Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Film

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.09.2023 - Film

Orientierungslos, aber betörend schön: "Millennium Mambo" von Hou Hsiao-Hsien

Hou Hsiao-Hsiens "Millennium Mambo" aus dem Jahr 2001 kommt wieder in die deutschen Kinos und bietet somit eine interessante Wiederbegegnung mit dem asiatischen Arthausfilm der Jahrtausendwende, schreibt Andreas Busche im Tagesspiegel. Der Film schöpft auch daraus, wie "die Twentysomethings sich ziemlich verloren fühlten in der neuen Zeit", schließlich "ignoriert der taiwanesische Meisterregisseur elegant alle zeitlichen Zusammenhänge, seine Geschichte gleitet fast wie im Halbschlaf durch die Jahre. ...  Eine diffuse Orientierungslosigkeit hat nicht nur seine verschachtelte Erzählung, sondern auch seine Figuren befallen." Doch "rückblickend spricht aus den Bildern weniger ein 'Millenniumsgefühl' als vielmehr eine Idee davon, was man sich um die Jahrtausendwende unter state of the art Erzählkino vorstellte. Die affizierte Leere und emotionale Verwahrlosung, grundiert von Motiven des Genrekinos, besitzen eine betörende Schönheit: von den durchfeierten Nächten in Taipeh, unterlegt mit einer beständig pluckernden Musik-Collage, bis ins winterliche Japan, wo Vicky im Schnee einen Abdruck ihres Gesichts hinterlässt."

Besprochen werden Jørgen Leths und Andreas Koefoeds Dokumentarfilm "Music for Black Pigeons" über den Jazzmuzsiker Jakob Bro (taz, mehr dazu bereits hier), Jan Stocklassas auf Sky gezeigter Dokumentarfilm "Der Mann, der mit dem Feuer spielte" über Stieg Larssons Recherchen zum Mord an Olof Palme (FAZ) und die neue Staffel der Serie "Sex Education" (Tsp, ZeitOnline, NZZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.09.2023 - Film

Auf zum Flughafen und in den nächsten Flieger nach Taipei gestiegen, ruft uns Axel Timo Purr auf Artechock entgegen. Der Wochenendausflug lohnt sich alleine schon wegen der großen Ausstellung, die dort dem taiwanesischen Autorenfilmer Edward Yang gewidmet ist. Dieser feierte um 2000 auf internationalen Festivals noch große Erfolge, ist seit seinem Tod im Jahr 2007 aber etwas in Vergessenheit geraten. Die Ausstellung balanciert zwar "chronologisch über das Leben Yangs spielerisch hinweg", fokussiert aber vor allem auf Yangs filmische Sujets, erzählt Purr, der hier erlebt, "was Filmkunst ist und wie Film entsteht. Dazu haben die Kuratoren nicht nur eine beeindruckende Sammlung an Storyboards, Filmkameras, aber auch ganz profanen Alltagsgegenständen aus Yangs Umfeld zusammengetragen, sondern beeindrucken vor allem mit klug gewählten Filmausschnitten, die über in dunklen Räumen schwebenden Projektionsflächen miteinander korrespondieren und dabei nicht nur die Entwicklung von Yangs visuellem Stil - sein bedächtiges Tempo, die langen Einstellungen, eine statische Kamera, wenige Nahaufnahmen, leere Räume und Stadtlandschaften - deutlich wird, sondern auch seine narrative Entfaltung, die sich mit jedem Film mehr der Veränderungen der taiwanesischen Gesellschaft auf die Mittelschicht annimmt und den Konflikt zwischen Moderne und Tradition, Wirtschaft und Kunst und wie Gier Kunst korrumpieren kann, so poetisch wie gnadenlos analytisch seziert." Dieser Videoessay befasst sich ausführlich mit "Yi Yi", für den Yang 2001 in Cannes den Regiepreis erhielt.



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Außerdem: In seiner Artechock-Wochenkolumne freut sich Rüdiger Suchsland auf das Filmfestival in San Sebastian und legt uns den Gesprächsband "Der unsichtbare Dritte" ans Herz, in dem Josef Schnelle mit deutschen Filmschaffenden über deren Blick auf Hitchock spricht (die Gespräche bilden auch die Grundlage für diese fast dreistündige Sendung zum Thema im Dlf Kultur).

