Magazinrundschau
Meine Persönlichkeit gegen deine
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15.02.2011. Könnte es auch hier passieren?, fragt Outlook India mit Blick auf Ägypten. Der Westen hat die arabische Welt zu lange als Klischee gesehen, meint Olivier Roy in Le Monde. Was tun eigentlich Lektoren?, fragt der Guardian. Gordon Lish in Babelia und Robert Gottlieb in der Paris Review haben dazu einiges zu sagen. In Ungarn soll jetzt gerichtlich überprüft werden, ob staatlich finanzierte Kunst ihr Geld wert ist, berichtet Elet es Irodalom. Wer ist schuld am Niedergang Italiens? Die Journalisten, meint Goffredo Fofi in Reset. The Atlantic und die NYT pfeifen tapfer gegen intelligente Computer.
Outlook India | Polityka | La regle du jeu | Sinn und Form | The Atlantic | New York Times | Le Monde | Guardian | Babelia | Paris Review | Elet es Irodalom | Rue89 | Reset
Outlook India (Indien), 21.02.2011

Le Monde (Frankreich), 12.02.2011
Klischees über die arabische Welt und den Nahen Osten haben den Westen daran gehindert, die grundlegenden Veränderungen zu erkennen, die sich in den Gesellschaften Ägyptens und Tunesiens längst vollzogen haben, meint der Wissenschaftler Olivier Roy. Schuld daran sei auch die Furcht vor einer islamische Revolution wie im Iran. "Man erwartet deshalb, am Kopf der Bewegung oder im Hinterhalt die islamistischen Bewegungen zu sehen, in diesem Fall die Muslimbrüder und ihre örtlichen Entsprechungen, bereit dazu, die Macht zu übernehmen. Aber die Unauffälligkeit und der Pragmatismus der Muslimbrüder erstaunt und beunruhigt: Wo sind die Islamisten geblieben? Denn wenn man sich anschaut, von wem diese Bewegung ausging, ist unübersehbar, dass es sich dabei um eine post-islamistische Generation handelt. Die großen revolutionären Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre sind für sie Schnee von gestern, die Geschichte ihrer Eltern. Diese neue Generation interessiert sich nicht für Ideologien: Die Slogans sind alle realpolitisch und konkret ("frei"); sie appellieren nicht an den Islam, wie ihre Vorgänger es Ende der Achtziger in Algerien taten. Stattdessen sind sie vor allem Ausdruck der Ablehnung korrupter Diktaturen und der Forderung nach Demokratie."
Guardian (UK), 12.02.2011
Was genau tun eigentlich Lektoren? Das merkt man erst, wenn sie nichts tun, schreibt Alex Clark, der den Niedergang dieses Berufsstandes beklagt. Ein positives Beispiel ist der Literaturagent Larry Miller, dessen Roman "Today" im März veröffentlicht wird. "Seine Erfahrung, darauf beharrt er, steht im Widerspruch zu der Vorstellung, dass Bücher einfach durch Verlage hindurchgeschleust werden. Sein Lektor bei Atlantic Books, Ravi Mirchandani, antwortete ihm auf sein 32.000 Worte langes Manuskript mit einem 20-seitigen Brief. Er war, so Miller, 'voll superber Kommentare', die Anachronismen, Anschlussfehler und ungenaue Wortwahl umfassten. Er habe etwa 80 Prozent der Vorschläge angenommen, dann wurde das Buch einem 'absolut brillanten' Korrektor [copy editor] übergeben und schließlich noch vier mal Korrektur gelesen [proof reading]. 'Dieser ganze Veröffentlichungsprozess hat mich total ermutigt', sagt er. 'Ich verstehe jetzt genau, warum ein Buch vom Agenten über den Verleger und Buchhändler bis zum Kunden so lange braucht. Und ich glaube nicht, dass ich eine Ausnahme bin.'"
Babelia (Spanien), 12.02.2011

