Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.05.2005. Der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich erklärt in der Zeit, warum er die sogenannte Neoromantik in der Malerei eher neobehaglich findet. In der FAZ enthüllt der Philosophieprofessor Kurt Hübner, was er in die Präambel der Europäischen Verfassung geschrieben hätte, falls man ihn rechtzeitig gefragt hätte. Die FR folgt den Fieberkurven der französischen Debatte zur EU-Verfassung und macht sich ernste Sorgen um den Patienten. In der SZ schreibt Alain Touraine zur Debatte. Die NZZ berichtet über neueste Theorien zum Tathergang des Pasolini-Mordes.

Zeit, 19.05.2005

Die Frankfurter Kunsthalle Schirn hat mit ihrer Ausstellung "Wunschwelten" die Neoromantik ausgerufen. Der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich kann darüber nur lächeln: Die Romantik war schließlich noch so etwas wie eine kritische Reaktion auf die damalige Zeit. In Frankfurt aber hat er nur eine Kunst gesehen, "die sich so offen hält, dass sie überall passt und niemanden vor den Kopf stößt. Der Kunstmarkt belohnt solche Kunst, nicht nur weil sie einem bürgerlich-zufriedenen Publikum entgegenkommt, sondern weil sie aufgrund ihrer Unverbindlichkeit auch auf allen internationalen Messen vertrieben werden kann. Gerade die Werke, die angeblich als romantische Flucht vor der Globalisierung entstanden, verdanken ihren Erfolg also einer Globalisierbarkeit: Dass sie, statt identifizierbare Lokalitäten zu zeigen, aus Himmeln, Schluchten oder großen Wasserflächen bestehen, verleiht ihnen eine Ortlosigkeit, die sie nirgendwo auf der Welt wirklich fremd erscheinen lässt. Oft gibt es nicht einmal klare Raumbegrenzungen, sondern nur geheimnisvolles Wabern."

In der Reihe zur Zukunft des Kapitalismus will der Soziologe Richard Sennett zwar nicht bestreiten, dass der neue Kapitalismus, der auf Arbeit, Qualifikation und Konsum setzt, mehr Wohlstand bringt. Aber: "Ich behaupte vielmehr, dass diese Veränderungen den Menschen keine Freiheit gebracht haben. Warum? Weil die Menschen äußerst besorgt und beunruhigt sind im Hinblick auf ihr Schicksal unter den Bedingungen des 'Wandels'. Was ihnen fehlt, ist ein mentaler und emotionaler Anker. Nachdem sich der alte, soziale Kapitalismus aufgelöst hat, erzeugen die neuen Institutionen nur ein geringes Maß an Loyalität und Vertrauen, dafür aber ein hohes Maß an Angst vor Nutzlosigkeit."

Weiteres: Katja Nicodemus verzeiht den Regisseuren George Lukas, David Cronenberg und Lars von Trier ihre recht schlichte Amerika-Kritik: "Andererseits hat das Kino gerade auf einem Festival wie Cannes alles Recht der Welt, politisch auf die Pauke zu hauen." In der Leitglosse graust es Peter Kümmel vor der neuen "Frankensteinsprache" der Theaterkritik, die solche Wortungetüme produziert wie "präzise Schadstoffanalyse des Allheilkrauts Liebe". In einem weiteren Text befürchtet Kümmel beim künftigen Chef der Bayerischen Staasoper, Klaus Bachler, eine allzu große "Gabe zur Mediation". Petra Reski lässt ihren Onkel aus dem Ruhrpott schon einmal die anstehen Wahlniederlage der SPD verschmerzen: "Watt willse machen." Thomas E. Schmidt würdigt das neue postfordistische BMW-Werk in Leipzig, für das Zaha Hadid zumindest architektonisch die Mauern zwischen Arbeitern und Angestellten eingerissen hat. Thomas Groß berichtet, wie sich die Ukraine für den Eurovision Song Contest ins Zeug legt: "Der forcierte Einsatz hat natürlich mit der wirtschaftlichen Lage zu tun und dem Image-Effekt, den man sich im Osten erhofft, zumal in der Ukraine, die so lange von fremden Mächten abhängig war und in den Medien meist nur in Zusammenhang mit Tschernobyl und Zwangsprostitution auftauchte."

