Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
04.01.2005. Der New Yorker trauert um Susan Sontag. Der Merkur erklärt uns, was gezähmte Samurai für den Irak tun könnten. Folio widmet sich Bomben. La Vanguardia erklärt die lustvolle Assimilation der Einwanderer zum Erfolgsrezept Spaniens. Die Gazeta Wyborcza rettet die Intelligentsia. In Plus-Minus analysiert Viktor Jerofejew das Drama der zeitgenössischen russischen Frau. Der Economist fürchtet, dass Amerika dynastische Züge annimmt. Al-Ahram sucht guten ägyptischen Pop. Die New York Times liefert eine Reportage über den Fernsehsender Al-Arabiya

New Yorker (USA), 10.01.2005

In einer Reportage aus dem südindischen Kalapet berichtet Akash Kapur über die Verheerungen, die der Tsunami dort angerichtet hat. Ein Mann erzählt ihm, "verschieden politische Würdenträger - aus Pondicherry, aus Neu Delhi - hätten das Dorf besucht. Sie versprachen eine Menge. Häuser würden wieder aufgebaut, eine Entschädigung würde bezahlt für die Verletzten. Die Familien sollten für jeden Toten hunderttausend Rupien (2.300 Dollar) erhalten, eine fürstliche Summe in diesem Teil des Landes. Doch um das Geld zu erhalten, mussten die Familien eine Leiche vorzeigen - viele der Toten waren jedoch in die See geschwemmt worden."

Joan Accocella denkt in einem leider nicht sehr inspirierten Nachruf auf Susan Sontag darüber nach, wie wohl in Zukunft die "Vielseitigkeit" der Autorin als Essayistin und Schriftstellerin bewertet werden wird. "In einem Text über ihre Kindheit und die familiären Grillabende, schrieb sie einmal: 'Ich aß und aß ... ich hatte eigentlich immer Hunger.' Und sie blieb hungrig. Sie las alles und schrieb alles: Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Essays zu Literatur, Film und Poitik. Sie drehte Filme und hielt Vorträge. Sie fuhr nach Vietnam, Kuba und Bosnien und berichtete von dort. Es gab fast nichts, von dem sie dachte, dass sie es nicht tun könne, nichts, das sie nicht schon sehr bald in Angriff zu nehmen plante."

Weitere Artikel: Jerome Groopman befasst sich mit dem Problem, dass für die wenigsten verschreibungspflichtigen Medikamente aussagekräftige Testreihen zu ihrer Verträglichkeit für Kinder existieren. In einem ausführlichen Artikel geht Claudia Roth Pierpont der Frage nach, warum wir noch immer Gershwin hören. Anlass ist ein gerade erschienener "George Gershwin Reader? (Oxford), der neben Briefen, Interviews, Kritiken und neueren Analysen seiner "märchenhaften Karriere" auch Texte des Komponisten mit "so spannenden pädagogischen Titeln" wie "Gehört Jazz zur Kunst?" und "Jazz ist die Stimme der amerikanischen Seele" umfasst. Vorgestellt werden schließlich die 10 besten Jazz-Alben des vergangenen Jahres, und Joan Accocella portärtiert die Travestie-Truppe Les Ballets Trockadero de Monte Carlo.
Archiv: New Yorker

Merkur (Deutschland), 03.01.2005

Siegfried Kohlhammer erklärt mit einem Abriss der japanischen Geschichte, warum dessen Demokratisierung nach den Zweiten Weltkrieg nicht als Modell für den Irak taugen kann. In Japan nämlich wurden die Samurai schon unter Hideyoshi Toyotomi (1536-1598) gezähmt: "Wichtiger noch war die fortschreitende Verwandlung der Samurai in Administratoren, die alle Sorten von Verwaltungs-, Rechtsprechungs- und auch Polizeiaufgaben wahrnahmen (wofür zivile Fertigkeiten wie Lesen und Schreiben, das Anfertigen von Inventarlisten und Dokumenten oder auch Verhandlungsgeschick wichtiger waren als Todesmut und Schwertkampf: 'aus Kriegern wurden Bürokraten', wie Andrew Gordon sagt). Ihr Ansehen und ihre Beförderung hingen nun zunehmend von ihrer Arbeitsleistung ab: Teil des dann in der Meiji-Zeit vollendeten Übergangs von der Statusgesellschaft zur Meritokratie. Das meritokratische Prinzip wurde im 19. und 20. Jahrhundert zu 'einem tiefverwurzelten und weitverbreiteten gesellschaftlichen Wert Japans'."

