Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.07.2005. Die Zeit schlägt den Angriff der Killerscheiben zurück. Die taz liefert allererste Einblicke in Ingo Schulzes stark erwarteten und sehr dicken Roman "Starke Leben". In der FR bittet der Historiker Aribert Reimann, die spezifisch ästhetischen Traditionen des Kunzelmannschen Terrorismus bei der Beurteilung des Bombenanschlags auf die Jüdische Gemeinde Berlins am 9. November 1969 in Rechnung stellen zu wollen. Im Tagesspiegel fragt Moritz Rinke: "Wo ist denn da der Konservatismus geblieben?" Die Welt schildert die Urangst der polnischen Rechten vor euroenthusiastischen Schwulen.

Zeit, 28.07.2005

Georg Seeßlen versucht aus dem "Angriff der Killerscheiben", der DVDs auf das Kino schlau zu werden. Die Kinobesucherzahlen sind in diesem Jahr dramatisch zurückgegangen, Kritiker behaupten, es liege an der DVD. Seeßlen findet allerdings, dass auch das Kino "fleißig weiter an der eigenen Auflösung" arbeitet: "Ein Film für die DVD ist einerseits nie fertig, weil mit neuem Material verändert, verlängert und ausgeschmückt werden kann (der Zuschauer stellt sich seine Version schließlich selbst zusammen), und andererseits wirft er durch Nebenbei- und Hintergrundgeschichten unentwegt seine eigenen Kommentierungen aus. Damit frisst der Film, wenn man so will, auf DVD schließlich auch seine kritische Reflexion in anderen Medien, er enthält sogar seine Zuschauerreaktion, nämlich das Plappern über den Film."

Eine "Anti-Liebesutopie" hat Christoph Marthaler mit "Tristan und Isolde" in Bayreuth inszeniert, schreibt Claus Spahn. "Bei Isolde ist die Wut darüber, dass ihr Geliebter sich in den Tod verabschiedet hat, bevor sie angekommen ist, stärker als ihre Hingabe. Sie singt ihr entrücktes 'Mild und leise ...', legt sich auf das Krankenbett und zieht sich das weiße Laken über den Kopf - ein Liebestod aus Frust, kein seliges Verschmelzen." Die Sänger findet Spahn großartig, aber der Dirigenten Eiji Oue - oweh! "Zaghaft und kleinmütig, im besten Fall rechtschaffen klingt seine 'Tristan'-Deutung."

Evelyn Finger feiert die Fabrik Potsdam, die das couragierteste Tanztheater der Republik produziert. Für den Dauernotstand der Kultur hat die Compagnie "ein kongeniales Bild gefunden: Da deckt ein Liebespaar einen Tisch, der zwei normale und zwei zu kurze Beine hat. Allein kann das groteske Möbel nicht stehen, deshalb halten die Protagonisten es unauffällig im Lot. Wenn die Frau das Geschirr holt, stürzt der Man den Tisch, wenn sie zurückkommt, rennt er los - es ist ein fliegender Wechsel, der mit täuschender Leichtigkeit getanzt wird, sodass wir den Fehler im System beinahe übersehen: Die Liebenden haben keine Hand frei, einander zu umarmen, keine Chance, die Krisenbewältigungsroutine für einen Moment zu unterbrechen. 'Do you want to die with me' heißt dieses Stück nach Briefen Heinrich von Kleists."

