Heute in den Feuilletons

Pure Idyllen der achtziger Jahre

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.03.2013. Die NZZ möchte das Roma-Problem als Armutsproblem und nicht als ein ethnisches behandelt sehen. Außerdem würdigt sie den frischgekürten Pritzker-Preisträger Toyo Ito. Dezeen bringt eine Menge Bilder von seinen Entwürfen. Warum kommen in der Serie "Borgen", die einen illusionslosen Blick auf Dänemark werfen will, Karikaturenstreit und Islamdebatte gar nicht vor?, fragen Jens-Martin Eriksen und Frederik Stjernfelt im Perlentaucher. Richard Herzinger geißelt in seinem Blog die Stigmatisierung der Gottlosen durch den neuen Papst. In der FR gibt Hans-Ulrich Wehler eine Wahlempfehlung für Peer Steinbrück.

Perlentaucher, 18.03.2013

"Borgen" ist eine geniale Serie finden die dänischen Autoren Jens-Martin Eriksen und Frederik Stjernfelt, aber sie hat auch höchst bezeichnende Grenzen. Zwar beansprucht die Serie, einen höchst präzisen Blick in dänische Politik und Medien zu werfen - aber Karikaturenenstreit und Islam-Debatte werden kommunikativ beschwiegen. Gleiches gilt, in geringerem Maße, für "Kommissarin Lund": "Was dieses Thema angeht und die Art, wie es die dänische Innenpolitik und die Öffentlichkeit traf und traumatisierte, sind diese Serien pure Idyllen der achtziger Jahre. Sie porträtieren die dänische - und westliche - Gesellschaft wie vor Jahrzehnten, unschuldig und ohne die schleichende Furcht unter kritischen Autoren und Künstlern, die im Hinterkopf immer wissen, dass bestimmte Themen nach ganz oben auf eine Terrorliste katapultieren könnten."
Stichwörter: Borgen

NZZ, 18.03.2013

Die Roma waren nicht nur in der Slowakei die großen Verlierer der Wende, erinnert Alena Wagnerová und fordert eine europäische Gemeinschaftsanstrengung zu ihrer Reintegration: "Die Lösung der Roma-Frage ist keine Einbahnstraße. Auch die Mehrheitsgesellschaft muss sich in ihrem Verhältnis zu den Roma ändern, die alten Vorurteile abbauen, deren Eigenart akzeptieren, will man, dass auch sie unsere Standards akzeptieren. Das Wichtigste ist aber, das Roma-Problem als ein Armutsproblem und nicht als Problem einer 'minderwertigen Ethnie' zu verstehen, 'die jetzt über uns herfällt'. Dies kann man freilich nicht mit der Erhöhung der Sozialhilfe lösen, die die Menschen in Passivität und Abhängigkeit belässt, sondern nur durch Beschäftigungs- und Qualifikationsangebote."

Weiteres: Auch nach 200 Jahren wirke die Therapie der Grimmschen Märchen, versichert der Schriftsteller Urs Widmer: "Die Märchen helfen uns, geradezu genussvoll mit unsern Triebkräften umzugehen, den lichten und den schwärzesten." Roman Hollenstein meldet, dass der diesjährige Pritzker Architekturpreis an den japanischen Architekten Toyo Ito geht.

Besprochen werden Theaterinszenierungen, wie Marco Santis Inszenierung von Peter Handkes Schauspiel "Die Stunde" am Theater St. Gallen, Thomas Ostermeiers Inszenierung von Ibsens "Gespenster" am Théâtre Vidy-Lausanne und das Ballett "Cinderella" am Theater Basel.