Leider nicht online findet es Wolfgang Przewieslik fraglich, die Türkei als Mitglied der "euopäischen Rechts- und Wertegemeinschaft" zu betrachten. "Bis in die jüngste Zeit hinein werden Reformgesetze durch eine vollkommen entgegengesetzte Praxis konterkariert. Unbeschadet der neuen Sicherheitsgesetze wurde im September 2003 ein bekannter kurdischer Sänger wegen vermeintlicher Propaganda gegen die Unteilbarkeit des Staates in Ankara auf der Bühne verhaftet. Der türkische Justizminister bestätigte, dass es sich hierbei um keinen Einzelfall handelt, und dass die Justiz- und Sicherheitsorgane des Staates die Reformgesetze und die Europäische Rechtsprechung bewusst missachten." Aber auch in den neuen Staatsschutzbestimmungen findet sich noch ein Paragraf 306, der Propaganda gegen 'grundlegende nationale Interessen' unter Strafe stellt. "Diese Formulierung erinnert fatal an die rechtswidrigen Staatsschutzparagrafen der Vorgängergesetze. In den Ausführungsbestimmungen werden die Forderung nach Abzug der türkischen Truppen aus Zypern und die Forderung nach Anerkennung der türkischen Schuld am Völkermord an den Armeniern genannt."

Weiteres: Als einfältig schmettert Thomas E. Schmidt Jürgen Habermas' Überlegungen zur hellen (europäischen) und zur dunklen (amerikanischen) Seite des Westens ab. In seiner Ökonomiekolumne ruft Rainer Hank die Patienten auf die Barrikaden: "Skandalös ist nicht, dass das Gesundheitswesen teuer ist. Skandalös ist, dass der Gesundheitsmarkt kein Markt ist." Denn "während auf Märkten der Kunde Herr des Geschehens ist, sind es auf dem 'Gesundheitsmarkt' die Anbieter: Ärzte, Pharmaindustrie, Medizinforscher. Patienten verstehen sich nicht als Kunden, der Mdizinbetrieb spricht ihnen diese Eigenschaft ohnehin ab." Und Wolfgang Kemp betrachtet in der Ästhetikkolumne DuMonts "Weltatlas der Kunst" als einen neuen Fall von "Parapolylogik". Jürgen Mittelstrass untersucht, wie Europa sich und seine Werte (Freiheit! Gleichheit!) gerade wiederentdeckt. Und Friedrich Dieckmann reist mit Schiller nach Malta, das "kleinste, möglicherweise das schönste, mit Sicherheit das älteste, das kulturell und geschichtlich am tiefsten reichende der neuen EU-Länder".
Archiv: Merkur

Folio (Schweiz), 03.01.2005

Das erste Heft im Jahr 2005 ist dem Thema Bomben gewidmet. Christoph Reuter, Nahostkorrespondent des Stern, beschreibt die Rückkehr des Märtyrers, eine bis vor wenigen Jahren vergessene historische Figur, die es heute schafft, die Logik der Macht außer Kraft zu setzen. Sie stammt aus der Zeit des frühen Christentums und Islams, als man gegen allmächtige Gegner kämpfte, und tritt nun im Gewand des Selbstmordattentäters auf. "Mit der Asymmetrie unserer Welt, die nur noch eine Supermacht kennt, ist die vollkommene Unterlegenheit zurückgekehrt. In einer Zeit, in der Kriege für den zum Selbstmordkommando werden, dessen Gegner mit den USA verbündet ist, erhält der alte Mythos vom Märtyrer wieder Bedeutung. Nur verfügt er heute über Mittel und Methoden, die es früher nicht gab. Aus dem Märtyrer ist der 'Sich-selbst-Märtyrernde' geworden, für den es im Arabischen sogar ein Wort gibt: Istischhadi."