Weitere Artikel: In der Leitglosse amüsiert sich Petra Kipphoff nur halb über eine Rembrandt-Ausstellung im J.-Paul-Getty-Museum in Los Angeles: Dort werden dem Besucher die Bilder gleich doppelt gezeigt, an der Wand und als "Videobildchen auf jenen tragbaren Guides, aus denen bisher nur der Text zum Bild abzuhören war". Die meisten Besucher gucken nur auf das Bild im Guide. C. Bernd Sucher - uns bisher als führender Theaterkritiker der SZ bekannt - verteidigt die französische Werktreue gegen ihre Kritiker in Avignon: "In dem Land, in dem der Regisseurberuf erfunden wurde, nehmen (und machen) sich Regisseure einfach weniger wichtig." In der Reihe "50 Filmklassiker" schreibt Katja Nicodemus über Abbas Kiarostamis "Der Wind wird uns tragen". In der "Wahlhilfe" plädiert Peter Kümmel für eine Große Koalition: "Schon aus anekdotentechnischen Gründen bleibt nur diese Lösung: Schröder muss im Außendienst weitermachen, und Merkel leitet im Inneren die schmerzhaften Operationen ohne Narkose, von denen ihr ganzes Wesen kündet."

Thomas E. Schmidt fragt sich, wer künftig die öffentlich geförderten Theater, Opernhäuser und Museen in Deutschland besuchen soll. Bernadette Conrad liefert aus aktuellem Anlass ein poetisches Porträt des berühmtesten Gefangenen Italiens, Adriano Sofri: Gerade hat Italiens Staatspräsident Ciampi das Verfassungsgericht gefragt, ob er Gefangene begnadigen darf, auch wenn der Justizminister - Roberto Castelli von der rechten Lega Nord - dies ablehnt. Michael Naura schreibt einen liebevollen Nachruf auf den Jazzmusiker Albert Mangelsdorff. Mirko Weber schreibt zum hundertsten Geburtstag des komponierenden Querdenkers K. A. Hartmann.

Besprochen wird Jamie Lidells CD "Multiply". Im Aufmacher des Literaturteils wird Ulrich Greiner nur halb glücklich mit Ian McEwans Roman "Saturday" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Im Dossier schreibt Reiner Luyken über die "Fallusdscha-Falle", in der Wirtschaft erklärt uns Wolfgang Uchatius, warum Istvan jetzt Martins Job hat. Und im Leben sucht Annieke Kranenberg vom holländischen Volkskrant eine Antwort auf die Frage, warum ein junger Niederländer marokkanischer Abstammung den Filmregisseur Theo van Gogh ermordete.

TAZ, 28.07.2005

Ingo Schulzes (Bücher) im Oktober erscheinender Roman "Neue Leben" wird in Briefform abgefasst sein, erfährt Gerrit Bartels bei der Vorstellung im Literaturhaus LCB am Berliner Wannsee: "Ein gewisser Enrico Türmer, Theatermann, verhinderter Schriftsteller und angehender Zeitungsredakteur, erzählt sein Leben in der DDR und zur Zeit der Wende, und zwar in Briefen an einen Jugendfreund, an seine Schwester und an eine unerreichbare Geliebte. Und diese Briefe, die zweite (und dritte und vierte) Ebene des Romans, werden herausgegeben, kommentiert und mit einem Anhang versehen von einem Herren namens Ingo Schulze - ein Herausgeber, der nicht verwechselt werden sollte mit dem Autoren Ingo Schulze, wie Sylvia Bovenschen überflüssigerweise anmerkt, und der für Lutz Seiler bei der Lektüre zu einer hassenswerten Person wurde. Ja, gibt Schulze zu, das sei ein 'zwanghafter Besserwisser', wundert sich dann aber über so manch weitere Interpretationen: 'Vielleicht nehme ich das noch auf, dreieinhalb Wochen habe ich ja noch Zeit'."

Weitere Artikel: Daniel Bax besucht ein Festival in Lissabon, auf dem die afrikanischen Einwanderer Portugals ihre "kapverdische Sehnsuchtsmusik" präsentieren. Dietrich Kuhlbrodt schwelgt in Erinnerungen an frühe Kinoevents in Zittau. In der zweiten taz zerbricht sich Arno Frank den Kopf, warum Roland Roch den Dalai Lama so schätzt. "Vielleicht sieht Koch in dem wiedergeborenen Botschafter einer erzreaktionären Monarchie ja tatsächlich einen Seelenverwandten."