Claus Spahn begutachtet die neuen Mozart-Inszenierungen von Claudio Abbado, Nikolaus Harnoncourt und Rene Jacobs. Außerdem besprochen werden Aimee Manns neues Album "The Forgotten Arm" (das Konrad Heidkamp als einen "musikalischen Film in Schwarzweiß, voller kluger Songs über eine Liebe" erlebte), Alfred Hitchcocks Klassiker "Der unsichtbarer Dritte" und Gert Westphals "opulente" Hörbuchfassung von Stefan Zweigs "Ungeduld des Herzens".

Im Aufmacher des Literaturteils beobachtet Barbara Hahn das große Interesse für israelische Literatur in Deutschland und den Niederlanden. In den Zeitläuften beklagt der Politikwissenschaftler Frank-Uwe Betz, dass das Archiv des Internationalen Suchdiensts in Bad Arolson, das weltweit größte zum nationalsozialistischen Lagersystem, seine Akten noch immer nicht für die Forschung zugänglich ist. Im Leben porträtiert Christoph Amend den "Streithistoriker" Götz Aly und fragt auch die lieben Kollegen nach deren Meinung: "Gespräch mit Wehler. Das Buch, sagt er, sei ein 'Fehlgriff', auch wenn er zugeben müsse, dass Aly 'ein glückliches Händchen' mit seinen Themen habe. 'Er ist der typische Außenseiter, nur würde ich trotz all seiner Leistungen ein Votum gegen ihn einlegen, wenn es darum ginge, ihm eine Professur anzutragen. So jemanden darf man nicht auf Studenten loslassen. Er ist nicht seriös genug.'"

FR, 19.05.2005

"Fast täglich werden Prognosen über das Abstimmungsverhalten veröffentlicht, die wie die Fieberkurve eines todkranken Patienten verfolgt werden", berichtet Martina Meister aus Paris über die französische Debatten um die EU-Verfassung. "Wochenlang obsiegte klar das Nein, kurz gingen dann die Befürworter des Ja in Führung, jüngste Befragungen ergeben wieder ein Nein. Es ist derzeit völlig ungewiss, wie das Rennen ausgehen wird. Und erschütternd daran ist vor allem, dass sich das Gros der Franzosen mit diesem Befund recht behaglich fühlt. Ja, man kann sogar sagen: Sie sind ein bisschen stolz darauf. Außer bei den politisch Verantwortlichen, Jacques Chirac voran, denen die Panik in die Gesichter geschrieben steht, herrscht wenig Beunruhigung darüber, dass womöglich eine Mehrheit der Franzosen nicht mehr an das europäische Projekt glaubt."

"Elementartheater eines Magiers: Man fühlt sich, als komme man 'der Existenz' oder 'der Wahrheit' nahe, ergriffen, erhoben, menschlich." Peter Michalzik ist hin und weg von Luc Percevals Inszenierung des Campingplatzdramas "Turista" bei den Wiener Festwochen. In sieben Tagen muss der kleine Oli sieben Mal sterben, so will es Autor Marius von Mayenburg. Mal, weil er von seinem Bruder "zu lang an den Marterpfahl gefesselt" worden war, "vorher waren es sexueller Missbrauch oder wachteljagende Einheimische, ein von Einsamkeit gequälter Vater oder die Hexe aus Hänsel und Gretel, die Oli sterben ließen. Immer muss der Zuschauer die Todesursache aus dem Geschehen rekonstruieren. Das ist geschickt, vielschichtig und anspielungsreich gemacht, ein mittelmäßiger Regisseur aber wäre davon mit ziemlicher Sicherheit furchtbar überfordert. Luk Perceval, der belgische Theaterbeschwörer, macht daraus einen großen Abend. Alles ist überdimensioniert und handwerklich grandios gemeistert."

Weitere Artikel: Nikolaus Merck meldet freudig vom Berliner Theatertreffen: die auf dem Theater so lange demontierten "ernstzunehmenden Männer" wie Othello, Hagen von Tronje oder Philipp II. sind zurück! Daniel Kothenschulte schreibt aus Cannes über die neuen Filme von Roberto Rodriguez und den Dardenne-Brüdern. In Times Mager plädiert Harry Nutt für eine Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit auch der politischen Institutionen.

