Heute in den Feuilletons

Techno und Rap, Pop, Glamour, Fun

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
11.08.2009. Das Ende des Ammann Verlags schockiert die Feuilletons: Die NZZ hätte sich gewünscht, dass der Verleger über seinen Schatten springt. Die SZ fürchtet, dass es gerade die literarische Passion war, die dem Verlag die Perspektive nahm. Die FAZ hat Ammann interviewt. In der FR schildert  Hector Abad das schwierige Leben der Kolumbianer. Die Welt fragt: Gibt es Rassismus in deutschen Orchestern? Die taz plädiert gegen Dekolletes bei CDU-Politikerinnen im Wahlbezirk Friedrichshain-Kreuzberg.

NZZ, 11.08.2009

Roman Bucheli bedauert, dass der Zürcher Verlag Ammann Mitte 2010 die Tore schließt, findet die Begründung der Besitzer Egon Ammann und Marie-Luise Flammersfeld jedoch fadenscheinig: "Man mag nicht recht glauben, dass in der Schweiz oder Deutschland kein leidenschaftlicher Büchermensch mit Sachverstand und Geschäftssinn zu finden gewesen sei, der einen solch bedeutenden Verlag fortzuführen imstande gewesen wäre. Dieses Lebenswerk wird nicht schmäler, wenn der Verlag nun in einem Jahr nicht mehr existieren wird. Aber es wird eine empfindliche Lücke zurückbleiben, und eine Reihe von Autoren wird ohne Verleger sein. Es ist bedauerlich, dass Egon Ammann nicht über seinen Schatten gesprungen ist und dieses Werk in Hände gelegt hat, die es in seinem Sinne fortzuführen, aber mit eigenem Geist zu beleben vermöchten."

Hochstimmung hat Flora Veit-Wild beim Kulturfestival im simbabwischen Harare genossen: "Neben international bekannten Musikern wie dem senegalesischen Griot-Sänger Habib Koite oder der südafrikanischen Afropop-Gruppe Malaika traten Gruppen und Künstler aus allen Kontinenten auf, etwa die koreanische Hip-Hop-Tanzgruppe Last of One, ein italienisches Streicherensemble oder die spritzig-witzige oberbayrische Blaskapelle La BrassBanda."

Weiteres: Ulrich Schmid schreibt den Nachruf zum Tod des Czernowitzer jiddischen Schriftstellers Josef Burg. Besprochen werden die Ausstellung "Landscape of Childhood" in Peking und die Vivaldi-Hebbel-Oper "Judith" bei den Salzburger Festspielen, die Romane "Der Meermann" von Niels Brunse und "Ich verfluche den Fluss der Zeit" von Per Petterson (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FR, 11.08.2009

Der kolumbianische Schriftsteller Hector Abad erzählt vom Leben im "Fegefeuer": "Wir sind 44 Millionen, die hier leben, weitere vier Millionen leben über die ganze Welt verstreut, vor allem in Venezuela, in Europa und den USA. Das Land ist grün und seine Natur alles andere als ärmlich. Medellin, die Stadt, in der ich lebe, ist nicht die schlimmste in Lateinamerika, nicht einmal die gewalttätigste, auch wenn sie bis vor wenigen Jahren noch die Welthauptstadt der Drogenmafia war. Von 6500 Morden pro Jahr haben wir uns auf 650 verbessert, es werden hier weniger Menschen umgebracht als in Caracas, Mexiko oder sogar Washington. Wir sind weder die Hölle noch das Paradies. Wir leben in einem Purgatorium und versuchen, so viele Seelen wie möglich der Verdammnis zu entreißen und zugleich, langsam und mit verzweifelt müden Schritten, auf jenem Weg in Richtung jenes Fortschritts weiter voranzuschreiten, von dem manch einer behauptet, es sei der Himmel."

