Magazinrundschau
Eigelb auf der Krawatte
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12.01.2010. Der Spectator sagt leise Servus zum Shabby Chic. In Le Monde lehnt Bernard-Henri Levy jede staatlich verordnete Debatte ab. Qantara ahnt, wer an der Misere in den arabischen Ländern schuld ist: der Vater. Im Espresso findet Umberto Eco heutige Tageszeitungen viel zu aufgebläht. The Nation will den Journalismus mit jährlich 30 Milliarden Dollar Subventionen retten. In Tygodnik Powszechny erklärt der Schriftsteller Wojciech Albinski, warum Polen exotisch ist. Der New Yorker entdeckt arabisches Leben in der Literatur.
Spectator | Tygodnik Powszechny | Le Monde | Standpoint | Frontline | New Yorker | Point | Qantara | Times Literary Supplement | Espresso | HVG | The Nation | Literaturen | Rue89
Spectator (UK), 09.01.2010

Point (Frankreich), 06.01.2010

In einem lesenswerten Interview spricht der Künstler Christian Boltanski über sein Kunstverständnis ("Das Leben ist berührender als die Kunst") und seine jüngste Arbeit: Er hat sein Leben einem australischen Kunstsammler verkauft.
Qantara (Deutschland), 11.01.2010
Was ist los mit den arabischen Gesellschaften? Warum gelingt es ihnen nicht, demokratische Regierungen zu installieren? Diese Frage hat der britische Journalist Brian Whitaker in seinem Buch "What's Really Wrong with the Middle East" untersucht. Seine Antwort, so Rezensent James M. Dorsey: Nicht nur die Regierungen, die Gesellschaften selbst sind repressiv. "Um dieses Phänomen zu beschreiben, bedient sich Whitaker der Theorie des 'Neo-Patriarchismus' des aus Palästina stammenden US-Historikers Hisham Sharabi. In einem kontrovers diskutierten, in vielen arabischen Ländern bis heute verbotenen Buch aus den 1980er Jahren, konstatiert Sharabi, dass die arabische Gesellschaft um die 'Dominanz des Vaters (Patriarchen)' aufgebaut sei: Dieser bildet 'das Zentrum der nationalen wie der natürlichen Familie. So existieren zwischen dem Herrscher und den Beherrschten, zwischen Vater und Sohn einzig vertikale Beziehungen: in beiden Verhältnissen ist der väterliche Wille absolut'."
Times Literary Supplement (UK), 08.01.2010
Fasziniert stellt Wendy Doniger "Nine Lives" vor, William Dalrymples neuen Reportageband aus Indien, der mit sehr viel Sympathie von Menschen erzählt, die ihr Heil in der Spiritualität suchen - und den Subkontinent in eine "große Irrenanstalt für die göttlichen Verrückten" verwandeln. "Aber die hässliche Seite der Religion, die eher Wunden schlägt als Balsam bietet, wird auch sichtbar. Hindus verfolgen sowohl die Tantriker als auch arme, verwitwete und sozial marginalisierte Frauen, denen - besonders wenn Unheil über die Gemeinde gekommen ist - vorgeworfen wird, Hexerei zu betreiben und von Dorfbewohnern 'die Leber zu essen'; gelegentlich werden sie tatsächlich noch getötet, wie die Hexen zur Zeit der Reformation in Europa und den USA. Mataji (die als Digambara im Himmelskleid durch Westbengalen wandert) musste zwei religiöse Zeremonien über sich ergehen lassen, bei denen ihr die Haare einzeln aus dem Kopf gerissen wurden, eins nach dem anderen, sie hat sich diese Prozedur ausgesucht, anstatt sich Kopf rasieren zu lassen. 'Das ganze Ritual dauerte fast vier Stunden, und war sehr schmerzvoll. Ich versuchte, nicht zu weinen, aber ich schaffte es nicht.'"
Espresso (Italien), 08.01.2010

HVG (Ungarn), 06.01.2010

The Nation (USA), 25.01.2010

Außerdem: Ben Ehrenreich stellt den neuen Roman des Kolumbianers Evelio Rosero vor, "The Armies": Trotz aller Grausamkeit ist es "kein realistischer Roman, noch weniger ein journalistischer. Er hat eine stärkere Verwandtschaft mit Kafka und Juan Rulfos 'Pedro Paramo' als mit Roseros Zeitgenossen". David Caroll Simon porträtiert die britische Schriftstellerin Sylvia Townsend Warner (1893-1978).
Literaturen (Deutschland), 01.01.2010