Aus den Blogs, 18.03.2013

Als Erstes hat der neue Papst schon mal eines klargestellt: "Wer nicht zu Gott betet, betet zum Teufel." Richard Herzinger schreibt dazu in seinem Blog: "Dass die Ungläubigen zu Werkzeugen Satans erklärt werden, kennt man sonst eigentlich nur aus dem Munde fundamentalistischer islamischer Hassprediger. Und tatsächlich scheint der Papst diese wesentlich weniger schlimm zu finden als die Glaubenslosen, teilen die Islamisten mit ihm doch immerhin die Überzeugung, über uns herrsche ein Allmächtiger im Himmel. Welch ein Trost immerhin, dass die Stigmatisierung der Gottlosen durch das katholische Kirchenoberhaupt heutzutage nur rhetorisch bleibt..."

Der Filmemacher Christian von Borries betreibt Crowdfunding für einen Essayfilm über Apple und China, berichtet Philipp Otto in irights.info: "Man kann die Produktion ganz einfach mit Überweisung per Kreditkarte über die Projektseite bei Indigogo unterstützen. Zu Beginn des Sommers wird der Dokumentarfilm dann auf Filmfestivals und kostenlos auf Youtube und anderen Video-Plattformen zu sehen sein. Der Autor verzichtet dabei bewusst auf Copyright-Maßnahmen und Lizenzen."

Das Dezeen Magazine stellt den neuen Pritzker-Preisträger Toyo Ito vor und zeigt seine aufregendsten Bauten, von der Sendai Mediathek über die Tama Art University Library bis zur Serpentine Gallery Pavilion.

Welt, 18.03.2013

Alexander von Schönburg gehen die ostentativen Bescheidenheitsgesten des neuen Papstes bereits auf die Nerven. Er deutet sie als Entzauberung des Priesteramts, das vor allem der Laizisierung der von Nachwuchsmangel gefährdeten Institution dient, und überhaupt als Arroganz: "Es sind nicht sie - die Inhaber der Ämter -, denen unsere Ehrerbietung gilt. Als Personen sind sie Menschen wie du und ich. Es sind ihre Ämter."

Hanns-Georg Rodek kommentiert ein Urteil des Oberlandesgerichts Dresden, das die Rechte freier Produzenten gegenüber den öffentlich-rechtlichen Anstalten stärkt (und, aber das sagt er nicht, in Parallele zu den Prozessen zwischen Zeitungen und freien Journalisten gelesen werden könnte). Jan Küveler klärt im Gespräch mit Max Dax einige Streitfragen zur historischen Rolle der Zeitschrift Spex, die Dax gerade in einem umstrittenen Sammelband beleuchtet hat. Hans-Joachim Müller begeht das um das "Kommandantenhaus" am Schloss Charlottenburg erweiterte Museum Berggruen.

Besprochen wird Becketts "Das letzte Band", inszeniert von Peter Stein und mit Klaus-Maria Brandauer.

TAZ, 18.03.2013

Auf der Meinungsseite erkennt Michael Braun in der 5-Sterne-Bewegung des Beppe Grillo weniger das italienische Fieber als das Thermometer: "Gleich drei Krisen bilden den Nährboden für den 'Grillismus': die strukturelle, mit dem schlichten Wort 'Niedergang' beschriebene Krise des Landes, die seit mehr als einem Jahrzehnt anhält; die moralische Krise der Politik und der Parteien; und schließlich - erst in den letzten eineinhalb Jahren - die akute Krise rund um den Euro."

Friedrich Küppersbusch glaubt nicht, dass die hohen Managergehälter schuld am langen Winter sind: "Heino singt Rammstein, Raab moderiert das Kanzlerduell, ein Papst geht in Frührente - es ist das Zeitalter der Travestie und der März macht mit."

Juliane Streich berichtet von einer Leipziger Diskussion über Vergangenheit und Gegenwart der Spex. Tim Caspar Boehme ist auch nach einer Woche noch einverstanden mit dem Buchpreis für David Wagner und seinen Roman "Leben" Hengame Yaghoobifarah war in Berlin auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung zu Männlichkeitsbildern. Petra Schellen besucht eine Ausstellung zu William S. Burroughs in den Hamburger Deichtorhallen.