Besprochen werden Gerard Jugnots "alberne" Komödie "Boudu" mit Gerard Depardieu, der "Anti-Hartz-IV-Sozialkundefilm" "Neue Wut" von Martin Keßler sowie Michael Moores neuer Streifen "The Awful Truth" , Byambasuren Davaas Film "Die Höhle des gelben Hundes", in dem eine mongolische Nomadenfamilie sich selbst spielt, und ein Buch, der Sammelband "Fun Palace 200X" mit Texten zur künstlerischen Zwischennutzung von Berliner Schlossplatz und Palast der Republik, (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Schließlich Tom.

FR, 28.07.2005

Der Historiker Aribert Reimann greift in die Debatte um Wolfgang Kraushaars Enthüllungen zu Dieter Kunzelmanns misslungenem Anschlag auf das Berliner Jüdische Gemeindehaus 1969 ein. Der bloße Verweis auf den Antisemitismus der Linken greift zu kurz, Reimanns Meinung nach "sind spezifisch ästhetische Traditionen des Kunzelmannschen Terrorismus bislang zu wenig beachtet worden. Seine Karriere als selbsternannter Theoretiker der subversiven Avantgarde seit 1960 machte ihn zum Akkumulator der unterschiedlichsten ästhetischen Traditionen der Zwischenkriegszeit, die Karl Heinz Bohrer bereits 1970 als 'gefährdete Phantasie' charakterisierte. Nicht ein Kampf gegen die NS-belastete Elterngeneration sondern die Sehnsucht nach der Weimarer Avantgarde stand im Zentrum seiner ästhetischen Subversion."

Nikolaus Lehnhoffs Inszenierung der Oper "Die Gezeichneten" von Franz Schreker auf den Salzburger Festspielen ist ein Ausnahmerang sicher, beschwört Hans-Klaus Jungheinrich, allein schon wegen des Tenors Robert Brubaker, der den Alviano gibt. "Das gibt der Liebesszene am Ende des 2. Aktes eine eigene Pikanterie, wenn die enflammierte Frau ihrem engelhaften Partner (der sie dabei auch wie ein zwergiger Faun umschleicht) die Kleider vom Leib reißt, bis er im körperengen Trikot quasi nackt dasteht (einer der pathetischen Höhepunkte in Lehnhoffs minuziös pointierter Personenführung). Die große Überraschung ist, dass aus diesem schmalen Körper eine sonore, steigerungsfähige, in immensen Ausdrucksnuancen vibrierende Stimme dringt."

Weiteres: "Trinkt nicht belgischen Champagner, sauft Evian", beschließt Martina Meister ihre Times-mager-Solidaritätsadresse an die gebeutelten Franzosen. Auf der Medienseite berichtet Wolfgang Kunath über den neuen lateinamerikanischen Sender "Telesur", der von den Regierungen Venezuelas, Argentiniens, Kubas und Uruguays in seltener Einigkeit finanziert wird und als linkes Gegengewicht zu CNN und TV Espana fungieren soll.

Besprechungen widmen sich Martin Keßlers Dokumentarfilm "Neue Wut", einer Präsentation der Reihe "Die tollen Hefte" in der Deutschen Bibliothek in Frankfurt, einer Ausstellung des britischen Künstlers Matthew Ritchie im Frankfurter Portikus sowie Büchern, darunter Stewart O'Nans "poetischer" Familienroman "Abschied von Chautauqua" und eine "wunderschöne" Gedichtausgabe des altehrwürdigen Beat-Poeten Lawrence Ferlinghetti (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

NZZ, 28.07.2005

Der Freiburger Psychoanalytiker Tilmann Moser geht der Psychologie der Metropolen-Terroristen auf den Grund und nimmt dabei die zweite Generation der Migrationsfamilien unter die Lupe: "Nur die 'Stärksten' sind fähig, einen ganz eigenen Glauben, einen nach außen gut kontrollierten Hass und eine Fähigkeit zur Konspiration wie zur differenzierten Logistik zu entwickeln. Sie leben ein seelisches Doppelleben, schauspielern - als 'Schläfer', also auf Abruf wartende Täter - ein angepasstes Leben, bei dem sie sich aber heimlich weiter indoktrinieren lassen."

