Magazinrundschau
Es begann in der Karibik
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
23.06.2020. Wer Statuen stürzt, schreibt nicht die Geschichte um, sondern die Erinnerung, stellt Richard Evans im New Statesman klar. Aber bitte nicht im Gestus der Taliban, erwidert Bernard-Henri Levy in La règle du jeu, und bitte nicht Victor Schoelcher! Der Rolling Stone feiert die Erfolge von Black Lives Matter als Mainstream-Bewegung. Die New York Review of Books zeigt, wie ausgerechnet die amerikanischen Colleges zur Armutsfalle für Schwarze und Hispanics werden. Eurozine erinnert daran, dass mit dem Kolonialismus auch die Ausbeutung der Erde begann. Und die New York Times ahnt, dass sich der Mensch seine schlimmsten Krankheiten selbst schafft.
Rolling Stone (USA), 16.06.2020
Das von Kadir Nelson gestaltete und ziemlich wuchtige Cover der Ausgabe muss man wirklich in voller Größe sehen:

Jamil Smith staunt über die Erfolge, die Black Lives Matter in den letzten Wochen feiern konnte: Zahlreiche Forderungen der Bewegung finden laut jüngsten Umfragen in der US-Bevölkerung durchaus Mehrheiten. "Doch Umfrageergebnisse und Pressemitteilungen werden auch in Zukunft keine Leben retten - genau wie Proteste, die es nur beim Protest belassen. Um ein Land, dem schwarze Leben egal sind, in ein Land umzugestalten, in dem dies nicht mehr der Fall ist, ist es nötig, die amerikanische Polizeiarbeit fundamental und systemweit zu reformieren. Der Sprung in den Mainstream, den Black Lives Matter gerade vollzieht, ist dabei nützlich. Wenn Amerika die Tatsache akzeptiert, dass schwarze Leben im besonderen Maße bedroht sind, müssen wir darüber sprechen, was und wer sie bedroht. Die Historikerin Blair L.M. Kelley, die an der North Caroline State University lehrt, sagt, 'dass wir noch immer weit von jenem Wandel entfernt sind, den es braucht, um Leben zu retten. Doch Black Lives Matter hat die Möglichkeiten deutlich erweitert'. Deutlich zutage tritt dies in den Forderungen, die die Bewegung seit George Floyds Tot aufstellt. Von den schrittweise vorgehenden Reformplänen haben sich die Kritiker verabschiedet. Stattdessen schließen sie sich einst radikaleren Positionen an, etwa dem Ruf danach, der Polizei die Mittel zu kürzen, um die so frei gewordenen Ressourcen sozialen Programmen auf kommunaler Ebene zugute kommen zu lassen."

Jamil Smith staunt über die Erfolge, die Black Lives Matter in den letzten Wochen feiern konnte: Zahlreiche Forderungen der Bewegung finden laut jüngsten Umfragen in der US-Bevölkerung durchaus Mehrheiten. "Doch Umfrageergebnisse und Pressemitteilungen werden auch in Zukunft keine Leben retten - genau wie Proteste, die es nur beim Protest belassen. Um ein Land, dem schwarze Leben egal sind, in ein Land umzugestalten, in dem dies nicht mehr der Fall ist, ist es nötig, die amerikanische Polizeiarbeit fundamental und systemweit zu reformieren. Der Sprung in den Mainstream, den Black Lives Matter gerade vollzieht, ist dabei nützlich. Wenn Amerika die Tatsache akzeptiert, dass schwarze Leben im besonderen Maße bedroht sind, müssen wir darüber sprechen, was und wer sie bedroht. Die Historikerin Blair L.M. Kelley, die an der North Caroline State University lehrt, sagt, 'dass wir noch immer weit von jenem Wandel entfernt sind, den es braucht, um Leben zu retten. Doch Black Lives Matter hat die Möglichkeiten deutlich erweitert'. Deutlich zutage tritt dies in den Forderungen, die die Bewegung seit George Floyds Tot aufstellt. Von den schrittweise vorgehenden Reformplänen haben sich die Kritiker verabschiedet. Stattdessen schließen sie sich einst radikaleren Positionen an, etwa dem Ruf danach, der Polizei die Mittel zu kürzen, um die so frei gewordenen Ressourcen sozialen Programmen auf kommunaler Ebene zugute kommen zu lassen."
La regle du jeu (Frankreich), 22.06.2020

