Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
07.05.2005. Zwei Themen heute: 8. Mai und 9. Mai, Kriegsende und Schillers Todestag. In der SZ überlegt Claus Leggewie, ob ein europäisches Geschichtsbewusstsein möglich ist. In der taz beschwört Norman Birnbaum das Ende der amerikanischen Epoche. Die FAZ weist darauf hin, dass Deutschland bereits am 7. Mai kapituliert hat. In der Welt erklärt Rüdiger Safranski mit Schiller den heimlichen Kniefall der Intellektuellen vor den Tatmenschen. Ebenfalls in der SZ wünscht sich Martin Mosebach mehr Purpur und Filzpantoffeln bei Schiller-Aufführungen. Und die NZZ beobachtet eine Dostojewski-Renaissance im postsowjetischen Russland.

Welt, 07.05.2005

In der Literarischen Welt dreht sich alles um Schiller. Uwe Wittstock spricht mit dem Philosophen und Schriftsteller Rüdiger Safranski über die Macht und die Moral in seinem Werk und dem seiner Nachfolger: "Es gibt das typisch latente schlechte Gewissen bei Intellektuellen, dass sie 'nur' das Geschäft des Wortes betreiben. Häufig führt das zu einem heimlichen Kniefall vor den Tatmenschen. Das erklärt im übrigen, weshalb die Intellektuellen immer wieder verführbar waren - und zwar nicht nur durch die Macht, von der sie selbst vergewaltigt werden, sondern von den Mächten, die sie selbst glauben ins Spiel bringen zu müssen im Namen einer besseren Gesellschaft. Sie glaubten, sich aus moralischen Gründen mit den großen Tätern der vermeintlichen Befreiung verbünden zu müssen."

Außerdem: Regisseur Michael Schindhelm plädiert für einen neuen Idealismus im deutschen Theater, für einen "neuen Ernst" und "neue Heiterkeit". Tilman Krause spürt in seiner "Klartext"-Kolumne den Ursprüngen von Schillers Größe nach: "Teil von Schillers Größe ist auch und vielleicht sogar vor allem anderen, dass er sich von Anfang an groß gewollt hat. Groß, bedeutend und berühmt."

Die Autorin Tanja Dückers befürchtet, dass sich unter jungen Menschen der Blick auf den 8. Mai erheblich verändert. Nach den 68-ern und der Generation des "grellen Biedermeier" habe man es nun mit einer eher unpolitischen, im Zweifel eher nach rechts tendierenden jungen Generation zu tun: "Die jetzt Jungen werden die erste Generation nach dem Krieg sein, die weniger als ihre Eltern verdient. Dies ist in der bundesrepublikanischen Geschichte (die DDR ist natürlich anders zu beurteilen) einmalig. Auch dies lässt in den Jungen den Wunsch nach Diskontinuität mit dem vermeintlich verbrauchten Modell der sozial ausgerichteten heterogen-toleranten Gesellschaft aufkeimen. Aus diesem komplexen und abgründigen Stimmungsbild heraus könnte nach Weizsäckers Bezeichnung des Kriegsendes als Befreiung (1985) nun eine Neueinschätzung des 8. Mai 1945 als Niederlage folgen."

SZ, 07.05.2005

"Wer das 'strategische Bündnis' mit Russland will, muss allerdings auch die russische Lesart teilen, wonach die Rote Armee 1945 als Befreiungsarmee kam, auch wenn sie neue Gewalttaten und Unterdrückung mit sich brachte", gibt der Politikwissenschaftler Claus Leggewie dem Kanzler mit auf den Weg nach Moskau. Dabei, meint Leggewie, komme es für Europa darauf an, ein "europäisches Geschichtsbewusstsein" zu entwickeln, das die Singulärität des Holocausts herausstelle, ohne die "systematische Ausrottung vermeintlicher Klassen- und Volksfeinde" in der Sowjetunion herunterzuspielen - und umgekehrt. "Solche Konflikte spalten das postfaschistische und postkommunistische Europa. Dennoch kann auch aus Lügen, Kitsch und Wahrheiten eine europäische Identität entstehen, wenn sie sich beiden totalitären Erfahrungen stellt und allen Opfern Respekt zollt, ohne den Tätern damit in irgendeiner Weise Absolution zu erteilen."

