Heute in den Feuilletons

Substanzielle Entschädigung

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.12.2012. Update um 11 Uhr: Google einigt sich mit der belgischen Presse. Man will zwar künftig nicht für Zitate bezahlen, einigt sich aber auf eine Werbekooperation mit den Zeitungsverlagen. Google versteht das in seinem offiziellen Blog als Botschaft an die Presse in anderen Ländern. In der FAZ erklärt Hans Barlach, warum er als Herausgeber von TV Today für die Leitung des Suhrkamp Verlags qualifiziert ist. Die taz besucht ein riesiges Filmarchiv (nämlich das Internet). Die Welt ist entsetzt über die Schalheit längst gerissener Witze in der neuen Pardon. Die NZZ besucht die größte französische Stadt außerhalb Frankreichs: London.

Weitere Medien, 13.12.2012

Update um 11 Uhr. Google dementiert, künftig für die Verlinkung frankophoner belgischer Zeitungen zu bezahlen. Diese Meldung, die auf einen Artikel von Le Monde zurückging, wies Google-Sprecher Kay Oberbeck gegenüber dem Perlentaucher als "totalen Schwachsinn" zurück. Die Einigung bestehe im wesentlichen in einer Werbekooperation mit den Verlagen. Die Zeitung Le Monde habe ihre Berichterstattung inzwischen korrigiert, so Oberbeck. Hier die dpa-Meldung dazu bei Spiegel Online.

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Mitten in den deutschen (und französischen) Streit um Leistungsschutzrechte platzt die Meldung, dass "die Presse es schaffen kann, Google einknicken zu lassen", so Le Monde in einem Bericht über die Einigung zwischen Google und belgischen Zeitungen, die vor einiger Zeit gegen die Snippets von Google News geklagt hatten: "Die französischsprachigen Verleger, die belgische Verwetungsgesellschaft für Journalisten (Société de droits d'auteurs des journalistes, SAJ) und Google haben sich in einem geheim gehaltenen Vertrag geeinigt. Der amerikanische Gigant wird eine substanzielle Entschädigung auszahlen, die zwischen 2 und 3 Prozent des Umsatzes der frankophonen belgischen Presse betragen soll - also etwa 5 Millionen Euro. Die Journalisten sollen einen Teil dieses Mannas über die Verwerungsgesellschaft erhalten."

Aus den Blogs, 13.12.2012

Google-"Evangelist" Stefan Keuchel feiert die Meldung, dass Google die belgischen Zeitungen jetzt dafür bezahlt, um sie zitieren zu dürfen, auf Twitter als "gute Nachricht".

Auf dem offiziellen Google Europe-Blog feiert Thierry Geerts die Einigung mit den belgischen Zeitungen und argumentiert deutlich Richtung Deutschland: "Instead of continuing to argue over legal interpretations, we have agreed on the need to set aside past grievances in favour of collaboration. This is the same message we would like to send to other publishers around the world - its much more beneficial for us to work together than to fight."

TAZ, 13.12.2012

Lukas Foerster beschreibt das Internet als riesiges Filmarchiv. Das liege zum einen an der Ausweitung des komplett netzbasierten Video-on-demand-Geschäfts, zum anderen an nicht kommerziellen Filmarchiven wie archive.org und UbuWeb. Und dann gibt es noch Youtube. Hier stellen nicht nur User seltene Filme online, auch Filmstudios machen Teile ihrer Bestände kostenlos öffentlich zugänglich: "Zwei besonders lohnenswerte Tipps: die YouTube-Kanäle zweier nationaler Filminstitutionen. Das größte und traditionsreichste russische Studio Mosfilm stellt eine lange Reihe von Spielfilmen von der Stummfilmzeit bis fast in die Gegenwart zur Verfügung - nicht wenige davon mit Untertiteln. Nicht ganz so umfangreich, dafür vorbildlich präsentiert und sortiert ist die Auswahl des Korean Film Archive: Da kann man Jahrzehnt für Jahrzehnt die Entwicklung einer vergessenen (beziehungsweise eigentlich: international nie wirklich entdeckten) klassischen Kinematografie aufarbeiten".