Besprochen werden Paul B. Preciados Essayfilm "Orlando, meine politische Biografie" (Perlentaucher, Zeit), Michael Chaves' Horrorfilm "The Nun 2", der Perlentaucher Lukas Foerster einmal mehr beweist, dass "das Horrorgenre nach wie vor der Ort ist, an dem sich die vielleicht größte Qualität des amerikanischen Kinos, seine lebendige Normalität, am besten bewahrt", Pablo Larraíns eben noch in Venedig, aber nun schon auf Netflix gezeigte Pinochet-Groteske "El Conde" (Standard), die Wiederaufführung von Hou Hsiao-Hsiens "Millennium Mambo" aus dem Jahr 2001 (Filmdienst), Héloïse Pelloquets "Wild wie das Meer" ("Ein feministisches Manifest für starke, unangepasste Frauen", freut sich Tatiana Moll auf Artechock), Éric Besnards Komödie "Die einfachen Dinge" (Welt), Rainer Kaufmanns "Weißt Du noch" mit Senta Berger (Artechock), der Dokumentarfilm "Vergiss Meyn Nicht" über den im Hambacher Forst ums Leben gekommenen Filmemacher und Aktivisten Steffen Meyn (Tsp), die zweite Staffel der "Sex and the City"-Fortsetzung "And Just Like That..." (Freitag), die vierte Staffel von "Sex Education" (Welt) und die Sky-Serie "Family Law" (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 21.09.2023 - Film

Andreas Busche vom Tagesspiegel fällt aus allen Wolken, als sein Blick auf die Zusammensetzung der Findungskommission fällt, die in den nächsten Monaten einen neuen Intendanten für die Berlinale aus dem Hut ziehen soll: Die Zusammensetzung "zeugt von einem Höchstmaß an Einfallslosigkeit", kritisiert er. "Roth sagte vergangene Woche, dass die Berlinale ihrem Anspruch gerecht werden soll, 'das größte Publikumsfestival und ein politisches Filmfestival zu sein'. Letzteres gelingt jedoch nicht per Dekret, es braucht schon eine Vorstellung davon, wie sich das Kino künftig gegenüber anderen Erzählformen mit Bewegtbildern behaupten soll. Vielmehr besteht die Gefahr, dass künftig eher inhaltliche denn künstlerische Kriterien bei der Filmauswahl angelegt werden - von 'Fachleuten', die 'Im Westen nichts Neues' schon für politisches Kino halten."

Arm ist Berlin weiterhin, aber dafür auch nicht mehr so richtig sexy: Klaus Wowereit in "Capital B" (Arte)

Wie konnte die Aufbruchstimmung in Berlin unmittelbar nach der Wende derart versickern? Dieser Frage geht Florian Opitz in seiner von Arte online gestellten Doku-Serie "Capital B - Wem gehört Berlin?" nach, für die er nicht nur bemerkenswertes Archivmaterial zusammengestellt hat, sondern tatsächlich auch viele der Verantwortlichen für Interviews vor die Kamera bekommen hat. ZeitOnline-Kritiker Matthias Dell kann die Reihe nur empfehlen: "Die Serie führt vor Augen, wie aus der korrupten CDU-Finanzwirtschaft des Bankenskandals, in dem die steuerzahlende Allgemeinheit ein paar Investoren Gewinne garantierte, ein riesiges Haushaltsdefizit entstand. Das wurde ab 2001 unter Klaus Wowereit (SPD) und seinem Finanzsenator Thilo Sarrazin beseitigt durch harte Sparpolitik, etwa in der heute als dysfunktional bekannten Verwaltung, und durch den Ausverkauf von einst landeseigenem Wohnraum. Letzterer ist seit der Finanzkrise von 2009 zum bevorzugten Spekulationsobjekt von global 'entfesselten Anlagekapital' (Stadtsoziologe Andrej Holm) geworden, der die Wohnungsfrage zu einem der drängendsten Probleme der einst so bezahlbaren Hauptstadt gemacht hat. Es ist eindrucksvoll, wie es der Serie gelingt, bei aller Komplexität der Vorgänge elegant Verbindungen zwischen dem Oben und Unten zu schaffen. Von Sarrazins Sparpolitik geht es zu einem dadurch prekär gewordenen Mädchentreff in Neukölln." Für den Tagesspiegel bespricht Claudia Reinhard die Dokuserie.

