Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
03.01.2006. In Granta beobachtet Lindsey Hilsum den Einzug der Chinesen nach Afrika. Al Ahram beschreibt den Kulturschock über den Wahlerfolg der Muslimbrüder. Im Espresso warnt Umberto Eco vor einem Exzess der Veränderung. Das ungarische ES-Magazin begleitet den Schriftsteller Miklos Meszöly im Geiste durch Triest. Der New Yorker findet Woody Allens "Match Point" leicht deprimierend. Im Spiegel sieht Karl Schlögel Europa im Osten neu erstehen. Das New York Times Magazine porträtiert Julia Timoschenko.
Granta (UK), 15.01.2006

Wie sehr die Westler den Afrikanern auf die Nerven gehen, lässt sich auch einem sehr schönen Text von Binyavanga Wainaina (mehr und mehr) entnehmen. Der kenianische Autor und Gründer des Literaturmagazins Kwania hat ein paar Tipps für alle, die ein Buch über Afrika schreiben möchten: "Behandeln Sie Afrika in Ihrem Text, als wäre es ein einziges Land. Es ist heiß und staubig, mit rollenden Grasbüscheln, riesigen Tierherden und großen, dünnen Menschen, die verhungern. Oder es ist heiß und feucht, mit sehr kleinen Menschen, die Primaten essen. Verlieren Sie sich nicht in präzisen Beschreibungen. Afrika ist groß: 54 Länder, 900 Millionen Menschen, die zu beschäftigt sind mit Verhungern und Sterben und Krieg führen und Emigrieren, um Ihr Buch zu lesen. Der Kontinent ist vielfältig, er hat Wüsten, Dschungel, Berggebiete, Savannen und viele andere Dinge, aber Ihre Leser interessiert das nicht. Also halten Sie Ihre Beschreibung romantisch, bewegend und möglichst unspezifisch."
Al Ahram Weekly (Ägypten), 29.12.2005

Espresso (Italien), 05.01.2006

In seiner Bustina empfiehlt Eco schon wieder merklich beruhigt den komisch-melancholischen Autor Luciano Bianciardi. Ein Großteil seiner Werke ist in dem stattlichen Sammelband "L'Antimeridiano" erschienen.
Elet es Irodalom (Ungarn), 23.12.2005

Der Filmkritiker György Baron feiert den preisgekrönten Kurzfilm "Never Never Gipsyland" von Kati Macskassy: "Der Film erzählt von den Träumen und Sehnsüchten der Roma, die in ihren Volksmärchen Ausdruck finden. ? Wie im magischen Realismus südamerikanischer Künstler wird die tiefste, dunkelste Schicht der Realität mit den höchsten, blendenden Fäden der Phantasie durchwoben. In diesem mit Worten, Gesang und Fotos erzählten Film fliegt das Märchen auf Vogelfittichen aus Schlamm und Not plötzlich auf, so hoch, dass die Schwerkraft der Dramaturgie überwunden wird ? Das Märchen wird doch nicht zur billigen Folklore reduziert, weil die betonfarbene, grausame Realität stets präsent bleibt."
New Yorker (USA), 09.01.2006
Nicht ganz überzeugt, aber auch nicht wirklich enttäuscht ist David Denby von Woordy Allens neuem Film "Match Point". Allen kehre darin wieder "zur Rolle des Glücks und einer alten Obsession aus 'Crimes and Misdemeanors' zurück: der Frage, ob es Gerechtigkeit auf der Welt überhaupt gibt. Doch diese theoretischen Überlegungen sind nur Staffage. Im Kern ist 'Match Point' nur die jüngste Version einer Geschichte, die schon seit fast 200 Jahren als erzählerische Basis dient: Ein junger Mann aus der Provinz erobert mit Kühnheit und sexuellem Charme die Großstadt und gerät in Schwierigkeiten. Und uns bleibt es wie immer überlassen, uns mit seiner Sehnsucht zu identifizieren und deren Konsequenzen zu bedauern - was heißt, dass wir unsere eigene Sehnsucht wohl oder übel zügeln müssen."
Weitere Artikel: Dan Baum beschreibt in einer langen Reportage das vollständige Versagen der Polizei von New Orleans angesichts des Hurrikans Katrina. Lilian Ross beschreibt ein Treffen mit dem Schauspieler, Produzenten und Regiedebütanten Tommy Lee Jones ("The Three Burials of Melquiades Estrada"), zu dem dieser ganz rollenuntypisch in Prada und Hermes gekleidet erschien. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "The Cryptozoologist" von Tony Earley.
Peter Schjeldahl führt durch eine "grandiose, unerwartet herausfordernde" Henri-Rousseau-Retrospektive, die nach ihrem Start in der Londoner Tate Modern auch in Paris und Washington zu sehen sein wird. In einem ausführlichen Porträt stellt David Denby den Journalisten, Kritiker und Drehbuchautor ("The African Queen") James Agee vor, dessen Schriften nun auszugsweise in zwei Bänden erschienen sind (Library of America?s).
Weitere Artikel: Dan Baum beschreibt in einer langen Reportage das vollständige Versagen der Polizei von New Orleans angesichts des Hurrikans Katrina. Lilian Ross beschreibt ein Treffen mit dem Schauspieler, Produzenten und Regiedebütanten Tommy Lee Jones ("The Three Burials of Melquiades Estrada"), zu dem dieser ganz rollenuntypisch in Prada und Hermes gekleidet erschien. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "The Cryptozoologist" von Tony Earley.
Peter Schjeldahl führt durch eine "grandiose, unerwartet herausfordernde" Henri-Rousseau-Retrospektive, die nach ihrem Start in der Londoner Tate Modern auch in Paris und Washington zu sehen sein wird. In einem ausführlichen Porträt stellt David Denby den Journalisten, Kritiker und Drehbuchautor ("The African Queen") James Agee vor, dessen Schriften nun auszugsweise in zwei Bänden erschienen sind (Library of America?s).
Gazeta Wyborcza (Polen), 31.12.2005
Im zweiten Teil seiner Artikelserie über Arbeitsmigranten in Europa, schreibt der polnisch-schwedische Publizist Maciej Zaremba diesmal über den berühmten Konflikt zwischen schwedischen Gewerkschaftlern und lettischen "Billigarbeitern" im Dezember 2004. "Als jemand, der von der anderen Seite kommt, kann ich verstehen, dass es für die Letten nicht um den Kampf um gleiche Arbeitsbedingungen, sondern um ein weiteres Kapitel in der Geschichte der schwedischen Überheblichkeit geht. Die schwedischen Gewerkschaften müssen auf ihre Interessen achten - nur sollten sie nicht verlangen, dass sich die armen Letten mit den reichen Schweden solidarisieren."
Außerdem zwei Stimmen zur "Geschichtspolitik": den Historiker Henryk Samsonowicz erinnert die Geschichte an ein "Kostümdepot, in dem viele verschiedene Verkleidungen aufbewahrt werden. Und man zückt immer das, was gerade gebraucht wird. Denn die Geschichte ist zu wichtig, als dass die Politiker sie den Historikern überlassen könnten". Und Adam Krzeminski ärgert sich darüber, dass in der Buchreihe "Europa bauen" Luciano Canforas "Kurze Geschichte der Demokratie" erschienen ist - ein Werk, in dem Stalin bejubelt und die "Solidarnosc" mit keinem Wort erwähnt wird. "Umso größere Anerkennung verdient der C.H. Beck Verlag, der Canforas Publikation nicht in die deutschsprachige Edition aufnehmen will, mit dem Hinweis auf die drastischen Defizite bezüglich Mittelosteuropas und die Bagatellisierung des Stalinismus".
Außerdem zwei Stimmen zur "Geschichtspolitik": den Historiker Henryk Samsonowicz erinnert die Geschichte an ein "Kostümdepot, in dem viele verschiedene Verkleidungen aufbewahrt werden. Und man zückt immer das, was gerade gebraucht wird. Denn die Geschichte ist zu wichtig, als dass die Politiker sie den Historikern überlassen könnten". Und Adam Krzeminski ärgert sich darüber, dass in der Buchreihe "Europa bauen" Luciano Canforas "Kurze Geschichte der Demokratie" erschienen ist - ein Werk, in dem Stalin bejubelt und die "Solidarnosc" mit keinem Wort erwähnt wird. "Umso größere Anerkennung verdient der C.H. Beck Verlag, der Canforas Publikation nicht in die deutschsprachige Edition aufnehmen will, mit dem Hinweis auf die drastischen Defizite bezüglich Mittelosteuropas und die Bagatellisierung des Stalinismus".
Spiegel (Deutschland), 02.01.2006

