Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
29.08.2006. Die Verfilmung von Patrick Süskinds Roman "Das Parfum" läuft zwar erst in ferner Zukunft an, aber die Zeitungen sind jetzt schon voll. In der FAZ erklärt Produzent Bernd Eichinger den spezifischen Heroismus dieses Filmprojekts. Die SZ gähnt aber schon: Weltliteraturverfilmung! Die Welt feiert das neue Album von Outkast als das zauberhafteste der Saison. In der SZ kritisiert der ehemalige Direktor des deutsch-russischen Museums in Berlin-Karlshorst Peter Jahn die Vetriebenenausstellung "Erzwungene Wege", die die sowjetischen Opfer vergesse. Der Tagesspiegel verabschiedet den Senatsbaudirektor Hans Stimmann, der sich sein Leben lang an der Berliner Traufhöhe festhielt.

Welt, 29.08.2006

Michael Pilz empfiehlt allen Liebhaber der schwarzen Musik, die "der langen Autos überdrüssig ist, die wummernd durch die Videofilme gleiten, der Bikinimädchen und der einschüchternden Zuhälterfiguren" überdrüssig sind, das Album "Idlewild" des Duos Outkast. Und zwar als "die zauberhafteste und originellste Schallplattenaufnahme dieses an gelungenen Black-Music-Alben bereits reichen Sommers".

Weiteres: Pilz erinnert auch an das letzte Konzert, das die Beatles vor vierzig Jahren in San Francisco gaben. Stefan Kirschner resümiert die gestrige Debatte im Berliner Kulturausschuss zur Rückgabe des Kirchner-Gemäldes "Berliner Straßenszene". Guido Graf schürt die Vorfreude auf Thomas Pynchons neuen Roman "Against The Day", der nichts weniger als die Geschichte des Computers neu schreiben wird und in Göttigen spielt..

Katharina Rutschky watscht noch einmal Eva Hermann für ihre blamablen Thesen zur Rolle der Frau ab. Vor dem Start von M. Night Shyalamans Filmmärchen "Das Mädchen aus dem Wasser" informiert Rüdiger Sturm über den Knatsch zwischen Disney und dem recht anstrengenden Regisseur. Andre Mielke stimmt uns auf Guido Knopps neue Historiensendung "Majestät!" ein, die heute mit der schwedischen Monarchie den Anfang macht. Eckhard Fuhr preist die Ausstellung "Arme Schweine" im Schloss Neuhardenberg.

FAZ, 29.08.2006

Kinomagnat Bernd Eichinger darf im Gespräch mit Michael Althen und Verena Lueken das heroische Unterfangen der Verfilmung von Patrick Süskinds "Das Parfüm" erklären: "Beim 'Parfum' standen wir damit erst einmal vor einem riesengroßen Berg von Problemen, und wir mussten alle Regeln des Filmemachens brechen, um sie zu lösen. Es gibt hier keinen Kampf zwischen Gut und Böse. Es gibt keinen Protagonisten, der für das Gute kämpft. Es gibt keine Liebesgeschichte, es gibt noch nicht einmal eine Geschichte, wenn Sie so wollen, denn es gibt keine Konflikte."

Weitere Artikel: Jürgen Kaube meditiert in der Leitglossse über die Frage "Macht Lotto süchtig?". Teresa Grenzmann verfolgte das Erlanger Poetenfest. Richard Kämmerlings flaniert über die Kölner Popmesse "c/o Pop". Wiebke Huester schreibt zum Tod der Tänzerin Heidrun Schwaarz.

Auf der Medienseite begründet Norbert Schneider, Direktor der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen (lfm-nrw), "warum wir ein neues Medienrecht brauchen" - und zwar schon weil sich für das eigene Berufsfeld schwierige Perspektiven öffnen: "Die Globalisierung der Medien, Ursache und Effekt der Digitalisierung in einem, lässt den regionalen Regulierer provinziell aussehen." Darum fordert Schneider eine neue Medienanstalt der Länder, die ein neues "Regulierungsparadigma" entwickelt. Außerdem stellt Jordan Mejias Spike Lees Dokumentarfilm über den Hurrikan Katrina vor. Und kkr meldet, dass die FR demnächst als Tabloid erscheinen soll.