Weitere Artikel: Daniel Imwinkelried blickt für die NZZ nach Österreich auf den Wirbel, den dort eine ganze Flut von Porträtfilmen über Sebastian Kurz ausgelöst hat - wobei ein offenbar besonders werbeträchtig gestalteter Film auch wegen seiner ungeklärten Finanzierung Spekulationen darüber nährt, aus wessen Geldbeutel die Mittel dafür geflossen sein könnten: "Die Macher von 'Kurz. Der Film' bestreiten jedoch, dass der Film vom ehemaligen Kanzler mitfinanziert worden sei." Diese Woche geht ein weiterer Film über Kurz online, meldet außerdem Valerie Dirk im Standard. Diese spricht im Standard außerdem mit Senta Berger, die aktuell in Rainer Kaufmanns Ehedrama "Weißt Du noch" im Kino zu sehen ist. In der NZZ stellt Urs Bühler Maja Hoffmann vor, die am Mittwoch zur neuen Präsidentin des Locarno Film Festivals gewählt wurde. In der SZ gratuliert David Steinitz dem Hollywood-Produzenten Jerry Bruckheimer zum 80. Geburtstag.

Besprochen werden Paul B. Preciados Essayfilm "Orlando" (Perlentaucher, Zeit), Michael Chaves' Horrorfilmsequel "The Nun" (Perlentaucher), der Dokumentarfilm "Vergiss Meyn Nicht" über den bei den Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst ums Leben gekommenen Journalisten und Aktivisten Steffen Meyn (taz, FR), Harald Pulchs und Ralf Otts Dokumentarfilm "Oskar Fischinger" über den deutschen Animations- und Experimentalfilmpionier (FR), die DVD-Ausgabe von Christine Kuglers und Günter Kurths "Kalle Kosmonaut" (taz), die Wiederaufführung von Hou Hsiao-hsiens "Millennium Mambo" aus dem Jahr 2001 (SZ), der neue Teil der Actionreihe "Expendables" (Standard), Eric Besnards Komödie "Die einfachen Dinge" (SZ),  und die Netflix-Serie "Liebes Kind" (FR). Außerdem informiert die SZ, welche Filme sich diese Woche lohnen und welche nicht.
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Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.09.2023 - Film

Szene aus Maya Derens "At Land" von 1944


Patrick Holzapfel stellt in der NZZ die avantgardistische Regisseurin Maya Deren vor, der das Filmpodium Zürich einen Filmabend widmet: "Der Stellenwert Derens für den künstlerischen Film ist ungebrochen. Trotzdem entzieht sich die 1917, im Jahr der russischen Revolution, in Kiew als Eleanora Solomonowna Derenkowskaja in eine intellektuelle jüdische Familie geborene Künstlerin und Theoretikerin den üblichen Mechanismen der Kanonisierung. Das hängt auch damit zusammen, dass ihr Werk sich dem Ungreifbaren verschrieben hat. Ihre großteils in den 1940er Jahren realisierten Filme lassen sich kaum beschreiben, entziehen sich mit verspielter, formal präziser Bewegungskunst den üblichen Modi des Kinos. Es sind filmische Choreografien, Tanzfilme und Studien des Unterbewussten. Oft ist Deren selbst darin zu sehen. Bis heute wirken die Filme unverbraucht und aufregend. Das gilt genauso für Derens theoretische Schriften, die sich einer Idee des poetischen Films nähern."

Besprochen wird Nicolas Philiberts Berlinale-Gewinner "Auf der Adamant", der jetzt in die Kinos kommt (FR, SZ und hier noch die Berlinalekritik im Perlentaucher).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.09.2023 - Film

Sterling K. Brown in Cord Jeffersons "American Fiction"

