Magazinrundschau

Keine Haare auf dem Bauch

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
23.10.2012. National Geographic bewundert den Mut muslimischer Rebellenmädchen. Wittgenstein war ein ziemlicher Chauvi, erinnert sich Freeman Dyson in der NYRB. HVG möchte kein Talent mehr in Ungarn vergeudet sehen und plädiert für eine Frauenquote. Die LRB stellt beim Internet-Dating fest, dass ihr Körper mehr zählt als ihr Geist. Rue89 verlangt die Abschaffung der Subventionen für die Papierpresse. Das New York Magazine meldet ein Comeback der alten Männer - in der Literatur, der Wirtschaft und dem Pizza backen. In Clarin wünscht sich Howard Rheingold etwas mehr Geschichtsbewusstsein bei Netzkritikern. Die NYT reist nach Afghanistan und lernt die Baluchis kennen.

New York Review of Books (USA), 08.11.2012

Als Porträt-Galerie der wichtigsten modernen Philosophen empfiehlt der Physiker Freeman Dyson das Buch "Why Does the World Exist" von Jim Holt. Dyson berichtet sehr beeindruckt von den versammelten Materialisten und Idealisten, vor allem aber erinnert er sich an seine eigenen Begegnungen mit Wittgenstein in Cambridge 1946, bei denen seine Bewunderung einen vorübergehenden Dämpfer erfuhr: "Am Ende meiner Zeit in Cambridge brachte ich schließlich den Mut auf, ihn anzusprechen. Ich sagte ihm, wie gern ich seinen 'Tractatus' gelesen hätte, und wollte wissen, ob er noch immer der gleichen Ansicht sei wie vor 28 Jahren. Er schwieg eine Zeit lang und fragt dann: 'Von welcher Zeitung kommen Sie?' Ich erklärte ihm, dass ich Student, kein Journalist sei, aber er beantwortete meine Frage nie. Wittgensteins Reaktion war demütigend, aber seine Reaktion auf Frauen, die versuchten, seine Vorlesungen zu besuchen, war noch schlimmer. Wenn eine Frau im Hörsaal erschien, stand er solange schweigend da, bis sie den Saal verlassen hatte. Ich beschloss, dass er ein Scharlatan war, der sich unerhört benahm, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich hasste ihn für seine Grobheit."

"Dunkelheit legt sich über die arabische Welt": Das Autoren-Duo Hussein Agha and Robert Malley blickt ernüchtert auf die zunehmend unübersichtliche Lage im Nahen Osten, die bereits zu den unheiligsten Allianzen geführt hat (Irak und Iran auf der Seite Assads, Saudis mit Säkularisten und Salafisten gegen die Muslimbrüder). Ihr Ausblick: "Die Islamisten werden einen Handel vorschlagen: Im Austausch für ökonomische Hilfe und politische Unterstützung werden sie nicht bedrohen, was sie für die elementaren Interessen des Westens halten: regionale Stabilität, Israel, den Kampf gegen den Terror, Energielieferung. Keine Gefahr für die westliche Sicherheit. Kein Handelskrieg. Der Showdown mit dem jüdischen Staat kann warten. Der Fokus wird auf der langsamen, stetigen Gestaltung der islamischen Gesellschaften liegen. Amerika und Europa mögen ihre Bedenken über die innere Umgestaltung äußern, sogar Unmut. Aber sie werden drüber hinwegkommen."

In einem Dossier zu den nicht mehr fernen Präsidentschaftswahlen schätzen suchkundige Autoren wie Elizabeth Drew und Michael Tomasky (hier), Ronald Dworkin (hier), Kwame Anthony Appiah (hier), Steven Weinberg und Jeffrey Sachs (hier) die Lage ein.

