Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.01.2007. Die SZ fragt wie einstige Befürworter des Irak-Kriegs wie Hans-Magnus Enzensberger heute denken. Außerdem bringt sie aus aktuellem Anlass ein neues Bauhaus-Manifest. In einem Guardian-Essay fragt Zadie Smith nach den Gründen literarischen Scheiterns und kommt zu dem Schluss, dass es jedenfalls keine postmoderne Theorie dafür gibt. Im Tagesspiegel umreißt der ungarisch-serbische Schriftsteller Laszlo Vegel die politische Lage in Serbien vor den Wahlen. Die taz konstatiert, dass sich der Einfluss von Putins Geheimdienst bis in die Leserkritiken bei Amazon erstreckt. In der NZZ schreibt Bahman Nirumand über Zensur und Schikanen im Iran.

Tagesspiegel, 15.01.2007

Eine Woche vor den Wahlen in Serbien umreißt der ungarisch-serbische Schriftsteller Laszlo Vegel die politische Landkarte so: "Die Politiker versprechen wieder einmal Wunder. Da ist die demokratische Opposition, die Serbiens schnellen EU-Beitritt verspricht. Die rechtsextremistische Opposition verspricht die Rückgewinnung des Kosovo. Und die Mehrheit der Regierungsparteien mit Regierungschef Kostunica an der Spitze verspricht sogar, dass man für solche Wunder gar nichts zu tun brauche, es komme von selbst. Europa werde seinen Irrtum schon einsehen. Mit Ausnahme einer neuen, noch kleinen liberaldemokratischen Partei fordert niemand in Serbien dazu auf, das Unumgängliche zu tun: Kosovo abgeben, Reformen durchsetzen, sich Europa annähern."

Weitere Medien, 15.01.2007

Zadie Smith hat für einen langen Essay in der Guardian Review of Books vom Samstag eine Rundfrage an Schriftsteller geschickt: "How would you define literary failure?" Die Schriftsteller durften anonym antworten. Und Zadie Smith konstatiert, dass die Schriftsteller ihrer Generation zwar aus der Postmoderne kommen, aber um die Frage der "Echtheit" (authenticity) nicht herumkommen: "Uns allen war beigebracht worden, dass Echtheit nichts bedeutet. Aber wie ist es dann zu erklären, dass wir unser Scheitern als Schriftsteller als Betrug an unserem tiefsten, echtesten inneren Selbst empfinden?"

TAZ, 15.01.2007

Boris Reitschuster, Moskau-Korrespondent des Focus, ist überzeugt, dass hinter dem steigenden Druck, dem er sich als Autor des Buchs "Putins Demokratur" ausgesetzt sieht, der russische Geheimdienst steckt, berichtet Melanie Zerahn. Der Bucheintrag bei Amazon etwa sei in den vergangenen Monaten zum Schlachtfeld geworden. "Der Econ-Verlag hat den Verdacht, dass diese Leserkritiken gesteuert sind. 'Die Rezensionen ähneln sich nicht nur im aggressiven Tonfall, sondern teilweise auch in der Wortwahl.' Einen Eintrag hat der Berliner Politikverlag bereits entfernen lassen. Unter dem Pseudonym 'German Lover' bezichtigt der Rezensent den Autor als unqualifizierten Lügner und beschimpft ihn als 'Teufelsanbeter'. Der Anwalt von Econ hat die Äußerungen als unwahre Tatsachenbehauptungen und Schmähkritik verurteilt, durch die Reitschuster in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt werde. Amazon strich daraufhin die relevanten Passagen."

Im Feuilleton schwärmt Isabelle Graw von Alicia Drakes Buch "The Beautiful Fall", in dem sie der Modewelt im Paris der Siebziger ein Denkmal setzt. "Wer an einer Kulturgeschichte der Mode interessiert ist, kommt in diesem Buch ebenso auf seine Kosten wie eingeschworene Fans von Lagerfeld oder Saint Laurent. Letztere werden mit tonnenweise biografischen Informationen sowie Mythen und Mythenkorrekturen versorgt. Von Yves Saint Laurent wird zum Beispiel die anrührende Geschichte erzählt, dass er schon als kleiner Junge, in Nordafrika (Orlan) lebend, seinen Schwestern nachts Zettel unter die Türe geschoben habe, wo er sie als privilegierte Gäste seiner Modenschau einlud."

Besprochen werden die Schau über "Architektur wie sie im Buche steht" in der Münchner Pinakothek der Moderne, Regina Dieterles Biografie von Martha Fontane und der Sammelband "Kabul/Teheran 1979 ff" über das Kino in den beiden Städten (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Und Tom.

