Heute in den Feuilletons

Gegenwartskompatibler als jeder Actionfilm

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.03.2013. In der NZZ bekennt der Politologe Otto Kallscheuer, dass er sich vom Heiligen Geist etwas mehr Mut bei der Papstwahl gewünscht hätte. Der Tagesspiegel erklärt, was die vatikanischen Riten so netzkompatibel macht. Auf der Leipziger Buchmesse wird der Name des Teufels Amazon gemieden, berichtet die SZ. Mit der Verleihung des Leipziger Buchpreises an David Wagner sind alle einverstanden. Die FAZ empfiehlt einen generationenübergreifenden Fernsehsonntag.

Welt, 15.03.2013

Im Interview mit Regisseur Judd Apatow vergleicht Josef Engels die Dusch-Sex-Szene in "Immer Ärger mit 40" mit der Dusch-Sex-Szene in Lars von Triers "Antichrist". Antwort: "Ich wurde noch nie mit ihm verglichen. Danke! Gesehen habe ich den Film nicht. Wovon handelt er denn?"

Weitere Artikel: Richard Kämmerlings begrüßt den Leipziger Buchpreis für David Wagners "Leben" und wundert sich noch im nachhinein, "dass eine mit so viel Kompetenz und Erfahrung besetzte Jury (unter dem Vorsitz von Hubert Winkels) so auf Nebensächliches, ja Abseitiges setzte". Dankwart Guratzsch ist alarmiert über den Beschluss der NRW-Regierung, so gut wie keine Mittel mehr für den Denkmalschutz zur Verfügung zu stellen - während Baden-Württemberg für die gleichen Aufgaben über 40 Millionen Euro im Jahr einplant. Mara Delius berichtet von der Verleihung der Leipziger Buchpreise.

Besprochen werden eine Ausstellung mit neuer polnischer Kunst in Leverkusen und die neue CD von Justin Timberlake.


NZZ, 15.03.2013

Der betagte Jorge Mario Bergoglio ist "nur ein weiterer Übergangs-Pontifex", bemerkt der Politologe Otto Kallscheuer etwas enttäuscht mit Blick auf revolutionärere Kandidaten wie den Mailänder Kardinal Angelo Scola: "Offenbar fand der Heilige Geist diesmal doch nicht den rechten Mut zum energischen, charismatischen Auf- und Durchbruch mit einem jüngeren Kirchenführer aus dem globalen Süden. So mag das Ergebnis des Konklaves einem Kalkül nicht des Heiligen Geistes, sondern - doch - des genius loci im Vatikan folgen: Eine Verbindung von Moderne und Evangelisierung, ja - aber bloß nicht mit eigener Agenda in Rom! Einen Vertreter des globalen Südens, der die Spiritualität der Armut ernst nimmt, ja - aber bitte keinen sozialpolitischen Aktivisten!"

Weiteres: Der Beschluss, Erich Mendelsohns Jerusalemer Schocken-Villa mehrgeschossig aufzustocken, hat in Israel eine Debatte über die Erhaltung des architektonischen Erbes der Moderne ausgelöst, berichtet Carsten Krohn. Besprochen werden neue Alben von Jamie Lidell, Justin Timberlake und Mop Mop sowie Elfriede Jelineks US-Premiere "Jackie" (in dem die Autorin der ehemaligen First Lady "einen furiosen Monolog auf den schlanken Leib geschneidert hat", wie Andrea Köhler sich ausdrückt).

Tagesspiegel, 15.03.2013

Johannes Schneider überlegt, weshalb die jüngste Papstwahl ausgerechnet im Internet ein so enormes Echo ausgelöst hat: "Die uralten vatikanischen Riten taugen, das wurde am Mittwoch deutlich, zum ultimativen Medienereignis 2.0. Die Mischung aus maximaler Brisanz und - über weite Strecken - minimaler Aktion ist perfekt, um Twitter und Facebook zu beschäftigen. Das Konklave erweist sich als gegenwartskompatibler als jeder Actionfilm."

