Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
14.07.2003. Ungerecht, unklug und unamerikanisch findet der Economist die Behandlung der afghanischen Kriegsgefangenen. Im Nouvel Obs spricht Lucie Aubrac über den von Nazis ermordeten Philosophen Jean Cavailles. In der London Review of Books vergleicht John Lancaster Tony Blairs "Ich bin gut" mit Margaret Thatchers "Ich habe Recht". Die New York Times Book Review stellt das Buch eines Rolling Stone-Autors über die Militärakademie West Point vor. Im Spiegel sagt Peter Zadek, es gibt Schlimmeres als die Nazis, zum Beispiel die Amerikaner.
Economist (UK), 11.07.2003

Weitere Artikel: Sechs ehemalige Spitzenmänner der amerikanischen Geheimdienste begrüßen die Gründung des TTIC (Terrorist Threat Integration Centre), fordern aber gemeinsam eine Verbesserung der Organisation und der Zusammenarbeit der Geheimdienste. Zugleich warnen sie davor "bessere Informationen" mit "mehr Informationen" zu verwechseln.
Neues aus dem Konflikt zwischen der BBC und der britischen Regierung: Das Parlamentskomitee für Auswärtige Fragen hat nun seinen Bericht vorgelegt. Darin wird der britischen Regierung erwartungsgemäß beschieden, sie habe, entgegen einem Bericht der BBC, die Geheimdienstinformationen nicht "aufgepeppt". Allerdings, so der Economist, fragt der Bericht sachte an, ob die Regierung nicht mittlerweile ihre Meinung über die Qualität der Informationen geändert habe.
Außerdem erfahren wir, dass George Bushs Außenpolitik ihn langsam Stimmen kostet, welche Herausforderungen Japan erwarten, warum es zu Spannungen im Kreml kommt, obwohl die russischen Präsidentschaftswahlen als bereits entschieden gelten, dass im Irak ein nationaler Regierungsrat eingesetzt wird, allerdings von den Amerikanern, und ob die jüngste Wirtschaftsgeschichte die Firmen ängstlicher gemacht hat.
Zuletzt hat der Economist gleich drei Bücher über die berühmte und immer noch unbewiesene Riemannsche Vermutung (mehr hier und hier) gelesen: Karl Sabbaghs "The Riemann Hypothesis: The Greatest Unsolved Problem in Mathematics", John Derbyshires "Prime Obsession: Bernhard Riemann and the Greatest Unsolved Problem in Mathematics" und Marcus du Sautoys "The Music of the Primes: Searching to Solve the Greatest Mystery in Mathematics".
Spiegel (Deutschland), 14.07.2003

Ralf Hütter erklärt im Interview zum Erscheinen der neuen Kraftwerk-CD: "Maschinen wurden lange als schlimm angesehen. Das war bei uns nie der Fall. Wir arbeiten mit den Maschinen zusammen. Zwischen uns und ihnen herrscht Kameradschaft."
Weiter nur im Print: Es gibt Interviews mit Adidas-Chef Herbert Hainer "über den Machtkampf mit dem Erzrivalen Nike", mit Henning Mankell über notwendige Hilfen für Afrika und mit dem Schah-Sohn Resa Pahlewi über die Studentenunruhen im Iran. Gemeldet wird außerdem noch, dass Bertelsmann sich auf eine Millionenklage wegen Napster vorbereitet. Und dass Leo Kirchs Leben verfilmt werden soll.
Nouvel Observateur (Frankreich), 10.07.2003

