Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.09.2007. In der FR erklärt Rüdiger Safranski, warum 68 für ihn eine romantische Bewegung war. In der Welt sieht Petros Markaris nach Waldbrand und Neuwahlen schwarz für Griechenland.  In der FAZ reibt sich Werner Spies dankbar die Augen über die nun wieder ehrlich artikulierte Kunstfeindlichkeit der katholischen Kirche. Das Berliner Literaturfestival wird allenthalben wohlwollend resümiert.

Welt, 18.09.2007

Der Krimiautor Petros Markaris malt nach dem Wahlsieg Kostas Karamanlis' ein düsteres Bild seines Landes: "Griechenland steckt in seiner tiefsten Krise seit der Militärdiktatur. Es ist eine soziale, eine politische und eine Umweltkrise. Sie wird von einer eigenartigen Mitschuld der Bürger, der Städte und Kommunen, der politischen Parteien und letztendlich (je)der Regierung mitgetragen. Alle sind an der Korruption beteiligt und nicht nur bestimmte Kreise, die von der Regierung favorisiert werden, alle haben ihren Anteil an den Bränden, die im Sommer große Teile des Landes verwüstet haben, fast alle sind darauf aus, sich zulasten der Gesellschaft, des Staates und der Natur zu bereichern."

Weitere Artikel: Peter Dittmar schreibt anlässlich der Äußerungen Kardinal Meisners eine kleine Geschichte des Verhältnisses der Kirche zu den Bildern. Eckhard Fuhr entlarvt auch das Kreditwesen als eine Sache des Glaubens: "Fehlt der Glaube, bilden sich Schlangen." Stefan Woldach unterhält sich mit dem Popsänger James Blunt. Martin Schwickert resümiert das Filmfestival von Toronto.

Besprochen werden neue Opern-DVDs, Konzerte des Berliner Musikfests (bei dem die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle laut Kai Luehrs-Kaiser und Volker Tarnow nicht unbedingt als das beste der Orchester abschnitten) und eine ZDF-Dokumentation über die Rätsel der Ermordung J. F. Kennedys.

Auf der Magazinseite berichtet Ulli Kulke, dass die legendenumwobene Nordwestpassage als Folge des Klimawandels zumindest in den Sommermonaten eine preiswerte Alternative zum Panamakanal bieten könnte.

FR, 18.09.2007

Im Interview mit Arno Widmann erklärt Rüdiger Safranski anlässlich seines neuen Buchs, warum 68 für ihn eine romantische Bewegung war. "Bis hin zur RAF. Die beschrieb in ihren internen Zirkularen im Anschluss an Melvilles Roman ihren Kampf als den gegen den weißen Wal. Diese Art, das politische Geschehen zu überblenden mit literarischen Bildern und so dem politischen Geschäft eine tiefere Bedeutung zu geben, die hat Novalis so beschrieben: 'Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.'"

Weiteres: Jörg Biesler bescheinigt Peter Zumthors neuem Kunstmuseum für das Erzbistum Köln eine "auratische" Wirkung. In einer Times mager empfiehlt Daland Segler die "Tatort"-Ausgabe der Zeitschrift du (mehr in unserer Magazinrundschau).

Besprochen werden Juli Zehs Science-Fiction-Theaterstück "Corpus Delicti" im Essener Maschinenhaus Zeche Carl, Sasha Waltz' choreografische Inszenierung von Dusapins "Medea" in der Berliner Staatsoper, Anna Viebrocks Inszenierung von Paul Dukas' "Ariane et Barbe-Bleue" in der Pariser Opera Bastille und Bücher, nämlich Naomi Kleins nicht ganz "brandneue" Thesen zum "Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus" und Julia Francks Roman "Die Mittagsfrau" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 18.09.2007

