Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
09.07.2007. In der SZ spricht sich Andreas Blühm, Direktor des Kölner Wallraf-Richartz-Museums gegen Leuchtstoffröhren in Museen aus: Da bleibt nichts von Yves Kleins Blau. Die NZZ macht sich Sorgen über den Hindu-Extremismus und bringt ein liebevolles Porträt des wiederzuentdeckenden Schriftstellers Klaus Hoffer. Die FAZ macht darauf aufmerksam, dass Graf Stauffenberg einer vefassungsfeindlichen Sekte angehörte.

NZZ, 09.07.2007

Paul Jandl schreibt ein großes und liebevolles Porträt des österreichischen Autors Klaus Hoffer, der Anfang der Achtziger mit "Bei den Bieresch" einen gefeierten Roman vorlegte "und seither mit diesem Schicksal hadert". Der Roman wurde vor kurzem neu aufgelegt. "Klaus Hoffer könnte einer von den Biereschs sein, wenn er seine Theorien aufstellt, warum ihm seit den achtziger Jahren nichts Großes mehr gelingen will. In seiner gemütlichen, mit moderner Kunst veredelten Grazer Jahrhundertwendevilla hat Klaus Hoffer die Schreibtische immer wieder ausgetauscht, weil sie bei ihm im Verdacht standen, zur Produktion von Literatur entweder zu leicht oder zu schwer zu sein. Von Zimmer zu Zimmer hat er sie geschoben, jetzt sitzt er im Souterrain vor einer Bücherwand und schaut mit gehobenem Blick in den Garten. Neben der Tastatur türmen sich die Werke von Kafka. Über ihn schreibt Klaus Hoffer gerade wieder einen Essay."

Weitere Artikel: Hinduistische Extremisten verfolgen den muslimischen Maler Fida Husain, (Bilder) der eine Hindu-Göttin nackt darstellte (und inzwischen im Exil lebt), aber auch viele andere Künstler, berichtet Bernhard Imhasly in einem "Schauplatz Indien". Angela Schader liest neue Hefte der Zeitschrift Art & Thought und zenith. Anlässlich eines großen Gipfeltreffens (mehr hier) spricht Peter Hagmann mit den Zürcher Musikwissenschaftlern Hans-Joachim Hinrichsen und Laurenz Lütteken über den Stand ihrer Disziplin. Besprochen wird der neue "Harry-Potter"-Film.

Welt, 09.07.2007

Gernot Facius sichtet die Reaktionen auf das päpstliche Motu Proprio zur Wiederzulassung der lateinischen Messe. Hannes Stein hat mehrere Stunden eingeschlossen in der Abfertigungshalle von London/Standsted verbracht. Michael Stürmer stellt fest, dass selbst bei den erfolgreichsten und charismatischsten Politikern die Halbwertzeit magische zehn Jahre beträgt. Michael Pilz rekapituliert die 24 Stunden des Klimaspektakels "Live Earth", während Eva Eusterhus konstatiert, dass bei dem Konzert in Hamburg kein Wort über den Klimawandel verloren wurde. Gerhard Charles Rump schreibt zum Siebzigsten des Malers David Hockney.

Besprochen werden David Yates' Harry-Potter-Verfilmung "Der Orden des Phönix", eine Ausstellung zur Geschichte des Offenen Briefes im Nürnberger Museum für Kommunikation, eine Schau des niederländischen "Borderline-Künstlers Erik van Lieshout im Münchner Lenbachhaus und die Schau "Die Kunst der Stille" im Herforder MARTa.

FR, 09.07.2007

Das Jazz Festival Montreux hat nicht mehr viel mit Jazz zu tun, meint Tobi Müller. Satte Bässe im Konzertsaal zu hören ist aber auch nicht schlecht. "Und zwar auf den besten Anlagen der Welt, im mit Holz ausgekleideten Auditorium Stravinski (sic!) in hervorragender Akustik. Das sind Luxusferien für die Ohren, die tanzen möchten, wenn sie denn könnten. Bei den Chemical Brothers wackeln sie schon mal. Das Techno-Duo aus Manchester fährt seinen Maschinenpark mächtig hoch, aber in solcher Soundqualität hat man diese zwischen Unterschichtsrave und College-Geschmack lavierenden Klanggewitter noch nie gehört. Man begreift jetzt, warum die Musik von Tom Rowlands und Ed Simons vor zehn Jahren Big Beat genannt wurde. Wer bei der Trendkörperrasur ein Brusthaar übersehen haben sollte, spürt es jetzt flattern."