Schröder mag unbeschwert nach Moskau reisen, in einem Punkt hallen die ideologischen und kriegerischen Auseinandersetzungen nach wie vor nach, meint Sonja Zekri: Im Streit um die Beutekunst: "In den deutsch-russischen Beziehungen gehört die Kunst, wie der Historiker Charles Maier sagen würde, zum 'heißen Gedächtnis': Sie ist die letzte Geisel eines Krieges, dessen Ende Staatsgäste aus aller Welt am Montag in Moskau feiern." Dazu abgedruckt ist ein Auszug aus den Verlustlisten der großen Kunstsammlungen in Berlin und Dresden.

Zweites großes Thema ist Schiller, sein zweihundertster Todestag rückt nahe. Martin Mosebach plädiert für mehr Historie in der Aufführungspraxis, mehr Purpur und Filzpantoffeln und weniger Psychologisieren und Herumpoltern: "Schiller selbst hätte, die Vermutung sei gestattet, von allem, was auf deutschen Bühnen heute geboten wird, wahrscheinlich die Oberammergauer Passionsspiele, die gern belächelten, von Kennern aber neuerdings sehr aufmerksam betrachteten - am meisten geschätzt und deren Verknüpfung von Drama und lebenden Bildern bewundert. Hier könnte eine das Publikum wahrhaft überraschende Schiller-Inszenierung anknüpfen. Fest steht, dass eine sinnvolle Annäherung an den dramatischen Schiller alle Gegenwartskonventionen verlassen müsste. Wem das allzu absurd vorkommt, braucht sich mit Schiller ja nicht zu befassen."

Weiteres: Franziska Augstein berichtet von einer Tagung über den 8. Mai und Europa auf Schloss Genshagen. Burkhard Spinnen erinnert sich an einen perfekten Tag, als er im März oder April 1975 mit seinem "flammneuen orangefarbenen VW Polo" ganz unaufgeregt durch die Gegend fuhr. Als eine geradezu "himmlische Dreifaltigkeit" erlebt Evelyn Vogel das Leben einer Vierzigjährigen im Jahr 2005: "Sie kann Mädchen, Mutter oder Großmutter sein, und sie kann zwischen diesen Rollen wechseln: ein multiples Wesen." Im Interview mit Christine Dössel erklärt Thomas Oberender, wie er als künftiger Schauspielchef bei den Salzburger Festspielen das Theater stärken will.

Besprochen werden Volker Hesses Inszenierung von Lutz Hübners "Gotteskrieger", in dem ein Araber in Deutschland zum Selbstmordattentäter wird ("Hübners Stück ist so gut gemeint und so schlicht gedacht und gebaut wie die meisten Stücklein, die nach dem 11. September geschrieben und nur selten aufgeführt wurden", stöhnt C. Bernd Sucher), ein Konzert von Franz Welser-Möst mit Berg, Schubert und Birtwistle in München, und Bücher, darunter Claudius Seidls "Schöne junge Welt" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

In der SZ am Wochenende erklärt der britische Dirigent Sir Peter Jonas, was er von den Deutschen hält: "Die Deutschen sind ziemliche Mimosen. In Deutschland wurde viel früher als in England die Zentralheizung installiert, und noch heute lebt es sich in Deutschland angenehmer als in England." Außerdem erinnert sich Kurt Kister an seine Kindheit in Dachau, eine seltsame alte Baracke, an Flüchtlinge und amerikanische Panzersoldaten. Sven Siedenberg sucht in Berlins Mitte nach Überresten des Führerbunkers. Viel hat er nicht gefunden, abgesehen vom Marmor im U-Bahnhof Mohrenstraße. Nicholson Baker erklärt uns, was man mit Mumien heutzutage alles anfangen kann. Joachim Bessing hat sich unter die "Furrys" gewagt - die wachsende Gemeinde der Stofftierfetischisten. Nele Altenburg und Rebecca Casati führen "Deutschlands mächtigste Modefrauen" von Natalie Acatrini bis Barbara Vinken vor.