Als Beweis taugt dieses Bild aus dem NBC News Instagram Feed:

TAZ, 15.03.2013

Thorsten Ibs ist ganz begeistert über Sebastian Hartmanns letzte Inszenierungen und das Programm seiner Leipziger Festspiele, bei denen Dostojewski, Sorokin und Tarkowski auf die Bühne des Centraltheaters kommen; den Auftakt machte seine Bearbeitung von Dostojewskis Roman "Der Traum des lächerlichen Menschen" als Solonummer mit Band. Am Mittwoch folgte "Rio Reiser: Der Traum ist aus, aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird" in der Inszenierung von Chefdramaturg Uwe Bautz. Tim Caspar Boehme berichtet angenehm enttäuscht von der Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse an David Wagner. Nina Apin porträtiert den Singer-Songwriter Matthew Houck alias Phosphorescent, der sein neues Album "Muchacho" vorlegt. Jan Scheper unterhält sich mit Rasmus Engler und Deniz Jaspersen alias die Musikgruppe Herrenmagazin über ihr neues Album "Das Ergebnis wäre Stille".

Besprochen werden das Album "Krieg und Frieden" von Sascha Ring alias Apparat und ein neues Buch von Julian Assange: "Cypherpunks"" (mehr dazu in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Und Tom.

SZ, 15.03.2013

Lothar Müller berichtet vom Auftakt der Leipziger Buchmesse, wo man "einer alten sprachmagischen Tradition [folgt], derzufolge es die Macht des Teufels schwächt, wenn man seinen Namen nicht nennt" und dementsprechend von Beelzebub Amazon nur sehr andeutungsreich spricht. Joseph Hanimann informiert sich in neuen französischen Studien über den Typus des mediterranen Rechtspopulisten. Jörg Häntzschel stellt das neue, zweite Haus des Berliner Museum Berggruen vor. Willibald Sauerländer würdigt den 84jährig verstorbenen Museumsdirektor Werner Hofmann als einen der "glänzendsten Köpfe" der hiesigen Kunstgeschichte. Hans-Peter Kunisch schlendert auf den Spuren des Festivals lit.cologne durch Kölner Nächte, wo er unter anderem auf einen musterschülerhaften Roger Willemsen und einen etwas mimosenartigen Mircea Cartarescu stößt. Fritz Göttler gratuliert David Cronenberg zum 70. Geburtstag (passend dazu ein 90minütiges Interview mit dem Filmemacher in der 3sat-Mediathek). Christine Dössel schreibt den Nachruf auf die Schauspielerin Rosemarie Fendel. Außerdem wird gemeldet, dass der Leipziger Buchpreis an David Wagner, Helmut Böttiger und Eva Hesse geht.

Auf der Medienseite stellt Dirk von Gehlen den Tumblelog-Service Tumblr vor, dessen Popularität derzeit explosionsartig zunimmt.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Fotografien von Chim und Roman Vishniac in New York, Leander Haußmans Komödie "Hai-Alarm am Müggelsee" (Rainer Gansera amüsiert sich über "grandiosen Trash und irrwitzig Versponnenes") und Bücher, darunter Nassim Nicholas Talebs "Antifragilität" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 15.03.2013

Ein bis in Mark und Bein feierlicher Frank Schirrmacher wünscht sich inniglich, dass die Familien am kommenden Sonntag generationenübergreifend vor dem Fernseher sitzen, wenn das ZDF den Film "Unsere Mütter, unsere Väter" zeigt. Constanze Kurz fühlt sich nach der Anhörung zur Fingerabdruckpflicht in den EU-Reisepässen vom Bundesgerichtshof verwöhnt: Anders als dieser scheint sich der Europäische Gerichtshof für technische Tragweiten wenig zu interessieren, ärgert sich die Computerexpertin. Andreas Rossmann streift auf den Spuren der Beatles durch Liverpool. Marcus Jauer stellt eine im Internet ausgestrahlte (und von der "Bundeszentrale für politische Bildung" geförderte) Casting-Show für politische Rapper vor. Angelika Frey berichtet vom Festival Umculo in Kapstadt. Jürgen Dollase schlemmt im Berliner Restaurant Tim Raue. Außerdem bringt die FAZ den dritten Teil ihres Vorabdrucks aus Gerd Gigerenzers Buch "Risiko" (hier die Teile eins und zwei).

Besprochen werden neue Schallplatten, darunter zwei Neuauflagen von Aufnahmen mit Sängerin Christa Ludwig, zwei Ausstellungen über "entartete" und legitimierte Kunst im "Dritten Reich" im Kulturspeicher Würzburg und Bücher, darunter Jörg-Uwe Albigs Roman "Ueberdog" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).