Magazinrundschau
Zwei oder drei Verweise auf Mohammed
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
13.04.2010. Das Bestürzendste an der rechtsextremen Partei Jobbik ist, dass sich ihr viele junge Intellektuelle anschließen, schreibt Elet es Irodalom. Bernard-Henri Levy fragt in Le point: Godard ein Antisemit? In der Gazeta Wyborcza nimmt Adam Michnik Abschied. Prospect schildert Fälle von Sebstzensur im britischen Theater mit Rücksicht auf die religiösen Gefühle von Muslimen. In Le Monde malt Tahar Ben Jelloun ein düsteres Bild von der Stimmung in der Banlieue. Im New York Times Magazine erklärt Paul Krugman die Katastrophe zur Leitschnur seines Denkens.
Elet es Irodalom (Ungarn), 09.04.2010

Point (Frankreich), 08.04.2010

Gazeta Wyborcza (Polen), 11.04.2010
Die polnischen Medien sind voller Sonderseiten zur Tragödie von Smolensk. In der Gazeta Wyborcza nimmt der langjährige Weggefährte des verunglückten Präsidenten aus Zeiten der antikommunistischen Opposition und spätere politische Gegner, Adam Michnik, Abschied. "Lech Kaczynski hat die polnische Geschichte durch seine ganze Biografie geprägt. Historiker werden später Bilanz seines Schaffens ziehen. Heute ist nicht der Moment für ausgewogene Bewertung. Heute ist der Moment der Trauer und des positiven Erinnerns. Kaczynski diente der polnischen Unabhängigkeit und Freiheit seit 1968 (hier der Hintergrund). Er wiederholte oft, dass er damals den Weg des Widerstand gegen die Diktatur gewählt hat, und diese Entscheidung werde ich immer mit großem Respekt und Sentiment in Erinnerung behalten". In einer emotionalen Videonachricht bringt Michnik seine Bewunderung für Kaczynskis Patriotismus zum Ausdruck, trotz der zum Teil scharfen Polemik der letzten Jahre. Er müsse sich seine Texte über den Präsidenten nochmal durchlesen und prüfen, so Michnik, ob er ihm gegenüber nicht ungerecht gewesen sei.
Jaroslaw Kurski kann der Tragödie von Katyn immerhin zwei positive Aspekte abgewinnen: Die Welt werde nun wissen, wofür "Katyn" steht; außerdem lasse Russlands Reaktion auf eine polnisch-russische Aussöhnung hoffen. "Russland öffnet sich für Polen und für sich selbst, für seine Geschichte und die Abrechnung mit dem Stalinismus, dessen Opfer zig Millionen Russen und Angehörige anderer Nationen der Sowjetunion waren. Wenn sich unsere beiden Völker nicht in einem solchen Moment vergeben, wann dann? Eine solche 'Chance' kommt nie wieder. Wir dürfen sie nicht verspielen".
Jaroslaw Kurski kann der Tragödie von Katyn immerhin zwei positive Aspekte abgewinnen: Die Welt werde nun wissen, wofür "Katyn" steht; außerdem lasse Russlands Reaktion auf eine polnisch-russische Aussöhnung hoffen. "Russland öffnet sich für Polen und für sich selbst, für seine Geschichte und die Abrechnung mit dem Stalinismus, dessen Opfer zig Millionen Russen und Angehörige anderer Nationen der Sowjetunion waren. Wenn sich unsere beiden Völker nicht in einem solchen Moment vergeben, wann dann? Eine solche 'Chance' kommt nie wieder. Wir dürfen sie nicht verspielen".
New York Review of Books (USA), 29.04.2010

Weiteres: Russell Baker stellt Gerald Boyds Buch "My Times in Black and White" vor, eine Abrechnung mit der New York Times, deren Redaktion gegen ihn und Chefredakteur Howell Raines revoltiert hatte. Seiner Darstellung zufolge auch aus rassistischen Motiven. Tim Flannery stellt eine Reihe von Zoologie-Bücher vor, denen er unter anderem entnahm, dass Schimpansen absolut nicht negativ auf Alterungserscheinungen bei Weibchen reagieren. Großbritannien Außenminister David Miliband erklärt, wie er sich das weitere Vorgehen in Afghanistan vorstellt. Besprochen werden außerdem Masha Gessens Biografie des spröden Mathematik-Genies Grigory Perelman und Lydia Davis' Band "Collected Stories".
Prospect (UK), 01.04.2010