Für die letzte Seite besucht Wolfgang Schneider die Stadt Spremberg im Lausitzer Braunkohlerevier, wo einst der junge SS-Schütze Günter Grass unter Beschuss der Roten Armee lag: "Manche Spremberger sprechen in beinahe vertraulichem Ton von den 'Frundsbergern'. Tausende dieser Waffen-SS-Division sind bei den Kämpfen in der Region gefallen und geben gewissermaßen bis heute keine Ruhe. Denn im Zuge des Braunkohletagebaus werden immer wieder Leichen aus dem April 1945 gefunden." Heinrich Wefing resümiert eine Tagung des Berliner Abgeordnetenhauses über die verlorene und auch von keinem Mäzen zurückgekaufte "Straßenszene" Ernst Kirchners. Und Edo Reents stellt die sehr junge Autorin Nora Bossong (ein Text, ein Gedicht) vor, auf deren nur 130 Seiten dickes Debüt "Gegend" die Frankfurter Verlagsanstalt große Hoffnungen setzt.

Besprochen werden neue Aufnahmen von Beethovens "Missa solemnis" und Schubert-Messen, eine Ausstellung über den frühen Renaissance-Maler Lorenzo Monaco in Florenz und das erste Saisonkonzert des Konzerthausorchesters unter Lothar Zagrosek in Berlin.

SZ, 29.08.2006

Peter Jahn, ehemals Direktor des deutsch-russischen Museum in Berlin-Karlshorst wirft der Vertreibungsausstellung "Erzwungene Wege" einen blinden Fleck im Geschichtsbild vor: Im Panorama der Vertreibungen fehlen die Russen: "Die sachlich nicht zu begründende Beschränkung auf ethnisch definierte Vertreibung scheint nur ein Grund zu sein. Das vollständige Ausblenden sowjetischer Opfer, das wohl kaum in eklatanter Unkenntnis begründet ist, legt eine andere Vermutung nahe: Die Vertreibung der Deutschen aus den östlichen Provinzen am Ende des Krieges hat eine unmittelbare Vorgeschichte mit den Deutschen als Tätern." Zwar werde diese Täterschaft gegenüber den Polen anerkannt, aber nur indem man eine "Gemeinsamkeit beider Opfergruppen gegenüber der Sowjetunion konstruiert, die hier ausschließlich als Täter gezeigt wird".

Peter Laudenbach sieht die Brecht-Spektakel am Berliner Ensemble als Balsam für einen gewissen Kulturkonservatismus: "Nirgends werden diese Klassenkampf-Idyllen so liebevoll ausgepinselt wie am Berliner Ensemble. Unter Claus Peymann ist das BE wieder zu dem geworden, was es zu seinen großen Zeiten war: Ein Disneyland der Ideologie, in dem die Zumutungen einer komplizierten Wirklichkeit rückstandsfrei weich gespült werden." Hier hat der Haifisch dritte Zähne!

Weitere Artikel: Wirklich begeistern kann die Verfilmung des "Parfum" (die erst in zwei Wochen anläuft) den SZ-Kritiker Fritz Göttler nicht: "Ein tolles kleines dirty movie hätte das werden können, wie man sie einst in den Vierzigern, später noch mal in den Siebzigern machte. Eichinger und die Münchner Constantin aber setzten aufs Genre Weltliteraturverfilmung..." Sonja Zekri kommentiert den Rücktritt des irakischen Chefarchäologen Donny George Youkhanna, der unter anderem geht, weil sich in der irakischen Politik immer stärker islamistische Tendenzen durchsetzen, die auf vorislamische Kunstwerke nichts geben. Wolfgang Schreiber kommt noch einmal auf den Skandal bei der Eröffnung des Kunstfests Weimar zurück und bespricht erste Ereignisse des Festivals. Thomas Thieringer unterhält sich mit Regine Lutz, der letzten lebenden künstlerischen Weggefährtin Bertolt Brechts. Sonja Majjumber erzählt in der Reihe zum Buchmessenschwerpunkt Indien eine Geschichte des Hindi-Kinos, das unter dem Spitznamen Bollywood inzwischen weltweit Erfolge feiert. Carlos Widmann schreibt zum Tod Akbar Bugtis, des "Tiger von Belutschistan" und alten Stammesfürsten, der auch Osama bin Ladens Leuten Asyl gewährte - er ist bei einer Razzia der pakistansichen Armee ums Leben gekommen. Und Reinhard J. Brembeck schreibt zum Tod der großen Flamenco-Sängerin Fernanda de Utrera. Auf der Literaturseite bespricht Hannelore Schlaffer einige Bände der Gesamtausgabe mit Werken Karoline von Günderrodes.

Besprochen wird Roger Norringtons Neueinstudierung des "Idomeneo" in Salzburg.

NZZ, 29.08.2006

Markus Jakob besucht den spanischen Regisseur Calixto Bieito bei den Proben zu seiner Adaption von Michel Houellebecqs Sextourismus-Roman "Plattform": "'Plattform' ist für ihn eine der großen Liebesgeschichten der Gegenwart, 'die schönste vielleicht seit Bertoluccis Letztem Tango'." Thomas Sprecher freut sich, dass Davos nun endlich einen Thomas-Mann-Weg bekommen hat: ein Teilstück des Promenadenwegs wurde umbenannt.