HVG (Ungarn), 13.10.2012

Ob eine gesetzlich verbindliche Frauenquote eingeführt werden soll, wird in den europäischen Ländern unterschiedlich bewertet. Ihre Gegner befürchten vor allem, dass sie zu einem dysfunktionalen System führen könnte, in dem nicht die Fähigkeiten, sondern das Geschlecht des Bewerbers entscheidet. Die ungarische Soziologin Beáta Nagy plädiert dennoch für die Quote: "Trotzdem benötigen wir eine Quote, weil ohne sie das Wissen und Talent der Frauen kontinuierlich vergeudet wird. Ein von Männern geführtes System, in dem die Frauen in den Hintergrund gedrängt werden und somit weder die Gleichberechtigung noch die Anerkennung der Leistungen zur Geltung kommt, ist unwürdig. Währenddessen gibt es unter den hochqualifizierten potenziellen Anwärtern auf einen Posten viel mehr Frauen als Männer. So ist neben dem Ideal der Leistungsorientierung die Effizienz der andere zentrale Aspekt: Man muss auch jenes Wissen und jene Annäherungsweise nutzen, über die die Frauen verfügen - wird die Gesellschaft allein von Männern geführt, bleibt das Wissen, die Erfahrungen und Sichtweisen einer Hälfte dieser Gesellschaft außen vor."
Archiv: HVG

London Review of Books (UK), 25.10.2012

In den Tagebuchnotizen schildert Emily Witt ihre Erfahrungen mit einer Online-Dating-Börse, deren Dienste sie nicht aus Feldforschungsgründen, sondern aus reiner Not heraus in Anspruch nahm. Was sie dabei über sich selbst gelernt hat, ist alles andere als tröstlich: "Internet-Dating zerstörte meine Auffassung von mir selbst als jemanden, den ich sowohl kenne als auch mit Worten beschreiben kann. Es hatte einen ähnlich schädigenden Effekt auf meine Auffassung, dass andere Menschen sich selbst zu kennen und zu beschreiben in der Lage sind. Auch im Bereich der Psychologie hinterließ es mich irritiert. ... Internet-Dating machte mich auf die Tatsache aufmerksam, dass unsere Auffassungen von menschlichen Errungenschaften und Verhalten, das sich durch die aufgehäuften Texte in hunderten von Internet-Dating-Profilen ausdrückt, im wesentlichen alle gleich, damit langweilig und keine gute Art sind, andere Leute auf sich aufmerksam zu machen. Wie ich ebenfalls lernte, ist der Körper keine zweitrangige Angelegenheit. Der Verstand enthält nur wenige Wahrheiten, die der Körper nicht verrät."

Außerdem: Thomas Jones muss sich nach der Sichtung der aus dem Vatikan geleakten Dokumente ernsthaft fragen, ob der Klerus überhaupt noch zum Beten kommt: Es "entsteht der überwältigende Eindruck, dass der Vatikan regelrecht brodelt vor Vorschwörungen, Splittergruppen-Klüngel, Flügelkämpfen, Eigennutz-Denke, Bestechlichkeit und niederträchtigem Verrat." Thomas Powers porträtiert Jack Kerouac, über den dessen zeitweilige Freundin Joyce Johnson gerade eine Biografie veröffentlicht hat: Deren "wichtigste Entscheidung ist es, vor dem großen Unglück aufzuhören, um damit all die Schreibblockaden und Saufgelage und gescheiterten Beziehungen und Gesundheitsprobleme und die mitleiderregende Abhängigkeit von seiner Mutter den anderen Biografen zu überlassen." Jonathan Meades rauft sich die Haare über die gerade eingeweihte Bomber-Command-Gedenkstätte im Hyde Park. David Runciman liest das Occupy-Handbuch und Karl Miller schreibt einen persönlichen Nachruf auf Eric Hobsbawm.

Rue89 (Frankreich), 19.10.2012

Auch in den französischen Medien wird im Moment heiß über Internetthemen debattiert. Da ist einerseits die Steuer, die man Google dafür auferlegen will, dass es auf Presseartikel verlinkt - eine Initiative, die ausdrücklich von der deutschen Idee eines Leistungsschutzrechts inspiriert ist (hier ein Artikel in Le Monde zum Thema). Und andererseits tobt eine Art Klassenkampf zwischen alten und neuen Medien um Staatsknete, ohne die in Frankreich kaum ein Wirtschaftszweig auskommt, schon gar nicht die Presse. Laurent Mauriac stellt in einem der neuen Medien, dem Blog rue89, ein "Manifest zur Neukonzeption des Pressesektors" vor, das vom Syndicat de la presse indépendante d'information en ligne, einem Verband der Online-Medien formuliert wurde. Und da wird erstmal die Abschaffung der Subventionen für die Papierpresse verlangt: Denn "entweder dienen diese Subventionen als permanenter Tropf, der es notleidenden Publikationen erlaubt mehr schlecht als recht zu überleben, ohne sich publizistisch und kommerziell zu erneuern. Oder sie sind ein warmer Regen, den man sich als Opportunist gerne abzweigt."
Archiv: Rue89

