Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
12.10.2004. Die FAZ warnt vorm Rechtsextremismus im Osten - ein Erbe der DDR. In der SZ analysiert der Kunsthistoriker Beat Wyss, wie wir alle zu Hofschranzen des Herrn Flick wurden. Die FR fragt, warum der Spiegel wie ein losgelassener Kampfhund gegen Elfriede Jelinek losbellt. Die taz macht klar: Je schlechter die Zeiten, desto eleganter die Mode. Der New Yorker beschreibt die desolate Bevölkerungsentwicklung in Russland.

FAZ, 12.10.2004

Regina Mönch warnt davor, das Problem des Rechtsextremismus im Osten Deutschlands ins "konsensuale Beruhigungsbad zu legen": "Die neuen jungen Wähler am rechtsradikalen Rand sind die Kinder jener Kinder, vor deren antidemokratischem Potenzial Konrad Weiß schon zu DDR-Zeiten warnte. Inzwischen könnte jeder wissen, dass auch die Mythen und Doktrinen des verblichenen Staates DDR den Nährboden bildeten für die verheerende Entwicklung, mit der wir es heute in vielen Gegenden des deutschen Ostens zu tun haben."

Weitere Artikel: Lorenz Jäger empfiehlt in der Leitglosse die Viva-Moderatorin Sarah Kuttner als Nachfolgerin für Anke Engelkes Late-Night-Show. Dieter Bartetzko gratuliert dem Architekten Richard Meier zum Siebzigsten. Martin Thoemmes resümiert das "35. Symposion Deutschdidaktik" in Lüneburg. Michael Althen schreibt zum Tod des Schauspielers Christopher Reeve. Andreas Rossmann freut sich, dass das restaurierte Theater von Remscheid im Originalglanz der fünfziger Jahre wieder erscheint.

Auf der Medienseite fragt Michael Hanfeld, was wäre, wenn die ARD gegen die ihrer Meinung nach zu geringe Gebührenerhöhung klagt. Jürg Altwegg meldet, dass sich die Basler Zeitung, die einst einen renommierten Kulturteil hatte, ihre einzig verbliebenen Veranstaltungstipps künftig von den Veranstaltern bezahlen lassen will. Heinrich Wefing surft zu Internetadressen, die Umfrageergebnisse zu den amerikanischen Wahlen veröffentlichen. Und Christian Schubert stellt die neue Zeitschrift Paris-Berlin vor, die sich deutsch-französischen Themen widmet.

Auf der letzten Seite erinnert Theodor Stemmler an den Seefahrer Alexander Selkirk, der sich vor 300 Jahren auf eine Pazifikinsel aussetzen ließ und zum Vorbild für Robinson Crusoe wurde. Dieter Bartetzko berichtet, dass die chaotischen Magazine des altägyptischen Museums in Kairo aufgeräumt werden sollen. Und Catrin Lorch porträtiert die Fluxuskünstlerin Mary Bauermeister, der die Kunststadt Köln viel zu verdanken habe und die jetzt mit einer Werkschau im Museum Ludwig geehrt wird..

Besprechungen gelten einer Ausstellung mit neuen Werken Rebecca Horns in Düsseldorf, Grabbes Drama "Gothland", inszeniert von Tina Lanik in München, einem Auftritt des Saxofinisten Jan Garbarek in Frankfurt, dem Revolutionsmusical "Pinkelstadt" im Berliner Schlosstheater und Wolfgang Bauers Drama "Foyer", das in Graz uraufgeführt wurde.

