "Die Abstimmungen der Franzosen und Niederländer haben gezeigt, dass vielen Menschen die Suche nach Identifikation ein Bedürfnis ist. Es ist ein sehr altes Thema, dass unsere nationale Identität ungleich komplizierter ist als die unserer Nachbarn. Aber gerade wir müssen darüber nachdenken: Wie gehen wir mit Gegenwart um, die immer auch von Vergangenheit geprägt ist?"

NZZ, 26.08.2005

In drei Monaten soll in Tunis der Uno-Gipfel zur Informationsgesellschaft stattfinden. Doch gerade in Tunesien versucht der Staat mit allen Mitteln, die Presse zu kontrollieren, berichtet Beat Stauffer auf der Medien- und Informatikseite. Einer der wenigen Journalisten, die sich trauten, mit ihm über die Lage der Medien zu sprechen, war Lotfi Hajji, der Herbst 2004 mit Gleichgesinnten die unabhängige Journalistengewerkschaft Syndicat des Journalistes Tunisiens (SJT) gegründet hat. Die Zeitungen "erhielten Weisungen und Richtlinien, welche Themen zu behandeln seien und auf welche Weise dies zu geschehen habe. 'Wenn sich ein Chefredaktor nicht an diese Vorgaben hält, riskiert er Sanktionen', berichtet Hajji. Und er erwähnt den Fall der Wochenzeitung Realites, die Ende 2002 einen Bericht über tunesische Gefängnisse publizierte und damit den Zorn der Behörden auf sich zog. Diese kündigten der Wochenzeitung in der Folge sämtliche Abonnemente von Bibliotheken, Universitätsinstituten und Verwaltungsstellen und entzogen ihr sämtliche staatlichen Inserate. 'Die Lektion hat gewirkt', sagt Hajji, 'seither ist Realites wieder zahm geworden.'"

Weiteres: Immer mehr Firmen in den USA benutzen Weblogs als Mittel zur Unternehmenskommunikation, berichtet Nikola Wohllaib, die das beim Hamburger "Trendtag" erfahren hat.

Im Feuilleton vergleicht Iso Camartin das Galizien von Joseph Roth mit dem von Andrzej Stasiuk. Hubertus Adam macht sich Gedanken über neue Strategien, mit denen Schweizer Kulturgüter vor Hochwasser geschützt werden können. Georges Waser berichtet über Diskussionen in London, in welchen Stadtteilen für die Olympischen Spiele 2012 investiert werden soll.

Besprochen werden das Tanzfestival Laokoon in der Kampnagelfabrik in Hamburg, das in diesem Jahr unter der Regie des kolumbianischen Choreografen Ivaro Restrepo steht, die Vaclav-Spala-Retrospektive in der Wallenstein-Reitschule in Prag und eine Ausstellung zum fünfzigjährigen Jubiläum des Architekturbüros Atelier 5 in der Kunsthalle Bern.

Auf der Filmseite beschreibt Andrea Gnam die künstlerische Freundschaft zwischen Wim Wenders und Peter Handke. Besprochen werden Wim Wenders Film "Don't Come Knocking", Gary David Goldbergs Dating-Komödie "Must Love Dogs" und Carlos Sorins Film "Bombon - el perro".

TAZ, 26.08.2005

Max Dax spricht mit der meistgehörten Sängerin der Welt: Asha Bhosle (mehr hier). In fünfzig Jahren hat sie für Bollywood wahrscheinlich an die 20.000 Lieder aufgenommen und hundertmillionenfach verkauft: "Das liegt an meiner Disziplin. Gott hat mir diese Energie gegeben. Ich habe über Jahre jeden Tag zwei, drei, vier Songs aufgenommen, an einigen wenigen Tagen sogar sieben. Ich möchte anmerken: Diese Songs wurden stets mit Live-Musikern im Studio aufgenommen, ich habe nicht bloß die Gesangsspuren eingesungen... Man kann zu meiner Musik, die ja meist die Playbackmusik für die Tanzszenen in den Bollywoodfilmen bildet, gut tanzen. Bollywood bietet alles, was das indische Herz begehrt: Komödie, Slapstick, Herzschmerz, Drama, Träume, Übertreibung - vor allem aber indische Musik, indische Tänze und bunte, indische Gewänder. Bollywood hat bewiesen, dass man in Indien mit dem Kino alle kulturellen Grenzen überwinden kann. Bedenken Sie: Indien ist groß - und meine Musik war sogar imstande, die 251 Sprachen des Landes zu überbrücken."