Weitere Artikel: Peter Michalzik kommentiert die Wiederbelebung der lateinischen Messe durch Papst Benedikt. Im Gespräch mit Joachim Lange bekräftigt Katharina Wagner noch einmal ihren Willen, Nachfolgerin ihres Vaters in Bayreuth zu werden. Geht es noch größer als Live Earth, fragt ein genervter Christian Schlüter in Times mager. Christoph Schröder schnuppert Wettkampfluft vor dem Jahresrennen der Fahradkuriere in Frankfurt.

Besprochen werden eine Aufführung von Bachs h-moll-Messe durch den RIAS Kammerchor im Kloster Eberbach sowie die Internationale Silbertriennale in Hanau.

FAZ, 09.07.2007

Edo Reents wirft einen Blick zurück auf die Live Earth-Konzerte am Wochenende. Heinrich Wefing ergeht sich am Berliner Landwehrkanal, an dessen Ufern der Baumbestand wegen unzureichender Uferbefestigungen gefällt werden muss. Dirk Schümer betrachtet eine Adenauer-Statue in dessen Ferienort Cadenabbia am Comer See. Niklas Maak gratuliert David Hockney zum Siebzigsten. Auch der junge Maler Matthias Weischer (Bilder) darf ein paar Worte zum Anlass sagen. Jordan Mejias greift einen Artikel John Irvings in der New York Times Book Review auf, der sich erfrecht, Günter Grass gegen seine Kritiker zu verteidigen und überdies "Marcel Reich-Ranicki ausgesprochen befremdlich anrüpelt". Joseph Croitoru liest osteuropäische Zeitschriften, die sich mit Literatur zu Lagern befasst und verweist besonders auf das neue Heft von Osteuropa über Warlam Schalamow.

Auf der Medienseite beobachtete Tilmann Lahme die erste Etappe der Tour de France in den verschiedenen Fernsehprogrammen. Auf der letzten Seite schildert Klaus Ungerer in seiner Gerichtsserie "Nichts als die Wahrheit" einen Fall von Köperverletzung mit Todesfolge, der vor dem Landgericht Berlin verhandelt wurde. Gina Thomas porträtiert den neuen britischen Kulturminister James Purnell. Und Karen Krüger begrüßt das "Forum am Freitag" mit islamischen Themen auf der Internetseite des ZDF.

Besprochen werden Nikolaus Lehnhoffs "Tosca"-Inszenierung bei den Sommerfestspielen in Baden-Baden, Mark Ravenhills Stück "Pool (no Water)" in München und Sachbücher, darunter Erik Orsennas Reportagebuch über den Weltmarkt der Baumwolle "Weiße Pantagen".

In der FAZ am Sonntag verweist Frank Schirrmacher anlässlich der Diskussion um Tom Cruise darauf, dass auch Graf Stauffenberg einer ziemlich irren Sekte angehörte - dem George-Kreis - und plädiert schon deshalb für eine Freigabe aller Drehorte: "Erst nachdem ein Großteil der Kriegsgeneration abgetreten ist, hat die Gesellschaft ihren Frieden mit den Attentätern vom 20. Juli gemacht. Doch nun, nach über sechzig Jahren, behandeln wir ihn, als sei er, der historische Stauffenberg, selbst nur der Schauspieler einer historischen Rolle, der 'Attentäter', der 'Widerständler', eine Art Text- und Rollenaufsagegerät. Der wahre Stauffenberg dürfte heute Stauffenberg nicht spielen aus ideologischen und gesinnungsethischen Gründen."

Un ein neues Gedicht von Durs Grünbein wird publiziert - "Lärchen und Sägen:

Hört ihr noch zu, ihr Brüder Grimm?
Ach, diese Sprache, unverwüstlich,
Geschändet oft, spricht auch für euch.
In welcher Mauerritze, welcher Stimme
Wohnt euer Märchengeist, der gute, böse, heute? (...)"

