Magazinrundschau
Konzertierter Rufmord
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
05.08.2008. Im Merkur geißelt Michael Stolleis den miesen Umgang von taz, FAZ und SZ mit Horst Dreier. The New Republic graust sich vor der Europäisierung amerikanischer Städte. In der Gazeta Wyborcza vermissen die Theaterregisseure Monika Strzepka und Pawel Demirski die Gleichheit im Neoliberalismus. In Le Monde denkt Slavoj Zizek über Karadzic und den poeto-militärischen Komplex nach. Prospect entdeckt den Charakter. Die New York Times besucht Trolle.
Merkur | Prospect | Espresso | Przekroj | New York Times | New Republic | Rue89 | Vanity Fair | Gazeta Wyborcza | New York Review of Books | Le Monde
Merkur (Deutschland), 01.08.2008

(Die Artikel aus SZ und FAZ sind nicht mehr online, aber einer aus der Zeit, in dem Robert Leicht nachzeichnet, was Dreier tatsächlich von der Folter hält. Im Interview mit der Welt erklärt Dreier das auch selbst.)
Außerdem im Merkur: Aus der Policy Review wird ein Essay von Lee Harris aus dem Jahr 2002 über den 11. September als "Realinszenierung einer Phantasievorstellung" übernommen.
New Republic (USA), 13.08.2008

James Kirchick stellt die "Advokaten des Teufels" vor, Lobbyisten, die in Washington für Afrikas Despoten arbeiten. Der frühere Vorsitzende des Black Caucus im Kongress, Mervyn Dymally, etwa vertrat für kurze Zeit das sklavenhalterische Mauretanien. Der berüchtigste von ihnen war Edward von Kloberg III ("Shame is for sissies"!), der für Saddam Hussein und Nicolae Ceausescu arbeitete und sich sogar vom Satiremagazine Spy ködern ließ, das angebliche deutsche Neonazis zu ihm schickte, denen er bei der Besatzung Polens helfen sollte.
Rue89 (Frankreich), 02.08.2008
Nach Jahrhunderten eines erbarmungslosen Zentralisierungsprozesses mit Prügelstrafen für kleine Bretonen, die nicht französisch sprechen wollen, hat Frankreich die Regionalsprachen als "nationales Erbe" unter den Schutz der Verfassung gestellt. Elisabeth Cestor unterstützt diese Entscheidung zwar, aber sie blickt auch mit Grauen auf den Nachbarn Spanien: "Während in Frankreich die Diskussion um Integration und offizielle Anerkennung der Regionalsprachen im Gange ist, hat die spanische Regierung einen Prozess gegen die katalanische Regierung gewonnen, wonach an den katalanischen Grund- und Hauptschulen drei statt zwei Wochenstunden auf Spanisch verbindlich werden, weil der Unterricht nicht ausschließlich auf Katalanisch stattfinden solle."
Vanity Fair (USA), 01.09.2008

Gazeta Wyborcza (Polen), 02.08.2008

Anna Bikont lobt Joanna Wiszniewicz' Buch über die "März-Emigranten" - polnische Juden, die nach der antisemitischen Kampagne 1968 Polen verlassen mussten (mehr zum Hintergrund hier). Viele sind in ihrer neuen Heimat nie richtig angekommen, und hadern mit ihrer polnisch-jüdischen Identität. "Wiszniewicz kommentiert nichts, versucht nicht zu verallgemeinern. Sie gibt ihren Helden das Wort. Es ist ein exzellentes Stück 'oral history' - erzählte Geschichte, die von vielen Historikern in Polen immer noch misstrauisch beäugt wird, da sie Dokumenten - u.a. des kommunistischen Geheimdienstes - mehr glauben als dem gesprochenen Wort. Das Buch ist außerdem einfach exzellente Literatur."
New York Review of Books (USA), 14.08.2008
Orville Schell erläutert in einem ausführlichen, erst jetzt online gestellten Essay, warum China mit einer solchen Besessenheit immer wieder an erlittene Demütigungen erinnert und seinen Opferstatus zelebriert, aber dank Olympia endlich wieder wer ist: "Nach eineinhalb Jahrhunderten des Hungers, des Krieges, der Schwäche, ausländischer Besatzung und revolutionären Extremismus, betrachtet eine wachsende Zahl von Chinesen - innerhalb und außerhalb des Landes - die Olympischen Spiele als den langerwarteten symbolischen Moment, in dem ihr Land endlich den alten Stereotypen entkommt, der unglückselige 'arme Mann Asiens' zu sein, ein ausgebeuteter 'hilfloser Gigant', Opfer einer fehlgeleiteten Kulturrevolution, das umnachtete Land, in dem 1989 die Volksbefreiungsarmee auf das Volk schoss. In einem einzigen symbolischen Streich versprach Olympia dem Land, mit der wüsten Geschichte aufzuräumen, das Erbe der Unterwerfung und Demütigung abzuschütteln und die Weltbühne wiedergeboren zu betreten - als die große Nation, die es einst war."
Le Monde (Frankreich), 01.08.2008
Unter der Überschrift "Karadzic und der poeto-militärische Komplex" mahnt der slowenische Philosoph Slavoj Zizek, in dem ausgebildeten Psychiater nicht nur den schonungslosen Politiker und Militärmann zu sehen, sondern auch den anderen Aspekt seiner Persönlichkeit zu berücksichtigen und ernst zu nehmen: den des Lyrikers beziehungsweise Literaten. Denn eine aufmerksame Lektüre, so Zizek, könne uns helfen, das "Funktionieren ethnischer Säuberungen" zu verstehen. Zu den ersten Zeilen eines Gedichts von Karadzic, das zu entfesselter Gläubigkeit in eine Sache aufruft, schreibt er: "Der Verweis auf diesen Gott, der 'euch nichts untersagt', ist entscheidend um zu verstehen, wie zur Erzeugung ethnischer Gewalt moralische Verbote aufgehoben werden. Das Klischee will, dass eine ethnische Identifikation die Rückkehr zu Werten bedeutet. Dieses Klischee müssen wir umdrehen. Ein ethnischer Fundamentalismus gründet sich im Gegenteil auf eine stillschweigende Aufforderung: Ihr dürft!"
Prospect (UK), 01.08.2008