Weiteres: An einen todsicheren Erfolg von Elke Heidenreichs Buchedition für die Brigitte glaubt Gerrit Bartels nach der Präsentation der Reihe. Martin Schneider berichtet, dass das Bundesfilmarchiv in Berlin am Mittwoch seine neue, hochmoderne Anlage zur Filmrestauration eröffnet hat. Kristen Rieselmann stellt das Album "Anniemal" der norwegischen Kylie Minogue namens Annie vor.

Und Tom.

FAZ, 26.08.2005

Was hat man nur gegen Angela Merkel?, fragt Monika Maron. Und noch ein paar Fragen: "Ist Angela Merkel vielleicht zu ostdeutsch, um aller Deutschen Kanzlerin zu werden? Oder fühlt sie vielleicht nicht mehr ostdeutsch genug, um von den Ostdeutschen gewählt zu werden? Verleugnet sie gar ihre Wurzeln, weil sie diesen maßstabsetzenden dreißig Prozent nicht gleicht, die, weiß der Himmel, warum, das Bild des Ostdeutschen noch fünfzehn Jahre nach der Vereinigung medial bestimmen? Der Ostdeutsche wählt PDS, jammert oder protestiert pöbelnd, will mehr Geld und weiß sich selbst nicht zu helfen. Warum ist dieses knappe Drittel eigentlich zum Sinnbild der Ostdeutschen geworden?"

Und wie genau ist der Reiz der Stimme von Anna Netrebko zu beschreiben? Mit ihr ist der Glamour nach Salzburg zurückgekehrt, schreibt Eleonore Büning, die Netrebkos Stimme aufs genaueste untersucht und zu einem abgewogenen, insgesamt aber sehr positiven Ergebnis kommt: "Die Stimme wird steif bei den schnellen Passagen - und die perlen nicht wie von allein, sondern werden absolviert, als handele es sich um Tonleiterübungen. Auch die geschwind wirbelnden Kleinstverzierungen etwa im 'Sempre libera' werden nicht so flink und flüssig serviert, wie es wünschenswert wäre. Famos dagegen die eiserne Intonationssicherheit der Netrebko, die intensiv-glühende Brillanz ihrer Spitzentöne. In der Höhe ist sie ganz bei sich."

Weitere Artikel: Thomas Wagner kommentiert die Annahme einer Professur in Leipzig durch den Maler Neo Rauch, der auch schon in Leipzig gelernt hatte und zum Begründer der "Neuen Leipziger Schule" wurde. Patrick Bahners wirft einen kritischen Blick auf den gestrigen Entscheid des Bundesverfassungsgerichts ("Das Gericht meint der Demokratie seine Verehrung zu erweisen, indem es den Einschätzungsspielraum des Kanzlers für sakrosankt erklärt.") In der Serie "Entrümpelung" schlägt der Handwerksfunktionär Hanns-Eberhard Schleyer eine Entrümpelung der bürokratischen Regulierungen des Handwerks vor (womit er aber nicht die Selbstregulierung durchs Innungswesen meint!)

Auf der Medienseite beschreibt Zhou Derong, wie chinesische Journalisten sich durch ein Bonusnotensystem die Meinungsfreiheit abkaufen lassen: "Am meisten Punkte, also Geld, bringt einem ein Lob eines Politbüro-Mitglieds: satte dreihundert Yuan." Robert Lücke schildert Auseinandersetzungen um die künftige Leitung der Gourmetzeitschrift essen & trinken. Und Jürg Altwegg meldet, dass der Flugzeugbauer Dassault seine Anteile an der belgischen Zeitung Le Soir verkauft.

Auf der letzten Seite erinnert Dirk Schümer an den Maler Eduard Bargheer, der den Nazis nach Ischia entwich und dort eine Künstlergruppe gründete. Andeas Rossmann zitiert kritische Äußerungen des Kardinals Meisner zu den Kölner Hochhausplänen. Und Andreas Kilb hat eine Artikelserie über eine Iran-Reise gelesen, die der Schauspieler Sean Penn für den San Francisco Chronicle geschrieben hat (hier Teil 1, hier Teil 2, die nachfolgenden Tage sind noch nicht online freigeschaltet).

