Heute in den Feuilletons

Ich mache das alles noch viel schöner

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.11.2010. Die NZZ berichtet vom traurigen Niedergang der Basler Zeitung. Außerdem bewundert sie Julius Schulmans ultracoole Architekturfotografien. Die FR würde gern einen Schraubstock in voller Härte genießen. Heise weist auf ein neues Urteil des BGH zum Urheberrecht im Internet hin. Und die FAZ meldet Enthüllungen des Papst-Attentäter Ali Agca im türkischen Staatsfernsehen: "Auf jeden Fall steckt die Regierung des Vatikans hinter dem Attentat."

NZZ, 15.11.2010

Andrea Eschbach berichtet hingerissen Julius Schulmans Architekturfotografien, die im Zephyr Raum für Fotografie in Mannheim zu sehen sind: "'Gott', sagte Julius Shulman einmal, 'hat eine schöne Welt erschaffen, und die Architekten bauen auch tolle Sachen - aber ich mache das alles noch viel schöner.' In der Tat: Nie sah die Moderne verführerischer und glamouröser aus als in Shulmans Fotografien."

Weiteres: Thomas Hermann verbringt einen Abend im Pub mit Edinburgs Literaten. Besprochen werden eine Inszenierung von Rossinis "Guillaume Tell" im Opernhaus Zürich und Frederick Loewes "My fair Lady" in zweifacher Version am Theater Basel.

Trauriger Niedergang einer einst so stolzen Zeitung! Der rechtspopulistische Politiker Christoph Blocher wird über eine Beratungsgesellschaft großen Einfluss auf die Basler Zeitung bekommen, meldet die NZZ am Sonntag. "Alt-Bundesrat und SVP-Stratege Christoph Blocher bestimmt den Kurs der Basler Mediengruppe. Die beiden Aktionäre Tito Tettamanti und Martin Wagner haben der Firma Robinvest nämlich ein umfassendes Beratungsmandat erteilt, wie Recherchen der NZZ am Sonntag ergaben. Verwaltungsratspräsident der Robinvest ist Christoph Blocher, einziges Verwaltungsratsmitglied neben ihm ist seine Tochter Rahel Blocher."

FR, 15.11.2010

Peter Michalzik ärgert sich, dass das Franfurter Schauspiel mit "Die Ängstlichen und die Brutalen" schon wieder ein Stück seines Hausautors Nis-Momme Stockmann in den Sand gesetzt hat: "Ein Stück wie ein Schraubstock, die Inszenierung eine Rührarbeit." Judith von Sternburg schreibt zum hundertsten Todestag Wilhelm Raabes. Auf der Medienseite berichtet Johannes Wetzel von neuen Erkenntnissen im Fall der bespitzelten Journalisten in Frankreich.

Besprochen werden eine Inszenierung von Rossinis "Guillaume Tell" im Opernhaus Zürich, ein Konzert von Hilary Hahn und Neuseelands Sinfonikern in der Alten Oper in Frankfurt und Alexander Osangs Abgesang auf den Prenzlauer Berg "Königstorkinder".

Welt, 15.11.2010

Eckhard Fuhr erinnert an den romantischen Autor Carl Friedrich von Rumohr, der als erster der französischen eine deutsche Kochkunst entgegenstellen wollte und dem in Lübeck eine Ausstellung gewidmet wird: "Heute wäre Rumohr Gastrokritiker in einem der führenden deutschen Feuilletons, ständiger Talkshow-Gast, Ernährungsberater der Bundesregierung..."

Weitere Artikel: Marko Martin erzählt in der Leitglosse, dass Kolumbien auch mit israelischer Hilfe befriedet wurde, wofür dem Land nun mit antisemitischen Graffiti gedankt wird. Hanns-Georg Rodek unterhält sich mit dem Fotografen Steve Schapiro, der für Life fotografierte und dessen Standfotos von "Taxi Driver" gerade als Buch herausgegeben werden.

Besprochen werden Franz Schrekers Oper "Irrelohe" in Bonn und Peter Longerichs Goebbels-Biografie, die offenbar gleich am Erscheinungstag gewürdigt werden muss.