Weitere Artikel: Anja Jardine beschreibt den Alltag des "Entscharfmachers" Markus Hiemer, Hauptfeldwebel in der Kampfmittelbeseitigungskompanie 21 in Baden-Württemberg, der im vergangenen Jahr zehn Wochen lang in Afghanistan Bomben entschärfte. Oswald Iten erklärt in seinem Artikel "Du sollst verstümmeln", warum Minenlegern das Töten des Feindes zu trivial ist. Gundolf S. Freyermuth beschreibt smarte Bomben und smarte Bomber. Und Otto Krätz erzählt die Geschichte des Sprengstoffs.

In der Duftnote bedauert Luca Turin, dass nur wenige Parfümeure die Duftkerze ernst nehmen. Zwei Ausnahmen gebe es: Ormonde Jayne und Patricia de Nicolai - echte Künstlerinnen und würdige Nachfolgerinnen von Michael Faraday (1791-1867).
Archiv: Folio

Vanguardia (Spanien), 02.01.2005

In ihrer Sonntagsbeilage zum Thema Geld und Wirtschaft feiert die katalanische Tageszeitung La Vanguardia euphorisch die Tatsache, dass Spanien in den letzten vier Jahren die Hälfte aller europäischen Migranten aufgenommen hat. Und es sollen unbedingt noch mehr werden, fordert der Soziologe Mario Gaviria: "Manche mögen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber ich sage hier klar und deutlich: Ohne Immigration wäre das spanische Wirtschaftswachstum der letzten sechs bis acht Jahre unmöglich gewesen. Das iberische Modell lustvoller Assimilation und Vermischung ist unser Beitrag zur Identitätsfrage der westlichen Zivilisation. Dieses während der letzten fünfhundert Jahre in Iberoamerika zum Einsatz gekommene Modell, dieser Bastard, ist unser diskreter Beitrag zum Zusammenleben menschlicher Wesen verschiedener Hautfarbe, Kultur und Weltanschauung. Beim heutigen Stand der Dinge gibt es nichts, was uns euphorischer in die Zukunft blicken ließe."
Archiv: Vanguardia

Gazeta Wyborcza (Polen), 02.01.2005

In der Neujahrsausgabe der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza erklärt der Schriftsteller und Dichter Adam Zagajewski die Tagebücher von Sandor Marai (mehr hier), die vor kurzem in Auszügen in Polen herausgegeben wurden, zu den wichtigsten Büchern des Jahres. Womöglich gibt es Ungarn überhaupt nur, weil es Marai gibt! "Westeuropa, so reich an Literatur, könnte auch ohne sie auskommen, immerhin blieben ihm dann effiziente Regierungen, schöne kleine Städte, saubere Züge und phänomenale Museen. Mitteleuropa würde wahrscheinlich versacken, ohne die ruhelose Arbeit seiner Poeten, Prosaiker und Künstler. Ohne Phantasie gäbe es diesen Teil von Europa nicht, es wäre ein Dritte-Welt-Fleck auf der europäischen Landkarte", glaubt Zagajewski.

Der Kulturhistoriker Jerzy Jedlicki sucht nach neuen Herausforderungen für die Intelligentsia, jene "Klasse, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts selbst erfunden und seitdem immer wieder von Neuem dekonstruiert hat". Das Abtreten dieser Klasse ist schon oftmals verkündet worden, aber in den letzten Jahren scheint die soziale und geistige Basis verstärkt zu schwinden, "da die Gesellschaft erwachsen geworden ist, und keine Autoritäten mehr braucht". Dennoch ist sich Jedlicki sicher, dass es auch künftig nicht ohne Intelligentsia gehen wird. Denn der jetzigen Gesellschaft wohne "eine inhärenten Tendenz zur Gleichmachung von öffentlicher Ethik, Geschmack, Sprache und politischer Kompetenz auf niedrigstem Niveau bei. Die Sorge darum, gehobene Normen als Gegengewicht zu installieren, ist ein gemeinsames, der Selbsterhaltung dienendes Interesse der Intelligenz, und sollte von ihr als konstante Aufgabe begriffen werden".
Archiv: Gazeta Wyborcza

