Magazinrundschau - Archiv

Literaturnaja Gazeta

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Magazinrundschau vom 07.06.2004 - Literaturnaja Gazeta

Wladimir Bontsch-Brujewitsch schreibt in der aktuellen Literaturnaja Gazeta über ein neues Gulag-Museum in Moskau, das den Besucher "in Angst und Schrecken" versetze. Im Unterschied zu anderen Museen dieser Art gehe "die Authentizität der Exponate und deren Präsentation extrem unter die Haut." Anhand von "zwölf Einzelschicksalen" werde auch deutlich, "dass viele, die zu Opfern wurden, vorher selber Täter waren." Die Idee zu diesem Museum hatte "ein ehemaliger Gulag-Häftling, dessen Vater vom Leningrader Volkskomitee erschossen wurde". "Erstaunlich engagiert in dieser Sache" zeigte sich auch der progressive Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow, dem offenbar an der Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels der Sowjetgeschichte sehr gelegen ist.

Stichwörter: Authentizität, Gulag, Leningrad

Magazinrundschau vom 19.04.2004 - Literaturnaja Gazeta

In einem Artikel mit der Überschrift "Die verzauberte Möwe" erklärt Irina Tosunjan, wie es Peter Stein, "dem russischsten unter den deutschen Theaterregisseuren", gelungen ist, die Moskowiter mit seiner modernen Inszenierung von Anton Tchechows "Die Möwe" nachhaltig zu beeindrucken. Steins Einfall, "einen riesigen, fahrbaren Bildschirm mit einem virtuellen See auf der Bühne zu postieren", sei nicht zuletzt auf Grund der "wahrhaft deutschen Präzision des genialen Theatermagiers" genau so "hervorragend" wie die ausgesprochen "eigenwillige Interpretation" eines der weltweit meistgespielten russischen Klassikers. Stein habe sich "den Text Satz für Satz mit Hilfe einer Übersetzerin erschlossen, um den verborgenen Sinn und die Zwischentöne" hinter Tchechows auf den ersten Blick eher wenig spektakulären Stücks zu erspüren. Immerhin, so Stein, seien "die antike Tragödie, Shakespeare und Tchechow die drei Säulen des europäischen Theaters", berichtet Tosunjan beglückt.

Magazinrundschau vom 22.03.2004 - Literaturnaja Gazeta

Um die überraschende Zusammenlegung des russischen Kultur- und des Presseministeriums im Anschluss an Wladimir Putins Wiederwahl geht es in dem Artikel "Geheimhaltung oder Transparenz?" Die Literaturnaja Gazeta bangt um die ohnehin umstrittene "staatliche Buchförderung für Verlage" und befürchtet eine noch geringere Transparenz bei der Vergabe von Steuergeldern. Qualität, Vielfalt und Meinungsfreiheit des russischen Buchmarktes seien in Gefahr, wenn "die Zusammensetzung von Kommissionen wie dieser weiterhin wie ein Staatsgeheimnis gehütet wird und somit geheime Absprachen legitimiert".

"Was kostet die Demokratie?" fragt Anatoli Utkin, Direktor des Zentrums für Internationale Studien in Moskau, und kommt zu dem Schluss, dass "eine Demokratie als Regierungsform nur unter bestimmten wirtschaftlichen Voraussetzungen überhaupt möglich ist." Die Stabilität einer Demokratie stehe dabei noch auf einem ganz anderen Blatt: "Wenn das Pro-Kopf-Jahreseinkommen in einem demokratischen Land unter 1.500 US-Dollar liegt, ist die Demokratie maximal 8 Jahre lebensfähig, bis 3.000 US-Dollar rechnet man mit bis zu 18 Jahren, und erst ab einem Pro-Kopf-Jahreseinkommen von 6.000 US-Dollar hat eine Demokratie statistisch gesehen eine Chance auf Stabilität."