Weitere Artikel: Michael Braun berichtet über das Auftauchen der Drehbuchskizze für das nie realisierte Filmprojekt "Porno-Teo-Kolossal", an dem Pier Paolo Pasolini noch kurz vor seiner Ermordung gearbeitet hatte und das er in einem Brief an den Schauspieler Eduardo De Filippo genau umriss. Ulrich Gutmair resümiert eine Lesung von Jutta Schwerin, die in Berlin ihr autobiografisches Buch "Ricardas Tochter" vorstellte und über ihr Leben in Deutschland und Israel sprach. Georg Blume würdigt im Nachruf Sitar-Spieler Ravi Shankar.

Auf der Medienseite informiert uns eine Meldung, dass der Freitag neun Stellen streichen muss: "Im dritten Quartal dieses Jahres verkaufte Der Freitag sich nur 13.790 Mal." Mehr dazu auch bei kress.de.

Besprochen werden die Rekonstruktion der Jahrhundertschau "Internationale Kunstausstellung des Sonderbundes 1912" in Köln im Wallraf-Richartz-Museum, Mike Newells Verfilmung von Charles Dickens Roman "Große Erwartungen" ("Melodrama, Horror und Satire auf so dick aufgetragene Weise, wie man es eben fast nur bei Dickens findet") und Peter Jacksons "dramaturgisch sehr geschickte" Adaption von Tolkiens "Der Hobbit".

Und Tom.

Freitag, 13.12.2012

Eines muss man im Fall Suhrkamp konzedieren, findet Michael Angele, nämlich, "dass die Verlegerin und ihre Getreuen offenbar doch ganz gute Arbeit geleistet haben, auch der erst so harsch kritisierte Umzug von Frankfurt nach Berlin scheint den Verlag belebt zu haben. Es hat sich eine neue Suhrkamp-Kultur entwickelt..."

Welt, 13.12.2012

Richard Herzinger ist entsetzt über die Schalheit "längst gerissener Witze", die in der neuen Pardon des ehemaligen Cicero-Herausgebers Wolfram Weimar als Humor figuriert: "Dazu gibt es dann noch einen pseudointellektuellen Essay darüber, ob Gott Humor habe. Darin wimmelt es von verschwurbelten Plattheiten wie dieser: 'Wer Sinn für Humor hat, hat einen Sinn für das Transzendente - mithin einen Sinn dafür, worin der Witz von Gottes Existenz für unser Dasein bestehen könnte.' Ausgerechnet dieser Text ist offenbar nicht als Satire gemeint."

Außerdem schreibt Manuel Brug zum Tod der Sopranistin Galina Wischnewskaja. Marc Reichwein liest den ersten Tweet von @pontifex ("Von Herzen segne ich euch"). Tomas Kielinger berichtet, dass der Anteil der weißen Briten in London laut einer Volkszählung erstmals unter 50 Prozent gesunken ist. Besprochen wird der erste Teil von Peter Jacksons "Hobbit"-Verfilmung.

Im Forum will Dankwart Guratzsch gegen das Bauhaus zwar nichts einwenden, aber mit ordentlichen Ziegeln wäre das alles nicht passiert.

Weitere Medien, 13.12.2012

In der FR erzählt der Schriftsteller Norman Manea, wie er sich bei dem Versuch, wenigstens innerlich der rumänischen Diktatur Ceauşescus zu entkommen, in die Literatur flüchtete: "Es war sicher ein Versuch, die direkte Konfrontation mit dem System zu vermeiden. Ich gehörte nicht zu den Dissidenten, die auf die Straße gingen. Mein Widerstand war ästhetischer Natur. Ich schrieb nicht über Helden, wie sie sich das System wünschte. Meine Helden sind Versager. Menschen, die vom System besiegt worden sind und sich in ihre Einsamkeit, in ihr eigenes Gefängnis zurückziehen, um ein Mindestmaß an Authentizität zurückzugewinnen, an realem Denken und Fühlen."