Weiteres: In Time mager sieht Harry Nutt viel Arbeit auf die Wahlbeoabchter der OECD in Deutschland zukommen. Besprochen werden Jossi Wielers "sanfte" Uraufführung von Peter Handkes Beckett-Fortschreibung "Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts" in Salzburg, Beethovens Neunte auf dem Berliner Young Euro Classic, Jannis Ritsos' Gedichte "Monovassia und Ben Katchors Comic "Der Jude von New York" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Welt, 11.08.2009

Warum spielen so wenig Asiaten in deutschen Orchestern, obwohl sie in den Orchester-Studiengängen bis zu 50 Prozent ausmachen, fragt Lucas Wiegelmann. Hat das Methode? "Ein weit verbreitetes Vorurteil in Musikerkreisen besagt, dass sie fleißige, technisch korrekte Instrumentalisten seien. Dass es ihnen aber an Herz und Seele, an interpretatorischer Tiefe fehle. Vor allem das Repertoire der Wiener Klassik falle ihnen schwer. Kolja Blacher [Violinprofessor an der Musikhochschule Hanns Eisler]: 'Es gibt den typischen Spruch: 'Da fehlt einfach noch was.' Da ist viel Rassismus bei den Orchestern, teilweise auch bei den Hochschulen.'"

Weiteres: In der Schweiz kratzt gerade eine Doku-Soap am nationalen Selbstverständnis: In "Alpenfestung - Leben im Reduit" wird drei Wochen lang der Zweite Weltkrieg nachgespielt, der "selbstkritische Vorwurf der Kollaboration mit der deutschen Diktatur geht an die moralische Substanz", erzählt Michael Stürmer. Ulrich Weinzierl sah in Salzburg erstens Jossi Wielers Inszenierung von Becketts "Das letzte Band" mit einem "unvergesslichen" Andre Jung als Krapp und zweitens Peter Handkes Stück "Bis das der Tag euch scheidet", ein "Echo" auf Beckett. Besprochen werden außerdem einige CDs.

TAZ, 11.08.2009

Ein nicht sehr schmeichelhaftes Bild der Kölner Kulturpolitik zeichnet Hans-Christoph Zimmermann: "Psychologisch schwankt Köln ständig zwischen Narzissmus und Depression. Da trägt man mit satter Vollmundigkeit den Anspruch der 'Kulturmetropole am Rhein' vor sich her - und schaut zugleich mit manischer Besessenheit auf jedes Ranking."

Weitere Artikel: Thomas Wulffen besucht die Bundesgartenschau in Schwerin. Der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen denkt in seiner Kolumne "Später mehr" über Sportler nach. Besprochen werden Harry Graf Kesslers Tagebuch aus dem Ersten Weltkrieg und eine CD der Crystal Antlers.

Tom.

Etwas gouvernantenhaft reagiert Ines Kappert auf das Wahlkampfplakat von Vera Lengsfeld, die ihr Dekollete als Argument gegen den drögen Hans-Christian Ströbele im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg einbringt: "Ströbele ist hier eine Ikone. Zwei Direktmandate hat er bereits für die Grünen geholt. Hat Lengsfeld jenem unermüdlichen Juristen nichts anderes entgegenzuhalten als ihre Weiblichkeit? Das wäre erbärmlich."

SZ, 11.08.2009

Für Stephan Speicher ist das Ende des Ammann Verlags auch der literarischen Passion der Verleger geschuldet, die auf kommerzielle Belange nicht immer Rücksicht nahmen: "Das größte und prominenteste Projekt aber waren die Neuübersetzungen der Romane Fjodor Dostojewskis durch Swetlana Geier. Jetzt, mit dem absehbaren Ende des Verlags, stellt sich auch die Frage, was davon sich selbst trug. Übersetzungen zu verlegen ist teuer, selbst im Falle der viel bewunderten Dostojewski-Übersetzungen ist man sich in der Branche nicht sicher, ob die Verkäufe die Kosten wieder einspielten."

Weitere Artikel: Thomas Steinfeld mokiert sich über eine Initiative der "Bundeskonferenz Jazz", die sich von Politikern aller Parteien im Wahlkampf die Relevanz ihres im Abschwung befindlichen Genres versichern ließen. Gottfried Knapp besucht das "Zentrum für Internationale Lichtkunst" in Unna und zeigt sich von den eigens angefertigten Installationen in den dunklen Kellern einer ehemaligen Großbrauerei sehr beeindruckt. www.lichtkunst-unna.de. In der "Zwischenzeit" geht Gustav Seibt auf die Suche nach dem Ursprung des Satzes "Weimar liegt bei Buchenwald". Franziska Augstein gratuliert dem Satiriker Pit Knorr zum Siebzigsten. Andrian Kreye würdigt die Arbeit der Fotografen James und Karla Murray, die das Verschwinden bestimmter Gebäude und Ladenfronten in New York dokumentieren. Thomas Urban begutachtet den Neubau der deutschen Botschaft in Warschau, der vom Architekten Holger Kleine entworfen wurde. Alexander Kissler sieht nach einer Gerichtsentscheidung, die es einem frommen Menschen erlaubte, in der Kirche zu bleiben ohne zu zahlen, das Ende der Kirchensteuer nahen.

