Magazinrundschau
Zuerst Piraten, dann Lords
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
21.10.2008. Im Nouvel Obs erklärt Olivier Roy, warum Fundamentalisten jeder Couleur Kultur ablehnen. In Atlantic feiert Andrew Sullivan das goldene Zeitalter des Journalismus. In ADN cultura fordert Paolo Coelho, im Umgang mit dem Internet von den britischen Piraten zu lernen. Für Commentary ist die Finanzkrise staatsgemacht. Für den Economist ist der Fall Kundera nur ein Tröpfchen in einer Giftwolke.
Nouvel Observateur (Frankreich), 16.10.2008

The Atlantic (USA), 01.11.2008

Weitere Artikel: James Fallows wundert sich über die plumpe und sich selbst ein Bein stellende Selbstdarstellung der Chinesen. Warum die Flughafenkontrollen schlicht für die Katz sind, erzählt Jeffrey Goldberg, der unter anderem ohne aufzufliegen zwei Dosen Budweiser Light in einem falschen Bierbauch aus Neopren durch die Kontrolle brachte. Paul Bloom offeriert neueste Erkenntnisse zum Ich (als erste Person Plural). Sandra Tsing Loh kommentiert Dee Dee Myers Buch "Why Women Should Rule the World", "ob der Leser es will oder nicht". Christopher Hitchens, der Frenchs Biografie gelesen hat, schaudert es vor V.S. Naipaul.
ADN cultura (Argentinien), 19.10.2008
Susana Reinoso führt ein Interview mit dem brasilianischen Autor Paolo Coelho, der sich auf der Frankfurter Buchmesse für die ersten 100 Millionen verkauften Exemplare seiner Werke feiern ließ: "Keine Ahnung, was ein Argentinier, ein Norweger und ein Chinese gemeinsam haben, aber sie alle lesen mich. Das lässt hoffen: Es gibt immer noch die Brücke der Kultur. Während alles zugrunde geht - die Wirtschaft und die Politik -, sind die Leute trotzdem imstande, sich mit Hilfe der Geschichten, der Literatur, der Malerei, der Musik zu verständigen. Was die Internetpiraterie betrifft: Das lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Aber keine Angst: Wenn alle Piraten sind, muss man eben ein neues System schaffen. Das Illegale wird legal. Sehen Sie, wie es mit den Engländern war: Zuerst waren sie Piraten, dann Lords, und so schufen sie ein Weltreich. Internet ist ein sehr positives und starkes Instrument sozialer Aktivität. Ich bin täglich drei Stunden im Internet. Die einzige Gefahr sehe ich in den Suchmaschinen, da kann man manipulieren. Das Buch hat trotzdem weiterhin einen besonderen Wert im Internet: Was man auf dem Markt nicht findet, findet man dort."
Commentary (USA), 01.11.2008
Der Wirtschaftsjournalist John Steele Gordon sieht die gegenwärtige Finanzkrise nicht als Resultat eines losgelassenen Kapitalismus, sondern im Gegenteil als Folge des Versagens der quasi staatlichen, nur scheinbar unabhängigen Banken Fannie Mae und Freddie Mac, die auf Weisung der Politiker - unter anderem im Rahmen der "affirmative action" - Schulden in nie gekanntem Maße anhäuften und dabei "politisch bis in die Fingerspitzen" waren: "2007 wurden Fannie und Freddie 1.200 Milliarden Dollar an Außenständen in Hypotheken zugeschrieben". Nach Neuregulierungen in der Clinton-Ära "durften Fannie und Freddie das bis zu Vierzigfache ihres Kapitals in Hypotheken investieren. Normale Geschäftsbanken waren dagegen auf das Zehnfache ihres Kapitals begrenzt. Kurz gesagt erlaubte die Regierung Fannie und Freddie eine flagrante Unterkapitalisierung, um so die Zahl der Hypotheken erhöhen zu können - somit waren sie gegen die Pleite nicht mehr versichert... Dies war schlimm genug, aber die Politik machte es noch schlimmer. Fannie und Freddie gehörten bald zu den größten Finanzinstituten auf der Welt, aber anders als andere profitorientierte Institute hatten sie ihre Hauptquartiere in Washington, D.C. Managment und Aufsichtsrat kamen aus der politischen Welt. Und einige waren korrupt... Beide Firmen vergaben großzügig Spenden, vor allem an Kongressmitglieder, die in ihren Kontrollgremien saßen."
London Review of Books (UK), 19.10.2008