Plus - Minus (Polen), 02.01.2005

In einem langen Interview mit dem Magazin der Rzeczpospolita erzählt der Dichter Jaroslaw Marek Rymkiewicz (kurze Info) von seiner Hassliebe zu Russland, der Präsenz des polnischen Geistes in den früheren Ostgebieten, der heutigen Ukraine und über die Auseinandersetzung mit Auschwitz und dem Gulag. "Irgendein Philosoph sagte mal, dass Poesie nach Auschwitz unmöglich sei. Diesen dummen Philosophen sollte man fragen: Und nach der Kreuzigung Christi war sie möglich? Die Menschheit hat eine Vorliebe für Kreuzigungen, Enthauptungen, Vierteln, Guillotinieren, Vergasen - und darüber schreibt man dann Gedichte. Man kann nichts dagegen tun".

Der russische Schriftsteller Wiktor Jerofejew war in Zürich, und stellt fest, dass Russland nicht mehr mit dem in dieser Stadt zeitweise lebenden Lenin assoziiert wird, sondern mit den immer zahlreicheren osteuropäischen Prostituierten. Das ist ihm Anlass, um den moralischen Verfall, die "ethische Katastrophe" der zeitgenössischen russischen Frau zu analysieren: "Sie ist gleichzeitig romantisch und pragmatisch, archaisch und cybernetisch, naiv und berechnend". Der rücksichtslose Hedonismus und das Verlangen, alles sofort besitzen zu wollen, sind für Jerofejew die Zeichen der Zeit: "Die russische Seele tappte in die Falle des Marktes. Eine religiöse Idee der Selbstbegrenzung und moralische Fundamente der Ehre haben sich in Russland nie bewährt."
Archiv: Plus - Minus

Economist (UK), 31.12.2004

Vom Tellerwäscher zum Millionär - Dem amerikanischen Traum zum Trotz laufen die USA Gefahr, in einer europäisch anmutenden, auf Klassen basierten Gesellschaft zu erstarren, beobachtet der Economist. Denn Amerikas ehemals dynamische Elite trage nun zunehmend dynastische Züge. "Das Bemerkenswerteste an der anhaltenden Macht von Amerikas Elite - und ihrer wachsenden Kontrolle über das politische System - ist, wie wenig sie kommentiert wird. Großbritannien würde in hellen Aufruhr geraten, kämen all seine Parteiführer von Eton oder Harrow ... Die USA sehen dem imperialen Großbritannien immer ähnlicher, mit ihren wuchernden dynastischen Banden, ihren verriegelten sozialen Kreisen, ihren stärker werdenden Mechanismen des sozialen Ausschlusses und ihrem wachsenden Graben zwischen den Leuten, die die Entscheidungen fällen und die Kultur gestalten und der breiten Mehrheit der gewöhnlichen arbeitenden Bevölkerung."

Der Aufmacher ist dem Seebeben in Asien gewidmet. Man muss der Flutwelle, heißt es darin, jetzt etwas Positives abgewinnen: Zunächst gibt es unter den Toten viele Touristen aus reichen Ländern, das erhöht die Spendenbereitschaft - "who noticed while millions were dying in Congo's wars?" - und zum anderen könnten sich die Länder Asiens, die sich teilweise gegenseitig mit tiefem Misstrauen beäugt haben, durch die Katastrophe näher kommen.

1905 wurde zu Albert Einsteins annus mirabilis, in dem er sowohl die Relativitätstheorie als auch die Quantenphysik entdeckte. Hundert Jahre danach versucht der Economist, dem geneigten Leser beide verständlich zu machen, und labt sich daran, wie Einstein, gerade "indem er ständig versuchte, Löcher in seine Theorie zu schlagen, sie de facto stärker und klarer machte."