NZZ, 12.10.2004

Marc Zitzmann fasst französische Stimmen zum Tod von Jacques Derrida zusammen. Hubertus Adam schreibt zum siebzigsten Geburtstag des Architekten Richard Meier. Besprochen werden Berlioz' "Benvenuto Cellini" in Gelsenkirchen, eine Ausstellung im Wiener Leopold Museum mit Landschaften von Egon Schiele und Bücher, darunter ein Band über Rollsiegel als religionsgeschichtliche Erkenntnisquelle und Umberto Ecos Buch "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FR, 12.10.2004

In Times mager kommentiert Ina Hartwig einen Spiegel-Artikel von Matthias Matussek, der sich über die Nobelpreisverleihung an Elfriede Jelinek ausgekotzt hatte (man kann es wirklich nicht anders nennen): "Während Le Monde die österreichische Schriftstellerin knapp und kundig in die 'Tradition der Nestbeschmutzer von Karl Kraus bis Thomas Bernhard' stellte, polemisiert der aktuelle Spiegel gegen die frisch gekürte Nobelpreisträgerin wie ein losgelassener Kampfhund: Quoten-Entscheidung, abgehangene Avantgarde, Belohnung für politische Korrektheit, lauten die von schierem Ressentiment diktierten, billig hingeknallten Urteile ... Der Mühe, Jelineks Werk in die Geschichte der Literatur des 20. Jahrhunderts einzuordnen, meint sich das größte deutsche Nachrichtenmagazin entziehen zu dürfen. In einem englischsprachigen Land wäre eine derartige Verletzung der Anstandsregeln, eine solche Umgehung der journalistischen Basics kaum vorstellbar. Doch wie heißt es so schön in einem Roman von Jelinek: 'Die meisten Männer kennen die Biografie ihrer Autos besser als die Autobiografie ihrer Frau.'"

Insgesamt sehr frankfurtlastig heute, waren wohl alle auf der Buchmesse, Redakteure wie Autoren. So annonciert "ith" das 5. Plateaux-Festival in Frankfurt, ein Gemeinschaftsprojekt der Häuser Sophiensäle Berlin, Kampnagel Hamburg, FFT Düsseldorf und Theaterhaus Gessnerallee Zürich, das unter dem Namen "Freischwimmer - Plattform für den Theaternachwuchs" ebendiese bietet. Besprochen werden weiterhin Konzerte von Lionel Richie (hier) und Jan Gabarek (hier) in Frankfurt und Wanda Golonkas neue Choreografie "Alice blue" im Schauspiel Frankfurt.

Martina Meister sichtete die zum Teil recht ungelenken oder pflichtschuldigen französischen Reaktionen auf den Tod von Jacques Derrida. Besprochen werden noch die "verunglückte" Stuttgarter Uraufführung von Theresia Walsers Stück "Wandernutten" und Bücher, darunter Juli Zehs neuer Roman "Spieltrieb" und der Roman "Der Entdecker" des Norwegers Jan Kjaerstad (mehr dazu in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

TAZ, 12.10.2004

In tazzwei erläutert die Modesoziologin Elisabeth Hackspiel-Mikosch die neue Herbstmode und klärt auf, worin die Kunst der Eleganz besteht - und dass diese ein Reflex auf schlechte Zeiten sein kann. "In der Geschichte kann man mehrfach beobachten, wie in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Eleganz zurückkehrte. In den 30er-Jahren wendete man sich mit eleganter, weiblicher Mode bewusst wieder ab von der burschikosen, emanzipierten Kleidung der 20er - einem Jahrzehnt, in dem die Frauen zunehmend berufstätig und selbständig geworden waren. Weltwirtschaftskrise und wachsende Arbeitslosigkeit drängten sie zurück in ihre traditionelle Rolle als Frau und dazu passten weibliche, fließende Kleider, die den Körper betonten."