FR-Plus (hier der Link zum e-paper) widmet sich seitenfüllend dem einhundertundeinjährigen Stummfilmpianisten Willy Sommerfeld. Stefan Koch schickt eine Reportage über eine Familie, die im Opernhaus Nowosibirsk arbeitet. Zu lesen ist außerdem ein Flatironletter von Marcia Pally, in dem sie beklagt, dass die kapitalistische Schnelllebigkeit jetzt auch die Katholische Kirche erreicht hat. Holger Römers schreibt von Überraschungen und Ärgernissen während des Schweizer Dokumentarfilmfestivals Visions du Reel in Nyon. Hans-Jürgen Linke widmet sich der Schiller-Rezeption in Gottfried Kellers Roman "Der grüne Heinrich".

Besprochen werden Christoph Schlingensiefs "Animatograf" beim Reykjavik Arts Festival, David Pourtneys Inszenierung der ungleichen Opern-Einakter "Cavalleria Rusticana" und "I Pagliacci"in der Deutschen Oper Berlin, Eleonore Fauchers Debütfilm "Die Perlenstickerinnen"und Cate Shortlands Debütfilm "Somersault".

TAZ, 19.05.2005

Bis auf ein langes Interview mit der Sängerin Aimee Mann (mehr hier) über ihre neue Leidenschaft für den Boxkampf, die Parallelen zwischen Sport und dem richtigen Leben, und wie das alles auf ihrem neuen Album "The Forgotten Arm" zusammenfließt, und einem Bericht von Sebastian Moll über Datensammlungen, die private Firmen von amerikanischen Bürgern anlegen werden - heute reines Rezensionsfeuilleton.

Besprochen werden Eleonore Fauchers Debütfilm "Die Perlenstickerinnen", das Festival "Räuber + Gendarmen" im Theaterhaus Jena sowie Avi Mograbis, in Cannes gelaufener Film "Avenge but one of my two eyes".

Und Tom.

NZZ, 19.05.2005

Barbara Villiger Heilig hält Luk Percevals Wiener-Festwochen-Inszenierung von Marius von Mayenburgs Stück "Turista" schlichtweg für eine "Niederlage der Bühnenkunst". Es werde "im Verein gekotzt, onaniert, gevögelt (pardon, aber so ist es nun mal). Allüberall lauern Bier, Sex, Inzest. Ach, wie ist die Welt doch schlecht. Und erst das Theater!"

Peter Kammerer schreibt über neue Entwicklungen im 'Fall Pasolini': Pino Pelosi, der 1975 den Mord an Pier Paolo Pasolini gestanden hatte, habe sein Geständnis widerrufen. "Ob das ausreicht, um den Prozess wieder aufzurollen, bleibt abzuwarten. Als sicher kann bloß gelten, dass auch der 'Fall Pasolini' zu den vielen ungelösten Rätseln der neueren italienischen Kriminalgeschichte gehört. Doch der Mord an Pasolini ist mehr und anderes. Nach langem Zögern hat zumindest ein Teil der italienischen Literaturkritik akzeptiert, den Tod des Dichters als Schlüssel zu seinem Oeuvre anzusehen."

Weitere Artikel: Der Jazzgitarrist John Scofield spricht über sein neues Ray-Charles-Album. Beatrix Langner gratuliert dem Schriftsteller Fritz Rudolf Fries zum siebzigsten Geburtstag. "her" trauert um den vorgestern 77-jährig gestorbenen Maler Piero Dorazio. Besprochen werden das neue Album "Transparente" von Mariza sowie T.C. Boyles neuer Kinsey-Roman "Dr. Sex" (mehr dazu in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Berliner Zeitung, 19.05.2005

Ingeborg Ruthe feiert schon mal die Ausstellung "Die neuen Hebräer", die hundert Jahre Kunst aus Israel zeigen wird und heute Abend im Berliner Martin-Gropius-Bau eröffnet wird. "Durchweg schleppen ältere und junge Werke Einflüsse aus der jüdischen, orientalischen und christlichen Ästhetik mit sich herum, gleichsam als Subtext. Zudem laden die 'Neuen Hebräer' ihre Kunst von Anfang an mit Visionen auf. Ein ganzes Kompendium des Wunschdenkens stellen diese Hunderte Bilder und Skulpturen, Fotos, Installationen, Videos und das Kunsthandwerk dar. Wer den Kapiteln folgt, muss die Arbeiten vor dem Hintergrund von Orient und Okzident, von Diaspora, Shoah und anhaltender Masseneinwanderung deuten, sie zudem im Zusammenhang mit der Intifada und den angestrengten Bemühungen um Entspannung, Verständigung und Integration lesen. Zudem sieht er sie aus der Perspektive all unserer westlichen Klischees, denn ein israelischer Künstler wird aus unserer Sicht vornehmlich als jüdischer Künstler definiert. Auch wenn das nur eine Komponente seines Seins ist."

