Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
14.03.2003. In der SZ beklagt Orhan Pamuk den Schaden, den die USA der Demokratie in der Türkei beschert haben. In der FAZ beklagt Beque Cufaj die Heuchelei des Westens, der Serbien ignoriert habe und jetzt zum Tod Zoran Djindjics kondoliere. Die NZZ hat Filmfestivals in Teheran, Ouagadougou und Freiburg besucht. Die taz fantasiert sich ins Herz der amerikanischen Drohkulisse.

SZ, 14.03.2003

Der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk (mehr hier) wirft einen Blick auf die Lage in der Türkei, die der Ministerpräsident Tayyip Erdogan strikt auf amerikanischen Kurs bringe: "Das Drängen der Regierung Bush, so bald wie möglich einen Krieg mit Saddam anzufangen, hat nichts damit zu tun, die Demokratie in den Nahen Osten zu bringen. Das genaue Gegenteil ist richtig. Der amerikanische militärische Ehrgeiz schränkt die Demokratie in der Türkei ein und führt zur Einmischung des Militärs in die Politik. Nach der Regierung und der Presse ist jetzt die Änderung des Parlamentsbeschlusses an der Reihe, wofür die Abgeordneten einzeln unter Druck gesetzt werden. Die Welt muss sich über den Schaden klar sein, den die Regierung Bush schon jetzt der Demokratie in der Türkei zugefügt hat."

Trotz der vielen Antikriegspromis scheinen die Verbindungen zwischen Hollywood und Pentagon immer noch bestens zu funktionieren, Fritz Göttler erzählt von der neuesten Idee der Militainment-Branche: "Sobald der Kampf um Bagdad beginnt, wollen US Navy und Marine Corps selbst mit Bildern zur Stelle sein, sollen in amerikanischen Kinos Spots vor dem Hauptfilm von den Soldaten an der Front berichten. Die Wiederkehr also einer ehrwürdigen Institution, der Wochenschau."

Weitere Artikel: "mea" kritisiert die Aufweichung der Unesco-Kriterien für das Weltkulturerbe. Künftig können Regierung die Klassifizierung ihrer Stätten verhindern, wenn diese "der Entwicklung des Landes entgegensteht" (Und wem haben wir das zu verdanken? Genau!). Holger Liebs erfreut sich am strahlenden Glanze, in dem die Wiener Albertina wiedereröffnet wird. Julia Encke war bei einem Vortrag von Herfried Münkler, bei dem er die Thesen seines Buches "Die neuen Kriege" erläuterte. Barbara Völkel weist darauf hin, dass archäologische Fundstätten stetig und mit großem Gewinn geplündert werden. Uwe Mattheis berichtet von einer Diskussion über "Kultur zwischen Kommerz und Widerstand"

Der Historiker Reinhart Koselleck ("Zeitschichten") erinnert zum ersten Todestag an seinen "Lehrer und Freund" Hans-Georg Gadamer. Susan Vahabzadeh gratuliert dem Schauspieler Sir Michael Caine zum siebzigsten Geburtstag. Zum jeweils Siebzigsten gehen Glückwünsche von Karl Bruckmaier an Quincy Jones und Cecil Taylor. Und "fbo" schreibt einen Nachruf auf den Romanautor Howard Fast ("Spartakus").

Auf der Medien-Seite empören sich Andrian Kreye und Hans Leyendecker, wie Bushs Leute mit Seymour Hersh, dem Enthüllungsjournalisten des New Yorker umgehen, seit er aufgedeckt hat, welchen Gewinn Präsidentenberater Richard Perle aus einem Krieg ziehen würde: "Sy Hersh is the closest thing American journalism has to a terrorist" (die Geschichte ist hier nachzulesen. Stefan Winterbauer erklärt, wer sich mit Rainer Langhans' Senioren-Harem eine goldene Nase verdient.

Besprochen werden Roberto Benignis Film "Pinocchio", das Flamencofestival von Jerez de la Frontera und Bücher, darunter Klopstocks Schrift "Die deutsche Gelehrtenrepublik" und die erste Studie über das Sonderkommando in Auschwitz "Zeugen aus der Todeszone".

NZZ, 14.03.2003

Peter Wien vom Zentrum Moderner Orient in Berlin beschreibt den Einfluss nationalsozialistischer deutscher Ideen im Irak, der nicht so groß sei, wie oft behauptet. Im Irak "wurde der arabische Aufstand in Palästina von 1936 bis 1939 zum bestimmenden Symbol des gemeinsamen Kampfes der Araber um nationale Unabhängigkeit. Der Zionismus wurde mit dem britischen Imperialismus gleichgesetzt. Vor diesem Hintergrund nahmen in den späten dreissiger Jahren Anfeindungen gegen irakische Juden zu. Sie entsprangen keinem Antisemitismus, sondern einem aggressiven Antizionismus."

