Magazinrundschau
Sun Tzu trifft John Locke
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
03.04.2012. Vanity Fair berichtet vom World War 3.0. Im Merkur feiert Michael Maar den Schriftsteller Wolfgang Herrndorf. In der New York Review of Books liest Neal Ascherson die Geschichte des Großen Afrikanischen Kriegs im Kongo. In Slate.fr verteidigt der spanische Regisseur Alex de la Iglesia die "Internetpiraterie". In The New Republic lernt Timothy Snyder mit Paul Prestons Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs etwas über die Selbstkolonialisierung Europas. In Frontline erklärt Shajahan Madampat: Islamismus ist auch in seiner gemäßigten Form nicht mit Demokratie vereinbar. Der New Yorker beschreibt die Nöte der Spielcasinos in Macau.
Vanity Fair (USA), 03.04.2012

Merkur (Deutschland), 02.04.2012
Michael Maar verleiht noch einmal sehr wortgewaltig seiner Bewunderung für Wolfgang Herrndorfs Agenten-Wüsten-Roman "Sand" Ausdruck, dem er immerhind eine gute Nachricht entnimmt: "Es gibt eine Reststrahlung von Empathie in der Kälte des Alls. Herrndorf hat den größten, grausigsten, komischsten und klügsten Roman der letzten Dekade geschrieben. Er ist aimable; und sein Werk wird bleiben."
Der Rechtsanwalt Benno Heussen sieht Europa als Fusionsprojekt ähnlich scheitern wie Daimler-Chrysler. Vor allem wird es ihm zu kostspielig: "Europa muss die Stiere bändigen. Aber der Friede darf am Ende nicht teurer bezahlt werden als der Krieg. Darüber müssen wir in allen Zungen sprechen. Auch auf Griechisch."
Außerdem stimmt Ralph Bollmann ein Lob der Bürokratie an, Rosten Woo widmet sich der Architektur des Raumanzugs, und Adam Krzeminksi erinnert an Fürst Adam Czartoryski.
Der Rechtsanwalt Benno Heussen sieht Europa als Fusionsprojekt ähnlich scheitern wie Daimler-Chrysler. Vor allem wird es ihm zu kostspielig: "Europa muss die Stiere bändigen. Aber der Friede darf am Ende nicht teurer bezahlt werden als der Krieg. Darüber müssen wir in allen Zungen sprechen. Auch auf Griechisch."
Außerdem stimmt Ralph Bollmann ein Lob der Bürokratie an, Rosten Woo widmet sich der Architektur des Raumanzugs, und Adam Krzeminksi erinnert an Fürst Adam Czartoryski.
New York Review of Books (USA), 05.04.2012
Als klug und luzide empfiehlt Neal Ascherson Jason Stearns Buch "Dancing in den Glory of Monsters", das die Geschichte des Großen Afrikanischen Kriegs im Kongo erzählt. Neokoloniale Schuldzuweisungen verfangen bei Stearns offenbar nicht: "Für ihn geht es bei den fürchterlichen Ereignisse im Gürtel von Afrika zwischen Atlantik und Großen Seen um menschliches Versagen: die schwache soziale und politische Strukturen, die bei der ersten Erschütterung zusammenbrechen, der Mangel an ausgebildeten Eliten, die abwechselnde Einmischung oder Indifferenz der übrigen Staaten und in Stearns Sicht vor allem die Schwäche nationalstaatlicher Autorität. Gescheiterter Staat? Wenn es in Zaire oder Kongo jemals einen Staat gegeben hätte, der kohärent genug zum Scheitern gewesen wäre, hätten sich die Dinge weniger desaströs entwickelt."
Slate.fr (Frankreich), 30.03.2012
Einen sehr interessanten und gut verlinkten Hintergrundtext zur Internetdebatte in Spanien bringt Alexandre Hervaud. Er trifft den spanischen Regisseur Alex de la Iglesia, der anders als die meisten seiner Kollegen in Deutschland oder Frankreich eine sehr internetfreundliche Position einnimmt. Auf das spanische "Sinde"-Gesetz gegen "Internetpiraterie" antwortet er, so Hervaud, "mit einer Stellungnahme Ende Februar in El Pais mit der Überschrift 'Das Vakuum ist schon da'. In diesem Text, der zehn Tage vor der Verordnung des Sinde-Gesetzes erschien, lässt ihn die Schwäche des legalen Angebots in puncto Kino im Web verzweifeln. Und noch einmal fasst er, als ich ihn anlässlich des Festivals des spanischen Films in Nantes treffe, den ewigen Streit zwischen Branche und Netzbenutzer in einer lapidaren Formel zusammen: 'Ab dem Moment, in dem es kein legales Angebot mehr gibt, kann man nicht von illegalem Downloaden sprechen.'"
London Review of Books (UK), 05.04.2012

Weiteres: John Lanchester wägt ab, was von Karl Marx heute zu halten ist. Ross McKibbin sieht die Liberal Party in einer schweren Krise. Michael Wood bespricht Vincente Minnellis "The Bad and the Beautiful", den die BFI Southbank demnächst in einer Retrospektive zeigt.
New Republic (USA), 19.04.2012