Weitere Artikel: Frank Kermode hat Philip Roths jüngsten Roman "Indignation" gelesen und sortiert ihn ein ins Gesamtwerk des Autors. David Runciman schildert sein langjähriges Leben und Leiden mit dem jetzt nicht mehr existenten Fußballverein FC Wimbledon. Die Londoner Rothko-Ausstellung hat Peter Campbell besucht. Jeremy Harding schreibt über Ezra Pounds Aufenthalt in Rapallo.
La vie des idees (Frankreich), 17.10.2008
Man spricht angesichts der Finanzkrise so gern von der Rückkehr des Staates, notiert der Philosoph und Theoretiker der Civil Society Bruno Bernardi, aber ganz so einfach sei es nicht: "Die Verstaatlichungen, ob teilweise oder vollständig, offen oder bemäntelt, die wir gerade erleben, erstrecken sich alle auf Finanzunternehmen. Sie stellen also nach Lage der Dinge weder die Rückkehr einer staatlichen Wirtschaft dar, noch die Rückkehr des Staat als Unternehmer, sondern etwas grundlegend Neues: die Institution des Staats, der einen Finanzmarkt leitet, was folglich den Umbau des Markts in eine staatliche Institution bedeutet oder den des Staats in eine Einrichtung des Markts."
Outlook India (Indien), 27.10.2008

Krytyka Polityczna (Polen), 20.10.2008

Economist (UK), 17.10.2008

In weiteren Artikeln geht es unter anderem um die mögliche Verwendung von Papier als Transistor und die Geschäftserfolge des Paten des Hip-Hop Russell Simmons. Besprochen werden eine Biografie (Verlagsseite) des Milliardärs Warren Buffett, Alexander Roses Geschichte des "Amerikanischen Gewehrs", Ted Gioias Blues-Chronik "Delta Blues" und eine Ausstellung mit Renaissance-Porträts in Londoner National Gallery.
In der Titelgeschichte "Auf Abstand zum Kapitalismus" erklärt die Zeitschrift, "was schief gelaufen ist, und - noch wichtiger für die Zukunft - was nicht." Mit seinen wirtschaftlichen Prognosen für die Zukunft lag der Economist ja bisher gar nicht schlecht.
Espresso (Italien), 17.10.2008