Weitere Artikel: Heinz Schlaffer (mehr hier) schreibt zum zweihundertsten Todestag von Friedrich Gottlieb Klopstock. Michael Mayer schreibt zum hundertsten Geburtstag des Pädagogen Otto Friedrich Bollnow.

Besprochen werden ein Mozartkonzert mit Frans Brüggen und dem Tonhalle-Orchester Zürich ("Warum denn das? Niemand gerät aus dem Häuschen, man nimmt es ungerührt entgegen - dabei: Was sich die letzten zehn Tage in der Tonhalle Zürich ereignet hat, liess wieder einmal erkennen, auf welch außergewöhnlichem Niveau hier das musikalische Kunstwerk gepflegt wird", ruft begeistert Peter Hagmann) und zwei Theateraufführungen in Genf: Michel Berettis Stück über Henry Dunant an der Comedie de Geneve und Olivier Chiacchiaris "La preuve du contraire" am Theatre du Grütli.

Die kommen aber rum, die NZZ-Filmkritiker: Robert Richter war beim Filmfestival in Teheran und hat beobachtet, dass die gelockerten Zensurnormen dem iranischen Film nicht gut getan haben: Es drohe "Verflachung". Frank Wittmann beschreibt das Fespaco, das Filmfestival in Ouagadougou, als Spiegel afrikanischer Befindlichkeit. Ebs. stellt die Schwerpunkte Lateinamerika und Nahost beim 17. Filmfestival in Freiburg vor. Besprochen werden die Filme "Punch-Drunk Love" von Paul Thomas Anderson, "Etre et avoir" von Nicolas Philibert, Luke Gassers Historienfilm "Fremds Land" und ein Buch über Carol Reeds Film "Der Dritte Mann" (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FR, 14.03.2003

Reporter Rolf Paasch hat seine alten Notizblöcke hervorgeholt und zeichnet seine Begegnungen mit dem ermordeten Zoran Djindjic nach, während des Bosnien-Krieges, bei den Protesten gegen Milosevic, auf der Flucht nach Montenegro während des Kosovo-Krieges. Fazit seiner "nachträglichen Annäherung": "Dies war das Dilemma des serbischen Patrioten Zoran Djindjic: Für Europa reagierte er zu langsam, für Serbien agierte er zu schnell. Seine Ermordung zeigt, dass Serbien seinem Tempo nicht folgen konnte." Nachgedruckt wird außerdem ein Gespräch mit Djindjic, im dem sich Djindjic 2001 gegenüber der FR dazu bekannt hat, ein "Abenteurer" zu sein.

Weitere Artikel: Michael Rutschky sinniert darüber, warum sich Politiker vor allem durch ihr Scheitern definieren: "In jeder Gegenwart erscheint der Bundeskanzler als der Politiker, der alles falsch macht, und er erweist sich damit als Prototyp des Politikers überhaupt." In einer ihrer Gerichtsreportagen schildert Ursula März heute den Fall des 29-jährigen Patrick D. aus Berlin, der wegen Vergewaltigung und Zuhälterei angeklagt ist. In der Kolumne Times mager fürchtet "cs", dass der rauhe Wind, der zur Zeit über der Frankfurter Buchmesse weht, dem einen oder anderen Verhandler "ein paar entscheidende Hemmschwellen zuviel aus dem Stübchen geblasen" hat.

Außerdem zu lesen ist die Erzählung des polnisch-amerikanischen Autor Zymunt Haupt "Liebe Mutter, sei stolz, ich trage die Fahne".

Besprochen werden Roberto Benignis "enttäuschende" Version des "Pinocchio" und Bücher, darunter die beiden neuen Biografien über Katia Mann, der von Bernd W. Kubbig herausgegebene Band "Brandherd Irak" sowie die Memoiren von George Soros' Vater Tivadar Soros (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 14.03.2003

Jürgen Berger hat sich ins Herz der amerikanischen Drohkulisse hineinfantasiert und wartet mit Dante und Beckett im Gepäck auf den Marschbefehl. Das liest sich so: "Siebzig Meter unter dem Meeresspiegel steht die Luft. Und dann haben die Jungs auch nur die 91er Version des Chemical Warfare Suit. Ist ja nur eine Übung hier in Fort Irwin, und der Major meinte bei der letzten Besprechung, am Golf erhalte jeder die neueste Version. Die wiegt halb so viel und man soll sich durchaus kommod fühlen. Dummerweise mussten kürzlich 800.000 wieder eingezogen werden. Kleine Löcher im Gummi. Major Tom W. Shrub meinte nur: 'Kein Problem. Wir müssen das sowieso klarmachen, bevor der Bastard in Bagdad einen Knopf drückt.' Da hat der Major unsicher gelacht. Der Sergeant grinste nur mürrisch und meinte, das sei auf keinen Fall ein Problem. Das Problem sitze in Europa. Dort sei der Feind, und mit dem halte er es wie der alte Clausewitz. 'Der Feind ist kein Feind, wenn du seine Schwächen kennst. Also lies, was der Feind schreibt. Wer schreibt, ist schwach.'"