New Statesman (UK), 22.10.2012

Der New Statesman hat bekanntlich Ai Weiwei gebeten, eine Ausgabe für ihn zu betreuen. Am besten gefällt uns seine Aktion "A little bird told me". Ai hat die Chinesen per Twitter gefragt, wie sie die Zukunft ihres Landes sehen. Die meisten der zitierten Antworten sind so pessimistisch wie die von Zhang Hali (@zhhl93): "Auf die chinesische Demokratie zu warten ist wie pinkeln zu müssen, während das eigene Haus brennt. Und es bleibt einem nichts übrig als auf einen Regenguss zu warten." Aber es gibt auch optimistische Statements wie das von Xiangfeng Ziyou Chui (@sun22382001) : "Kein Chinese hätte die Geburt von Twitter voraussagen können. Twitter und Weibo sind Gottesgeschenke für das chinesische Volk und werden die Aufklärung im Land vorantreiben. China wird dem Rest der Welt ebenbürtig und nicht mehr abseits stehen. Auch wenn der Weg steinig sein wird und viele Menschen schon aus China geflohen sind, werde ich bis zu meinem Tod bleiben."

Die Pakistanerin Mukhtar Mai, die 2002 entgegen aller Traditionen, die Männer angezeigt hatte, die sie vergewaltigt hatten, und die jetzt eine Mädchenschule führt, sieht im Interview trotz des Attentats von Taliban auf die 14jährige Schüleraktivistin Malala Yousafzai "große Hoffnung. Die Zukunft ist heller. Frauen haben eine Stimme. Sie nutzen sie, um in der Öffentlichkeit ihre Rechte einzufordern. Sogar ein Kind wie Malala hat die Courage, sich zu wehren. Es gibt Gefahren, aber gegenüber der Notwendigkeit etwas zu erreichen, sich auszudrücken, ist die Bedrohung klein. Wir müssen vorwärts gehen."

Außerdem: Sophie Elmhirst bringt uns in einem lesenswerten Porträt auf den neuesten Stand über Ai Weiwei, der selbst ein Editorial beisteuert. Online findet sich auf den Seiten des New Statesman überdies ein langes Porträt über die doppelte Booker-Prize-Trägerin Hilary Mantel.
Archiv: New Statesman

National Geographic (USA), 23.10.2012

Obwohl Kindsbräute kaum Hilfe bekommen, schaffen es einige, sich selbst zu helfen, schreibt Cynthia Gorney in einer bedrückenden Reportage aus dem Jahr 2011, die National Geographic jetzt - mit eindrucksvollen Fotos - online gestellt hat. Zum Beispiel die Jemenitin Nujood Ali, die mit zehn Jahren allein zu einem Gericht ging und die Scheidung von ihrem angeheirateten Vergewaltiger forderte: "Die Theorie des sozialen Wandels hat ein schickes Label für Persönlichkeiten wie Nujood Ali: Positive Abweichler. Das sind die Einzelnen innerhalb einer Gemeinschaft, die sich durch eine persönliche Kombination aus Umständen und Mut der Tradition widersetzen können und statt dessen etwas neues, vielleicht sogar radikales versuchen können. In der internationalen Kampagne gegen Kinderehen gibt es diese positiven Abweichler jetzt gelegentlich auch unter Müttern, Vätern, Großmüttern, Lehrern und so weiter, aber am tapfersten sind die Rebellenmädchen selbst, jede ihrer Aktionen löst neue Rebellionen aus. Im Jemen traf ich die 12jährige Reem, die ihre Scheidung wenige Monate nach Nujoods Alis erwirkte. Sie überzeugte einen feindlichen Richter, der behauptete, eine so junge Frau sei noch nicht reif genug, eine Entscheidung über Scheidung zu treffen. In Indien traf ich die 13jährige Sunil, die mit 11 Jahren ihren Eltern schwor, sie werde den ihr zugedachten Bräutigam ablehnen, wenn er ankomme. Wenn sie versuchten, sie zu zwingen, erklärte sie, würde sie sie bei der Polizei anzeigen und den Kopf ihres Vaters zerschmettern. 'Sie kam Hilfe suchend zu uns', erzählte mir ein bewundernder Nachbar. 'Sie sagte: Ich zertrümmere seinen Kopf mit einem Stein.'"
Stichwörter: Jemen, Kinderehe, Kinderehen