Peter Hagmann ist begeistert von der Neuinszenierung von Franz Schrekers "Die Gezeichneten" bei den Salzburger Festspielen. Regisseur Nikolaus Lehnhoff lässt die schockierende Wirkung des im Wiener Fin de Siecle verankerten Werks über Berührungsangst mit tödlicher Folge auch im Zeitalter der Internet-Pornographie entfalten - ohne Blut und ohne männliche Nacktheit: "Was sich dort ereignet, ist eine der zartesten und zugleich grausamsten Verführungsszenen, welche die Opernbühne in den letzten Jahren gezeigt hat. Schicht um Schicht entkleidet die Malerin ihr Modell, bis der Schmächtige in völliger Nacktheit dasteht - was selbstredend nicht wörtlich zu nehmen ist, es geht ja um die psychische Entblößung."

Weiteres: Nick Liebmann Schreibt zum Tod des Jazzmusikers Albert Mangelsdorff. Adam Olschewski hat sich drei amerikanische Country CDs postmodern geprägter Musikerinnen angehört, die den ursprünglichen Purismus aufweichen lassen, Gefühl zeigen und das Leiden besingen. Eine Buchbesprechung bleibt beim Country - diesmal in Zeiten des Krieges: Rezensiert wird "Country Music Goes to War", herausgegeben von Charles K. Wolfe und James E. Akenson. Besprochen werden außerdem die Ausstellung "Living in the Lowlands" des Nederlands Architectuur Instituut (NAI) und Ulrike Draesners Gedichtband "kugelblitz" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Tagesspiegel, 28.07.2005

Moritz Rinke betrachtet die Lage der Nation. Alle reden von der Wende, Rinke versteht das nicht, denn wo ist die CDU? "Wo ist denn da der Konservatismus geblieben? Warum werden uns ausgerechnet jetzt die kulturellen Werte vorenthalten? (Nicht mal die 'Leitkultur' gibt es mehr!) Helmut Kohl traf sich noch mit Ernst Jünger, kann Merkel nicht wenigstens mal Arnulf Baring treffen oder Walser? Ein Programm für eine Bundestagswahl und kein bewahrendes Element, außer die Förderung von Dieselfahrzeugen mit Rußpartikelfilter? Was ist denn jetzt noch konservativ? Apricot? Einmal im Jahr Bayreuth?"

Welt, 28.07.2005

"Die Schwulen sind die Euro-Enthusiasten", ist ein Wahlkampfslogan der Jungen Nationalisten in Polen, die gegen Deutschland, EU und westliche Dekadenz Stimmung machen, schreibt Katarzyna Stoklosa auf den Forumsseiten. "Rechtsnationale Kräfte sind in Polen auf dem Vormarsch. Sie finden in höchsten Kreisen Unterstützung. Im Gegenzug konnte die liberale 'Parade der Gleichheit', die für mehr Toleranz gegenüber Homosexuellen warb, in Warschau nur illegal stattfinden. Die 'Parade der Normalität' erfreute sich hingegen höchster Protektion." Initiator war die populäre Allpolnische Jugend. Sie spricht sich "für einen einheitlichen nationalen und rein katholischen Staat aus und verkündet den Kampf gegen den liberalen, pluralistischen Verfassungsstaat westlicher Prägung."

Im Kulturteil versteht Manuel Brug nicht so recht die Aufregung über Nikolaus Lehnhoffs Inszenierung von Schrekers " Die Gezeichneten" in Salzburg. "'Ich könnte Sie wegen Kinderpornographie verklagen', blafft nach Abebben des freundlichen Applauses ein erregter Zuschauer die Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler an. Doch weit gefehlt. Der Abschluss von Peter Ruzickas Projekt mit Opern der 'Entarteten Musik' war als erste Opernpremiere der Salzburger Festspiele eher zuviel harmloser Boutiquenschick für zweieinhalb Stunden Kunstgewerbe."

