Magazinrundschau
Ich will meinen Namen da oben sehen
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
01.03.2011. Outlook India erzählt, wie die Sentinelesen zur Volkszählung gelockt werden. Der Guardian druckt Ian McEwans Rede zum Jerusalem Prize. In Al Ahram warnt Alaa El-Aswani vor einer Konterrevolution Mubaraks mit Unterstützung Israels. In der LRB erklärt Judith Butler, warum Kafkas Nachlass weder nach Israel noch nach Deutschland sollte. HVG blickt wenig optimistisch auf die arabischen Länder. In Telerama zeigt Antoine Gallimard keine Angst vor dem E-Book. Die NYT lernt, wie im 19. Jahrhundert aus Schwarzen Weiße wurden.
Outlook India (Indien), 07.03.2011

Guardian (UK), 26.02.2011
Ian McEwan ist von den in Großbritannien sehr starken Israelfeinden unter Druck gesetzt worden, nicht den Jerusalem Prize anzunehmen, und man spürt seiner im Guardian veröffentlichten Rede die Spannung an, allen Seiten gleichmäßig wehzutun, aber dann zieht er sich mit Hinweis auf die arabischen Unruhe ganz gut aus der Affäre: "Lust auf Wandel, Hunger nach individueller Freiheit blühen im ganzen Nahen Osten auf. Wenn die Ägyper sich entscheiden, ihre Gesellschaft zu reformieren und konstruktiv zu denken und Verantwortung für ihre eigene Nation zu übernehmen, dann werden sie weniger geneigt sein, Außenstehenden die Schuld für alle ihre Missgeschicke zu geben. Dies ist genau der Moment, um den Friedensprozess wieder in Gang zu setzen."
Außerdem im Guardian: John Mullan und einige Geschworene machen sich auf die Suche nach den besten Nachwuchstalenten im britischen Romanwesen.
Außerdem im Guardian: John Mullan und einige Geschworene machen sich auf die Suche nach den besten Nachwuchstalenten im britischen Romanwesen.
Al Ahram Weekly (Ägypten), 24.02.2011