Elet es Irodalom (Ungarn), 19.10.2012

Der ungarische Dirigent und Musikdirektor des Berliner Konzerthauses am Gendarmenmarkt Iván Fischer ist auch als Komponist international bekannt. Zu seinen Stücken zählen Kompositionen zu jiddischsprachigen Texten, darunter die Deutsch-Jiddische Kantate, in der u.a. Gedichte von Goethe, Rilke und Abraham Sutzkever verarbeitet werden und Fischer jener "Liebesbeziehung" ein Denkmal setzt, die die gebildeteren jüdischen Familien in Osteuropa mit der deutschen Kultur verband - auch nach dem Holocaust. Diese jiddischsprachigen Stücke, die bislang in sechs Ländern gespielt wurden, dürfen nach dem Willen von Iván Fischer in Ungarn nicht aufgeführt werden. Im Interview mit László J. Gy?ri erklärt er dieses Verbot damit, dass die Denkweise in Ungarn dafür noch nicht reif genug sei. Diese Einsicht habe ihm das Leben im westlichen Ausland vermittelt: "Ungarn wird von außen ganz anders gesehen als von innen. Das Land wird aus dem Ausland mit Zuneigung und Besorgnis beobachtet. Die Besorgnis gilt vor allem der Frage, wie Ungarn wettbewerbsfähig sein wird, ob und wie das Land seinen Mann stehen und Dinge produzieren kann, die in den Regalen des großen Supermarkts der Welt einen Platz finden. In Ungarn ist das unwesentlich, wichtiger ist die Frage, 'wer mit wem und mit wem nicht'. Im Ausland beispielsweise interessiert man sich dafür, wer unter den ungarischen Wissenschaftlern an internationalen wissenschaftlichen Foren was publiziert - während man sich in Ungarn dafür interessiert, wer was über den anderen sagt. ... Manchmal habe ich das Gefühl, zwischen zwei Planeten zu pendeln."
Stichwörter: Jiddisch, Fischer, Ivan

New York Magazine (USA), 21.10.2012

Ein sehr schönes Porträt schreibt Boris Kachka für das New York Magazine über Tom Wolfe, über dessen weiße Anzüge er sich anders als andere nicht lustig macht: Diese Anzüge, so Kachka, ermöglichen es Wolfe, überall als Fremdling aufzutreten, auch in besseren Kreisen, die sich mehr als alle anderen über Wolfes Stil mokieren. Mit seinem neuen Roman "Back to Blood" (Auszug) knüpft Wolfe an alte Erfolge an: "Lange bevor er Fiktion schrieb, erzählte er mal einem Interviewer, versuchte er sich Städte vorzustellen, indem er sich Stadtpläne anguckte und sie nach Bevölkerungsklassen sortierte. Miami mit seinem Little Havana und seinem Little Haiti, seinen jüdischen Rentnerburgen, den South Beach Penthouses, russischen Stripclubs und afroamerikanischen Ghettos war ein gefundenes Fressen. 'Back to Blood' ist Fiktion als Neukombination von Realität."