TAZ, 09.07.2007

"Epochal" nennt Barbara Kerneck die vom künftigen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Hermann Parzinger kuratierte Skythen-Ausstellung im Berliner Gropius-Bau. Die "Barbaren mit Stil" haben es ihr offensichtlich angetan. "Geradezu hyperaktiv veredelten ihre Schöpfer alle Gegenstände, beschnitzten, bestickten, bemalten und vergoldeten sie oder versahen sie mit bunten Filzapplikationen im berühmten skythischen Tierstil. Schneeleoparden, Greifen, Schlangen und viele andere Tiere zieren als Schnitzereien oder aus Filz geschnitten Kult- und Gebrauchsgegenstände und die Haut der dort entdeckten Mumien. Wie die Natur als endloser Film an den nomadisierenden Skythen vorbeizog, so verschlingen sich diese Tiere zu einer geballten Masse Leben."

Weiteres: Abgedruckt ist eine Erzählung der Schriftstellerin Angelika Klüssendorf. In der zweiten taz weist Mathias Becker auf einige Widersprüche beim Hamburger Spektakel "Live Earth" hin: "Einweg- statt Pfandbecher, triefende Rinderhacksteaks statt zarter Gemüseburger - und die groß angekündigte Flotte aus Smarts steht brav auf dem Parkplatz rum, während die abreisenden Stars in großformatige Limousinen des gleichen Autokonzerns steigen." Steffen Grimberg fordert, dass die recht gelungene Islamsendung "Forum am Freitag" des ZDF aus dem Internet ins normale Programm genommen wird.

Besprochen werden Adam Lows "naive" Dokumentation "Francis Bacon - Form und Exzess" und die neue CD von Marc Almond.

Und Tom.

SZ, 09.07.2007

Andreas Blühm, Direktor des Kölner Wallraf-Richartz-Museums, wettert gegen die Leuchtstoffröhren im Museum. Die bauten die Architekten nur ein, um ihre Räume zu betonen. "Man sollte mal den Versuch unternehmen, monochrome Malerei unter verschiedenen Röhren und anderen Lichtquellen zu präsentieren. Was von Yves Kleins Blau übrig bleibt, lässt sich unter normalen Umständen mit bloßem Auge gar nicht vergleichen. Die Farbwirkung wird im jeweiligen Museum für bare Münze genommen, sie dürfte aber in der Regel mit dem Farbwert unter natürlichem Licht oder unter Vollspektrumlampen nichts zu tun haben. Wenn Sie also wieder ein Museum bauen, fallen Sie nicht auf die Werbung von sogenannten 'Tageslichtlampen' herein, sondern kaufen Sie sich ein Messgerät und kontrollieren Sie selbst."

Karl Bruckmaier besucht einen der ersten Beatniks von China: "Guolongs Plattenladen, der kleinste Plattenladen Pekings. Und bei näherer Betrachtung: vermutlich der kleinste Plattenladen der Welt. Tritt man durch die Tür, steht man eigentlich wieder vor einer Wand, an der in zwei Aufhängevorrichtungen CDs stecken, rechts schließt sich ein Bücherregal an, zwei Schemel, ein Brett, ein Wasserkocher, zwei Teekannen, ein paar Tiegel. Die Wände sind mit Zeitungsseiten tapeziert; als Schmuck dienen Plakate und einige Postkarten mit Warhol-Motiven und mit Stills aus dem Film 'Taxidriver'."

Weiteres: Verwirrenderweise sind es gerade die moderaten Islamisten, die gegenüber ihren autoritären Regierungen heute oft Pluralismus und Meinungsfreiheit einfordern, meint Sonja Zekri. Andrian Kreye stellt die Webseite des Augenforschers Michael Bach vor, auf der 71 von der Op-Art beeinflusste optische Täuschungen versammelt sind. Henning Klüver beobachtet, wie in Italien Bürgerinitiativen zum Landschaftsschutz entstehen. Christoph Schwennicke lässt sich beim Festival im schweizerischen Montreux von Altrockern durchschütteln und sieht Tony Iommi beim Frühstücken vor dem Birchermüsli stehen. Manfred Schwarz gratuliert dem amerikanischen Maler David Hockney zum Siebzigsten.

Besprochen werden Florian Boeschs Aufführung von Mark Ravenhills Künsterlersatire "Pool (kein Wasser)" im Münchner Marstall, Christoph Marthalers Version von Verdis "Traviata" im Palais Ganrier in Paris, Calixto Bieitos Inszenierung von Puccinis Oper "Fanciulla del West", Colin Nutleys Film "Schwedisch für Fortgeschrittene", Filme von Jacques Demy, Fritz Lang und Vincente Minnelli auf DVD, und Bücher, darunter Barbara Bongartz' Roman "Der Tote von Passy" sowie Monika Rincks Essay "Ah, das Love-Ding".