Auf den Kulturseiten resümiert Holger Schatz den Soziologentag in München und konzediert der Disziplin, nach wie vor "kritisch" zu sein. In der Kolumne "Berliner Ökonomie" erklärt Gunnar Lützow, wie man Hartz IV mit russischer Verwandtschaft ganz leicht überleben kann. Gabriele Hoffmann bespricht eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Karlsruhe, die diese anlässlich des 100. Geburtstags des Architekten Egon Eiermann ausrichtet, und weist darin sehr richtig, sehr ausdrücklich und sehr diplomatisch auf seine "fehlende Fortune" bei der Kaufhausfassadengestaltung hin. Claudia Gass beurteilt die Uraufführung von Theresia Walsers Stück "Wandernutten" in der Inszenierung von Jacqueline Kornmüller am Stuttgarter Schauspielhaus als "existenzialistisches Drama". Und Brigitte Werneburg sah in der Kestner Gesellschaft Hannover den neuen "tückischen" Fotozyklus von Cindy Sherman, "Clowns". Zu lesen ist außerdem ein Nachruf auf den seit neun Jahren an den Rollstuhl gefesselten Ex-Superman-Darsteller Christopher Reeve.

Und hier Tom.

Weitere Medien, 12.10.2004

Gestern noch nicht online im New Yorker und darum nicht in unserer Magazinrundschau Michael Specters ausführliche Reportage im New Yorker über Russland. Titel: "The Devastation". Specter beschreibt den Bevölkerungsrückgang durch die immer geringere Lebenserwartung der Männer, durch Alkoholismus, Geburtenrückgang und immer mehr auch Aids: "Wenn Russland Glück hat wird die Bevölkerung im Jahr 2050 nur um ein Drittel zurückgegangen sein, auf 100 Millionen."
Stichwörter: Aids, Glück, Russland, Lebenserwartung

SZ, 12.10.2004

"Wir sind Zeugen vom Umbau der republikanischen Strukturen des bürgerlichen Staates in einen neuen Absolutismus der Superreichen, welche die Kultur bestimmen wie einst die Medici", bemerkt der Kunsthistoriker Beat Wyss in einem ganzseitigen Beitrag zur Sammlung Flick. "Die Politiker, wir alle werden zu Hofschranzen des internationalen Kunstkartells. Sieben Jahre gilt das fürstliche Kunstlehen. Der Bundeskanzler, die Ministerin für Kultur, der Bürgermeister und die Bürgerinnen und Bürger von Berlin werden alles daran setzen, den Wohltäter nicht zu verärgern. Es wäre ein Jammer, wenn die Sammlung 2011, nach Ablauf der Frist, ins Fürstentum Liechtenstein abgezogen würde."

Weiteres: Andrian Kreye meldet hoch erfreut aus New York, dass sich nach Wochen der Trübsal die Stimmung auf demokratischen Wahlparties endlich gebessert hat. Roswitha Budeus-Budde berichtet von einer rundum gelungenen Vergabe der Jugendliteraturpreise in Frankfurt. In der "Zwischenzeit" hat Evelyn Roll 1,92 Gigabyte Musik aus den Sechzigern auf ihren Laptop geladen. Gerhard Matzig gratuliert dem Architekten Richard Meier zum Siebzigsten. Nachrufe gelten "Superman" Christopher Reeve und dem Journalisten Reinhard Hesse.

Auf der Medienseite berichtet Klaus Ott vom Krach im Bayerischen Rundfunk. Andrian Kreye empört sich darüber, dass die New-York-Times-Journalistin Judith Miller zu 18 Monaten Beugehaft verurteilt wurde. Ralf Wiegand gratuliert der Zeitschrift Art, die mit nur einem Chefredakteur, nämlich Axel Hecht, 25 Jahre alte wurde.

Besprochen werden die Aufführung von Theresia Walsers "Wandernutten" (das Rezensent Christopher Schmidt von Jacqueline Kornmüller unter "Schutt und Masche" begraben sah), Wanda Golonkas Tanzstück "Alice Blue", Joseph Weigls Oper "Die Schweizer Familie", das isländische Familiendrama "Die kalte See" sowie Debussys "Pelleas et Melisande" an der Deutschen Oper Berlin, und Bücher, darunter Qiu Xiaolongs neuer Schanghai-Krimi "Die Frau mit dem roten Herzen" und Marcus du Sautoys "Die Musik der Primzahlen" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).