Auf der Medienseite schildert Thomas Urban die Schwierigkeiten des Springer Verlags mit seiner polnischen Qualitätszeitung Dziennik, deren Auflage sich nach dem Ende der Kaczynski-Episode fast halbiert hat, das populistische Boulevardblatt Fakt bleibt aber die größte Zeitung Polens.

Besprochen werden ein Abend mit Handkes Antwort auf Becketts Stück "Das letzte Band" und diesem selbst in Salzburg und Bücher, darunter zwei Bände über "Behinderung, Kunst und Krüppelbewegung".

Berliner Zeitung, 11.08.2009

Jörg Sundermeier, selbst Kleinverleger, sieht in der Aufgabe des Ammann verlags vor allem ein Anzeichen dafür, dass die Literatur in der Gesellschaft immer stärker ins Hintertreffen gerät: "Unlängst musste bereits der ebenfalls in der Schweiz sitzende Verlag Urs Engeler Editor ankündigen, dass es im Jahr 2010 keine Neuerscheinungen von ihm mehr geben werde. Jüngere Verlage wie Heinrich & Hahn oder Tisch 7, die keineswegs von unbedarften Neulingen gegründet worden waren, sind bereits wieder Geschichte. Auch über andere kleinere Verlage in Deutschland hört man nicht viel Gutes - von diesen könnte man, wäre man bösen Willens, noch sagen, dass sie an ihren allzu großen Ambitionen scheitern. Doch selbst weitaus bekanntere, umsatzstarke Häuser sehen sich zusehends dazu gezwungen, lieber schlechte, aber schnell verkäufliche Bücher von Fernsehsternchen zu publizieren, als eine Belletristik, die diesen Namen verdient."

FAZ, 11.08.2009

Der Schweizer Verleger Egon Ammann hat bekannt gegeben, die Arbeit seines Verlags mit dem nächsten Jahr zu beenden. Im Interview nennt er seine Beweggründe:"So ist etwa der Markt für literarisch anspruchsvolle Innovationen und Entdeckungen dramatisch 'jünger'geworden, will sagen, die Neugier auf die zu lesende Kunst hat, wie wir feststellen mussten, in einem beängstigenden Maß nachgelassen.... Techno und Rap, Pop, Glamour, Fun schieben sich vor das Ernstere. Zerstreuung, Abenteuer, Fantasy, Selbsterfahrung, Internet verbauen den Blick auf das Wesentliche, das wir eines Tages wieder benötigen, wenn viele dieser Phänomene ihre Anziehungskraft verloren haben." Im Kommentar sieht Felicitas von Lovenberg allerdings "die Marktsituation, die für anspruchsvolle Literatur immer schwieriger wird", als wichtige Ursache - und begreift die Aufgabe deshalb auch als "Fanal für die ganze Branche".

Weitere Artikel: Auf der Medienseite porträtiert Hendrik Ankenbrand die russische Journalistin Jelena Kostjuschenko, die investigativ zu recherchieren wagt - naturgemäß, muss man in Russland wohl sagen, unter ständiger Lebensgefahr. Heiner Mühlmann erklärt, warum die Marktwirtschaft nicht mehr länger nur krank macht, sondern inzwischen selbst krank ist. Von Genf aus beobachtet Jürg Altwegg, wie die Franzosen beobachten, was ihre Prominenz im Sommer so treibt. In der Glosse von Oliver Jungen fährt König Kokos mit Angela Merkel und einem betrunkenen Oberbayern mit der Bahn. Oliver G. Hamm begutachtet eine neue Freiraumbibliothek in Magdeburg. Dieter Bartetzko berichtet über die Ausgrabung einer Villa nahe der Stadt Cittareale, die auf die eine oder andere Weise mit Vespasian zu tun haben dürfte.

Besprochen werden Becketts "Letztes Band" und Handkes auf Beckett bezugnehmendes Stück "Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts" in Salzburg, die Ausstellung "Entre deux actes - Loge de comedienne" in der Kunsthalle Baden-Baden,13 CDs mit klangtechnisch überzeugenden Versionen später Furtwängler-Aufnahmen und Bücher, darunter Aravand Adigas Erzählungsband "Zwischen den Attentaten" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).