Aleksander Wislow erklärt, warum Moskau im Begriff ist, "Weltkulturhauptstadt" zu werden. Schon jetzt brauche Moskau "mit seinen 954 kulturellen Einrichtungen" den Vergleich mit New York oder London nicht mehr zu scheuen. Die 12-Millionen-Metropole habe noch Großes vor, wie etwa den "Aufbau einer Internet-Bibliothek". Und in einer Zeit, da allerorten die Kulturetats zusammengestrichen werden, denkt Moskau ernsthaft darüber nach, "aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit für die Bewohner der Schlafstädte auch in den Außenbezirken der Stadt kulturelle Einrichtungen zu schaffen".

Magazinrundschau vom 19.01.2004 - Literaturnaja Gazeta

In dem Artikel "Russophobie - das Krebsgeschwür der slawischen Welt" berichtet Sergej Komarow von einer Slawisten-Konferenz in Moskau, auf der es um "das Schicksal der slawischen Völker in der neuen Weltordnung" ging. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Stationierung der NATO-Truppen im Kosovo habe die Russenfeindlichkeit weltweit, aber vor allem "innerhalb der slawischen Familie, in Polen, Bulgarien, Tschechien und der Ukraine" zugenommen. Abhilfe könnte die Einbindung Russlands in die europäische Union schaffen, schließlich "ist die europäische Zivilisation immer ein romanisch-germanisch-slawisches Dreieck gewesen".

Magazinrundschau vom 22.12.2003 - Literaturnaja Gazeta

Die Literaturnaja Gazeta gratuliert ihrem früheren Mitarbeiter, dem kirgisischen Journalisten und Schriftsteller Tschingis Aitmatow, zum 75. Geburtstag und zitiert aus einem Interview, das Aitmatow anlässlich einer Lesung in der russischen Staatsbibliothek in Moskau gegeben hat. Welche Aufgabe hat ein Schriftsteller in einer globalisierten Welt? "Die Globalisierung drückt allem und allen ihren Stempel auf. Sie schafft neue Prioritäten und stellt uns vor eine große Aufgabe: Wie überlebt man unter diesen gewissermaßen totalitären Bedingungen, wie kann man mit seinem Schaffen noch Spuren hinterlassen? Wie kann die Literatur der einzelnen Völker würdig fortbestehen? Europa befindet sich zwar schon seit geraumer Zeit in einem Modernisierungsprozess. Aber sogar im Westen ist zu spüren, wie unterschiedlich und teilweise unvereinbar die Gefühle und das Weltverständnis der Menschen sind." Um die Zukunft der Literatur in Russland macht sich Aitmatow allerdings keine Sorgen, denn "das aufrichtige Interesse der Russen an der Weiterentwicklung ihrer Literatur ist deutlich spürbar. In der russischen Gesellschaft von morgen wird die Literatur einen hohen Stellenwert haben."
Stichwörter: Globalisierung

Magazinrundschau vom 15.12.2003 - Literaturnaja Gazeta

In der Rubrik "Ambitionen" geht Sergej Schargunow mit den jungen Vertreterinnen des "neuen Realismus" in der russischen Literatur hart ins Gericht: "Der neue Realismus zeichnet sich durch nichts anderes aus als durch Tempo, Deutlichkeit, Lakonie und einen verzweifelten Blick auf die Welt." Das immergleiche Schema, nach dem die Helden funktionieren - "sie lesen, sie erkennen, sie machen sich mutig auf die Suche nach sich selbst - und erstarren dann in Trägheit" - finde sich auch in den Erzählungen der soeben auf Russisch erschienenen Anthologie "Denezkina und Co.", in der die "Abgründe schamloser Schreibwut" der Twentysomethings nur all zu offensichtlich zu Tage treten. Auch wenn Irina Denezkinas Debütroman "Komm" auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse hymnisch gefeiert wurde, ist Schargunow der Meinung, sie habe "nichts Wichtiges zu sagen". Anstatt über "Themen wie Liebe und Tod zu schreiben, die nur dann einfach sind, wenn man leichtfertig mit ihnen umgeht ?, fangen ernst zu nehmende Schriftsteller mit Naturbeschreibungen an."