Auf Seite 1 wird ein Artikel der WamS zitiert, wonach Thilo Sarrazin sein Buch "Deutschland schafft sich ab" für die 14. Auflage leicht entschärft hat: "In der 1. Auflage schreibt Sarrazin auf Seite 370: 'So spielen bei Migranten aus dem Nahen Osten auch genetische Belastungen - bedingt durch die dort übliche Heirat zwischen Verwandten - eine erhebliche Rolle und sorgen für einen überdurchschnittlich hohen Anteil an verschiedenen Erbkrankheiten.' In der aktuellen 14. Auflage ist dieser Satz nicht mehr enthalten."

Weitere Medien, 15.11.2010

Der ehemalige Musikproduzent Tim Renner fordert in Irights.info eine Kulturflatrate, allerdings nicht als staatliche Gebühr, sondern als ein Angebot der Internet Service Provider, die den Nutzern gegen eine monatliche Gebühr freien Musikdownload bieten sollen. Dafür müssten allerdings die Verwerter die Nutzung im Netz gestatten: "Im Gegenzug müssten sich die Internet-Service-Provider (Deutsche Telekom, Vodafone etc.) dazu bereit erklären, für all diesen Content Angebote in Form von Flatrates zu entwickeln, ihren Kunden zusammen mit ihren Anschlüssen anzubieten und mit den Produzenten bzw. Rechteinhabern gemäß realer Downloadzahlen 'pro rata numeris' (im Verhältnis zur Anzahl) abzurechnen." Den Text hat Renner auf einer netzpolitischen Tagung der Grünen vorgetragen."

TAZ, 15.11.2010

Elias Kreuzmair schildert die Gentrifizierung im Münchner Stadtteil Giesing, die dazu führt, dass alteingesessene Mieter ausziehen müssen. Ingo Arend verfolgte in der Berliner Akademie der Künste eine Debatte über Oskar Negts "politischen Menschen". Gabriele Lesser liest die in Polen erschienen Erinnerungen der polnisch-jüdischen Sängerin Wiera Gran, die Vorwürfe gegen Wladyslaw Szpilman erhebt - den Pianisten, dessen Überleben im Zweiten Weltkrieg von Roman Polanski verfilmt wurde. Petra Schellen berichtet, dass die Stadt Hamburg, die zur Zeit bei Museen drastisch spart, die Präsentation der Sammlung Falckenberg mit angeblich 570.000 Euro monatlich (soll man das glauben?) fördern will.

Und Tom.

Aus den Blogs, 15.11.2010

Über ein wichtiges Urteil des BGH zum Internet berichtet Heise: "Um Urheberrechte zu verletzen, genügt es in bestimmten Fällen, im Web einen Link besonders geschickt auf fremde, urheberrechtlich geschützte Inhalte zu setzen - nämlich dann, wenn man damit Schutzmaßnahmen, die der Rechteinhaber gegen die unbefugte Nutzung seiner Inhalte getroffen hat, bewusst aushebelt."

Und hier ein Trost zum Montag: Cee-Lo Green (feat. Selah Sue) - Please.
Stichwörter: Internet, Urheberrecht

SZ, 15.11.2010

Barbara Gärtner nimmt Position im jüngsten Feminismustreit (obwohl ihn doch Thomas Steinfeld schon als Nebenwiderspruch entlarvt hatte) und wendet sich dabei gegen Kritik an "Kopftuchmädchen": "Dabei geht es kaum einmal um die Bildungschancen von Migranten-Jugendlichen, rekonstruierte Jungfernhäutchen, Ehrenmorde oder Zwangsverheiratung, sondern meist nur um die kulturelle Überlegenheit des Sprechers. Solange man an den muslimischen Männern herumkritteln kann, muss man sich nicht mit den eigenen Töchtern befassen. So wird der Feminismus instrumentalisiert..."