Weitere Artikel: Gelobt werden zwei Bücher, die mit dem Klischee der "aus dem Sumpf kreischenden" afrikanischen Mau-Mau-Krieger aufräumen (David Andersons "Histories of the Hanged: The Dirty War in Kenya and the End of Empire" und Caroline Elkins' "Imperial Reckoning: The Untold Story of the End of Empire in Kenya"). In seinem Nachruf auf Lord Leslie George Scarman erinnert der Economist an die Ermittlungen im Fall des Londoner Brixton-Aufstandes 1981 und an Lord Scarmans Engagement gegen den instituitionalisierten Rassismus innerhalb der britischen Polizei. Schließlich: Warum Sheriffs derzeit Mangelware sind (weil sie in den Irak abgezogen wurden) und warum die Pakistanis Pervez Musharrafs Kleider nicht mögen (weil der General sich entgegen seinem Versprechen weigert, zum Jahreswechsel Zivilperson zu werden).
Archiv: Economist
Stichwörter: Empire, Irak, Rassismus, Lorde

Revista de Libros (Chile), 31.12.2004

In der Revista de Libros der chilenischen Tageszeitung El Mercurio gelangt Camilo Marks im Rückblick auf das vergangene Literatur-Jahr zu folgender Einschätzung: "Die glorreichen Zeiten der sechziger und siebziger Jahre liegen weit hinter uns; damals las alle Welt Carpentier, Onetti, Sabato, Cortazar, Rulfo, Puig und vielleicht noch zwanzig andere Autoren, deren Werke den Buchhändlern in den spanischsprachigen wie auch in Dutzenden anderer Länder zu Tausenden aus den Händen gerissen wurden. Heute betätigen sich stattdessen in jedem einzelnen Land Lateinamerikas Hunderte von Schriftstellern, die aber nur im Ausnahmefall außerhalb ihrer Heimatländer bekannt werden. Die Globalisierung hat uns äußerst provinziell gemacht, selbstbezüglich, isoliert - in Chile liest man chilenische Autoren, in Bolivien Bolivianer, dasselbe gilt für Guatemala usw. usf. In Spanien spielen zum ersten Mal seit fünfzig Jahren spanische Autoren wieder eine größere Rolle als lateinamerikanische."

Al Ahram Weekly (Ägypten), 30.12.2004

Ein kleiner Musik-Schwerpunkt! Serene Assir beschreibt, wie sich die Mechanismen der globalen Musikindustrie auf die arabische Popmusik auswirken: die Hörer stellen, seit sie dank Internet und Satellitenfernsehen einheimische Musik mit der aus dem Westen vergleichen können, immer höhere Ansprüche an perfekte Produktion. Dies hat zur Folge, dass es praktisch nur noch zwei oder drei große Musikproduzenten gibt - und sich langsam alles gleich anhört. "Was kann man ändern außer der Produktionstechnik? 'Als westliche Hörer von den traditionellen Themen nichts mehr hören wollten, fingen die Künstler beispielsweise an, Drogen, soziale Ungleichheit und Politik in ihrer Musik zu debattieren. Hier, in der arabischen Welt, dürfen wir das nicht. So kleben wir an den alten Themen, Liebe und Trennung von Liebenden. Alles andere ist kommerziell nicht überlebensfähig'", erklärt Said Imam, Produktionsmanager des saudischen Musikgiganten Rotana.

Außerdem: Yasmine Fathi hat sich mit Ammar Dajani, dem Betreiber des Cairo Jazz Club, über die Nischen jenseits des Popmarktes unterhalten; Pierre Loza führt durch die Hall of Fame des ägyptischen Hip-Hop. Youssef Rakha blickt auf das Kulturjahr zurück, Mohamed El-Assyouti begutachtet das nationale Filmschaffen, Amina Elbendary und Mahmoud El- Wardany stellen die Bücher des Jahres vor.