Zum 85. Geburtstag von Alexander Solschenizyn veröffentlicht die Literaturnaja Gazeta in ihrer aktuellen Ausgabe einen Auszug aus dem ursprünglich nicht zur Publikation bestimmten Tagebuch (1960 -1991) des heimgekehrten Dissidenten und gewährt einen Einblick in die kürzlich unter dem Titel "Alexander Solschenizyn - ein russisches Phänomen" erschienene Biografie von Wladimir Bondarenko.

Magazinrundschau vom 06.10.2003 - Literaturnaja Gazeta

Auf einer von der Literaturnaja Gazeta veranstalteten Internet-Konferenz mit russischen Schriftstellern, Verlegern und Kritikern geht es um die Unterschiede zwischen Underground- und Massenliteratur in Russland. Die Literaturwissenschaftlerin Alla Bolschakowa ist davon überzeugt, dass "eine solche Unterscheidung überhaupt erst aufgrund der Popularität russischer Schriftsteller im Westen" entstanden ist: "Die Anerkennung von Ljudmila Ulitzkaja (mehr) in Frankreich und die positiven Reaktionen des Westens auf Prigow (mehr) Jerofejew, Pelewin (mehr) und Sorokin (mehr)" hätten "aus russischer Insiderliteratur erst russische Massenliteratur" gemacht. Erstaunlich auch eine Erkenntnis des russischen Booker-Preis-Gewinners Oleg Pawlow: "Die meistgelesenen russischen Autoren sind die, die nicht über das reale Leben in Russland schreiben."

Sergej Semljanoi kritisiert in seinem Artikel "Ruhm ohne Macht" das "nach westlichem Demokratieverständnis deformierte russische Parteiensystem". Neben den "althergebrachten Parteien vom ideologischen Typus" existieren in Russland keine pragmatisch orientierten Programmparteien, schreibt er. Grund für diese Schieflage sei "die mangelnde Wandlungsfähigkeit der seit den neunziger Jahren ausufernden Bürokratie, die die regelmäßige Neuwahl der Parteiführung und die Ausbildung einer vielfältigen Parteienlandschaft behindert". Semljanoi sieht den "statischen Bürokratieapparat" als "Aquarium, in dem nur Parteifische einer Spezies überleben können" und hält es mit Peter dem Großen, der den größten Fehler der Demokratie darin sah, "dass eine Partei ein Land nur regieren kann, so lange sie keine Macht hat."

Außerdem gratuliert die Literaturnaja Michael Krüger zum Sechzigsten und druckt in der aktuellen Ausgabe einen ins Russische übersetzten Auszug aus dessen 2000 erschienenem Roman "Die Cellospielerin" ab. Der "Feldherr der Wörter" verlegt, "was Snobs gerne lesen, nämlich Eco, Gombrowicz, Kundera und Canetti" und kann mit den "sinnentleerten Vertretern der russischen Postmoderne" so gar nichts anfangen, lesen wir.

Magazinrundschau vom 22.09.2003 - Literaturnaja Gazeta

Alexander Jakowlew hat am Rande der internationalen Moskauer Buchmesse den russischen Schriftsteller Pawel Krussanow (mehr hier) aus Sankt-Petersburg interviewt. Krussanow, Jahrgang 1961, gehört zu einer neuen Generation von Schriftstellern, die sich "Petersburger Fundamentalisten" nennt, keiner konkreten literarischen Gattung zuzuordnen ist und sich außerdem "nichtliterarischen, humanistischen Anliegen der posthumanistischen russischen Gesellschaft" widmet. Hin und wieder fungieren die Mitglieder der "Literatenvereinigung", neben Krussanow unter anderem Sergej Nossow und Ilja Stogoff, auch als Präsidentenberater. Dem deutschen Leser bringt Galina Dursthoff mit ihrer Ende September bei dtv erscheinenden, kenntnisreich kommentierten Anthologie "Rußland - 21 neue Erzähler" diese und andere russische Schriftsteller näher, die mit der laut Krussanow "jeder Illusion beraubten, aggressiven und zumeist zynischen Prosa jüngerer Autoren der neunziger Jahre" nichts mehr gemein haben. Die preisgekrönten Krimiautorinnen Anna Malyschewa und Darja Donzowa hält Krussanow für "verlegerische Kunstprodukte". Man darf auf die Frankfurter Buchmesse und die vielfältigen Neuerscheinungen aus dem Gastland mit der einstmals größten Buchproduktion der Welt gespannt sein.