Elet es Irodalom (Ungarn), 17.10.2008

Figaro (Frankreich), 16.10.2008
In einem Interview spricht der Mittelalterexperte Jacques Le Goff über die "Rätsel", welche die Geschichte unaufhörlich aufgibt, und die Beharrlichkeit, mit der sich Legenden und falsche Behauptungen in der Historiker-Zunft halten. So werde das Bild vom barbarischen Mittelalter keineswegs nur von Ungebildeten immer wieder aufgewärmt, sondern auch von "gelehrten Leuten wie kürzlich wieder Alain Minc oder Jacques Attali. (...) Interessanterweise reichert man eher Persönlichkeiten mit Geheimnissen an, die man gut kennt - zum Beispiel im Fall von Napoleon, von dem man sicher weiß, dass er 1821 an Krebs gestorben ist und keineswegs mit Arsen vergiftet wurde, wie manche behauptet haben -, als solche, deren Biografie verschwommen ist. Vielleicht deshalb, weil einen bei den Personen, die uns faszinieren, die Realität nicht befriedigt, sobald sie einmal erwiesen ist. Man zieht es vor, sich weiter etwas auszudenken..."
New York Review of Books (USA), 06.11.2008
Robert English erinnert an den Chauvinismus, mit dem Georgiens erster Präsident Swiad Gamsachurdia die Abchasen und Osseten nachhaltig verschreckt hat: "Der UdSSR zu entkommen, war das vorrangige Ziel, begleitet von einer romantischen Idee des geeinten georgischen Nationalstaat. Die dunkle Seite dieser Vision war der Wunsch, Rechnungen mit denjenigen Minderheiten zu begleichen, denen man vorwarf, auf Georgiens Kosten von der Kreml-Politik des 'Teile und Herrsche' profitiert zu haben, vornehmlich Abchasen und Osseten. Diese Gruppen wurden von Gamsachrudia als 'undankbare Gäste' im georgischen Haus geschmäht."
Die beiden "Human-Rights-Watch"-Mitarbeiter, Jose Miguel Vivanco und Daniel Wilkinson, berichten, wie sie mit großem Aplomb aus Venezuela ausgewiesen wurden, nachdem sie die Politik von Präsident Hugo Chavez kritisiert hatten. "Warum hat Chavez das getan? Ein Brasilianer in dem Flugzueg, mit dem wir das Land verlassen mussten, bot eine in Lateinamerika weitverbreitete Sicht an: 'Chavez ist verrückt.' Aber die Menschenrechtsaktivisten, mit denen wir in Venezuela arbeiten, ziehen einen weitaus nüchterneren Schluss. In ihren Augen hat Chavez seinen Landsleuten eine wohlüberlegte Botschaft gesandt: Er wird nicht zulassen, dass sich ihm die Menschenrechte in die Quere stellen."
Weiteres: Der Philosoph Kwame Anthony Appiah lernt aus David Leverings "God's Crucible", welchen Anteil der Islam an der Identitäts Europas hatte: Es waren andalusische Chronisten, die nach Karl Martells Sieg bei Poitiers 754 von den "Europäern" sprachen - was Appiah feststellen lässt: "Es gab Europäer, bevor es Franzosen oder Deutsche oder Italiener oder Spanier gab." Amy Knight stellt Eric Krauts Dokumentarfilm über den Mord an Anna Politkowskaja "Letter to Anna" vor. Eliot Weinberger erinnert an die große Zeit der Tang Dynastie. Harold Bloom liest Max Weinreichs Geschichte "The Yiddish Language". Die Prominenz der intellektuellen Linken - von Joan Didion bis Paul Krugman - liefert außerdem kurze Notate zu der Frage, was bei den amerikanischen Wahlen auf dem Spiel steht.
Die beiden "Human-Rights-Watch"-Mitarbeiter, Jose Miguel Vivanco und Daniel Wilkinson, berichten, wie sie mit großem Aplomb aus Venezuela ausgewiesen wurden, nachdem sie die Politik von Präsident Hugo Chavez kritisiert hatten. "Warum hat Chavez das getan? Ein Brasilianer in dem Flugzueg, mit dem wir das Land verlassen mussten, bot eine in Lateinamerika weitverbreitete Sicht an: 'Chavez ist verrückt.' Aber die Menschenrechtsaktivisten, mit denen wir in Venezuela arbeiten, ziehen einen weitaus nüchterneren Schluss. In ihren Augen hat Chavez seinen Landsleuten eine wohlüberlegte Botschaft gesandt: Er wird nicht zulassen, dass sich ihm die Menschenrechte in die Quere stellen."
Weiteres: Der Philosoph Kwame Anthony Appiah lernt aus David Leverings "God's Crucible", welchen Anteil der Islam an der Identitäts Europas hatte: Es waren andalusische Chronisten, die nach Karl Martells Sieg bei Poitiers 754 von den "Europäern" sprachen - was Appiah feststellen lässt: "Es gab Europäer, bevor es Franzosen oder Deutsche oder Italiener oder Spanier gab." Amy Knight stellt Eric Krauts Dokumentarfilm über den Mord an Anna Politkowskaja "Letter to Anna" vor. Eliot Weinberger erinnert an die große Zeit der Tang Dynastie. Harold Bloom liest Max Weinreichs Geschichte "The Yiddish Language". Die Prominenz der intellektuellen Linken - von Joan Didion bis Paul Krugman - liefert außerdem kurze Notate zu der Frage, was bei den amerikanischen Wahlen auf dem Spiel steht.
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