FAZ, 19.05.2005

Philosophieprofessor Kurt Hübner, Autor des möglicherweise bahnbrechenden, aber wenig besprochenen Buchs "Das Christentum im Wettstreit der Weltreligionen", darf in einem dreispaltigen Aufmacher darlegen, was er in die Präambel der Europäischen Verfassung geschrieben hätte, falls man ihn rechtzeitig gefragt hätte. Vor allem fehlt ihm ein expliziter Bezug auf das Erbe des Christentums, aus dem für ihn übrigens auch folgt, dass die Türkei nicht EU-Mitglied werden sollte. "Wie gezeigt, fehlt in der Präambel der Hinweis darauf, dass es der christliche Humanismus war, aus dem sich Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit entwickelt haben. Wird aber dieser enge Zusammenhang nicht betont, so führt das zu dem Missverständnis, man hätte sich in einer Art krönendem Abschluss der historischen Entwicklung von dem 'religiösen und humanistischen Erbe' emanzipiert. Als Folge davon ist die christliche Begründung des Humanismus verlorengegangen, ohne dass man eine andere gefunden hätte."

Weitere Artikel: Thomas Wagner kommentiert in der Leitglosse die Idee eines Kulturlastenausgleichs zwischen der Stadt Frankfurt und den umliegenden Kommunen, die gefälligst etwas zum Unterhalt der kulturellen Leuchttürme der Stadt beitragen sollen. Edo Reents gratuliert dem Rockmusiker Pete Townshend zum Sechzigsten. Dirk Schümer meldet, dass bisher unbekannte Briefe Giuseppe Tomasi di Lampedusas aufgefunden wurden. Melanie Mühl berichtet von einer Revolution der Personalpolitik bei BMW, wo man im neuen Werk in Leipzig ausdrücklich nach Arbeitskräften über 40 suchte. Mark Siemons besucht das New Europe College in Bukarest, einen Ableger des Berliner Wissenschaftskollegs, der jetzt seinen zehnten Geburtstag feiert. Dirk Schümer schreibt zum Tod des italienischen Malers Piero Dorazio. Robert Jütte (mehr hier) berichtet aus London über eine Konferenz, die sich der Frage widmet, wie anatomische Museen die sterblichen Überreste von Menschen, die ihnen als Präparate dienen, mit der fälligen Würde präsentieren können. Mechthild Küpper freut sich, dass die brandenburgische Bischofsresidenz Ziesar wiederentdeckt und neu präsentiert wird. Und Walter Hinck gratuliert dem Autor Fritz Rudolf Fries zum Siebzigsten.

Die Kinoseite muss noch mit dem Ende der "Star Wars"-Saga fertig werden. Harald Staun berichtet, dass Fans der Filmreihe kleine Filme ins Netz stellen (zum Beispiel hier und hier), in denen sie selbst Nebenstränge der Handlung nachzelebrieren. Filmkritiker Andreas Kilb meint in einem Kommentar aber: "Es ist aus. Und das ist gut so." Außerdem berichtet Verena Lueken aus Cannes über den seltsamen Gegensatz zwischen der mondänen Art, in der die Franzosen ihr Festival präsentieren, und dem notorischen Miserabilismus des neuesten französischen Kinos. Außerdem berichtet Hans-Jörg Rother von einer Neukonzeption des Filmfestivals von Thessaloniki.

Auf der Medienseite lässt Andreas Rossmann unter der Überschrift "Schlafabtausch" noch mal das Fernsehduell zwischen Jürgen Rüttgers und Peer Steinbrück Revue passieren. Lorenz Jäger meint, dass eine jüngst gesendete Dokumentation über Rudolf Heß in der ARD (die bezeichnenderweise nicht den Titel "Heß und es" trug) nicht auf der Höhe von "Speer und er" stand.