Weitere Artikel: Thomas Steinfeld amüsiert sich über die angeblichen Affären des schwedischen Königs. Willi Winkler liest Peter Longerichs Goebbels-Biografie. Ira Mazzoni berichtet über den Fund von Farbdias eines Fotoamateurs aus dem Jahr 1936, die Aufschluss geben über die damalige Präsentation der Münchner Museen ("Verde antico, fiori di persico, giallo antico: Farben der Stuck-Marmorwände, die bisher nur aus den Baurechnungen bekannt waren, tauchen auf Eschenlohers Dias jetzt erstmals wieder schemenhaft auf.") In den Nachrichten aus dem Netz liest Niklas Hofmann einen Artikel des krebskranken Filmkritikers Roger Ebert über Einsamkeit im Internet, der ihm Hunderte von Kommentaren brachte. Christiane Schlötzer schildert in einer kleinen Reportage, wie ägyptische Rapper gegen das Regime und den Islamismus ansingen. Auf der Literaturseite erzählt Gustav Seibt zum hundertsten Todestag Wilhelm Raabes, wie er, Seibt, sich mit siebzehn an dessen "Stopfkuchen" die Zähne ausbiss ("Und Heinrich Stopfkuchens Monolog ist ein Racheakt: Erst quält er mit Langeweile, dann mit Spannung, am Ende mit Erkenntnis.")

Besprochen werden neue DVDs, neue Inszenierungen am Theater Basel, Anusha Rizvis Film "Live aus Peepli", Nis-Momme Stockmanns neues Stück "Die Ängstlichen und die Brutalen" am Schauspiel Frankfurt und Bücher, darunter Francis Wyndhams Roman "Der andere Garten" (Leseprobe).

FAZ, 15.11.2010

In der vergangenen Woche trat der Papst-Attentäter Ali Agca in der beliebtesten türkischen Talkshow auf und durfte ohne Widerspruch seine Sicht der Tat verbreiten. Karen Krüger würde über die Absurdität der Vorwürfe ja lachen, fürchtete sie nicht, dass es im Land verbreitete Interessen gibt, denen Agcas Unsinn gefällt. Der jedenfalls sagte: "'Auf jeden Fall steckt die Regierung des Vatikans hinter dem Attentat.' Sie habe es geplant, zusammen mit der CIA ('Neunzig Prozent der Agenten sind Katholiken'), um 'das Sowjetimperium aus der Geschichte zu tilgen'. Es sei eine Inszenierung gewesen, 'so wie damals die Nationalsozialisten den Reichstagsbrand inszenierten, um gegen die Juden und Kommunisten vorzugehen.'" Der Papst übrigens, so Agca, war selbst auch eingeweiht. Bezeichnend, so Krüger, dass nach heftigen Protesten ausgerechnet Ministerpräsident Erdogan die Ausstrahlung mit dem Verweis auf die Pressefreiheit verteidigt hat.

Weitere Artikel: Nicht wirklich überzeugt zeigt sich Jordan Mejias von dem Spektakel, das der Modestar Ralph Lauren zur Feier seiner selbst und seines neuen Ladens auf der New Yorker Madison Avenue veranstalten ließ. In der Glosse muss Gina Thomas konstatieren, dass die Opernkenntnisse der Briten sehr auf den Hund gekommen sind. In seiner "Klarer Denken"-Serie warnt Rolf Dobelli diesmal vor dem "Availibility Bias": Wir verschätzen uns gern, weil uns, was uns schneller einfällt, gerne objektiv häufiger vorzukommen scheint. Paul Ingendaay schreibt zum Tod des spanischen Filmregisseurs Luis Garcia Berlanga. Helmut Mayer verfasst den Nachruf auf den Philosophen Ernst von Glasersfeld.

Besprochen werden Marek Janowskis und seines Rundfunk-Sinfonieorchesters "Holländer"-Auftakt einer konzertanten Wagner-Serie in der Berliner Philharmonie, Martin Kloepfers Frankfurter Uraufführung von Nis-Momme Stockmanns neuem Stück "Die Ängstlichen und die Brutalen" (Gerhard Stadelmaier erkennt auf ziemlichen "Quark" und sieht auch das Schauspiel insgesamt zur zweiten Saison "sich verläppern"), die Neueinstudierung von Merce Cunninghams und John Cages Tanzstück "Roratorio" in Paris, die Ausstellung "Das Genie Renoirs" im Prado, und Bücher, darunter Friedrich Balkes Studie "Figuren der Souveränität" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).