In einem Essay fragt sich Peter Schneider (mehr hier), ob sich "die Pazifisten geirrt" hätten, und erklärt, warum die "Einhelligkeit", mit der in Deutschland der Irakkrieg kritisiert wird, für ihn etwas "Beängstigendes" hat. Es sei doch ein "überraschendes Phänomen, dass der Verlauf des Krieges beide Seiten in ihrer Meinung bestärkt hat. Wir hatten Recht, heult das Weiße Haus in Richtung Europa, wir sind diejenigen, die klar gesehen haben; wir hatten den Durchblick, entgegnen Millionen deutsche Pazifisten, die gegen der Krieg waren. Für dieses paradoxe Spektakel kann es nur eine Erklärung geben: Die Wortführer erinnern sich lediglich an diejenigen ihrer Prophezeiungen, die sich durch die Ereignisse anscheinend bewahrheitet haben und vergessen entschlossen jene, die entkräftet wurden."
Eine ausführliche Besprechung stellt eine Geschichte des Reisens vor ("Humeurs vagabondes. De la circulation des hommes et de l?utilite des voyages", Fayard). Außerdem zu lesen ist ein Interview mit der Gründerin der Befreiungsbewegung Liberation, Lucie Aubrac, über den von den Nazis erschossenen Philosophen Jean Cavailles (mehr hier und hier), anlässlich dessen 100. Geburtstag jetzt eine Biografie erschienen ist (Le Felin).
Die erste Folge einer Sommerserie über "große Schätze in kleinen Museen" der französischen Provinz widmet sich zwei Häusern in Bagnols-sur-Ceze und Pont-Saint-Esprit. Vorgestellt werden eine Reihe amerikanischer Publikationen über den Familien-Clan von John Houston, und in einem kleinen Schwerpunkt erinnert der Nouvel Obs an den 10. Todestag des französischen Chansonniers Leo Ferre, zu lesen sind unter anderem ein Porträt, ein Interview Ferres Sohn Mathieu und eine Zusammenstellung von Veröffentlichungen und CDs.
London Review of Books (UK), 10.07.2003

Weitere Artikel: James Davidson widmet sich dem alten persischen Reich und zwei Büchern dazu, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Josef Wiesehöfers schlankes "Ancient Persia from 550 BC to 650 AD" und Pierre Briants enzyklopädisches "From Cyrus to Alexander: A History of the Persian Empire". Valerie Curtis und Alison Jolly haben in Cindy Engels Buch "Wild Health: How Animals Keep Themselves Well and What We Can Learn from Them" erfahren, wie Tiere sich selbst heilen, und sind der Meinung, dass wir davon eine Menge lernen können, zum Beispiel artenübergreifenden Epidemien wie der Rinderpest zu begegnen. Barry Schwabsky war bei der Bridget-Riley-Retrospektive in der Londoner Tate Gallery - und fand sie intensiv. Und in Short Cuts begeistert sich Thomas Jones für den von Hart Seely zusammengestellten Gedichtband mit Rumsfeld-Sätzen, "Pieces of Intelligence: The Existential Poetry of Donald H. Rumsfeld". Kostprobe:
"Das Rote Meer beginnt und endet
Und dann ist da eine Region
Gleich jenseits des Roten Meers
Und es könnte gut sein
Dass die Leute sich entscheiden, es zu tun
Bevor sie ins Rote Meer gehen
Oder nachdem sie dort sind -
Vielleicht, wahrscheinlich, sicherlich."
Leider nur im Print zu lesen ist, was David Runciman über den Sinn von Referenden denkt.
Literaturnaja Gazeta (Russland), 09.07.2003
In dem Artikel "Was für ein Messias?" warnt Wjatscheslaw Daschitschew die USA vor zu großer Selbstherrlichkeit. Amerika ist von der internationalen Gemeinschaft abhängiger als gemeinhin angenommen: "Stellen Sie sich vor, Russland, China, Indien, Indonesien und Brasilien (?) wenden sich als Reaktion auf die anhaltende amerikanische Hegemonialpolitik vom Dollar als Reservewährung ab. Dies würde unweigerlich zum wirtschaftlichen Zusammenbruch der USA führen und deren Vormachtstellung untergraben. Es ist ja kein Geheimnis, dass Amerikas Macht in entscheidendem Maße (?) von der unkontrollierten Dollaremission abhängt." Aus "politischen und wirtschaftlichen Überlegungen" ist Russland "ohnehin gut beraten, sich Europa zuzuwenden und in naher Zukunft der immer stabiler werdenden Eurozone beizutreten."
Wladimir Poljakow prangert in einem Artikel über die Tagung der Agrarpartei in der Duma "die Misswirtschaft im Agrarwesen und die Kriminalisierung der russischen Lebensmittelindustrie" an. "Warum die russische Intelligenz zu einem derart wichtigen Sachverhalt schweigt", ist ihm unbegreiflich, zumal die tieferen Ursachen hausgemacht zu sein scheinen: "Hohe Getreideexporte führen zu einem Mangel an Futtermitteln, (?) und für jede Tonne Fleisch, die Russland importieren muss, geht ein Arbeitsplatz verloren." Bedrohlich scheint ihm zudem, dass "kaukasische, vor allem tschetschenische Gruppierungen alle einunddreißig Gemüsegroßmärkte unter Kontrolle haben." Poljakow behauptet sogar, "dass einige Duma-Abgeordnete den Wahlkampf 1999 mit Finanzhilfen aus der Lebensmittelindustrie gewonnen haben."
An Flüssignahrung scheint es der russischen Bevölkerung allerdings nicht zu mangeln. In dem Artikel "Wir kriegen schon, was wir wollen!" schildert Eduard Grafow einen kuriosen Sachverhalt: "In Russland werden pro Jahr offiziell 865 Millionen Liter Alkohol hergestellt. Allerdings werden inoffiziell von der Bevölkerung 2.147 Millionen Liter pro Jahr getrunken." (?) "Jetzt wissen Sie, wie viel Alkohol pro Jahr 'inoffiziell' erzeugt und dann auf dem Schwarzmarkt verkauft wird." Schade eigentlich um die entgangenen Steuereinnahmen!
Wladimir Poljakow prangert in einem Artikel über die Tagung der Agrarpartei in der Duma "die Misswirtschaft im Agrarwesen und die Kriminalisierung der russischen Lebensmittelindustrie" an. "Warum die russische Intelligenz zu einem derart wichtigen Sachverhalt schweigt", ist ihm unbegreiflich, zumal die tieferen Ursachen hausgemacht zu sein scheinen: "Hohe Getreideexporte führen zu einem Mangel an Futtermitteln, (?) und für jede Tonne Fleisch, die Russland importieren muss, geht ein Arbeitsplatz verloren." Bedrohlich scheint ihm zudem, dass "kaukasische, vor allem tschetschenische Gruppierungen alle einunddreißig Gemüsegroßmärkte unter Kontrolle haben." Poljakow behauptet sogar, "dass einige Duma-Abgeordnete den Wahlkampf 1999 mit Finanzhilfen aus der Lebensmittelindustrie gewonnen haben."
An Flüssignahrung scheint es der russischen Bevölkerung allerdings nicht zu mangeln. In dem Artikel "Wir kriegen schon, was wir wollen!" schildert Eduard Grafow einen kuriosen Sachverhalt: "In Russland werden pro Jahr offiziell 865 Millionen Liter Alkohol hergestellt. Allerdings werden inoffiziell von der Bevölkerung 2.147 Millionen Liter pro Jahr getrunken." (?) "Jetzt wissen Sie, wie viel Alkohol pro Jahr 'inoffiziell' erzeugt und dann auf dem Schwarzmarkt verkauft wird." Schade eigentlich um die entgangenen Steuereinnahmen!
Express (Frankreich), 10.07.2003