NZZ, 13.12.2012

Der französische Zuzug nach London ist so groß, dass die Stadt bereits als "Paris-on-Thames" und der unter Franzosen besonders beliebte Stadtteil South Kensington als 21. Arrondissement bezeichnet wird, berichtet Marion Löhndorf. Mit rund 400.000 französischen Einwohnern rangiere London laut BBC zwischen Toulouse und Nizza auf Platz fünf der größten französischen Städte: "Auch für die Politiker in der alten Heimat scheint die Emigranten-Gemeinde jenseits des Kanals eine kritische Masse erreicht zu haben. So reisten die Kandidaten der letzten Präsidentschaftswahlen nach London, um in der französischen Community für Sympathien zu werben."

Außerdem gibt es Nachrufe auf den indischen Sitar-Star Ravi Shankar und die russische Sopranistin Galina Wischnewskaja. Besprochen werden Filme, darunter Peter Jacksons "Der Hobbit" (den Simon Spiegel "trotz aller visuellen Grandezza oft erstaunlich unfilmisch und statisch" findet), und Bücher, darunter Annalena McAfees Mediensatire "Zeilenkrieg" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Zeit, 13.12.2012

Die Sorge um Suhrkamp treibt die Zeit um: Im Leitartikel auf der Seite 1 macht Ijoma Mangold für die aktuelle Krise vor allem den autokratischen Führungsstil von Ulla Unseld-Berkéwicz verantwortlich: "Man schwurbelt in diesem Fall ja immer ziemlich schnell von der Kultur, um die allein es gehen dürfe. Aber auch das Gesellschaftsrecht ist Teil unserer Zivilisation."

Im Feuilleton versucht Mangold die Absichten von Hans Barlach zu ergründen und stellt fest: eine Heuschrecke, wie von Unseld-Berkéwicz behauptet, scheint er nicht zu sein, aber er könnte zu einem Michael Kohlhaas werden. Im Interview bekräftigt Hans Magnus Enzensberger seine Loyalität zum Verlag - solange er nicht unter Barlachs Kontrolle fällt: "Übernähme er die Geschäftsführung, so würde ich keine Minute bei Suhrkamp bleiben."

Weitere Artikel: Auf drei Seiten entwirft Jens Jessen eine "Philosophie des Plätzchens" und versichert: "Plätzchenfragen sind Existenzfragen". Kilian Trotier meldet schaudernd, dass Amazon in den USA erstmals Content für eine Flatrate anbietet, und befürchtet "eine völlige Erosion der Preise und eine Implosion dessen, was uns Bücher, Filme, Lieder wert sind". Hanno Pöppel berichtet, dass die israelische Professorin Rivka Feldhay vom Treffen zwischen Merkel und Netanjahu ausgeladen wurde. Thomas Assheuer sieht Parallelen zwischen dem Konflikt in Ägypten und europäischen Auseinandersetzungen um Säkularismus und der politischen Theologie eines Alexis Carrel. Maxim Biller erzählt, wie er mit Daniel Kehlmann in "Die Vermessung der Welt" ging. Hanno Rauterberg schreibt den Nachruf auf den Architekten Oscar Niemeyer, Christine Lemke-Matwey den auf die Sopranistin Lisa della Casa.

Besprochen werden Peter Jacksons Tolkien-Adaption "Der Hobbit" (die Ulrich Greiner "einigermaßen geplättet" zurückgelassen hat), Benh Zeitlins Südstaatenfilm "Beasts of the Southern Wild" (an dem Andrea Hünniger besonders schätzt, dass sein "magischer Realismus so unprätentiös" ist), die Ausstellung "Mein Rasierspiegel" in Kleve, in deren Rahmen Joseph Beuys' langjähriges Atelier rekonstruiert wurde, sowie Bücher, darunter Tilman Rammstedts "Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Die Zeit im Osten bringt ein Kapitel aus Tuvia Tenenboms Reisebericht "Allein unter Deutschen", das in der deutschen Ausgabe fehlt: das Treffen mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich, nach dem sich Tenenbom sicher ist: "Man sollte ihn und Helge Schneider in den Nahen Osten schicken, um diesen Konflikt ein für alle Mal zu lösen." In einem begleitenden Interview zieht Tenenbom eine Bilanz: "Die Ostdeutschen sind nicht antisemitischer als die Westdeutschen. Sie setzen nur schneller ihre Maske ab."