NZZ, 07.05.2005

Im postsowjetischen Russland erlebt Dostojewski eine ungeahnte Renaissance, meldet Felix Philipp Ingold. Von regierungsnahen Denkern wird der große "vaterländische Klassiker" dazu benutzt, eine neue Staatsideologie herauszuarbeiten. Dostojewski eignet sich als ideeller Steinbruch für jede Partei. "Dies ist darauf zurückzuführen, dass Dostojewski in seinem belletristischen Werk, vorab in den großen Romanen der Spätzeit ('Die Dämonen', 'Der Jüngling', 'Die Brüder Karamasow'), eine Vielzahl kontroverser Stimmen gleichberechtigt zur Geltung bringt - Stimmen, die nur teilweise mit seinen eigenen, militant slawophilen Überzeugungen korrespondieren, zum andern jedoch, ebenso nachdrücklich, seine 'westlerischen', 'nihilistischen', 'sozialistischen', 'materialistischen', 'atheistischen' Kontrahenten zu Wort kommen lassen.

Die Beilage Literatur und Kunst pirscht sich an Friedrich Schiller heran, von allen Seiten. Auf den staubigen Pisten des Iran treibt sich der Lyriker Albert Ostermaier mit den jungen einheimischen Kollegen herum. Zuckrigen Safran kauend rasen sie durch die Nacht. "Wir konzentrierten uns auf die Wortfetzen der Nachrichten, als uns auf der Überholspur ein Wagen entgegenschoss und uns abdrängte. Ich war noch ganz vom Schock benommen, da war plötzlich zwischen dem Rauschen und der fremden Sprachmelodie ein Name für mich verständlich: Ratzinger." Und auch die deutsche Klassik hat es bis zu einer gottvergessenen Autobahnausfahrt der iranischen Provinz geschafft. "'All talk about Goethe here, but I love Schiller', der junge Dichter holte mich zurück aus meinen Gedanken, 'Schiller is like Juventus, you know. Freedom will win.'"

Außerdem dekliniert Martin Meyer in einem Rundumschlag die gedanklichen Eckpunkte des Schillerschen Kosmos durch, unter anderem den Widerspruch von Realismus und Idealismus, Daniel Müller Niebala weist auf die existenzielle Bedeutung der Sprache für Schiller hin, Barbara Villiger Heilig rühmt die Erzählungen als Essenz des Schillerschen Denkens, Wolfgang Stähr beschreibt das Misstrauen gegenüber der Musik, und Uwe Justus Wenzel diktiert die Positionen Kants und Schillers zur Problematik von Neigung und Pflicht.

Besprochen werden eine Ausstellung über den Sakralarchitekten Dominikus Böhm im Deutschen Architektur-Museum in Frankfurt, Walter Küngs Theaterabend "Willkommen im Mittelland" zum Werk Ernst Burrens am Theater Biel-Solothurn, eine Reihe von Schiller-Biografien sowie zwei Bände, die sich mit den soziokulturellen Ursachen der Unterentwicklung Afrikas beschäftigen (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

TAZ, 07.05.2005

Dem 8. Mai ist auf den vorderen Seiten ein siebenseitiges Dossier gewidmet. Der amerikanische Soziologe Norman Birnbaum sieht in seinem Essay bereits ein Ende der amerikanischen Epoche aufziehen: "Wird die Welt, sechzig Jahre nach 1945, erneut von der Kultur, dem Wirtschaftsmodell, der Macht der USA dominiert? Der Schein täuscht diejenigen, für die die Überlegenheit der USA eine Glaubensfrage ist. Ohne Einvernehmen über eine nationale Kultur und mit einer zu unvollkommenen Demokratie kann ein geteilter amerikanischer Staat die Rolle in der Welt, die er für sich in Anspruch nimmt, nicht weiter aufrechterhalten. Wenn die Europäer, besonders die Westeuropäer, nicht die Gelegenheit nutzen, ihre Unabhängigkeit und ihr Recht auf Gleichheit bei der weltweiten Autorität zu beanspruchen, bedeutet dies nicht automatisch, dass die USA am Ende als Sieger dastehen werden."