New Statesman (UK), 22.06.2020

Eurozine (Österreich), 22.06.2020

HVG (Ungarn), 22.06.2020

New Yorker (USA), 29.06.2020

In einem anderen Artikel erinnert sich Hilton Als an eine Kindheit in Brownsville, Brooklyn Ende der sechziger Jahre, die mit den Unruhen nach der Ermordung George Floyds für ihn auf beklemmende Weise wieder lebendig werde: "Die Wahrheit ist, nichts ist unpersönlich, wenn es um Rassismus geht. Jeder rassistischer Akt ist ein tief persönlicher mit einem Endergebnis: der Herabsetzung der betroffenen Person. Wenn du diese Art von Auslöschung erfahren hast, bist du nicht mehr sicher, wer du bist und wo du lebst. Mein Bruder war der Meinung, dass wir als Kinder so oft umgezogen sind, weil unsere Mutter Sicherheit suchte. Ich weiß nicht mehr, wie oft, aber ich selbst, versuchte Freunde zu machen, um meine Familie zu schützen … Heute lebe ich in einer vorwiegend weißen Gegend Manhattans. Ich war zu Hause, als die Demonstrationen begannen. Panik setzte ein, als ich die Hubschrauber und Polizeisirenen hörte. Ich war sicher, die Polizei würde übers Dach kommen. Sobald sie meinen schwarzen Arsch hier sähen, würden sie mich erschießen. Aus Angst bat ich einen weißen Freund, zu mir zu kommen. Was ich da fühlte, war eine Erinnerung an Unruhen und Heimatlosigkeit, der Gedanke, die Polizei könnte kommen und mich in meinem eigenen Zuhause zu einem Fremden machen."
Besprochen werden eine Biografie des Army-Astronomen und Schwulen-Aktivisten Frank Kameny und Agnieszka Hollands Holodomor-Drama "Mr. Jones"
New York Times (USA), 21.06.2020

Weiteres: Chicagos Bürgermeisterin Lori Lightfood weist darauf hin, dass man nicht nur weißen, sondern auch vielen schwarzen Mittelschichtlern die Arbeitsplätze wegnimmt, wenn man der Polizei die Mittel kürzt. Außerdem meldet sich Jon Stewart, der Großmeister der Polit-Show, nach fünf Jahren zurück aus der Versenkung.
New York Review of Books (USA), 02.07.2020

Kann man Donald Trump mit seinen Fantasien von Reinheit und Größe, der Dämonisierung seiner Gegner und seinem Hass auf die freie Presse und alles Intellektuelle als Faschisten bezeichnen? Kann Amerika überhaupt faschistisch sein? Und wie sähe ein amerikanischer Faschismus aus? In einem dramatischen Artikel blickt Sarah Churchwell auf die dreißiger Jahre zurück, als Lynchmorde, Ku-Klux-Klan-Terror und die SA-ähnlichen Paradetrupps von Louisianas Senator Huey Long eine Ahnung davon gaben: "Samuel Moyn argumentierte kürzlich gegen einen Vergleich des Trumpismus mit dem Faschismus, weil seine Politik tief in der amerikanischen Geschichte wurzele. Es brauche keine Analogien zu Hitler, um diese zu erklären. Aber eine solche Argumentation geht davon aus, dass der Faschismus nicht seine eigenen tiefen Wurzeln in Amerika haben könnte. Es ist zweifelhaft - um nicht zu sagen exzeptionalistisch - zu glauben, dass alles, was genuin amerikanisch ist, nicht faschistisch sein kann. Fachleute wie Robert O. Paxton, Roger Griffin und Stanley betonen seit langem, dass der Faschismus seinen Anhängern niemals als etwas Fremdes erscheint: Seine Behauptung, für das Volk zu sprechen und nationale Größe wiederherzustellen bedeutet, dass jede Version von Faschismus seine eigene lokale Identität hat. Wer glaubt, dass eine nationalistische Bewegung nicht faschistisch sei, weil sie im eigenen Land entstanden ist, verkennt den entscheidenden Punkt."
Weiteres: Jessica Riskin besteht auf dem Fünfklang der wissenschaftlichen Methode, der aus "Beobachtung, Hypothese, Vorhersage, Experiment und Bestätigung" bestehen kann oder aber aus "Vergleich, Formalisierung, Analogie, Interpretation und Veranschaulichung". FintanO'Toole widmet sich der Clankriminalität in Washington.
Kommentieren