Besprochen werden die Ausstellung "Macht und Pracht" mit Kunsthandwerk aus dem 19. Jahrhundert in der Völklinger Hütte und Bücher, darunter Jochen Hörischs Aufruf zur Rettung der Alma Mater "Die ungeliebte Universität" und Martin Pollacks Anthologie "Sarmatische Landschaften"

FR, 29.08.2006

Klaus Walter hat seine Zweifel, ob die Kritik am "Umbau von New Orleans zum Themenpark" berechtigt ist. "Die verführerische Lüge vom multilingualen Big Easy samt ihrer pittoresken Folklore schreit nach kulturindustrieller Verwertung. Alles so schön authentisch hier! Ist die Begeisterung weißer Musik-Gourmets für den bunten Patchwork-Sound von N'awlins nicht eine besonders abgeschmackte und abgeschmeckte Variante des Multikultikitschs? Sind nicht genau diese Gourmets - wir? - die nützlichen Idioten für das, was Politik und Wirtschaft hier anvisieren: eine Sezession der Wohlhabenden, Flut sei Dank? Wer das Drama von Katrina nur an der Colour-Line festmacht, vernachlässigt die Ökonomie. Auch der afroamerikanische Mittelstand will die schwarzen Ghettos hinter sich lassen."

Weitere Artikel: Christian Schlüter ärgert sich über den Eiertanz, den die deutsche Regierung - und ganz Europa - über die Einsatztruppe im Libanon aufführen. Abgedruckt ist die Rede, die Frankfurts Kulturdezernent Felix Semmelroth zur Verleihung der Goethe-Plakette an Peter Iden hielt. In Times Mager grübelt Hans-Jürgen Linke über den Begriff "Verlässliche Schule".

Besprochen werden der französische Film "Ein perfekter Platz" von Daniele Thomson und George Taboris Inszenierung von "Brechts Antigone des Sophokles" am Berliner Ensemble.

TAZ, 29.08.2006

Wolfgang Ullrich erklärt in der taz-Reihe über Kritik, wie er sich als Freelancer mit dem Konstrukt der Ironie über die Notwendigkeit tröstet, sich den jeweils verschiedenen Weltsichten seiner Auftraggeber unterwerfen zu müssen. "Ich habe mich gelegentlich schon dabei ertappt, bewusst starke Kontraste zu suchen und ein Angebot vor allem deshalb anzunehmen, weil es die Vielseitigkeit meines Portfolios erhöht."

Weitere Artikel: In taz zwei schweigt Klaus Harpprecht über Grass und polemisiert statt dessen gegen Georg Klein, der in der Literarischen Welt den allmählichen Abgang der Flakhelfer-Generation herbeigesehnt hatte. Die russische Künstlerin Ekaterina Beliaeva verarbeitet die Erkenntnis, dass ihre russischen Freunde in Moskau Geld machen, während sie in einer Dachwohnung in Berlin-Mitte vegetiert. Brigitte Werneburg kritisiert die Äußerungen des Berliner Kunstmagnaten und Anwalts Peter Raue zur Rückgabe von Ernst Ludwig Kirchners "Straßenszene". Besprochen werden die Ausstellung "Seek the extremes", die die Wiederentdeckung der Künstlerinnen Dorothy Iannone und Lee Lozano feiert, in Wien und Spike Lees Dokumentarfilm über den Orkan "Katrina", der heute im amerikanischen Fernsehen läuft.

Und Tom.

Tagesspiegel, 29.08.2006

Bernhard Schulz verabschiedet den Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann, der im September in den Ruhestand tritt und nach fünfzehn Jahren im Amt Berlin in wohlgeordneter Architektur hinterlässt: "Bald kam der Begriff des 'steinernen Berlin' auf, um Stimmanns unerbittliche Gestaltungsvorgaben zu kennzeichnen und mehr noch zu geißeln: Einhaltung der Baufluchtlinien und damit des überkommenen Stadtgrundrisses, Beschränkung der Traufhöhe auf das Altberliner Maß von 22 Metern, steinerne Fassaden mit stehenden Fenstern, Einteilung der Baufronten in Sockel, Hauptzone und Dachabschluss. Das war für die Protagonisten einer vibrierenden Megacity kaum zu fassen. Stimmann, der Mann aus Lübeck, gelernter Maurer mit Promotion zum Dr.-Ing., blieb eisern oder auch stur, wie man will - und setzte sich meist, wenn auch gewiss nicht immer, durch."