Außerdem: Christian Semler beschreibt die "Zusammenbruchsgesellschaft". Der Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch vergleicht im Interview mit Jörn Kabisch das Kriegsende von 1945 mit anderen großen Niederlagen der Geschichte. Die Historikerin Georgette Elgey beschreibt das Ende des Krieges und seine Folgen aus französischer Perspektive. Andreas Zumach erinnert an die Gründung der UNO 1945.

Im Kulturaufmacher beschäftigt sich Jörg Becker mit dem Phänomen, dass Historiker vor dem Drehstart zwar - gerade bei Filmen, die im Nationalsozialismus spielen - als Berater dienten, doch nach dem Filmstart oft die schärfsten Kritiker seien.

Andere Themen: Katrin Bettina Müller berichtet über das Performance- und Kunstformat X-Wohnungen, das in Berlin Theaterstücke in privaten Wohnräumen zeigt. Zu lesen ist außerdem ein Interview mit Dirk von Lowtzow, dem Sänger der Band Tocotronic. Und in der Rubrik "Kleine Schillerkunde" erzählt Tom Wolf die Geschichte des Nachbaus von Schillers Schreibtisch im KZ Buchenwald.

Besprochen werden Robert Thalheims Debütfilm "Netto", im Magazin außerdem Bücher, darunter Paulo Coelhos neuester Roman "Der Zahir", der Roman "Ausgesetzt" von Joyce Carol Oates, der Roman "Vom zweifelhaften Vergnügen, tot zu sein" des isländischen Autors Hallgrimur Helgason, das von Wolfgang Fritz Haug herausgegebene "Historisch-Kritische Wörterbuch des Marxismus" und eine Studie des Franzosen Robert Castel über den Niedergang des Wohlfahrtsstaates sowie Thesen zu seiner Reform (mehr dazu in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Im Magazin erzählt der ehemalige ZDF-Reporter Dieter Zimmer die Geschichte der "zähen" Rekonstruktion des Schicksals von Hans, den ein nationalsozialistisches Kriegsgericht zum Rosa-Winkel-Aussätzigen gemacht hat und der in Norwegen begraben liegt. Jan Feddersen fragt sich, warum der im Nationalsozialismus hoch gehaltene Muttertag "allem Feminismus zum Trotz" heute noch immer begangen, wenn nicht gefeiert wird. Im Kulturteil erklärt Ute Scheub, inwiefern sich die These, dass sich die Befürchtung, deutsche Kriegskinder wollten sich nach 60 Jahren zu "den deutschen Kriegsopfern stilisieren", glücklicherweise "nicht erfüllt" habe. Und in der tazzwei denkt Clemens Niedenthal über die schwierige Rolle des Zeitzeugen nach; denn Geschichte sei "immer eine Konstruktion, vor allem die eigene".


Und hier TOM.

FR, 07.05.2005

Im Aufmachertext verortet Christian Thomas das Berliner Holocaust-Denkmal und die ihm "eingepflanzten" Erinnerungsräume zwischen Abstraktion und Konkretion. "Lange umstritten, zeigt sich der 'Ort der Information' als (didaktische) Ergänzung und (politische) Notwendigkeit. Das Museum ist der Pfahl im Fleische der Eisenmanschen Abstraktion. Mit ihm wird eine politische Verantwortung übernommen, eine Selbstverpflichtung der deutschen Gesellschaft, ihrer Politik und Kultur, zur Erinnerung an den von Nazideutschland begangenen Massenmord."

Weiteres: Mit einer Besprechung einer Fotografie von Lee Miller beendet Michael Teztlaff die Reihe "Inventur". Und in Times mager geht es wieder ziemlich speziell zu: um Oxford, einen Hiphopper und auch sonst. Sorry. Danke.

Besprochen werden die Uraufführung von Lorin Maazels Oper "1984" in Covent Garden, Bahman Ghobadis Film "Schildkröten können fliegen", Rafael Spregelburds Stück "Die Dummheit" an der Berliner Schaubühne, Hans-Joachim Hespos' offenbar ziemlich anspruchsvolles Projekt "iOPAL.große oper" am Staatstheater Hannover, eine CD-Box mit Aufnahmen von Yo La Tengo aus 20 Jahren.