Le Monde (Frankreich), 10.04.2010
In einem sehr pessimistischen Artikel über die Stimmung in den französischen Vorstädten beschreibt Tahar Ben Jelloun unter anderem das traurige Lebensgefühl der ersten, jetzt alternden Immigrantengeneration: "Sie leben oder überleben und sehen sich selber zu, wie ihr Leben in Stücke zerfällt. Sie haben Kinder gemacht, um weniger allein zu sein, um zu sein wie die anderen, und müssen feststellen, dass sie nichts im Griff haben. Weder die Zeit noch ihre Nachkommen. Sie fühlen sich im Stich gelassen. Einige arrangieren sich damit und sind glücklich, andere hoffen nur, dass das Schicksal sie verschont. Dann teilt man ihnen mit, dass ihr Sohn bei einer Schlägerei oder einer Straftat ums Leben gekommen ist, und sie sind stumm. Der Himmel fällt ihnen auf den Kopf."
3 quarks daily (USA), 12.04.2010
3Quarksdaily übernimmt im Transkript ein faszinierendes Radiointerview (mp3) mit dem in Südkorea lehrenden Politikwissenschaftler Brian Reynolds Myers, der in seinem Buch "The Cleanest Race" (Auszug) den nordkoreanischen Nationalismus und Rassismus analysiert. Für ihn ist das Regime mindestens eben so sehr mit den Nazis wie mit den Stalinisten vergleichbar - und die Verblendung der Bevölkerung ist perfekt: "Die Leute arbeiten in gewisser Weise für das System. Die durchschnittlichen Nordkoreaner haben kein Interesse daran herauszufinden, dass sie ihr Leben lang nur dafür gearbeitet haben, eine Familie in Pjöngjang glücklich zu machen."
Economist (UK), 08.04.2010

Polityka (Polen), 10.04.2010
Marek Ostrowskis Kommentar zu den polnisch-russischen Gedenkfeiern wurde von dem tragischen Flugzeugabsturz zwar ziemlich eingeholt. Gültigkeit behält aber seine Forderung, dass die Russen mit ihrer Geschichte ins Reine kommen müssen. "Putin und Medwedew schreiten langsam voran, was die Abrechnung mit dem Stalinismus angeht", schreibt Ostrowski, denn "die Geschichte hat in Russland eine Surrogatfunktion gegenüber der Politik. Das Motto der Modernisierung und der Stärkung des Staates müssen danach eine autokratische Dimension haben, den 'heiligen' Charakter der Macht fördern... Die Geschichtspolitik des Landes kann angesichts des Mythos des siegreichen Großen Vaterländischen Krieges nicht richtig mit den 27 Millionen Opfern und den Vorwürfen von Verbrechen an eigenen Bürgern und Fremden, darunter Polen, umgehen. Das ist ein vielfaches Jedwabne".
Außerdem: Edward Saids "Culture and Imperialism" ist soeben auf Polnisch erschienen. Waldemar Kuligowski erinnert daran, dass man sich hierzulande zugute hält, nie Kolonien besessen zu haben und somit keine Schuld am europäischen Imperialismus zu tragen. Strukturell lassen sich die Befunde der "postcolonial studies" aber auf die polnischen Beschreibungen für die früheren Ostgebiete der alten Adelsrepublik (der sogenannten Kresy) übertragen, meint Kuligowski. "Würde Said 'Mit Feuer und Schwert' kennen, wäre seine Kritik noch schärfer ausgefallen". Henryk Sienkiewicz sei demnach der größte polnische Orientalist gewesen, was in seinen Beschreibungen der Kosaken, Tataren und Ruthenen sichtbar wird. Da seine Werke bis heute als Pflichtlektüre gelesen werden, wirke seine Überzeugung, Polen müsse westliche Zivilisation nach Osteuropa tragen, bis heute nach.
Außerdem: Edward Saids "Culture and Imperialism" ist soeben auf Polnisch erschienen. Waldemar Kuligowski erinnert daran, dass man sich hierzulande zugute hält, nie Kolonien besessen zu haben und somit keine Schuld am europäischen Imperialismus zu tragen. Strukturell lassen sich die Befunde der "postcolonial studies" aber auf die polnischen Beschreibungen für die früheren Ostgebiete der alten Adelsrepublik (der sogenannten Kresy) übertragen, meint Kuligowski. "Würde Said 'Mit Feuer und Schwert' kennen, wäre seine Kritik noch schärfer ausgefallen". Henryk Sienkiewicz sei demnach der größte polnische Orientalist gewesen, was in seinen Beschreibungen der Kosaken, Tataren und Ruthenen sichtbar wird. Da seine Werke bis heute als Pflichtlektüre gelesen werden, wirke seine Überzeugung, Polen müsse westliche Zivilisation nach Osteuropa tragen, bis heute nach.
New York Times (USA), 11.04.2010

Außerdem in der New York Times Book Review: Edith Grossman, Don-Quichotte-Übersetzerin und laut Harold Bloom sowieso der "Glenn Gould der Übersetzer" hat eine Polemik gegen die Übersetzungsfaulheit der Amerikaner geschrieben (Auszug) - Richard Howard, selbst Übersetzer, kann nicht umhin, sie zu feiern. Hierzu auch ein kleines Interview mit Grossman. Besprochen wird auch Ian Burumas neues Buch "Taming the Gods - Religion and Democracy on Three Continents" (Auszug).
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