Bert Rebhandl berichtet in der FAZ vom Filmfest Toronto, wo Cord Jeffersons Verfilmung von Percival Everetts Roman "American Fiction" den Hauptpreis gewann. Der Roman ist schon gut zwanzig Jahre alt, so Rebhandl, aber er passt sehr gut in die heutige Zeit. Hauptfigur ist der schwarze Schriftsteller, Thelonious "Monk" Ellison, der "mehr oder weniger offen Joyce nacheifert oder einem anderen alten weißen Mann" und damit "- hier beginnt schon die satirische Zuspitzung - seine Identität" verrät. "Jeffrey Wright spielt dieses Dilemma mit der Zurückhaltung, auf die 'American Fiction' dann lustvoll seine Übertreibungen bauen kann. Denn Monk reagiert auf den Erfolg von vielerlei Rollenprosa mit einem pseudonymen Machwerk, das all das erfüllt, was (weißen) Verlegern über Afroamerikaner einleuchtet. Und bald ist der Streich nicht mehr zurückzunehmen, es hilft nur die Flucht nach vorn, das gilt auch für den Film insgesamt, der dann aber mit vielen Zwischentönen seine deutliche Botschaft anreichert. Mit dem Mythos vom "großen amerikanischen Roman" muss "American Fiction" es gar nicht aufnehmen, um eine sehr präzise Bestandsaufnahme der Reste der bürgerlichen Öffentlichkeit in Amerika vorzunehmen."

Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.09.2023 - Film

Reiner Wandler berichtet in der taz über einen Streit beim Filmfestival San Sebastian um einen Dokumentarfilm über die baskische Terrororganisation ETA, der zum größten Teil aus einem Interview des Journalisten Jordi Évole mit dem 72-jährigen Josu Urrutikoetxea besteht, "Kampfname Josu Ternera, der in Frankreich lebt und unter Auflagen auf ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung wartet", so Wandler: "'Weißwaschung des Terrorismus' sei der Streifen, beschweren sich 514 Unterzeichner eines Manifestes. Philosoph Fernando Savater, Schriftsteller wie Félix de Azúa oder Fernando Aramburu, Journalisten, Uniprofessoren und Angehörige von ETA-Opfern fordern die Absetzung des Dokumentarfilms. Die Festivalleitung will davon nichts wissen. ETA und Gewalt sei von jeher ein Thema auf dem Festival gewesen."

Besprochen werden Torsten Rüthers Boxerdrama "Leberhaken" (FR), Paul B. Preciados Filmessay "Orlando, meine politische Biografie" (taz) und Steffi Niederzolls Doku "Sieben Tage in Teheran" (Tsp).
Stichwörter: ETA

Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.09.2023 - Film

Im Filmdienst führt Jörg Gerle durchs Werk der Filmkomponistin Hildur Guđnadóttir, die mit ihrer düsteren Melancholie in den jüngsten Jahren viele Filme veredelt hat. Aktuell im Kino läuft Kenneth Branaghs "A Hauntin in Venice", den sie musikalisch untermalt hat. "Guđnadóttir lässt keine schmeichelnde Farbe in ihre Kompositionen - so düster, so brutalistisch klingt ihre Musik. Selbst wenn es darum geht, tiefe Emotionen zu ergründen, wie in Garth Davis' Bibelfilm 'Maria Magdalena'' (2018), hält sie sich mit dem Ausstatten einer bunten Orchesterpalette eigentümlich zurück. Eine Bratsche, eine Violine, ein Saxophon, ein Piano, eine Gitarre, ein von Guđnadóttir gespieltes Halldorophon und eine Variation kaum lärmenden Schlagwerks: mehr braucht es nicht, um ihre nach wie vor archaische, staubige, nichtsdestotrotz melodischste Musik bislang zu komponieren." Für ihre großartige Arbeit zu "Joker" erhielt sie einen Oscar:



Außerdem: Juliane Preiß besucht für die taz in Kassel die älteste Videothek Deutschlands und zumindest laut Guiness-Buch auch der Welt: Bis heute ist sie im Betrieb, allerdings hat des Geschäft mittlerweile der Verein Randfilm übernommen, der dort in einem Nachbarschaftskino Abseitiges und Raritäten zeigt. Heike-Melba Fendel porträtiert für ZeitOnline die Schauspielerin Bridget Fonda. Besprochen werden Aki Kaurismäkis "Fallende Blätter" (Artechock, unsere Kritik hier), Nicolas Philiberts Dokumentarfilm "Auf der Adamant" (SZ) und die ARD-Serie "Tod den Lebenden" (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.09.2023 - Film

"Frauen in Landschaften"


