"Mit einem
entschiedenen Einerseits-
andererseits" wendet sich der Aufsichtsrat der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH nach einer Sondersitzung am Montag zum Eklat um die Berlinale-Abschlussgala an die Öffentlichkeit, kommentiert Andreas Kilb in der
FAZ: Berlinale und Künstler sollten getrennt voneinander aufgefasst werden, die Meinungsfreiheit für Künstler auch weiterhin geschützt bleiben und die Möglichkeit zur Gegenrede eingeräumt werden. "Mit anderen Worten: Das Gewürge um israelische Politik, deutsche Verantwortung und palästinensische Opfernarrative geht weiter, das
Festival hat immer noch den Schwarzen Peter, nur soll es ihn künftig offen ausspielen." Lieber "sollte Claudia Roth die Freiheit der Berlinale verteidigen, auch falsche, einseitige und politisch abwegige Meinungsäußerungen zuzulassen. Sie muss ihnen ja nicht
von der ersten Reihe aus applaudieren."
Große Worte, wenig Ergebnis - so lautet auch Sonja Zekris Fazit in der
SZ: "Das ist einerseits eine Selbstverständlichkeit: Was das Grundgesetz schützt, darf überall und natürlich auch auf einer Kulturveranstaltung geäußert werden. Raum für Gegenrede hätte es auf der Berlinale ebenfalls gegeben - nur ist er aus möglicherweise sehr unterschiedlichen Gründen nicht genutzt worden. Andererseits ahnt man in der Formulierung des Beschlusses eine Tendenz, die wenig mit dem Nahostkonflikt, aber viel mit der
deutschen Innenpolitik zu tun hat. Die Forderungen nach staatlichen Eingriffen in Kunst und Kultur im Namen der Antisemitismus-Bekämpfung werden lauter. Viele sehen das mit
Sorge."
Auch bei der
Oscarverleihung gab es einen Eklat um eine Dankesrede: "Zone of Interest"-Regisseur
Jonathan Glazer sprach sich nach seiner Auszeichnung dagegen aus, dass "jüdische Identität und der Holocaust gekapert" würden, um die israelische Politik zu legitimieren, und gab zumindest implizit dieser auch eine Mitschuld am 7. Oktober. Nun regt sich (etwa in den
Instagram-Storys der Schriftstellerin Mirna Funk), auch Kritik an seinem Film, der jüdisches Leid in die Unsichtbarkeit dränge,
schreibt Marie-Luise Goldmann in der
Welt: "Hat das
Nicht-Zeigen jüdischer Menschen in 'The Zone of Interest' die antisemitische Gewalt, statt sie umso bedrohlicher hervortreten zu lassen, im Gegenteil ausgelöscht, von der Bildfläche verabschiedet, in Vergessenheit sinken lassen? Ein Vorwurf, von dem der Film bislang verschont blieb, erscheint nach Glazers Rede plötzlich
plausibel. Glazers Warnung, der Holocaust werde missbraucht, um die Angriffe auf Gaza zu rechtfertigen, entbehrt insofern nicht einer gewissen Ironie, als er selbst im Live-Fernsehen auf der Bühne den Holocaust und seinen brillanten Film über den Holocaust für seine eigene politische Agenda
instrumentalisierte."
Zahlreiche jüdische Organisationen in den USA wenden sich in aller Entschiedenheit gegen Glazers Auftrit,
berichtet Etan Vlessing im
Hollywood Reporter, darunter etwa auch
David Schaecter, der drei Jahre in Auschwitz und ein Jahr in Buchenwald überlebt hat: "Sie sollten sich dafür schämen, Auschwitz dafür herzunehmen, um Israel zu kritisieren", schreibt der Präsident der Holocaust Survivor's Foundation USA in einem offenen Brief. "Es ist skandalös, dass Sie annehmen, für die sechs Millionen Juden, darunter anderthalb Millionen Kinder, sprechen zu können, die einzig und allein
wegen ihrer jüdischen Identität ermordet wurden. ... Die 'Besatzung', von der sie reden, hat nichts zu tun mit dem Holocaust. Die Existenz jüdischer Menschen im Lande Israel und deren Recht, dort zu leben, geht dem Holocaust um Jahrhunderte voraus. Die heutige politische und geografische Landschaft ist das direkte Resultat von Kriegen, die von früheren
arabischen Anführern begonnen wurden, weil sie jüdische Menschen nicht als ihre Nachbarn in unserem historischen Heimatland akzeptieren wollten."
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