Weitere Artikel: Wenn die Fareed Zacharias und Thomas Friedmans dieser Welt weniger Vorurteile hätten und einfach mal die Augen aufmachen würden, könnten sie erkennen, dass George W. Bush eine außerordentlich erfolgreiche Außenpolitik geführt hat, schreibt Edward Luttwak. Er erinnert daran, dass noch in den neunziger Jahren fast jedes islamische Land mit den religiösen Fundementalisten geflirtet hat. "Das endete abrupt am 11. September. Schlaumeier belächelten Bushs Satz 'Entweder seid ihr für uns oder ihr seid für die Terroristen' als Cowboyattitüde, aber er war sehr schnell erfolgreich." Andrew Keen macht sich Sorgen um die amerikanischen Zeitungen, die unter Erscheinungen wie der Huffington Post leiden. Stephen Chan beschreibt die Tragödie des simbabwischen Oppositionspolitikers Morgan Tsvangirai, der leider viel zum Erfolg Mugabes beigetragen habe.
Espresso (Italien), 31.07.2008

Przekroj (Polen), 30.07.2008

Jarek Szubrycht blickt zurück auf 40 Jahre Heavy Metal - der just im Hippie-Jahr 1968 geboren wurde. Interessant ist dabei die Rezeptionsgeschichte im kommunistischen Polen - von den schwierigen Anfängen bis zur stillschweigenden Toleranz in den Achtzigern. Dazu passt die Geschichte der Band Imperator, die sich vor einem Konzert dem Zensor stellen musste: "Es ging um den Vers: Die Bestie kommt aus der Tiefe. - Was soll das?! - schrie der Beamte - Geht es etwa um die 'Solidarnosc'? - Wie denn - antworteten wahrheitsgemäß die Musiker. - Es geht um Satan. - Na, dann habt ihr Glück. Ihr dürft es spielen."
New York Times (USA), 03.08.2008

"Außererodentlich, unschätzbar wertvoll, machtvoll, brillant recherchiert" nennt Alan Brinkley im Aufmacher der Sunday Book Review das Buch "The Dark Side - The Inside Story of How the War on Terror Turned into a War on American Ideals" (Auszug), der New-Yorker-Reporterin Jane Mayer, das alle Fakten zum schwärzesten Kapitel der jüngsten amerikanischen Geschichte zusammenträgt: Die Einführung der Folter im "Krieg gegen den Terror" zum Teil in Geheimgefängnissen, die von niemandem zu kontrollieren sind. Dick Cheney hat dieses System geschaffen, das, nebenbei bemerkt, keinerlei Erfolge vorzuweisen habe, und das schlimmste sei - es geht weiter: "Es gibt kein Happy End in dieser düsteren und schändlichen Geschichte. Trotz wachsenden politischen Drucks, trotz Urteilen des Supreme Courts gegen die Gefängnispolitik, trotz immer mehr Enthüllungen über das einst geheime Programm, das das Gewissen der ganzen Welt schockierte, gibt es wenig Hinweise darauf, dass die Geheimlager und Folterprogramme aufgegeben oder stark reduziert wurden."
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