SZ, 28.07.2005

Ein Musterprozess, der derzeit in Rom um illegale Kunstankäufe des Getty Museums geführt wird, beschäftigt die SZ auf der ersten Seite des Feuilletons. Henning Klüver erklärt, warum die ehemalige Kuratorin Marion True der Hehlerei in 42 Fällen angeklagt wird und dass eine Verurteilung auch Folgen für berühmte Stücke wie die Venus von Morgantina haben könnte. Der Archäologe Michael Müller-Karpe weiß von vielen schwarzen Schafen auch in Deutschland. "Eine verbreitete Sitte der Museen besteht darin, Objekte zweifelhafter Provenienz von Privatsammlern als Leihgabe anzunehmen und sie auszustellen, was die Stücke zertifiziert und ihren Wert steigert: Ein Museum wird ja keine Fälschungen präsentieren. Wenn der Sammler von zehn Stücken dann eines dem Museum vermacht, bekommt er auch in Deutschland sogar eine Spendenquittung." Und Johan Schloeman erzählt, wie die Antike schon seit jeher ausgeplündert wurde.

Nikolaus Lehnhoffs Version der "Gezeichneten" von Franz Schreker ruft bei Wolfgang Schreiber ambivalente Gefühle hervor. Lehnhoff gehe es um vornehmlich um Masken und Verkleidungen. "Ihn fesselte beispielsweise nicht die an diesen 'Gezeichneten' oft gezeigte 'Tragödie des hässlichen Mannes': Alviano Salvago ist nicht der Krüppel, sondern Narziss und androgyner Mann, der sich in ein glitzerndes Frauenkleid gehüllt hat und sich beim Vorspiel sorgfältig schminkt. Robert Brubakers leicht flackernder Tenor porträtiert ihn eher brüchig."

Weitere Artikel: Hubertus Adam besichtigt die neuen Gebäude der ehemaligen "verbotenen Stadt" von Novartis in Basel, die jetzt sukzessive zu einem Forschungscampus umgebaut wird. Reinhard J. Brembeck hält den wenig bekannten Regisseur Ulrich Peters, der als Nachfolger von Reinhard Schultz als neuer Intendant des Münchner Gärtnerplatztheaters gehandelt wird, für eine Risikobesetzung.

Auf der Medienseite berichtet Till Kreutzer, dass im Streit zwischen dem Internet-Newsletter Heise online und der Musikindustrie vom Landgericht München ein salomonisches Urteil gefällt wurde, das beide Seiten anfechten. Heise hatte in einem Artikel auf ein Programm verlinkt, mit dem man den Kopierschutz umgehen kann. Christiane Langrockkögel weiß von neuen öffentlich-rechtlichen Interessensverquickungen, diesmal bei der "Landpartie" des NDR. Im Literaturteil erwartet sich Jens Bisky von Ingo Schulzes noch nicht fertigem, aber in Berlin schon mal vorgestelltem Roman "Neue Leben" nicht weniger als ein "erzählerisches Kunststück".

Auf der Filmseite erzählt die erfahrene Neuentdeckung Lavinia Wilson Fritz Göttler und Susan Vahabzadeh ihr Leben und verrät, was sie an Thomas Durchschlags Regiedebüt "Allein" gereizt hat. Außerdem rezensiert werden Gerard Jugnots Film "Boudu" mit Gerard Depardieu und Byambasuren Davaas Dokumentar-Spielfilm "Die Höhle des gelben Hundes".