Sabine Michel hat für ihre Filmdoku "Frauen in Landschaften" vier ostdeutsche Politikerinnen begleitet: Anke Domscheit-Berg (Linke), Manuela Schwesig (SPD), Yvonne Magwas (CDU) und Frauke Petry (ehemals AfD). Wer mehr über konkrete politische Themen erfahren will wie Nordstream 2 beispielsweise, wird wohl enttäuscht werden. Trotzdem findet Cornelius Pollmer (SZ) den Film sehenswert: "Michel erzählt gewohnt zurückhaltend und - verrückt, dass es das noch gibt - zeigt, statt dauernd zu urteilen, und sei es nur indirekt. Sie beginnt ihr Nachforschen mit ganz einfachen Fragen nach der jeweiligen Prägung: Hat Ihre Mutter gearbeitet? Waren Sie Pionierin? Was wollten Sie werden? Die teils ähnlichen Parameter der Herkunft machen die Unterschiedlichkeit der daraus hervorgehenden Biografien natürlich noch interessanter. Wobei die politischen Aussagen der vier Porträtierten dem weithin Bekannten wenig hinzufügen. Dennoch zeigen die vier Frauen sich Michel überwiegend so unverschlossen, dass man am Ende trotzdem glaubt, eine jede von ihnen etwas besser kennengelernt zu haben."

In der FAZ ist Ursula Scheer etwas kritischer: Es ist ein "ruhiger, zugewandter Film", schreibt sie. "Das wirkt wohltuend in Zeiten, die auf Reiz-Reaktions-Muster konditionieren. Unbequem wird die Filmemacherin nur einmal, als sie von der früheren Unternehmerin und AfD-Vorsitzende Frauke Petry mehr über deren Haltung zur Migration erfahren möchte ... Auch wenn sie über ihren Einstieg in die AfD und den Ausstieg aus der rechtspopulistischen Partei, die sich in die falsche Richtung entwickelt habe, spricht, wird eine Härte spürbar, die dem Film sonst fremd ist. Das Nordstream-Debakel, beurteilt im Wissen um Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine, kann Manuela Schwesig weich wegmoderieren."

Weiteres: Patrick Heidmann unterhält sich für die FR mit der Filmkomponistin Hildur Guðnadóttir über ihre Arbeit im Allgemeinen und ihre Musik für die Agatha Christie-Adaption "A Haunting in Venice" im Besonderen. Besprochen werden Aki Kaurismäkis Liebesfilm "Fallende Blätter" (Zeit online) und Steffi Niederzolls Dokumentarfilm "Sieben Winter in Teheran" (Zeit online).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 14.09.2023 - Film

Nach dem Singen kommt das Schweigen: Aki Kaurismäkis "Fallende Blätter"

Patrick Holzapfel widmet sich in einem Filmdienst-Essay dem Kino von Aki Kaurismäki, dessen neuer Film "Fallende Blätter" (unser erstes Resümee) heute anläuft. "Das gemeinsame Bestreben seiner Filme ist nichts Geringeres als die Errettung der an den Rand gedrängten Menschlichkeit in Systemen, die diese unterdrücken. Kaurismäkis Filme existieren an den Grenzen der Bilder, die eine Gesellschaft von sich produziert oder die sie eigentlich produzieren könnte. Er balanciert auf dieser Grenze, weil seine Bilder mit ihren einfachen Farbgebungen und der ausgestellten Ästhetisierung durchaus kompatibel sind mit Instagram; die Welten aber, die bei Kaurismäki aufscheinen, hingegen eben nicht. Dort, wo sich eine Gesellschaft in ethisch vertretbaren Normen verliert, feiert Kaurismäki die Schamlosigkeit. Dort, wo nur den geschniegelten Wohlsituierten zugetraut wird, eine Liebesgeschichte zu tragen, erzählt sie Kaurismäki zwischen Betrunkenen und Herumstreichern. Und wo es keine Bilder von Armut geben darf, zeigt Kaurismäki die verzweifelte Kargheit eines Lebens. Wo das Klischee keinen Humor verträgt, regiert bei Kaurismäki die Absurdität des Seins."