Jacob Soll liefert einen ziemlich heftigen Verriss von Norman Davies' Buch über untergegangene Königreiche in Europa, wozu auch das polnische Königreich zählt. Und hier zeigt sich für Soll der Revisionismus Davies': "Seit Jahren macht Davies es zu seiner persönlichen Mission, die polnischen Toten im Zweiten Weltkrieg mit dem Holocaust gleichzusetzen. Nun kann niemand leugnen, dass sowohl Deutsche als auch Russen Polen ermordet haben. Polen wurde durch die Angriffe von Russland und Deutschland im Zweiten Weltkrieg verkrüppelt, die Ermordung der polnischen Elite in Katyn hat dem Land für eine Generation eine tiefe Wunde geschlagen. Aber Massenmord und Massenverschwinden sind zwei verschiedene Dinge und Davies kämpft mit beiden Konzepten zusammenhanglos und dubios. Jedesmal, wenn er den Tod von Juden erwähnt, erwähnt er akribisch den Tod von Polen als ebenso wichtig."
Elet es Irodalom (Ungarn), 03.04.2012

Kürzlich haben sich Mark Palmer, der ehemalige US-Botschafter in Budapest, Charles Gati von der John Hopkins Universität und Miklós Haraszti, ehemaliger OSZE-Beauftragter für die Pressefreiheit, mit der Erwägung zu Wort gemeldet, die 1993 eingestellte ungarische Ausgabe des Radiosenders Radio Free Europe neu zu starten - aufgrund der Bedrohung der Pressefreiheit in Ungarn. Zwar wurde der Vorschlag auch von liberalen Intellektuellen im Land kritisch gesehen, doch angesichts der festen Überzeugung ungarischer Regierungsanhänger, die "Verleumdungen" gegen Ungarn in der deutschsprachigen Presse hätten mit der Zensur in diesen Ländern zu tun, schlägt ein ES-Redakteur in einer Glosse eine weitaus "nützlichere" Verwendung des Radiosenders vor: "Die von der Zensur geknebelte Presse in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich darf ihre Meinung über das blühende, demokratische Ungarn nicht schreiben - wie auch die eingeschüchterten Bürger dieser Länder, die nichts darüber erfahren dürfen und sich auch nicht trauen, sich zu äußern. Auch die französischen, englischen, holländischen, belgischen, spanischen, dänischen, schwedischen, finnischen usw. Bürger der EU sind dem Druck der kolonialisierenden Diktatur der Europäischen Kommission ausgesetzt und werden desinformiert. Die Zeit für einen Neustart von RFE ist in der Tat gekommen, und zwar in deutscher, französischer, englischer, flämischer, spanischer, dänischer, schwedischer, finnischer usw. Sprache. Klar ist auch, von wo aus man senden sollte: aus Budapest, der Hauptstadt des demokratischen Ungarns, das seine Freiheit nach zwei chaotischen Jahrzehnten wiedererlangt hat."
Newsweek (USA), 02.04.2012
Dem nach Demokratie und besserem Lebensstandard dürstenden Marokko mag es schlecht gehen, mit seiner Arbeitslosenquote von 9 Prozent, aber einer macht seinen Schnitt, stellt Laila Lalami bei einem Besuch zur Totenfeier eines Onkels fest: "Den König scheint die wirtschaftliche Krise nicht zu berühren. Sein Reichtum hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Heute ist er der siebentreichste Monarch der Welt, sein Reichtum beläuft sich auf geschätzte 2,5 Milliarden Dollar. Wie der Journalist Ahmed Reda Benchemsi kürzlich erklärte, ist König Mohammad der 'Nummer 1 Geschäftsmann im Land' - der erfolgreichste Banker, der erfolgreichste Lebensmittelhändler, der erfolgreichste Landbesitzer und der erfolgreichste Bauer. Am Ende machen die täglichen Einkäufe der Marokkaner nur den König reicher."
Frontline (Indien), 06.04.2012

Außerdem: Der Anglistikprofessor Satya P. Mohanty erklärt in einem langen Interview über sein Buch "Colonialism, Modernity, and Literature": "Kulturchauvinismus ist Gift für einen Studenten der Literatur."
Prospect (UK), 20.03.2012

Außerdem: Philip Hunter hat sich neuere Studien zu Gemüte geführt, derzufolge die IQs in westlichen Gesellschaften, allen bisherigen Trends zum Trotz, in jüngster Zeit stagnieren oder sogar sinken. Peter Hitchens macht sich in seiner Kolumne erhebliche Sorgen darüber, dass die britische Polizei vermehrt autoritär und repressiv auftritt.
Polityka (Polen), 30.03.2012

New Yorker (USA), 07.04.2012

Weiteres: Elizabeth Kolbert bespricht zwei Studien zur Frage, ob Fortpflanzung ethisch vertretbar ist: "Why have Children? The Ethical Debate" und "Better Never to Have Been". Zu lesen ist außerdem die Erzählung "The Porn Critic" von Jonathan Lethem.
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