Wiebke Porombka resümiert sehr zufrieden das Internationale Literaturfestival in Berlin und schickt ein dickes Lob an Festivalchef Ulrich Schreiber: "Schreiber ist eben Enthusiast. Und was sich spätestens im letzten Jahr angedeutet hat, das hat sich beim diesjährigen siebten Internationalen Literaturfestival, das am Wochenende zu Ende ging, bestätigt. Schreibers Enthusiasmus hat sich nicht nur auf sein Team übertragen (gern genannt werden in diesem Zusammenhang die knapp 60 vorzugsweise weiblichen Praktikantinnen). Sondern dieser Enthusiasmus ist auch in eine Produktivität und Professionalität umgewandelt worden, die durchaus beachtlich ist. Das gilt für das Festival als Ganzes: Das Programm ist deutlich verschlankt worden, und durch die Anbindung an die Berliner Festspiele hat das Festival neben der inhaltlichen auch eine örtliche Konzentration bekommen. Vor allem aber gilt das für die einzelnen Veranstaltungen. Fast immer traf man auf Moderatoren, die nicht nur glänzend vorbereitet waren, sondern die den geladenen Autoren mit einer Emphase begegneten, als wären sie allesamt durch Schreibers Schule des enthusiastischen Gastgebers gegangen."

Weiteres: Konzerte werden im Musikgeschäft von Jahr zu Jahr wichtiger, beobachtet Thomas Winkler. "Die ersten Firmen haben nun begonnen, sich mit den Plattenverträgen einen zehn- bis zwanzigprozentigen Anteil an den Gagen ihrer Künstler zu sichern. Eine zuvor weitgehend unübliche Praxis." Hans-Christoph Zimmermann porträtiert Johan Simons und sein Theater NTGent, die derzeit gerade Tankred Dorsts "Merlin oder Das wüste Land" für die Ruhrtriennale einstudieren. In der Reihe "warenkunde" beobachtet Wolfgang Ullrich, wie schnell Protest heute kommerzialisiert wird. Eine Besprechung widmet sich dem kommentierten Verzeichnis der Bibliothek Bertolt Brechts (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

In der zweiten taz verurteilt Claudia Richter die irreführende Berichterstattung der türkischen Medien über die Skulpturen der pakistanischen Künstlerin Hamra Abbas. Im Meinungsteil weist die Autorin Claudia Pinl Alpha-Mädchen und Feministinnen auf Gemeinsamkeiten hin und rät zur Zusammenarbeit.

Und Tom.

FAZ, 18.09.2007

Für den Kunsthistoriker Werner Spies bringt Kardinal Meisners Wort von der "entarteten Kultur" nur an den Tag, was bisher gut verborgen lag: die Ahnungslosigkeit, mit der die katholische Kirche der modernen Kunst gegenübersteht: "Mit diesem Angriff auf Richters Werk, auf Richters Lebenswerk zerbricht die Heuchelei, die in den letzten fünfzig Jahren wohl nur deshalb so gut wie allem mit Liberalität zu begegnen gezwungen war, weil hinter einer weiteren Ächtung der Moderne die Schande des tödlichen Wortes, die Niedertracht vom 'Entarteten' lauerte. Einen solchen Aufruhr konnten weder Picassos Variationen über die Kreuzigungsszene in Grünewalds Isenheimer Altar noch Dalis 'Corpus Hypercubus' zustande bringen. Sie drangen nie in den Kirchenraum vor. Man reibt sich dankbar die Augen, dass ein kapitales Werk, das in einem Umfeld auftaucht, das uns allen gehört, das uns alle betrifft, nun zu einer Stellungnahme auffordert."

Weitere Artikel: Der Geschichte der US-Gerichtsurteile in Sachen "affirmative action" - also der systematischen Bevorzugung systematisch benachteiligter Minderheiten - geht Patrick Bahners nach. Gerhard Rohde porträtiert den estnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür, der im Zentrum des diesjährigen Frankfurter "Auftakt"-Festivals steht. In der Leitglosse macht sich Jürgen Kaube darüber Gedanken, ob der ganz spezielle Geist von "Manufactum" (Website) sich nach dem Verkauf an den Otto-Versand wohl verflüchtigt. Hildegard Wiegel erinnert an den Reisenden und Kunstsammler Frederick Augustus Hervey, Earl of Bristol. Karen Krüger hat sich mit Hou Hanru, dem Kurator der Kunst-Biennale von Istanbul unterhalten, der feststellt: "Die türkische Moderne steckt in einer Krise. Stattdessen wächst der Einfluss des politischen Islam." Klaus Ungerer berichtet wieder aus dem Amtsgericht Moabit, wo es diesmal um eine Kaninchenhinrichtung ging. Uta Bilow stellt den Chemiker Martin Jansen vor.