Besprochen werden eine Gustave Caillebotte-Ausstellung in Lausanne, Mahlers Sechste mit dem Concertgebouw-Orchester unter Mariss Jansons in Salzburg, eine Ausstellung mit Porträtfotografie in Wien und einige Sachbücher, darunter Johannes Willms' große Napoleon-Biografie.

FR, 26.08.2005

Dieter Rulff, noch ganz unter dem Eindruck des inszenierten Misstrauensvotums von Gerhard Schröder, prognostiziert einen Wandel des Parteienstaats hin zu amerikanischen Verhältnissen: "Nicht mehr Programme, sondern Personen dominieren das öffentliche Interesse." Thomas Venker porträtiert den Songwriter Jens Friebe, "unseren Lawinenhund gegen die grassierende Mittelmäßigkeit von Popmusik und Poptexten". Elke Buhr berichtet kurz, dass der Berliner Rapper Bushido in Österreich einen Zwanzigjährigen zusammengeschlagen hat, weil der angeblich seine Autoreifen zerstochen haben soll. Und in Times Mager nimmt Harry Nutt die Wahlwerbung der Parteien aufs Korn.

SZ, 26.08.2005

In einem recht unterhaltsamen Gespräch mit Christine Dössel plaudert Regisseur Peter Zadek über seine Theaterpläne mit Tom Stromberg, über verwöhnte Schauspieler, alte Kollegen und Politiker, die ihn krank machten. Und er wettert gegen das Theater der jungen Regisseure: "Allein schon das, was man Konzepttheater nennt, finde ich unerträglich. Das ist ein deutsches Unwesen - interessiert auch niemanden außerhalb von Deutschland. Ist doch furchtbar, wenn Theater nur auf Abstraktionen basiert. Da gibt es einen Einfall, ein Konzept, und dann muss sich alles danach richten. Ich sehe nur noch irgendwie 'ausgefallene' Sachen, aber keine Geschichtenerzähler mehr. Das, was eigentlich der Sinn von Theater ist, nämlich über den Menschen etwas zu erzählen, das finde ich nicht mehr. Ich habe nie das Gefühl, dass sich da mal jemand hingesetzt und sich gefragt hat: Was ist eigentlich los in dem Stück? Worum geht's?"

Der im Flüchtlingslager Khan Junis in Gaza aufgewachsene Hassan Khader, Herausgeber der Literatur-Zeitschrift Al Karmel, schreibt nach dem Abzug der Israelis: "Das Lager ist ein in sich geschlossenes, vollständiges, autarkes Universum, ein Ort, an dem alle emotionalen und sozialen Bedürfnisse erfüllt werden. Aber es ist auf einer mächtigen Opfermentalität und falschen Prämissen errichtet worden wie 'Die Welt versteht unseren Schmerz nicht' und 'Niemand hört die Opfer, bis sie anfangen, sich zu wehren'. Doch solche Gefühle werden am Tag danach keine große Hilfe sein. Wir müssen noch herausfinden, wie stark unser Überlebenstrieb ist, wenn es um die Befreiung aus der Belagerungsmentalität geht und darum, den Tag danach mit mehr Farben zu erfüllen als mit Schwarz und Weiß allein."

Weiteres: Christopher Schmidt beschreibt den Salzburger Festspielsommer, "der so groß und wild war, wie er es in unseren Wäldern schon lange nicht mehr ist". Zu verdanken sei dies Martin Kusejs Programm "der hohen Verbrennungsleistung, des entflammten Schauspielers, im Wissen darum, dass nur dieser den Funken zum Zuschauer überspringen lässt". Diana Maier beobachtet den wachsenden Erfolg chinesischer Künstler, der auch ihrem Talent zur Provokation geschuldet sei. Alexander Kissler bringt uns im Streit der jüdischen Gemeinden um die Beteiligung am Staatsvertrag auf den neuesten Stand. Tobias Moorstedt berichtet von einer Tagung zum Bild des Krieges in den Medien. Dominik Schottner liefert eine kleine "Phänomenologie des Pop-Festivals". Harald Eggebrecht schreibt zum Tod des "Fantasieforschers" Oskar Sahlberg.

Besprochen werden Bücher, darunter Hegels "Philosophie der Geschichte" im Wortlaut und Neuerscheinungen von und zu Elias Canetti (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).