In der Sommerserie über Schönheit unterhält sich Jean-Sebastien Stehli mit der New Yorker Historikerin Penelope Johnson, Autorin eines Buchs über Nonnen im mittelalterlichen Frankreich, über die Schönheitsvorstellungen des Mittelalters. Bunt musste es sein: "Heute stellen wir uns dieses Zeitalter in Grau- oder Pastelltönen. Vor weil die Farben verblasst sind. Aber ursrpünglich waren diese Farben sehr heftig. Im Mittelalter liebten die Leute Primärfarben, die nicht selten nebeneinandergesetzt wurden. Die bedeutendsten Frauen sollen ein kräftiges Blau neben Gelb, Rot oder Grün getragen haben. Auch liebte man Edlesteine, je mehr desto besser. Schönheit war eine Klassenfrage: Nur reiche und hochgeborene Menschen konnten sich gefärbte Stoffe leisten."
Besprochen wird in der Bücherschau "La Petite Chartreuse" von Pierre Peju, ausgezeichnet mit dem Prix du Livre Inter. Die Geschichte erinnert an Almodovars Film "Sprich mit ihr": Ein Buchhändler versucht eine Komapatientin durch Vorlesen ins Leben zurückzuholen. Aber es handle sich nicht um ein kitschiges Melodram, schreibt Olivier Le Naire erleichtert, sondern um eine einfach gehaltene Geschichte, die erklinge wie eine kleine Nachtmusik.
Und: In einer Reihe über Schönheit erklärt in dieser Woche Penelope Johnson, Professorin an der New York University, was Menschen im Mittelalter schön fanden und was es mit "Peepshows" jungfräulicher Hofdamen auf sich hat.
Outlook India (Indien), 21.07.2003