In den staatlichen ägyptischen Medien sind schon einige Köpfe gerollt, aber reicht das aus, fragt Doaa El-Bey, künftig eine unabhängige und weniger einseitige Berichterstattung zu garantieren? Mahmoud Khalil, Professor für Massenkommunikation an der Universität in Kairo, glaubt es nicht. "Die Medien ducken sich jetzt einfach und warten darauf, dass der Sturm vorbeizieht. ... Journalisten haben Mubaraks Regime gepriesen. Jetzt sind sie dazu übergegangen, die Revolution vom 25. Januar zu preisen. Aber sie müssten lernen, der Gesellschaft zuzuhören, statt eine Propagandarolle zu spielen."
Und Rania Khallaf unterhält sich mit Künstlern darüber, was sie sich von der Revolution erhoffen. Die Forderungen reichen von einem Ende der Zensur über eine Neubesetzung des Direktoriums der offiziellen Künstlervereinigung mit jungen Leuten bis zur Forderung nach einer neuen Kunst: "Hazem Chahin, Gründer und Sänger von Eskendrella, einer der populärste Bands in Ägpten, sagt, seiner Ansicht nach sei die Revolution noch nicht zu Ende. 'Es gibt kulturelle und künstlerische Formen, die verändert oder 'revolutioniert' werden sollten. Wir haben genug von traditionellen Musikformen.'"
Slate (USA), 21.02.2011
Sonntag abend wurde David Seidler mit dem Oscar für das beste Drehbuch - "The King's Speech" - ausgezeichnet. Hat er nicht verdient, meinte Christopher Hitchens schon vor der Oscar-Verleihung. Viel zu schönfärberisch seien die britische Monarchie und Churchill gezeichnet. Nachdem Seidler sich in in der "Puffington Host, or whatever the hell it's called" (Hitchens) über die Kritik beschwert hatte, legt Hitchens jetzt noch einmal nach: Seidler verschweige, dass Churchill bis zuletzt den nazifreundlichen Edward VIII. unterstützt hatte. Und Georg VI. war ein dezidierter Freund der Appeasement-Politik Chamberlains. Nachdem er in München die Tschechoslowakei an Hitler ausgeliefert hatte, wurde er bei seiner Rückkehr nach England noch am Flughafen "von einem königlichen Gesandten abgeholt, direkt in den Buckingham Palast gebracht und auf dem Balkon ausgestellt - mit dem königlichen Segen für ein Abkommen, das noch nicht vom Parlament gebilligt worden war."
Ein betörter Simon Schama hat sich mit Helen Mirren über ihre Rolle als Prospero in Julia Teymors Verfilmung von Shakespeares "Sturm" und über ihre Arbeit mit Peter Brook unterhalten. Über letzteres sagt sie: "'Als esoterische Schauspielerin habe ich versagt. Ich war nicht von dieser Art. Letztlich gehöre ich zu keiner Gruppe - nicht zur Stanislawski-Gruppe, der Grotowski-Gruppe, der Brook-Gruppe. Ich habe kein Talent für Zurückhaltung. Brook dachte, Startum sei gefährlich, narzisstisch, geschmacklos. Oh f*** it, sagte ich. Ich will meinen Namen da oben sehen.' Shakespeare, der Schauspieler, hat zweifellos genauso gedacht, sage ich. 'Ja, aber wissen Sie, ich glaube immer noch, dass Brook das große Genie des zeitgenössischen Theaters ist. Er ist allen so weit voraus. Er tut, was undenkbar war. ... Er glaubt wirklich an gewöhnliche Menschlichkeit."
Ein betörter Simon Schama hat sich mit Helen Mirren über ihre Rolle als Prospero in Julia Teymors Verfilmung von Shakespeares "Sturm" und über ihre Arbeit mit Peter Brook unterhalten. Über letzteres sagt sie: "'Als esoterische Schauspielerin habe ich versagt. Ich war nicht von dieser Art. Letztlich gehöre ich zu keiner Gruppe - nicht zur Stanislawski-Gruppe, der Grotowski-Gruppe, der Brook-Gruppe. Ich habe kein Talent für Zurückhaltung. Brook dachte, Startum sei gefährlich, narzisstisch, geschmacklos. Oh f*** it, sagte ich. Ich will meinen Namen da oben sehen.' Shakespeare, der Schauspieler, hat zweifellos genauso gedacht, sage ich. 'Ja, aber wissen Sie, ich glaube immer noch, dass Brook das große Genie des zeitgenössischen Theaters ist. Er ist allen so weit voraus. Er tut, was undenkbar war. ... Er glaubt wirklich an gewöhnliche Menschlichkeit."
HVG (Ungarn), 19.02.2011

Newsweek (USA), 20.02.2011
Manchmal bedeutet Geschichtsschreibung auch, dass man am Ende nicht genau weiß, was wirklich passiert ist, lernt Tracy McNicoll aus Agata Tuszynskas Buch über die Sängerin Wiera Gran, "Accused: Wiera Gran", das in Polen schon einige Aufregung ausgelöst hat. Gran sang im Warschauer Ghetto im Cafe Sztuka, mit Wladyslaw Szpilman als Begleiter. Szpilman, heute berühmt als Polanskis "Pianist", hatte Gran jedoch schon in seiner 1946 erschienenen Autobiografie ignoriert. Später soll er ihr vorgeworfen haben, mit den Nazis kollaboriert zu haben. Grans Leben wurde von diesen Gerüchten vergiftet. Sie starb 2007 in einem finsteren Appartement in Paris, die Wände bekritzelt mit Sätzen wie "Help! Szpilman and Polanski's clique want to kill me! HELP!": "Tuszynskas Buch ist eine nützliche Studie über Zweifel. Es ist eine Reflexion über den Raum zwischen dem Nebel des Kriegs und der Eindeutigkeit Hollywoods und was als verbürgte Tatsache überleben sollte, wenn die Tatsachen umwölkt sind. Während die letzten Überlebenden sterben, könnte das letzte Wort buchstäblich demjenigen gehören, der am lautesten gesprochen hat. 'Accused: Wiera Gran' behauptet nicht, das letzte Wort zu haben."
Außerdem: Der Historiker Norman Stone hat seine Zweifel, ob Ägypten den Fußstapfen der Türkei folgen kann. Und eine Fotostrecke erinnert an Journalistinnen, die für ihre Arbeit ihr Leben riskiert - und manchmal auch verloren - haben.
Außerdem: Der Historiker Norman Stone hat seine Zweifel, ob Ägypten den Fußstapfen der Türkei folgen kann. Und eine Fotostrecke erinnert an Journalistinnen, die für ihre Arbeit ihr Leben riskiert - und manchmal auch verloren - haben.
Literaturen (Deutschland), 01.03.2011