Besprochen werden nur Bücher, und zwar Joyce Carol Oates' Roman "Ausgesetzt", Daniel Bossharts "stummer" Comic "Alberto" sowie "Lessings Bucherwerbungen", ein Verzeichnis der in der Herzoglichen Bibliothek Wolfenbüttel angeschafften Bücher und Zeitschriften 1770 - 1781 (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FAZ, 28.07.2005

Andreas Rosenfelder berichtet über eine Aktion der Stiftung Armenisches Kulturerbe, die an Orten armenischen Exils Gedenksteine aufstellt, um den Völkermord an ihrem Volk in Erinnerung zu rufen, und damit auf den wütenden Protest der türkischen Gemeinden stößt - so geschehen in Bremen und Braunschweig: "An den ersten Stationen hat sich schon gezeigt, dass die Wegmarken aus armenischem Granit den Raum nicht nur vermessen, sondern auch wie erinnerungspolitische Magnetsteine verändern. Eine durch Einschüchterung erzwungene Kirchhofsruhe wird keinen Bestand haben."

Florian Illies bricht eine Lanze für Eduard von Keyserling den fast vergessenen Chronisten des vorletzten Fin de siecle, den er in einem Manesse-Bändchen wiedergelesen hat: "Weil die Welt des deutschbaltischen Adels und deren Gutshäuser, die er in immer neuen Anläufen beschreibt, verschwunden ist, wurde ihr Chronist von der Literaturgeschichte gleich mitentsorgt", klagt Illies und behauptet: "Die veraltete Gesellschaft, die Keyserling beschreibt, kann auch die bundesrepublikanische am Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts sein, die starre Deutschland AG, die öffentlich-rechtlichen Schmiergeldsyndikate, das System Volkswagen, alles kurz vorm Ermüdungsbruch."

Weitere Artikel: Edo Reents erschauert bei der Vorstellung, dass Heino bei den Fußballweltmeisterschaften als offizieller Vorsänger für die deutsche Nationalhymne engagiert werden könnte. Andreas Rossmann beklagt den Abriss von Fundamenten historischer, aber über der Erde auch schon nicht mehr exitierender Gebäude in Aachen. Joachim Müller-Jung führt ein Gespräch mit Ernst-Ludwig Winnacker von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der erklärt wie die 1,9 Milliarden Euro der "Deutschen Exzellenzinitiative" zu den innovativsten Forschungsprojekten gebracht werden sollen. Der Historiker Stefan Berger resümiert ausführlich den in Sydney abgehaltenen Welthistorikerkongress. Rüdiger Klein stellt eine modernistische Wohnanlage des Architektenbüros Blauwerk in Ingolstadt vor.

Die Kinoseite ist sehr international. Dirk Schümer beschreibt einen Aufschwung des italienischen Films, der sich für ihn in Filmen von Marco Tullio Giordana und Paolo Sorrentino manifestiert. Kerstin Holm stellt den russischen Fantasy-Film "Wächter der Nacht" vor, der Publikumsrekorde bricht und sogar nach Deutschland exportiert wird. Und Martin Kämpchen meldet, dass in indischen Filmen fortan Rauchverbot herrscht.

Auf der Medienseite berichtet über Bestechungen amerikanischer Radiosender durch den Konzern Sony BMG. Und Michael Hanfeld schildert neueste Verwicklungen im Bavaria-Skandal.

Auf der letzten Seite erinnert Klaus Garber an den Königsberger Barockdichter Simon Dach, dessen 400. Geburtstag morgen zu feiern ist. Regina Mönch wirft einen kurzen Blick auf die Äußerungen zur Kultur in den Programmen der Parteien. Und Joachim Müller-Jung erzählt, dass amerikanische Neurologen drohen, einen Kongress zu boykottieren, weil der Dalai Lama dort mit zweifelhafter wissenschaftlicher Autorität über die Auswirkungen der Meditation auf unsere Hirne spricht.

Besprechungen gelten Tim Flywells Film "Die Eisprinzessin", Schrekers Oper "Die Gezeichneten" unter Kent Nagano und Nikolaus Lehnhoff in Salzburg, eine Ausstellung über die Zähmung der Donau im Technischen Museum Wien und eine Ausstellung mit Landschaften Alfred Teichmanns im Deutschordensschloss Ellingen.