Vinod Mehta dagegen kann die ganze Sache nicht fassen und fragt sich, was zum Teufel eigentlich passiert: "Sind wir im Indien des Jahres 2003 oder - 1203?" Es geht doch nur um einen Tempel! Und die meisten Inder seien keineswegs so leidenschaftlich an dem Thema interessiert, wie es die Streithähne beider Seiten gerne hätten.
Das andere große Thema, dass die politischen Kommentatoren seit Wochen beschäftigt, ist die Frage der Entsendung von Truppen nach Irak, zur Unterstützung der Amerikaner. Nach einigem Wankelmut auf Seiten der Regierung, weiß V. Sudarshan, kündigt sich jetzt eine Entscheidung dagegen an.
Weitere Artikel: Seema Sirohi stellt Raghuram Rajan vor - den neuen Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds. Vaishna Roy hat Brahmanen K. Seshadri getroffen, "möglicherweise Indiens einziger Priester mit einem schwarzen Gürtel in Karate". Und Manu Joseph berichtet aus einer Off-Off-Bollywood-Parallelwelt: die vorwiegend muslimische Stadt Malegaon, 300 Kilometer von Mumbai entfernt.
Times Literary Supplement (UK), 11.07.2003

War Queen Victoria die erste Medienmonarchin, die Königin des Spins? Dies zumindest behauptet der Historiker John Plunkett in seinem Buch "Queen Victoria". Daniel Karlin findet die These zwar ganz hübsch, aber leider völlig abwegig. Zugestehen mag er immerhin, dass Victoria die erste Königin war, die sich fotografieren ließ.
Graham Robb stellt zwei beachtliche Neuerscheinungen zur Tour de France vor: Geoffrey Wheatcrofts lebendige Chronik "Le Tour" sowie die Sammlung "inspirierender, informativer, oft auch lyrischer" Essays von Radsportjournalisten "Golden Stages of the Tour de France". Dabei sei vor allem Wheatcroft die Einsicht zu verdanken, dass Radfahren kein Sport von Masochisten sei, meint Robb. Richard A. Fortey schließlich lobt Rebecca Scotts tatsächlich fesselndes Buch "Darwin and the Barnacle" über die Erforschung der Seepocken.
New York Times (USA), 13.07.2003

"Je älter Harry wird, desto besser wird Rowling." John Leonard liebt den neuen Harry Potter! "'The Order of Phoenix' beginnt langsam, wird schneller und rast dann - Purzelbäume schlagend - auf sein furioses Ende zu". Das Buch ist in fast jeder Hinsicht "reichhaltig und sättigend. Es löst auch einen authentischen apokalytischen Schauder aus, so alt wie Daniel im Alten Testament oder die Offenbarung im Neuen, oder die Schriftrollen vom Toten Meer und die Gedichte von Blake." (Hier finden Sie noch ein NYT-Dossier zu Harry Potter.)
Besprochen werden weiter Stephen S. Halls Studie über die "Händler der Unsterblichkeit" (erstes Kapitel). Es geht dabei um den neuen Wissenschafts- und Industriezweig der Lebensverlängerungs-Technologie. Katherine Goviers Roman "Creation" über John James Audubons (mehr hier) Expedition entlang der nördlichen Küste des Golfs von St. Lawrence 1833. Und "Trading Up", der neue Roman der "Sex and the City"-Autorin Candace Bushnell. Virginia Heffernan war leicht beschwipst nach der Lektüre: "Bushnell beweist, dass sie immer noch die Philosophen-Königin einer sozialen Szene ist, die nicht von Eitelkeit oder Bewusstsein angetrieben wird, sondern von reiner Perversität. Wenn Bushnells Prosa wie ihr Marken-Drink ist, der fruchtige pinkfarbene Cosmopolitan, schüttet sie immer noch eine Menge Wodka und Orangenlikör hinein."