Und Tom.

Weitere Medien, 18.03.2013

In der FR geißelt der Historiker Hans-Ulrich Wehler im Interview mit Michael Hesse die wachsende Kluft von Arm und Reich in Deutschland und hofft für eine Reform des Erbrechts und der Vermögenssteuer auf Peer Steinbrück: "Er ist ein sehr guter Ökonom. Ich habe ihm mein Buch sofort geschickt. Ich glaube, dass er es kann. Nur muss er diese ganzen anderen Sachen mit den Nebenhonoraren und so weiter sofort aufgeben und sich ganz auf diese Probleme der sozialen Ungleichheit werfen. Dann wird er sofort Resonanz finden."

FAZ, 18.03.2013

Oliver Jungen resümiert die lit.cologne, wo man sich gleichberechtigt anöden wie bespaßen lassen konnte, selbst wenn es sich nur um ein Missverständnis handelt: "Da gab es etwa die an Langeweile nicht zu übertreffende, aber von anderthalbtausend feingemachten Fans begeistert verfolgte Lesung der spröden Elizabeth George, die mordsöde Passagen ihrer neuesten Inspector-Lynley-Fließbandproduktion zum Besten gab ... Gleich darauf, nur wenige Schritte entfernt und mit derselben Begeisterung angekündigt, folgte der irisierende Auftritt von Rainald Goetz. Eine andere Welt!"

Weitere Artikel: Die Frankfurter Politik kündigt ein parteiübergreifendes Bündnis für ein Romantikmuseum in der Stadt an, meldet Sandra Kegel. Marcus Jauer berichtet, wie sich David Hasselhoff in Berlin gegen eine Vergrößerung der Lücken in der East Side Gallery engagiert (hier ein Video davon). Außerdem gibt es ein Gruppengespräch mit dem Produzenten des Weltkriegs-Fernsehblockbusters "Unsere Mütter, unsere Väter".

Besprochen werden Samuel Becketts "Das letzte Band" in Neuhardenberg, Thomas Ostermeiers "Gespenster"-Inszenierung am Théâtre Vidy in Lausanne, Leoncavallos "Die Medici" am Theater Erfurt und Bücher, darunter eine neue Van-Gogh-Biografie von Steven Naifeh und Gregory White Smith (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

SZ, 18.03.2013

Nach Bernd Neumanns Rede bei der Leipziger Buchmesse ist auch weiterhin nicht mit einem Fördermodell für Buchläden zu rechnen, berichtet Felix Stephan. Laut den Förder-Befürwortern steckt dahinter ohnehin eine Art Literaturförderung über Umwege: "Wenn die Buchhandlungen als Distributeure besonderer Literatur ausfallen, ist die gesamte unabhängige Literaturszene des Landes betroffen ... " Ja, aber warum fördert man dann denn nicht gleich die Verlage?

Weitere Artikel: Niklas Hofmann sammelt Stimmen zu Googles Ankündigung, den GoogleReader einzustellen, darunter auch Günther Hacks lesenswerte Einschätzung beim ORF, derzufolge sich der Konzern damit zusehends von offenen Standards im Netz verabschiede. Bernd Dörries besucht Christos Big Air Package in Oberhausen, für das der Künstler die Luft innerhalb des örtlichen Gasometers verpackt hat (hier einige Eindrücke). Gottfried Knapp gratuliert dem Architekten und Karikaturenzeichner Gustav Peichl zum 85. Geburtstag.

Besprochen werden die Ausstellung "Concrete - Fotografie und Architektur" im Fotomuseum Winterthur, der Dokumentarfilm "Sofia's Last Ambulance", Peter Steins Inszenierung von Becketts "Das letzte Band" mit Klaus Maria Brandauer in Neuhardenberg und ein Band mit Erzählungen von Sergio Pitol (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).