Paris Review (USA), 01.10.1994
In seinem Artikel im Guardian zitiert Alex Clark Robert Gottlieb, Lektor von John Cheever, Salman Rushdie, V. S. Naipaul, Edna O?Brien u.a.. Der erklärte 1994 in der Paris Review die Aufgabe eines Lektors so: "Ein Lektor muss herausfinden, was ein Buch braucht, aber der Autor muss es liefern. Man kann als Lektor nicht sagen: Schick ihn nach Hongkong, lass ihn eine Liebesaffäre mit einem Cockerspaniel haben. Man sagt eher: Dieses Buch braucht etwas an diesem Punkt - es muss sich öffnen, ihm fehlt eine Richtung, ihm fehlt Aufregung." Im konkreten Fall sah das dann so aus: "Als ich das erste Mal Chaim Potoks 'The Chosen' las, erkannte ich, dass das Buch zu Ende war, Chaim aber danach noch dreihundert Seiten geschrieben hatte. ... Also rief ich Chaims Agenten an und sagte ihm, ich liebe das Buch und würde gern mit ihm darüber reden. Aber erkläre ihm bitte, dass ich es nur veröffentlichen werde, wenn er die letzten dreihundert Seiten weglässt; wenn er es lassen will, wie es ist, ist es ein anderes Buch. Chaim hat das sofort eingesehen und so war es kein Problem."
Im Archiv der Paris Review findet man übrigens eine Fülle von Interviews mit Autoren aus den letzten Jahren. Kann man wunderbar drin rumstöbern. Hier ein schmutziger kleiner Intelligenztest, den Bertrand Russell einst mit Gustaw Herling gemacht hat: "He said, I?m going to test your intelligence. There is a colony of nudists outside London. A man arrives, nude. His friends point out a beautiful girl and tell him that she likes to do it, but for money. Not much, though, just sixpence. So the man goes to her to agree on terms. But she spoke in a way he couldn?t understand, as if she had a speech defect. Question: Why does she have this speech defect?
INTERVIEWER: Beats me.
HERLING: I thought about it for about ten minutes and finally said, I?m terribly sorry, but I don?t know. Russell said, So this is your intelligence . . . Her mouth was full of sixpence!"
Im Archiv der Paris Review findet man übrigens eine Fülle von Interviews mit Autoren aus den letzten Jahren. Kann man wunderbar drin rumstöbern. Hier ein schmutziger kleiner Intelligenztest, den Bertrand Russell einst mit Gustaw Herling gemacht hat: "He said, I?m going to test your intelligence. There is a colony of nudists outside London. A man arrives, nude. His friends point out a beautiful girl and tell him that she likes to do it, but for money. Not much, though, just sixpence. So the man goes to her to agree on terms. But she spoke in a way he couldn?t understand, as if she had a speech defect. Question: Why does she have this speech defect?
INTERVIEWER: Beats me.
HERLING: I thought about it for about ten minutes and finally said, I?m terribly sorry, but I don?t know. Russell said, So this is your intelligence . . . Her mouth was full of sixpence!"
Elet es Irodalom (Ungarn), 11.02.2011

Kürzlich ist das Buch "3096 Tage" von Natascha Kampusch auf Ungarisch erschienen (Natascha Kampusch: 3096 nap. Übersetzt von Zoltan Andras Ban. Budapest : Scolar Kiado, 2010). Die junge Frau beschreibt ihre Geschichte mit überraschender Reife und Distanz, weshalb sich das Buch auch als Entwicklungsroman lesen lässt, findet der Literaturwissenschaftler Imre Kurdi: "Der wichtigste Aspekt des Entwicklungsromans ist - und das ist das eigentlich Spannende am Buch von Natascha Kampusch - die Schaffung und Bewahrung der Identität und der autonomen Persönlichkeit. Dadurch nämlich, dass Natascha Kampusch selber erzählt, was sie erlebt hat, will sie zum einen das Recht zur Interpretation und Selbstinterpretation zurück erlangen - wobei sie einerseits die Übertreibungen der Boulevardpresse, andererseits jeden Ansatz, der das Geschehene mit einem bestimmten Etikett (wie z.B. dem des Stockholm-Syndroms) versehen und somit irgendeiner Regel unterordnen will, konsequent zurückweist; diese sprechen ihr die Individualität ab und machen damit jedwede Erzählung von vornherein überflüssig und sinnlos. Zum anderen ist es augenscheinlich und unheimlich spannend, dass und wie Natascha Kampusch gerade im Zuge des Erzählens, durch den Akt der Narration ihre eigene Identität schafft - der Kidnapper hatte ihr sogar verboten, ihren eigenen Namen zu verwenden und auch nach ihrer Flucht hatten ihr manche geraten, ihren Namen zu ändern und so ein neues Leben zu beginnen -, und sich die Autonomie ihrer Persönlichkeit erkämpft."
Rue89 (Frankreich), 12.02.2011