Welt, 15.01.2007

Eckhard Fuhr fühlt sich nach Rolf Hochhuths Stück "Heil Hitler", das gestern in Berlin uraufgeführt wurde, aufgerüttelt: Hitler, hat er nun begriffen, war echt übel. Im Interview mit Peter Beddies plaudert Drehbuchautor und Regisseur Paul Haggis über seine Arbeit mit Clint Eastwood und ihren Iwo-Jima-Film "Flags of Our Fathers". Uwe Schmitt berichtet, dass in Hollywood jetzt sogar grüne Parties gefeiert werden, mit "organischem Buffet, Dekorationen aus Altpapier und Tischen aus Recycling-Holz". Manuel Brug erinnert an den Dirigenten Arturo Toscanini, der vor fünfzig Jahren starb. Sven Felix Kellerhoff berichtet von einem Symposium zu Ehren des Historikers Hans-Ulrich Wehler. Sascha Westphal hätte gern die Serie "Cold Case" auf DVD. Außerdem besprochen werden auf der DVD-Seite "Superman II" und Helmut Käutners "Unter den Brücken".

NZZ, 15.01.2007

Schikanen und Zensur nehmen im Iran immer mehr zu, schreibt Bahman Nirumand. Inzwischen mehren sich die Proteste, vor allem von Studenten: "'Tod dem Despoten', skandierten sie" bei einem Auftritt Ahmadinejads an der Technischen Universität in Teheran Anfang Dezember "und unterbrachen immer wieder seine Rede. Und als der Präsident die Fassung verlor und die Protestierenden als von den USA gelenkte Provokateure bezeichnete, verbrannten sie sein Porträt und ließen einen Feuerwerkskörper krachen. Für den Populisten Ahmadinejad, der sich vor allem außerhalb Irans in den islamischen Staaten als Held feiern lässt, bedeutete dieser Widerstand eine erschütternde Niederlage. Er unterbrach seine Rede, verließ die Universität, wollte jedoch das Ereignis, das seinem Image schadete, nicht auf sich beruhen lassen. Verständnis und Großzügigkeit vortäuschend, lud er Vertreter der Studenten zu einem Gespräch ein. Die Studenten lehnten ab. 'Sie hätten wissen sollen, dass ein Auftritt an der Universität nicht dem in der Provinz gleicht', schrieben die Studenten in einem offenen Brief."

Weiteres: Stefan Hentz schreibt zum Tod des Jazz-Saxophonisten Michael Brecker. Joachim Güntner führt ein Gespräch über bedrohte Wörter. Besprochen werden die Ausstellung "Prayers and Portraits. Unfolding the Netherlandish Diptych" in der National Gallery Washington, eine Ausstellung mit Fotografien des Schweizers Georg Gerster im British Museum.

Am Samstag schrieb Joachim Güntner im NZZ-Feuilleton über die Opferkultur in Deutschland und erwähnte dabei "linksradikale Antideutsche und DDR-Nostalgiker aus dem Umfeld der Zeitung Junge Welt". Richtig wäre Jungle World gewesen. Die NZZ hat das inzwischen online korrigiert, wir auch.

FR, 15.01.2007

Vom Routineskandal sichtlich genervt berichtet Petra Kohse von der Uraufführung von Rolf Hochhuths Stück "Heil Hitler" an der Berliner Akademie der Künste. "Die alten Hitlerwitze kamen beim Ehrenpublikum offensichtlich an. Und vielleicht gefiel auch, dass Hochhuth zwar viel von den Opfern spricht, den vier Nazifiguren seines Stückes aber auch drei bis vier wackere Deutsche zur Seite stellt: Till, Tills Mutter, die Ärztin - und der Klinikchef, dem Rainer Kühn in der Aufführung einen homosexuellen Touch gibt, ist eine zumindest deutbare Figur. Ein überraschend quotiertes Stück."

Weiteres: Harry Nutt erzählt in einer Times mager, wie lange er nach einem anständigen Herrenschirm gesucht hat. Besprochen werden die erste Ausgabe des "Science & Art Festivals Phaenomenale" über Roboter im Phaenocenter Wolfsburg sowie die deutsche Premiere des Kriminalstücks "Panik" des argentinischen Dramatikers Rafael Spregelburd.

FAZ, 15.01.2007

Edo Reents besucht für den ganzseitigen Aufmacher den Schriftsteller Thomas Harlan, Sohn des "Jud Süß"-Regisseurs Veit Harlan, in einer Lungenklinik am Königssee, wo Harlan seit sechs Jahren lebt - der Autor ist zuletzt mit dem Roman "Heldenfriedhof" hervorgetreten. Gina Thomas glossiert bürokratische Verordnungen aus London, wo man Beamten verbietet, ihren Schreibtisch mit persönlichen Dingen zu markieren. Eleonore Büning annonciert neue Verhandlungen zwischen Bund und Berlin in der Drei-Opern-Frage. Regina Mönch besuchte die neue Zentrale von Scientology in Berlin. Patrick Bahners schreibt zum Tod der Historikerin Elizabeth Fox-Genovese.