In einem Interview erklärt der Historiker Karl Schlögel, warum der kulturelle Geist Europas in den Städten des Osten wiedererwachen wird: "Ich ärgere mich schon lange darüber, dass immer so getan wird, als entstehe das neue Europa bei den Konferenzen in Straßburg und Brüssel. Natürlich blicken alle nach Westen, aber Europa ist nicht an der Oder zu Ende. Europas Karte wird neu gezeichnet. Ich glaube, dass es langfristig zu einer Verschiebung der Zentren nach Osten kommen wird. Man wird sehen, welches Potenzial in den Städten des Ostens steckt. Es gibt unzählige Menschen, die im Pendelverkehr zwischen Ost und West unterwegs sind, die täglich an der Einheit Europas arbeiten."
Außerdem: Die Titelgeschichte lüftet das Geheimnis um die erste, von Pharao Snofru erbaute vollkommene Pyramide. Und in einem weiteren Interview spricht die Psychologin Kay Jamison über ein bisher unterschätztes Problem: Menschen mit notorisch guter Laune.
New York Times (USA), 01.01.2006

Besprochen werden heute in erster Linie Literaten-Biografien. Reiner Stach hätte in seiner Schilderung der "Decisive Years" (erstes Kapitel) von Franz Kafka - zwischen 1910 und 1915 - ruhig mehr interpretieren können, meint Marco Roth. James Campbell kommen Jerome Charyns mit "Savage Shorthand" (erstes Kapitel) betitelten, mitunter unterhaltsamen, aber ungeordneten Meditationen über Isaac Babel wie eine Vorab-Materialsammlung für eine größere Darstellung vor. James Fenton lobt die von 971 auf 548 Seiten gekürzte Fassung von Juliet Barkers Porträt des englischen Dichters William "Wordsworth" (erstes Kapitel) zwar als lesbarer, vermisst aber die Anmerkungen und die Bibliografie. Daran, wie Darlene Harbour Unrue das innere Leben der amerikanischen Autorin "Katherine Anne Porter" beschreibt (erstes Kapitel), hat Paul Gray nichts auszusetzen. Für einen tieferen Blick empfiehlt er aber doch Porters eigene Kurzprosa.

Weiteres: Der amerikanische Philosoph Kwame Anthony Appiah plädiert in einem Vorabdruck aus seinem neuen Essayband für ein neues Kosmopolitentum. Ein südafrikanischer Tierpräparator versucht die ausgestorbenen Quaggas wieder zu züchten, berichtet D. T. Max mit einiger Sympathie für den hartnäckigen Schöpfer. Und Daphne Merkin beschwert sich mit irritierender Freude am Detail darüber, dass der Schönheitswahn nicht mal mehr vor der Vagina halt macht.