In einem politischen Kommentar ruft Redakteur Hani Shukrallah das Jahr 2004 zum "Jahr der Bestie" aus. Für ihn stellt die Idee vom "Clash of Civilizations" eine selbsterfüllende Prophezeiung dar, die vor allem eins gezeigt habe: "Es gibt nicht den Kampf einer zivilisierten westlichen Welt gegen einen barbarischen Osten. In diesem Konflikt stehen sich ein barbarischer und immens mächtiger Westen und ein ebenso barbarischer, ausgesprochen machtloser und letztlich selbstmörderischer Osten gegenüber."
Archiv: Al Ahram Weekly

New York Times (USA), 02.01.2005

In der großen, elfseitigen Titelreportage des New York Times Magazine stellt Samantha M. Shapiro den neuen arabischen Nachrichtensender Al Arabiya vor, der aus Dubai sendet und in Abgrenzung zum großen Konkurrenten Al Jazeera mehr moderate Töne in die politische Diskussion einbringen will. Es ist ein vielversprechender Versuch, berichtet Shapiro. "Auf Anweisung des Chefredakteurs Al-Rashed nennen die Nachrichtensprecher von Al Arabiya die amerikanischen Truppen nun 'multinationale Kräfte' und nicht mehr 'Besatzungstruppen'. Er wies den Produzenten von 'The Fourth Estate', einer Sendung, die westliche Medien zusammenfasst, nicht mehr den Guardian und den Independent zu zitieren, zwei linksorientierte englische Blätter, deren Inhalt vorher einen Großteil des Sendematerials ausmachte. Eine Moderatorin von Al Arabiya erzählte mir, dass er angewiesen wurde, anti-amerikanische Parolen schwingende Interviewpartner zu unterbrechen, und andere Moderatoren mit denen ich sprach, sagten, dass sie die Order bekommen haben, hartnäckiger nachzufragen."

Weiteres: Daniel Menaker stellt die junge Sängerin Nellie McKay vor und zählt erst einmal 26 Stars auf, mit denen McKay bisher verglichen wurde, unter anderem auch Doris Day, ihr tatsächliches Vorbild. Emily Bazelon erklärt, wie im Commonwealth von Virginia Delinquenten nach einer mathematischen Risikoformel ins Gefängnis wandern. Elizabeth Weil fährt nach Starr County und versucht herauszufinden, warum die Hälfte der Kinder dort zu dick sind. Wegen der Armut? Sind es die Gene? "Oder geht etwas anderes vor?" Deborah Solomon unterhält sich mit der Leiterin von Bushs Vereidigungskomitee, was für Bälle demnächst so anstehen und was der neue alte Präsident gerne isst (Erdnussbutter).

Cynthia Ozick (mehr) hat 38 Jahre nach ihrem Erstling nun erstmals eine Promotion-Tour für ihren neuen Roman gemacht und plaudert in der New York Times Book Review aus dem Nähkästchen des Literaturwerbebetriebs. "Die ignorante Autorin weiß nicht, was ein Mediencoach ist oder was er macht. Aber der Mediencoach ist brillant! Aufmerksam! Beruhigend! Er spielt jede mögliche Art von Interviewer: Kess; schlau; gelangweilt; dreist; dumm; angestrengt; uninteressiert. Die Autorin kapiert und spuckt markige, bestsellermäßige Antworten aus, sie meistert die Technik. Dank dem Mediencoach ist die Autorin nun bereit, ein Millionenpublikum zu erobern."

Weitere Besprechungen: Will Blythe hofft, dass George Plimpton sehr hart an den Artikeln und Essays der posthum veröffentlichten Sammlung "The Man in the Flying Lawn Chair" (erstes Kapitel) gearbeitet hat. Denn es würde sein Weltverständnis erschüttern, wenn "dermaßen elegante und leichte Prosa, die anscheinend mit solcher Mühelosigkeit zu Papier gebracht wurde", ohne Mühen entstehen kann. War Christopher Marlowe besser als sein Zeitgenosse Shakespeare, fragt sich John Simon nach der Lektüre von David Riggs "ehrenwertem" Porträt des in Kneipenschlägereien aufblühenden, aber jung verstorbenen Dramatikers. Trinken und schneller Sex, das kann wunderbar inspirierend sein, meint Jonathan Miles und stellt einige Neuerscheinungen vor, die das "Low Life" anpreisen.
Archiv: New York Times