In "Fallende Blätter" lässt Kaurismäki nun endgültig mehr singen als reden, schreibt Michael Kienzl im Perlentaucher. "Traurige Schubert-Lieder werden beim Karaoke-Abend dargeboten, eine finnische Version des beschwingten 'Mambo Italiano' ertönt aus einem alten Wurlitzer und in einer Kneipe spielt eine hippe Electropop-Girl-Band in Arztkitteln. Was die wild zusammengewürfelten Songs vereint, ist, dass sie entweder von inbrünstigem Weltschmerz oder der Flucht in eine heile Fantasiewelt handeln." Überhaupt bestaunenswert ist, "wie Kaurismäki zwischen Realismus und Künstlichkeit sowie zwischen Misere und Utopie balanciert." Weitere Besprechungen in Standard, FR und taz.

Außerdem: Im taz-Gespräch mit Thomas Abeltshauser erzählt der chilenische Regisseur Sebastián Silva davon, wie ihn "meine Misantrophie, mein Selbsthass und meine Todessehnsucht" zu seiner Komödie "Rotting in the Sun" inspiriert haben. Besprochen werden Nicolas Philiberts Berlinale-Gewinner "Auf der Adamant" (FR), Paul B. Preciados Filmessay "Orlando, meine politische Biografie" (Tsp), Danny Boons "Voll ins Leben" mit Charlotte Gainsbourg (Perlentaucher), Kenneth Branaghs Horrorkrimi "A Haunting in Venice" (Filmdienst, FAZ, Tagesspiegel), Veronica Ngos Martial-Arts-Sause "Furies" (FR) und Lena May Grafs "Trauzeugen" (Filmdienst). Außerdem informiert die SZ, welche Filme sich diese Woche lohnen und welche nicht.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.09.2023 - Film

Untergegangene Filmwelt - und der Hund heißt Chaplin: "Fallende Blätter" von Aki Kaurismäki

Mit "Fallende Blätter" startet diese Woche Aki Kaurismäkis zweiter letzter Film in den Kinos. Eigentlich wollte der finnische Autorenfilmer sich schon vor einigen Jahren zur Ruhe setzen. Nun legt er, wie er selber sagt, einen "Nachzügler" zu seiner proletarischen Trilogie vor, mit der er in den Achtzigern und Neunzigern den Arthousekinos volle Säle bescherte. Erneut geht es um im Leben Gestrandete aus dem Proletariat, die um ihre Würde kämpfen und einander distanziert umkreisen: Eine entlassene Supermarktkassiererin und ein Metallarbeiter sind es hier, die sich buchstäblich im Kino verlieben: "Das Kino heißt Ritz, im Aushang hängen Plakate von Melvilles 'Vier im roten Kreis', Godards 'Pierrot le Fou' und David Leans 'Brief Encounter', auch das ein Liebesdrama voller Vergeblichkeiten", schreibt Christiane Peitz im Tagesspiegel. "Kaurismäki beschwört eine untergegangene Filmwelt und bewahrt sie vor dem Vergessen, indem er sie den Verlierern der Gegenwart zu Füßen legt. Den Arbeitern und Arbeitslosen, denen, die aus der Zeit gefallen sind und keine Chance haben."

Andreas Kilb in der FAZ ergänzt: "Eine Welt der Armut und Entbehrung kann keine Welt der Schönheit sein", doch "bei Aki Kaurismäki ist sie schön. Sie ist so schön wie das Blau von Ansas Mantel, wie das Rot der Bluse, die sie in der Karaoke-Bar trägt, in der sie den Fabrikarbeiter Holappa kennenlernt, und wie das Gelb der Blumen, die ihr Holappa zu ihrem ersten gemeinsamen Abendessen mitbringt. ... Dennoch fehlt in diesem Rückblick jeder Schimmer von Nostalgie. Die Erzählung ist von falschen Sehnsuchtsfarben frei. Sie geht ihren Gang, ohne auf die Filmgeschichte zu schielen. Die Blätter fallen, doch sie welken nicht." Im Filmdienst bespricht Thomas Klein den Film.

Besprochen werden außerdem Nicolas Philiberts Berlinale-Gewinner "Auf der Adamant" (Tsp), Dany Boons "Voll ins Leben" mit Charlotte Gainsbourg (Filmdienst) und die RTL-Serie "Dark Winds" (FAZ).
Stichwörter: Kaurismäki, Aki