Auf der DVD-Seite werden zwei Filme von John Cassavetes, frühe Filme von Andreas Dresen und eine DVD-Edition von Frank Hurleys "South" aus dem Jahr 1916 empfohlen.

Besprochen werden das Debütalbum "Ekvilibrium" des als Produzent längst sehr erfolgreichen Isländers Valgeir Sigurdsson, die Uraufführungen neuer Stücke von Juli Zeh und Lutz Hübner in Essen, die Mainzer Theater-Version des Films "Requiem", ein Konzert von Keren Ann in Frankfurt und ein Buch, nämlich Helmut Kraussers Roman "Kartongeschichte" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Sehr schön die Erschaffung Adams in der neuen Comicserie "Prototyp" von Ralf König: "Das ist Dein Ebenbild... ein Affe?", staunt die Schlange Luz.

NZZ, 18.09.2007

Martin Meyer erinnert an Leben und Werk des Schweizer Germanisten und Historikers Karl Schmid, der heute 100 Jahre alt geworden wäre. Sieglinde Geisel hörte beim Berliner Literaturfestival einem Streitgespräch über die linken Bewegungen in Lateinamerika zu - "freilich fehlte ein Lateinamerikaner auf dem Podium". Markus Ganz sah im Stade de Geneve die "würdige Wiedervereinigung" von The Police ("ungestüm wie Jungspunde, die die Welt erobern wollen"). Jürg Huber berichtet vom letzten Abend des Lucerne Festivals, an dem die San Francisco Symphony und das London Symphony Orchestra Mahler und Dvorak nicht gerecht werden konnten. Christoph Ballmer feiert das kleine Theater Biel Solothurn, das Händels Kammerdrama "Orlando" aufführte. Georges Waser informiert über den neuen Studiengang "Shakespeare Authorship Studies" an der University Brunel.

Besprochen werden Bücher, darunter Urs Hafners kleine Geschichte des Zürcher Großmünsters, Moshe Idels Buch "Der Golem" sowie die jetzt auf Deutsch erschienenen "Gespräche" des französischen Schriftstellers Julien Gracq. (Mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

SZ, 18.09.2007

Im Literaturteil resümiert Hans-Peter Kunisch das Internationale Literaturfestival Berlin, in dessen Rahmen etwa Benjamin Kunkel im Gefängnis Tegel las. "Die 40 Gefangenen, die sich völlig freiwillig zur Lesung eingefunden hatten, fanden den verschachtelten Text zwar manchmal etwas 'deutsch', schätzten es aber offensichtlich, dass zwei feine Jüngelchen zu ihnen kamen, die ihnen ein Abonnement von n+1 versprachen und wohl noch lange von ihren Stunden in einem deutschen Gefängnis erzählen werden."

Weiteres: Bei der Entführung von Hanns-Martin Schleyer entwickelte die RAF eine noch heute für den Terrorismus gültige Medienstrategie zwischen Demütigung und Mitleid, schreibt die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk. Als unwissenschaftlich und schwammig winkt der Politologe Thomas Risse John Mearsheimers und Stephen Walts Angriff auf die "Israel-Lobby" durch. Joachim Kaiser empfiehlt in einer "Zwischenzeit" Gregor von Rezzoris wieder aufgelegte autobiografische Skizzen "Blumen im Schnee". Gerhard Matzig ist gespannt, wie die Konsumenten auf die endgültige Übernahme von Manufactum durch den Versandhändler Otto reagieren. Johannes Boie schreibt über kritische Trendkäufer technischer Spielereien.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Zeichnungen des Südafrikaners Robin Rhode im Münchner Haus der Kunst, ein "großer" Berliner Konzertabend mit den Berliner Philharmonikern, Simon Rattle, Debussy und Sibelius, Julien Greens "Ein Morgen gibt es nicht" am Theater Basel und Matthias Hartmanns "Ödipus" nach Sophokles in Zürich, das Album "Calling The World" der kalifornischen Band Rooney, Cecilia Bartolis CD "Maria" (die Bellini-Passagen sind laut Reinhard J. Brembeck keine ernstzunehmende Alternative zur Callas), Erica von Moellers Roadmovie "Hannah" und Bücher, nämlich Silvia Naefs "kurzes, aber gewichtiges" Buch "Bilder und Bilderverbot im Islam" und Chimamanda Ngozi Adichies Roman "Die Hälfte der Sonne" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).