Ins Netz gestellt sind die Rezensionen zu Kerstin Ekmans neuem Roman "Tagebuch eines Mörders", Oliver Sacks neuen Fallgeschichten "Das innere Auge" und Arno Geigers Demenzbericht "Der alte König in seinem Exil".
London Review of Books (UK), 03.03.2011

Weitere Artikel: Jim Holt, der am Ende gesteht, von digitalen Medien wenig praktische Ahnung zu haben, liest Nicholas Carrs "The Shallows" mit einiger Skepsis und schließt mit dem Scherz: "Ich hab keines dieser Geräte, ich tweete nicht und bin nicht bei Facebook - und ich kriege trotzdem nichts auf die Reihe." Ebenfalls nicht sehr überzeugt ist Thomas Jones von James Harkins Buch über den Aufstieg der "Nische". Mit Eric Hobsbawms Geschichte des Marxismus "How to Change the World" setzt sich der Jesuito-Marxist Terry Eagleton auseinander. Michael Wood sieht Filme von Henri-Georges Clouzot.
Times Literary Supplement (UK), 25.02.2011
Niemand kann uns so viel über den Schmerz erzählen wie J.M. Coetzee, meint Stephen Abell: In all seinen Romanen ist er die höchste Autorität für das Leiden und die glaubwürdigste literarische Autorität für den Körper. "Ein Körper mit seinem Schmerz, seinem eigenen Schmerz mag etwas Gewisses sein, aber der Schmerz eines anderen ist uns in seinem Wesen fremd. Wir können Coetzees Werk als eine ständige Untersuchung der Vorstellung verstehen, dass der Schmerz geteilt werden kann. Coetzee legt ähnliche Überzeugungen dem Magistrat in 'Warten auf die Barbaren' in den Mund. Dieser erklärt: 'Schmerz ist Wahrheit, alles andere kann bezweifelt werden'. Allerdings kann er diese Sicht nicht lange aufrechthalten."
Paul Duguid liest einige Neuerscheinungen zur Zukunft des Buches und warnt vor falschem Alarmismus. In "Merchants of Culture" von John B. Thompson etwa lernt alles über das fianzielle und symbolische Kapital der Versorgungskette von "Autor, Agent, Verleger, Drucker, Sortimenter, Händler und Käufer": "Wenn diese Kette tatsächlich so stark ist, dann sollten wir vielleicht eher davon ausgehen, dass Amazon, Apple und Google in diesem Kette hinein wollen als sie zu zerstören. Thompson würde dem wahrscheinlich zustimmen. Das Problem im Handel kommt seiner Ansicht nach nicht aus der digitalen Welt, sondern von einer ungesunden Mischung aus kurzfristigem Denken und unstillbarer Gier. Dafür können wir nicht die Technologie verantwortlich machen."
Paul Duguid liest einige Neuerscheinungen zur Zukunft des Buches und warnt vor falschem Alarmismus. In "Merchants of Culture" von John B. Thompson etwa lernt alles über das fianzielle und symbolische Kapital der Versorgungskette von "Autor, Agent, Verleger, Drucker, Sortimenter, Händler und Käufer": "Wenn diese Kette tatsächlich so stark ist, dann sollten wir vielleicht eher davon ausgehen, dass Amazon, Apple und Google in diesem Kette hinein wollen als sie zu zerstören. Thompson würde dem wahrscheinlich zustimmen. Das Problem im Handel kommt seiner Ansicht nach nicht aus der digitalen Welt, sondern von einer ungesunden Mischung aus kurzfristigem Denken und unstillbarer Gier. Dafür können wir nicht die Technologie verantwortlich machen."
Telerama (Frankreich), 26.02.2011