Reset (Italien), 01.02.2011

Polityka (Polen), 11.02.2011

La regle du jeu (Frankreich), 08.02.2011

Sinn und Form (Deutschland), 15.02.2011

Auszüge lesen darf man außerdem aus Adam Zagajewskis Essay über Europa und aus Joachim Kalkas Text über die Mythologie der geheimen Gesellschaften.
The Atlantic (USA), 01.03.2011

Fasziniert hat Christopher Hitchens "The Berlin-Baghdad Express: The Ottoman Empire and Germany's Bid for World Power" gelesen, ein Buch, in dem der Historiker Sean McMeekins erzählt, wie die Deutschen unter Wilhelm II. den Islamismus in der Türkei förderten. Einer der Hauptfiguren dabei war Max von Oppenheim: "Seine Vision war ein Aufruhr der Muslime aller Länder außer in Deutschland und der Türkei. Die Fatwas, für deren Übersetzung und Verbreitung er bezahlte, lesen sich auf unheimlich Art wie der heutige Ausstoß von Al Qaida, komplett mit Referenzen an die weltweite Unterdrückung der Muslime, der verlockenden Belohnung für Märtyrertum und der generellen Erlaubnis zum Mord."
New York Times (USA), 13.02.2011
Die größten Webadressen und -dienste schöpfen ihren Wert aus den freiwilligen und kostenlosen Informationen, die ihre Besucher bereitstellen. Facebook (50 Milliarden Dollar), Twitter (10 Milliarden Dollar), Tumblr oder die Huffington Post, die gerade für 315 Millionen Dollar an AOL verkauft wurde. Was bleibt da für den professionellen Autor, fragt David Carr. "Vielleicht bleibt Inhalt aufgeteilt in einen professionellen und einen Amateurzweig. Aber ich bin mir da nicht so sicher, wenn ich sehe, wie die sozialen Netzwerke Aufmerksamkeit und Anzeigen von den alten Medien abziehen. Ich trage selbst meinen Teil dazu bei. Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, hatte ich über 11.000 Einträge bei Twitter geschrieben. Ich wurde dafür mit einer Menge Follower belohnt ... und keinem Pfennig Geld."
Während Leser den Inhalt bereitstellen, lösen Computer langsam die Redaktion ab, berichtet John Markoff. Bei Yahoo platziert Katherine Ho zwar noch die Artikel, aber unterstützt wird sie dabei von einem Computerprogramm, dass genau registriert, welche Artikel wie oft angeklickt werden. "Ein Artikel, der nicht viel Interesse erweckt, steht nur Minuten online, bevor sie ihn löscht. Populäre Artikel stehen tagelang online und finden manchmal Millionen Leser. Nur fünf Kilometer nördlich, bei Yahoos Rivalen Google, werden die News ganz anders produziert. Spotlight, ein beliebtes Feature bei Google News, wird vollkommen von Softwarealgorithmen erstellt, die praktisch das gleiche tun wie Ms. Ho. Googles Software durchstreift das Netz auf der Suche nach interessanten Artikeln. Der Entscheidungsprozess, welche Artikel den Lesern präsentiert werden, funktioniert ähnlich wie das PageRank-System der Suchmaschine. In dem einen Fall wird Software dazu benutzt, die Fähigkeit eines Menschen zu erweitern. Im zweiten Fall ersetzt die Technologie den Menschen vollständig."
Während Leser den Inhalt bereitstellen, lösen Computer langsam die Redaktion ab, berichtet John Markoff. Bei Yahoo platziert Katherine Ho zwar noch die Artikel, aber unterstützt wird sie dabei von einem Computerprogramm, dass genau registriert, welche Artikel wie oft angeklickt werden. "Ein Artikel, der nicht viel Interesse erweckt, steht nur Minuten online, bevor sie ihn löscht. Populäre Artikel stehen tagelang online und finden manchmal Millionen Leser. Nur fünf Kilometer nördlich, bei Yahoos Rivalen Google, werden die News ganz anders produziert. Spotlight, ein beliebtes Feature bei Google News, wird vollkommen von Softwarealgorithmen erstellt, die praktisch das gleiche tun wie Ms. Ho. Googles Software durchstreift das Netz auf der Suche nach interessanten Artikeln. Der Entscheidungsprozess, welche Artikel den Lesern präsentiert werden, funktioniert ähnlich wie das PageRank-System der Suchmaschine. In dem einen Fall wird Software dazu benutzt, die Fähigkeit eines Menschen zu erweitern. Im zweiten Fall ersetzt die Technologie den Menschen vollständig."
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