Thomas Winkler hat sich die erste eigene Platte des Dub-Produzenten Adrian Sherwood "Never Trust A Hippy" angehört. Harald Fricke vernimmt den Willen zur güttlichen Botschaft bei Donnie und Ben Harper. Manfred Hermes empfiehlt den Dokumentarfilm "Forget Baghdad" des Regisseurs Samir über die Auswanderung der irakischen Juden. Christian Seidl porträtiert den Schauspieler Michael Caine (mehr hier), den "ewigen Stenz der Vorstädte", der heute siebzig wird.

Und schließlich Tom.

FAZ, 14.03.2003

Beqe Cufaj erinnert sich mit sehr zwiespältigen Gefühlen an den ermordeten serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic. Auch wenn er vieles an ihm kritisiert, ist er überzeugt, dass das Attentat "Serbiens Dauerkrise weiter verschärft". Die Beileidsbezeugungen westlicher Staatsmänner findet er heuchlerisch: "Was im Verlauf dieser zwei oder drei Jahre auf dem Balkan und mit Zoran Djindjic vorgegangen ist, wurde im Westen mit ziemlicher Gleichgültigkeit beobachtet, vor allem von jenen Medien, für die offenbar erst Blut fließen muß, ehe die 'rückständigen' Regionen und Völker für sie interessant werden."

Der Historiker Robert Darnton erinnert daran, dass Frankreich und Amerika einmal die gleichen Interessen hatten "Wir hatten einen gemeinsamen Feind in den Briten und arbeiteten, von Habgier getrieben, bei den Scheußlichkeiten des Sklavenhandels zusammen. Aber wir teilten auch die Begeisterung für die Ideale der Aufklärung und sahen als Republiken in einer feindlichen, brutalen Welt einem gemeinsamen Schicksal entgegen."

Der brasilianische Schriftsteller Paulo Coelho richtet einen spöttischen Dankesbrief an "Mr. President", warnt aber "Nun, da es keinen Weg zu geben scheint, die Trommeln des Krieges zum Schweigen zu bringen, möchte ich wie ein europäischer König einst zu seinem Invasoren sagen: 'Möge dein Morgen schön sein, möge die Sonne auf den Rüstungen deiner Soldaten strahlen, denn noch am Nachmittag werde ich dich besiegen.'"

Weitere Artikel: Ilona Lehnart berichtet über die Eheanbahnung zwischen Kulturstiftungen von Bund und Ländern. Andreas Kilb gratuliert dem Barbar und Gentleman Michael Caine zum Siebzigsten. Wolfgang Sandner gratuliert Quincy Jones ebenfalls zum Siebzigsten.

Auf der Medienseite bedauert S.K., dass die SZ ihre Nordrhein-Westfalen-Ausgabe einstellen muss und wertet dies als Beweis, dass die "Qualitätszeitungen" nichts für die Krise können: Schuld an allem sei der Anzeigenmarkt. Andreas Rossmann bedauert zwar auch, sieht aber dann doch eine kleine Mitschuld bei der SZ: "Der Anspruch, eine Zeitung für ganz Nordrhein-Westfalen zu machen", war "konzeptionell nicht ausgereift". Jordan Mejias beschreibt entsetzt, wie amerikanische Medien "vor Nationalstolz vibrierend" die Kriegsvorbereitungen von Bush unterstützen. "In diesem Klima verliert denn auch die Maßnahme des Repräsentantenhauses, in seinen Kantinen die French Fries in Freedom Fries umzubennen, seine bloß humoristische Note. Wenn bereits Parlamentarier sich zum Schulterschluß mit chauvinistischen Frittenverkäufern aus Texas bereit finden, ist jegliche Hoffnung auf eine halbwegs rationale Debatte vergebens. Das Feld gehört jenen, die auch in ehemaligen Verbündeten nur Ratten und Wiesel erkennen und ihnen die Froschpest wünschen."

Auf der letzten Seite berichtet Regina Mönch, warum das finanzielle Desaster des Erzbistums Berlin (128 Millionen Euro Schulden) auch eine Folge der Teilung ist. Dietmar Dath porträtiert die Tänzerin, Comic-Autorin, Schauspielerin, Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin Amber Benson, 25 Jahre alt. Gina Thomas hat einen schwer angeschlagenen Premierminister Tony Blair in der Royal Academy beobachtet.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Gemälden und Zeichnungen von Francis Alys in Zürich, Spike Jonzes Film "Adaptation", ein Konzert von David Lindley und Wally Ingram in Aschaffenburg und Bücher, darunter Roberto Bolanos Roman "Amuleto" und Sachbücher (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).