New York Times (USA), 27.02.2011
In der Sunday Book Review stellt der Historiker Raymond Arsenault Daniel J. Sharfsteins Geschichte dreier Familien vor, die unmerklich die Rassengrenze durchbrachen: Erst waren sie schwarz, dann wurden sie aufgrund ihres Erfolgs als Weiße akzeptiert. "Alle Elemente [für diesen Durchbruch] scheinen in der Gibson Familiensaga auf. Gideon Gibson, ein reicher Landbesitzer in Süd-Carolina und Anführer einer rebellischen Bande von Siedlern des späten 18. Jahrhunderts, bekannt als Regulators, war ein dunkelhäutiger Abkömmling befreiter Sklaven aus Virginia. Seine Ehe mit einer weißen Frau und sein Status als Sklavenhalter bildeten das Fundament nicht nur für seinen Erfolg als Anführer eines Gemeinwesens, sondern auch für die Reise seiner Abkömmlinge zum Weißsein. Nach der amerikanischen Revolution zog ein Zweig der Gibsonfamilie nach Louisiana, wo sie Teil der weißen Zuckerplantagen-Elite wurden. Andere Familienmitglieder zogen nach Kentucky, wo sie erfolgreiche Pferdezüchter wurden. Auf ihrem Weg warfen die Gibsons alle Erinnerungen an ihre rassischen Wurzeln über Bord."
Besprochen werden außerdem ein Buch über den Afghanistankrieg von einem sehr pessimistischen ehemaligen Vietnamkämpfer, eine Biografie der Sängerin Ethel Waters (hier ihre phantastische Aufnahme von "Miss Otis Regrets") und zwei Romane über junge Männer, die - nigerianisch-deutscher Herkunft der eine, tunesisch-schwedischer Herkunft der andere - ihre Identität suchen.
Im NYT-Magazine porträtiert Gaby Wood vom Daily Telegraph den französischen Künstler JR (homepage), den jüngsten Künstler, der den TED-Preis gewonnen hat. "Ich traf JR eines späten Nachmittags im letzten November in seinem Pariser Studio. Die nächste Metro Station ist nach Alexandre Dumas benannt und da ist auch etwas 'Drei-Musketierhaftes' an seinem Team: Emile Abinal und der 'Philosoph und Guru' Marco Berrebi kamen gerade von einem Poster-Klebetrip in Schanghai und bereiteten sich auf eine Pressekonferenz über die positiven Nachwirkungen ihrer Porträts im Nahen Osten vor. Sie hatten bisher nie wirklich Leute in ihrem Studio und mussten etwas aufräumen - zum Beispiel eine gelbe Kawasaki, die genau in der Mitte geparkt war. An einer weit entfernten Wand hing, versteckt zwischen großformatigen Fotografien von JRs Installationen, ein kleines Trophäenkabinett mit zwei verschlissenen Schrubberbürsten, einem Spachtel und Leimpulver. 'Wir knien und beten davor jeden Tag', sagt JR."
Hier sein TED-Porträt:
Besprochen werden außerdem ein Buch über den Afghanistankrieg von einem sehr pessimistischen ehemaligen Vietnamkämpfer, eine Biografie der Sängerin Ethel Waters (hier ihre phantastische Aufnahme von "Miss Otis Regrets") und zwei Romane über junge Männer, die - nigerianisch-deutscher Herkunft der eine, tunesisch-schwedischer Herkunft der andere - ihre Identität suchen.

Hier sein TED-Porträt:
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