Weitere Artikel: In seiner Kolumne "schreiben: Stoff" ist Sascha Stanisic realiter und virtuell unterwegs. Jochen Schmidt sieht Deutschland auf dem Weg zum Literaturzwergentum. Aram Lintzel findet Popliteraturseiten im Netz.
Besprochen werden unter anderem Margaret Atwoods Roman "Das Jahr der Flut", Rainald Goetz' neues Buch "Loslabern", Alexander Kluges "Chronik der Gefühle" als Hörbuch, Alex Ross' Geschichte der Musik des 20. Jahrhunderts "The Rest is Noise", Hans Blumenbergs posthum versammelte Aufsätze zur "Geistesgeschichte der Technik", neue Krimis, Spike Jonzes Kinderbuchverfilmung "Wo die wilden Kerle wohnen" und ein Bildband mit Fotografien von Dennis Hopper.
Rue89 (Frankreich), 08.01.2010
Louis Mesple ist sehr angetan von dem kleinen Buch "A cercle. Histoire veridique d'un symbole". Schriftsteller, Musiker und Semiologen schreiben darin über Herkunft und Geschichte eines Symbols, das die politischen Kämpfe der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts prägte: das Anarchisten-A, also ein eingekreistes großes A - die Autoren widerlegen dabei nebenbei die Wikipedia-Artikel zur Geschichte des Symbols, die von einem viel älteren Ursprung ausgehen. "Tatsächlich ist dieses Zeichen eine sehr junge ikonografische Kreation... Nun weiß man, dass sich das erste eingekreiste A ins Jahr 1964 zurückverfolgen lässt. Im April tauchte es im Bulletin des Jeunes Libertaires auf, wo es im Rahmen eines Projekts als Zeichen 'für die gesamte anarchistische Bewegung' vorgeschlagen wurde. Laut Text, der diese Idee lancierte, handelte es sich darum, 'ein praktischeres und schnelleres Mittel zu finden, um die Länge von Unterschriften unter Texten und Slogans sowie den Zeitaufwand dafür auf ein Minimum zu beschränken'."
Tygodnik Powszechny (Polen), 10.01.2010

Zbigniew Liberas berühmtestes Kunstwerk ist wohl das "Lego Konzentrationslager". Eine Warschauer Ausstellung präsentiert nun eine Art Gesamtschau des Künstlers, was Piotr Kosiewski sehr freut: "Immer deutlicher wird, wie viel die Künstler, die nach 1989 schufen, ihren Vorgängern verdanken. Libera scheint ein wichtiges Verbindungsglied zwischen den Generationen zu sein. Umso wichtiger ist die Ausstellung in der Zacheta-Galerie."
Le Monde (Frankreich), 09.01.2010
Der Philosoph Edgar Morin singt in einem Essay ein Loblied auf die Kraft der Metamorphose, die immer dann notwendig werde, wenn ein System unfähig wird, mit seinen Problemen fertig zu werden und auf die Selbstzerstörung zusteuert. "Die Idee der Metamorphose ist, was ihre transformatorische Radikalität angeht, viel gehaltvoller als die Idee der Revolution, knüpft jedoch an den Erhalt (des Lebens, des Kulturerbes) an. Doch wie ändert man die Richtung, um eine Metamorphose zu erreichen? Denn so machbar es erscheint, bestimmte Übel zu korrigieren, so unmöglich scheint es, zugleich die technisch-wissenschaftlich-ökonomisch-zivilisatorische Entfesselung auszubremsen, die den Planeten in die Katastrophe führt. Und doch hat die Menschheitsgeschichte schon häufig die Richtung gewechselt. Alles beginnt stets mit einer Neuerung, einer neuen, abweichenden, marginalen, bescheidenen Botschaft, die für die Zeitgenossen häufig unsichtbar ist. So jedenfalls begannen die großen Religionen, Buddhismus, Christentum, Islam. Der Kapitalismus hat sich als ein Parasit der feudalistischen Gesellschaften entwickelt und mithilfe der Königtümer seinen Aufschwung genommen, um sie am Ende zu zerstören."
Außerdem schreibt Wassyla Tamzali, Autorin, Anwältin und Frauenrechtsbeauftragte der Unesco, über die gespaltene, oftmals verklärende Beziehung von Albert Camus zu seinem Geburtsland Algerien und analysiert die politische Haltung des "glücklichen Sisyphos".
Außerdem schreibt Wassyla Tamzali, Autorin, Anwältin und Frauenrechtsbeauftragte der Unesco, über die gespaltene, oftmals verklärende Beziehung von Albert Camus zu seinem Geburtsland Algerien und analysiert die politische Haltung des "glücklichen Sisyphos".
Standpoint (UK), 01.01.2010

Frontline (Indien), 15.01.2010

S. Viswanathan nimmt - mit wenig Respekt für das Ergebnis - die halbherzig ausgeführten staatlichen Versuche aufs Korn, den niederen Kasten in Indien mittels "positiver Diskriminierung" bessere Ausbildung und Jobs zu verschaffen. "Im Fall der Dalits wurde die Situation eher schlimmer, vor allem wegen der, wie Dalit-Führer es beschreiben, 'trägen' Umsetzung von Quoten. Dalit-Aktivisten beschweren sich über Diskriminierung im Rahmen der 'positiven Diskriminierung'. Bürokraten aus den 'unterdrückenden Kasten' zeigen kein besonderes Interesse daran, Quoten umzusetzen. Eine große Anzahl reservierter Posten bleiben unbesetzt, und Beamte aus den höheren Kasten zeigen kaum Interesse daran, Rückstände zu beseitigen. Das beweist nur, dass Quoten bei Arbeitsplätzen und in der Erziehung nicht ausreichen, den sozialen Status der Dalits wirksam zu verbessern. Dalits, die für private Arbeitgeber arbeiten, erleiden vermutlich noch viel schlimmere Formen der Diskriminierung."
New Yorker (USA), 18.01.2010

Margret Talbot informiert über den aktuellen Stand der gesetzlichen Festschreibung von Homoehen in den USA. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "A Death in Kitchawank" von T.C. Boyle und Lyrik von Mary Karr und Galway Kinnell.
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