Außerdem im NY Mag: Ein Porträt Bob Benmosches, der den Versicherungskonzern AIG vor der großen Krise verlassen hatte und nun zurückberufen wurde, um den Laden, dem die amerikansiche Regierung mit weit über hundert Milliarden Dollar ausgeholfen hatte, zu sanieren. Und noch ein Porträt des 81-jährigen New Yorker Pizzabäcker Patsy Grimaldi, der ebenfalls ein Comeback feiert.
Stichwörter: Haiti, Miami, Wolfe, Tom

Clarin (Argentinien), 12.10.2012

Andrés Hax unterhält sich - bestens - mit dem amerikanischen Soziologen und Netztheoretiker Howard Rheingold: "Schwierig scheint mir, dass die zeitgenössischen Netzkritiker offenbar nicht begreifen, dass die Technikkritik selbst ihre Geschichte hat. Und trotzdem: Man sollte den Kritikern Aufmerksamkeit schenken. Dass die Leute dir ihrerseits so viel Aufmerksamkeit schenken, dass sie dich kritisieren, ist großartig. Die schlechten Seiten der Technik werden so auch immer deutlicher sichtbar. Je länger ich mich damit beschäftige, desto deutlicher wird mir allerdings auch, dass die Menschen und ihre Werkzeuge sich ebenfalls entwickelt haben. Wir sind Menschen,weil wir Kommunikationswerkzeuge benutzen, um neue Arten zu organisieren, die Dinge zu erledigen. Das bedeutet Kultur. Und ich glaube, wir fangen gerade erst an, unsere Rolle bei der Gestaltung unserer Umwelt wie auch unserer selbst zu begreifen."
Archiv: Clarin
Stichwörter: Rheingold

New Yorker (USA), 29.10.2012

Adam Gopnik beschäftigt sich in einem längeren Essay mit zwei neuen Publikationen zur Geografiegeschichte, die derzeit eine Renaissance erlebe: Robert D. Kaplans eher vorausschauende Studie "The Revenge of Geography" (Random House) und das eher retrospektive Werk "Why Geography Matters: More Than Ever" (Oxford) von Harm de Blij. Interessant sind Kaplans Überlegungen zum Irak-Krieg, den er inzwischen als "Katastrophe" bezeichnet, auch weil man die Lage und Beschaffenheit des Landes nicht beachtet habe. "'Gebirge und die Menschen, die aus ihnen hervorgegangen sind, sind die erste Ordnung der Realität', schreibt Kaplan heute. Im Irak war es die Wüste, die uns zur Strecke gegbracht hat ... Er empfiehlt inzwischen einen geostrategischen Realismus, der Geschichte durch Geografie ersetzt. Denn selbst wenn Russland diesen Warmwasser-Hafen bekäme, den es angeblich will, würde sich nicht viel ändern: Es wäre immer noch flach und kalt dort und deprimierend, ein Russe zu sein. Unsere Sehnsüchte als Nation wurzeln ebenso wie unsere privaten Sehnsüchte in den unveränderlichen Besonderheiten unseres jeweiligen Geländes. Der Mogul, der davon träumt, ein Supermodel zu heiraten, ist selten zufrieden, sobald er es getan hat; er ist genau der Typus, der seine Frau höchstwahrscheinlich betrügt und sich eine andere sucht."

Weiteres: Nach einer ausführlichen Bilanzierung von Barack Obamas erster Amtszeit kommen die Herausgeber des New Yorker zu einem klaren Votum: "Die Wiederwahl von Barack Obama ist von größter Dringlichkeit." Anthony Lane sah im Kino die Science-Fiction-Verfilmung "Cloud Atlas" von Tom Tykwer und Andy Wachowski und die Komödie "Cheyenne - This Must Be The Place" von Paolo Sorrentino mit Sean Penn.
Archiv: New Yorker

MicroMega (Italien), 18.10.2012

Umberto Eco erzählt in einem rhetorisch starken kleinen Artikel die Geschichte der Korrumpierung Mailands, das sich einst hochmütig von Rom abwandte und heute ebenso in Geschäfte mit der Mafia verstrickt ist wie der Süden: "Und so wurden wir, Skandal nach Skandal, mit der Erkenntnis konfrontiert, dass Mailand zur Schwester Roms geworden war und Männer ins politische Spiel einführte, denen es allein um die persönliche Bereicherung ging. Auch jetzt noch dachten viele, dass Mailand nicht Palermo sei, eine Stadt der Unehrlichen zwar, aber doch nicht der Mafiosi. Aber nun ist uns die Rechnung auf den Tisch geflattert: Die mailändische Politik ist nicht nur mit der 'Ndrangheta verbandelt, sondern es stellt sich heraus, dass nicht die Politik die 'Ndrangheta benutzt, sondern die 'Ndrangheta die Politik, dass die Politik die Befehle ihrer Schergen annimmt, dass sie sich ihren Drohungen beugt. Sie glaubten, es den Römern nachzumachen und die Mafia für sich zu nutzen, aber ihnen fehlten die List der Römer und die Haare auf dem Bauch. Mailand, das keine Befehle vom räuberischen Rom annehmen wollte und die Süditaliener verachtete, folgt dem Abschaum des tiefen Südens aufs Wort."