FAZ, 07.05.2005

Der Kommunikationshistoriker und Autor Bernd Sösemann sieht das Kriegsende am 8. Mai 1945 als mediale Konstruktion. "Wenn morgen nicht allgemein des Friedens, sondern der Kapitulation des Hitler-Regimes gedacht werden soll, dann geschieht es - einen Tag zu spät. Denn allein der 7. Mai ragt in dem zweiwöchigen Prozess der Kapitulationen und ihres Vollzugs heraus, der sich vom 29. April bis zum 12. Mai erstreckte. Sollte morgen jedoch des Friedens gedacht werden, dann geschieht es mindestens - einen Tag zu früh. Nicht einmal das deutsche Publikum verfügte in jenen Tagen über aktuelle präzise Informationen, denn die Kommunikations- und Rezeptionssituation war desolat: Das Medien- und Nachrichtennetz funktionierte nur zeitweise und eingeschränkt, Leser und Hörer trauten den alliierten oder deutschen Medien wenig oder gar nicht."

Bei der Erinnerung an den 8. Mai 1945 muss den Deutschen auch die Trauer erlaubt sein, meint Lorenz Jaeger im Leitartikel. Alles andere sei "Frevel". Dem neuen Museum MARTa in Herford schreibt Andreas Rossmann zwar eine fast "possierliche Anmutung" zu, Jan Hoets Eröffnungsausstellung "(my private) heroes" kann die Dominanz der Architektur gegenüber der Kunst aber nicht brechen. Joseph Croitoru erfährt aus zwei Osteuropa-Zeitschriften Einzelheiten über die Prager Stalin-Statue und die große Rolle der Technik im Kommunismus. "Aro" sorgt sich angesichts der ersten Aufführung des neuen Festivalleiters Frank Hoffmann, eine "wahllos zusammengeklaubte" Version der "Minna von Barnhelm", um die Ruhrfestspiele.

In den Überresten von Bilder und Zeiten porträtiert Patrick Bahners den nun achtzigjährigen Historiker und Erforscher des Mittelalters Arno Borst, Autor der "Lebensformen im Mittelalter". Und Jan Brand stellt die SS-Zeitschrift "Das Schwarze Korps" vor, die unter Chefredakteur Gunter D'Alquen als "feuilletonistische Wochenzeitung" auf ideologischer Basis auftrat.

Besprochen werden Bahman Ghobadis Film "Schildkröten können fliegen" (mehr), der angeblich erste irakische Spielfilm nach dem Sturz Saddam Husseins, Nicolas Joels Inszenierung von Alfredo Catalanis Oper "La Wally" in Düsseldorf, eine ganze Reihe an Aufnahmen von und mit Keith Jarrett, und Bücher, darunter Mihail Sebastians beeindruckendes rumänisches Tagebuch "Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt", Rafael Chirbes Abschlussband seiner Spanien-Trilogie "Alte Freunde" sowie F. K. Waechters Shakespeare-Phantasie "Prinz Hamlet" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Tagesspiegel, 07.05.2005

Mit dem Verschwinden der letzten Zeitzeugen werden die Erfahrungen Einzelner endgültig von einem Kollektiv-Gedächtnis überlagert werden, prophezeit die Literaturwissenschaftlerin und Autorin Aleida Assmann. "Was bleibt den Nachgeborenen, die sich gleichfalls im Modus eines 'Wir' auf dieses Ereignis beziehen, von der Vergangenheit? Es sind kulturell aufbereitete und gedeutete Zeichen wie Bauten, Gedenkorte, Ausstellungen, Bücher, Filme, Videozeugnisse oder Denkmäler, die Sekundär-Erfahrungen möglich machen und eine sekundäre Erinnerung stützen, die auf Wissen und Lernen beruht." Assmann glaubt, dass diese Zäsur der Generationen keine Verschiebung, sondern lediglich eine neue Akzentuierung des Erinnerns mit sich bringen wird.