FAZ, 13.12.2012

Eine ganze Seite räumt die FAZ Hans Barlach, dem Minderheitengesellschafter bei Suhrkamp, ein, um im Gespräch seine Position im Suhrkamp-Prozess zu schildern, die im wesentlichen auf zwei Punkte hinausläuft: Ulla Unseld-Berkéwicz wirft er Untreue und Vetternwirtschaft und dem Verlag mangelnde Geschäftstüchtigkeit vor. Für die Leitung eines literarischen Traditionsverlags hält er sich selbst im Übrigen ohne Weiteres für qualifiziert: "Ich habe die 'Hamburger Morgenpost' geleitet, bei der Fernsehzeitschrift 'TVtoday' war ich Herausgeber, und außerdem habe ich den Nachlass von Ernst Barlach betreut. Da mein Großvater nicht nur ein bildhauerisches, sondern auch ein literarisches Werk hinterlassen hat, hatte ich dabei auch mit Lyrik und Dramen zu tun. Verlagsarbeit ist mir also bekannt."

Weitere Artikel: Bei der Film Master Class in Marrakesch lauscht Marco Schmidt den Anekdoten von so unterschiedlichen Regisseuren wie John Boorman, Darren Aronofsky und Brillante Mendoza. Andreas Rossmann bilanziert die Arbeit des Kölner Kulturdezernenten Georg Quander. Viel Trauer in der heutigen FAZ: Nachrufe gibt es auf Charles Rosen, Galina Wischnewskaja und Ravi Shankar.

Besprochen werden neue CDs von Bryan Ferry und The Avett Brothers, der italienische Dokumentarfilm "Italy - Love it or Leave it", die Ausstellung "Rosemarie Trockel - A Cosmos" im New Museum of Contemporary Art in New York und Bücher, darunter Thomas Manns Briefe von 1924 bis 1932 (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

SZ, 13.12.2012

Amin Farzanefar erlebt beim Filmfestival in Kairo, das kurz nach Beginn der jüngsten Konfrontationen in der Stadt eröffnet wurde, auch jenseits der Leinwand turbulente Szenen: "Das gesamte Programm purzelte auseinander: zwei syrische Beiträge fielen aus - der eine wurde vom Regisseur zurückgezogen, der andere wieder ausgeladen, weil dem Filmemacher eine zu große Nähe zum Diktator Assad nachgesagt wurde. Eine Delegation aus Iran - nach Jahren erstmals wieder eingeladen - erhielt kein Visum; auch ein Politikum. Mehrere Ägypter sagten ihr Erscheinen ab oder zogen in letzter Minute ihre Filme zurück."

Weitere Artikel: Tim Neshitov berichtet vom lautstark geäußerten Unmut russischer Philologen über das russische Bildungssystem, das ihn an die Dystopie aus Strugatzkis "Es ist nicht leicht ein Gott zu sein" erinnert. Christiane Schlötzer besucht den griechischen Komponisten Mikis Theodorakis. Gerhard Matzig gratuliert dem Architekten Wolf Prix zum 70. Geburtstag. Jens Malte Fischer schreibt den Nachruf auf die Sopranistin Galina Wischnewskaja, Karl Bruckmaier den auf Ravi Shankar.

Besprochen werden die Ausstellung "Mythos Atelier" in der Staatsgalerie Stuttgart, der neue Disneyfilm "Ralph reicht's", eine Werkschau von Conrad Felixmüller im Museum Gunzenhauser in Chemnitz und Bücher, darunter neue zum Stand der Dinge im Marxismus (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).