Außerdem in Micromega: Pierfranco Pellizzetti erzählt in einem längeren Essay, wie die italienische Linke postmodern wurde.
Archiv: MicroMega

New York Times (USA), 21.10.2012

Viele Afghanen mögen ja die Amerikaner nicht ausstehen können, aber die Iraner mögen sie auch nicht. Luke Mogelson reiste für das Magazine in den Südwesten Afghanistans, in die Provinz Nimruz, die an den Iran grenzt. Dort versucht er in einer ebenso mutigen wie - angesichts der verwickelten Verhältnisse - fast rührenden Reportage herauszubekommen, worauf die Feindschaft basiert. Es geht um Drogen, Wasser und Menschenschmuggel. Letzteren versucht der Iran seit einiger Zeit zu unterbinden. Doch da sind die Baluchis vor: "Vor einigen Jahren erklärte der Iran die Provinz an der Grenze zu Nimruz zur No-go-Area für Ausländer. Kurz darauf begann er eine 15 Fuß hohe Mauer zu errichten, die jetzt die Hälfte der 147 Meilen langen Grenze zu Nimruz entlang verläuft. Die iranische Grenzpolizei - in bemannten Wachtürme, alle in Sichtweite des jeweils nächsten - soll sich auch verändert haben. Es gibt immer mehr Berichte über Afghanen, die von den Beamten erschossen wurden, die sie vor nicht allzu langer Zeit noch freundlich durchwinkten. Die meisten dieser Geschichten können zwar nicht verifiziert werden, aber sie verstärken doch das Gefühl, dass die alte Straße zu einem neuen Leben jetzt versperrt ist. Heute müssen Migranten, die nach Nimruz kommen, zehn Stunden südlich nach Pakistan reisen und dort in den Iran wechseln. Die Reise steht auf drei Schmugglerbeinen: Afghanische Baluchis führen einen ein Stück des Wegs, pakistanische Baluchis führen einen ein Stück weiter, iranische Baluchis beenden den Job."

Dan Barry porträtiert in einer Serie Elyria, eine Kleinstadt mit 55.000 Einwohnern in Ohio, die den Niedergang der amerikanischen Mitte veranschaulicht. Die Fabrikjobs sind weg ebenso wie die dazugehörigen Managementjobs. Billige Dienstleistung bleibt. Barry stellt einige Einwohner vor und immer wenn man denkt, großartig, aber das wird jetzt doch etwas zu capramäßig reizend, kommt eine unbehagliche Geschichte etwa über den verwirrten schwarzen ex-Footballspieler Ike, der trotz seiner sportlichen Erfolge nie eine Chance bekam, aber dafür einen Baseballschläger auf den Kopf. Und man erinnert sich daran, warum Donna, die nette Besitzerin des Diners, die Highschool verlassen hat: "Donna zog ganz klar die Küche der Elyria High School vor, die sie zu groß fand - eine andere Ausdrucksweise für 'zu integriert'. Sie hatte den größten Teil ihres jungen Lebens in der weißen Blase des Bay Village geführt, 15 Kilometer nordöstlich, und nun war sie plötzlich in der City High School, die einen gesunden Anteil an schwarzen Studenten aufwies. Das ungewohnte schüchterte sie ein, so verließ sie die Schule. Sie wurde schwanger und heiratete mit 16. Auf den Hochzeitsfotos sehen sie und ihr Mann wie verkleidet aus." Die Serie hat fünf Teile: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5 und ist absolut filmtauglich.
Archiv: New York Times
Stichwörter: Wasser, Din