Auf der Medienseite erklärt Stefan Niggemeier, "wie mit Teletext-Ratschlägen bei RTL Geld verdient wird". Gemeldet wird, dass die FR ab Sommer im Tabloid-Format erscheinen soll. Für die letzte Seite schreibt Daniel Haaksmann eine Geschichte des Fania-Labels, das in den siebziger Jahren mit dem Aufstieg der Salsa-Musik verbunden war und dessen Schätze jetzt neu gehoben und digitalisiert werden. Hannes Hintermeier schreibt über den Erfolg der "Afrika Afrika"-Zirkusshow von Andre Heller, und Irene Bazinger über den künstlerischen Misserfolg von Rolf Hochhuths Hitler-Farce "Heil Hitler" in der Berliner Akademie der Künste.

Besprochen werden Goethes "Clavigo" im Thalia Theater und Friedrich Hebbels "Maria Magdalena" im Deutschen Schauspielhaus, Harald Bergmanns Dokumentarfilm "Binkmanns Zorn" über Rolf Dieter Brinkmann, eine Ausstellung mit dem Nachlass des Malers Ferdinand von Rayski in Dresden und Sachbücher, darunter Hartmut Böhmes Studie "Fetischismus und Kultur - Eine andere Theorie der Moderne".

SZ, 15.01.2007

Zum Auftakt der Münchner Messe "Bau 2007" veröffentlicht Gerhard Matzig ein neues Bauhaus-Manifest (hier das alte). Mit beseeltem Schwung fordert er "wieder die ganze und ungeteilte Architektur, die dem Künstler abermals den Techniker in Personalunion zur Seite zwingt. Die Stichworte dafür sind: Smart houses, Kommunikationssysteme, energieeffektive Architektur, Bauen im Bestand sowie eine Architektur, die auf die Frage, wie man Flüchtlingslager und Notunterkünfte errichtet, Antworten kennt. Ob unsere Zivilisation im Shoppen und die wahre Architektur aus Prada besteht - danach mag Rem Koolhaas fragen, der sich 'nicht als Architekt' sieht. Ein Architekt wie Cameron Sinclair dagegen, der sich transportable Aids-Kliniken für Afrika oder Tsunami-Flüchtlingslager für Sri Lanka ausgedacht hat, zieht schon heute die relevanteren und interessanteren Architekturbegabungen an als die sogenannte Denkfabrik von Koolhaas, bei dessen Häusern man immerzu die Schrauben anziehen möchte."

Sonja Zekri untersucht, wie Hans Magnus Enzensberger, Herfried Münkler, György Konrad oder Leon de Winter heute ihre Unterstützung des Irak-Kriegs sehen. Außer Konrad mag niemand einen Fehler zugeben, auch Enzensberger nicht: "Dass die Schwächen der Nachkriegsplanung bereits vor dem Feldzug bekannt waren, dass gerade die hochfahrende Ignoranz der Falken gegenüber einer in Kriegen verrohten, durch das Embargo ausgelaugten irakischen Gesellschaft von vielen Kriegsgegnern als unkalkulierbares Risiko angeführt wurde, mag der Schriftsteller nicht kommentieren: 'Sie stoßen hier auf eine Wand!' Dann beendet er das Gespräch."

Weitere Artikel: YouTube könnte das Zeug zu einem Online-Museum der Videokunst haben, frohlockt Holger Liebs nach dem Fund einiger Werkschnipsel von John Baldessari, Matthew Barney oder Jonas Mekas. Florian Welle berichtet ganz lebhaft von einer Bochumer Tagung über die "Paradoxien der Langeweile". Kristina-Maidt Zinke besucht den Spezialisten für historische Musikaufführungen und Händel-Connaisseur Alan Curtis in der Toskana. Gustav Seibt besucht die alljährliche "zivilreligiöse" Gedenkfeier für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auf dem Berliner Friedhof Friedrichsfelde. Willi Winkler schreibt zum Tod des Schriftstellers und Verschwörungs-Experten Robert Anton Wilson.

Besprochen werden die Aufführung von Rolf Hochhuths Tragikkomödie "Heil Hitler" (die sich laut Lothar Müller leider nicht zu ihrer Herkunft aus dem Kabarett bekennt) an der Berliner Akademie der Künste, die deutsche Erstaufführung des sich immerhin durch "viel Entwicklungspotenzial" auszeichnenden Stücks "Die Panik" des argentinischen Autors Rafael Spregelburd an den Münchner Kammerspielen, populäres britisches Kino der Vergangenheit auf DVD, vier Uraufführungen bei der Reihe Musica Viva in München,und Bücher, darunter Christopher A. Baylys "anspruchsvolle wie lohnende" Universalgeschichte "Die Geburt der modernen Welt" sowie eine Neuedition von Edward de Veres elisabethanischer Novelle "Fortunatus im Unglück" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).