Auf der letzten Seite beschreibt Wolfgang Schneider aus Anlass des 200. Todestags Schillers wie man vor hundert Jahren den hundertsten Todestag Schillers beging. Jürg Altwegg berichtet über die Untersuchungen einer Historikerkommission zum Verhalten des kleinen Fürstentums Liechtenstein in der Nazi-Zeit - es wurden weder nachrichtenlose Konten noch geraubte Kunstwerke gefunden. Und Cornelia Thomas stellt uns den Informatiker Aubrey de Grey vor, der versichert, dass die Menschen demnächst ihre Alterungsprozesse stoppen und bis zu 5.000 Jahre alt werden können.

Besprochen werden Marius von Mayenburgs Stück "Turista" in Wien und Cate Shortlans Film "Somersault".

SZ, 19.05.2005

"Wir haben es hier nicht mit einem Konflikt sozialer Art zu tun", erklärt der französische Soziologe Alain Touraine (mehr hier) die in seinem Land äußerst heftig geführte Debatte über ein "Ja" oder "Nein" zur EU-Verfassung. "Denn es handelt sich weder um einen Klassen- noch um einen Interessenkonflikt. Unter Verdacht steht vielmehr die liberale Orientierung Europas, und diejenigen, die sich von ihr bedroht fühlen, können ihren Widerstand nur artikulieren, indem sie die Macht eines Staates verteidigen, der regulierend in die Wirtschaft eingreifen, vor allem aber die soziale Sicherheit gewährleisten und Arbeitsplätze garantieren soll. Dieser Ruf nach dem Staat ist in Frankreich viel lauter als in den anderen europäischen Ländern, weil hier liberale sozialdemokratische Tendenzen, die wirtschaftliche und soziale Fragen in den Vordergrund stellen, sich nie gegen den starken und dauerhaften Einfluss der Kommunistischen Partei und der gaullistischen Bewegung durchsetzen konnten, die beide dem Staat die beherrschende Rolle zuweisen."

"Diese Pseudokunst, die morgen schon vergessen ist. Dieser Creative-Writing-Terror." Völlig entnervt kam Helmut Schödel aus Marius von Mayenburgs "Turista" , das Luc Perceval für die Wiener Festwochen inszeniert hat. "Man könnte darüber viel spekulieren, zum Beispiel, ob wir je zu etwas wie Wahrheit vordringen können, aber furchtbarerweise erliegt man der Einsicht, man hätte an diesem Abend etwas Wichtigeres zu tun. Schließlich ist die Welt kein Mädchenpensionat mehr mit Deutschleistungskurs."

Weitere Artikel: Susan Vahabzadeh berichtet über "Cannes brutal". G.S. regt sich über Raucher, Handy-Brüller und Musikhörer auf. Christine Dössel freut sich, dass Bundestragspräsident Wolfgang Thierse das Regietheater gegen Bundespräsident Horst Köhler verteidigt hat. Johannes Willms feiert die Restaurierung der Place Stanislas, mit der das lothringische Nancy seine Seele wiedergefunden habe. Anke Sterneborg unterhält sich mit David O'Russel über kleine Familien und große Nasen in seinem Film "I Heart Huckabees". Jens Bisky gratuliert Fritz Rudolf Fries zum siebzigsten Geburtstag. In Folge 15 der Rubrik "Mein perfekter Tag" erzählt Ex "Titanic"-Chef Oliver Maria Schmitt, wie er einmal tot war und in Gottes Büro gekommen ist. Lothar Müller kann hinter Bruno Ganz' Hölderlin-Lesung im Rahmen des ostwestfälischen Literatur- und Musikfestes "Wege durch das Land" immer noch den Hitler spüren.

Besprochen werden Eleonore Fauchers Film "Die Perlenstickerinnen", Eytan Fox' Agententhriller "Walk on Water", Stijn Coninxs Film "Weiter als der Mond", Cate Shortlands magisch-mutiger Debütfilm "Somersault", eine Cornelius Gijsbrechts-Schau im Haager Mauritshuis, Alessandro Scarlattis Oper "Telemaco" bei den Schwetzinger Festspielen und Bücher, darunter Christian Große Krachts Betrachtungen zu Historikerkontroversen seit 1945 "Die zankende Zunft" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).