Nadeschda Gorlowa entführt uns in die Weiten des russischen Internet. Nach inoffiziellen Angaben "wetteifern mehr als 50.000 zeitgenössische Autoren" auf unzähligen russischen Homepages um die Gunst der Leser und Verleger. Dies ist nicht verwunderlich, bedeutet "der Gewinn des ersten Preises bei einem der zahlreichen Literaturwettbewerbe im Netz doch meist, dass das jeweilige Werk einen Verleger findet."

Und noch mehr Literatur: Soeben sind die Tagebuchaufzeichnungen, Erinnerungen und Briefe des berühmten Schriftstellers, Germanisten und Menschenrechtlers Lew Kopelew aus seiner Zeit im deutschen Exil (1980 bis 1989) erstmals auf Russisch erschienen. Das Buch "Unser Leben in Köln" sei ein "einzigartiges Zeugnis für das nimmermüde Geistesleben Russlands in den so genannten Jahren der Stagnation", findet die Literaturnaja Gazeta.

Magazinrundschau vom 15.09.2003 - Literaturnaja Gazeta

Die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Russland im Jahr 2002 bringen es an den Tag: "Das Aussterben der russischen Bevölkerung schreitet in atemberaubendem Tempo voran." Die Zahl der Tötungsdelikte in Russland und die exzessive Selbstmordrate sind, wenn man Sergej Gromow Glauben schenken darf, nur zwei Gründe für den Aderlass und für die geringe Lebenserwartung der Russen. Der beunruhigendste demographische Parameter für die "Entvölkerung" ist der dramatische Rückgang der Geburtenrate, der "unter anderem auf knapp acht Millionen Abtreibungen pro Jahr" zurückzuführen ist. Auch wenn infolge von "Migrationsbewegungen aus der Kaukasusregion und Zentralasien in den letzten 15 Jahren die Zahl der Immigranten auf 25 Millionen gestiegen ist, so wurde die russische Bevölkerung im selben Zeitraum um 25 Millionen dezimiert." Mittelfristige, eher düstere Prognosen gehen von einem anhaltenden Bevölkerungsschwund aus. Demnach wird die russische Bevölkerung, die im Jahr 2001 noch 144 Millionen Einwohner zählte, im Jahr 2035 voraussichtlich auf 137 Millionen geschrumpft sein.

Auf der dieser Tage in Moskau stattfindenden internationalen Buchmesse meldet sich nach einem Bericht der Gazeta fünfjähriger Abstinenz der russische "Held der Postmoderne", Viktor Pelewin, zurück. Mit einer groß angelegten Werbekampagne für seinen Erzählband mit dem kryptischen Titel "Dialektik der Übergangszeit" verabschiedet sich Pelewin endgültig von seinem Image als introvertierter "Einsiedler ohne Biografie hinter dunklen Brillengläsern".

Magazinrundschau vom 08.09.2003 - Literaturnaja Gazeta

In dem Artikel "Russland gleitet ab" beschäftigt sich Juri Poljakow mit den gesellschaftlichen Problemen in Russland und sieht einen Grund für die stagnierende Modernisierung und den von ihm konstatierten moralischen Verfall in "dem beinahe vollständigen Verlust sozialer Disziplin". Ein wichtiger Aspekt sei "die geringe Schmerzempfindlichkeit der Russen, die der Staat in der Illusion wiegt, den richtigen Weg hin zu Stabilität und Rechtmäßigkeit gewählt zu haben". Poljakow glaubt, dass Verantwortungslosigkeit und Straffreiheit den inneren Zersetzungsprozess beschleunigen. Das russische Rechtssystem sei "ein surreales Netz, in dessen Maschen nur kleine Fische hängen bleiben, während die großen entkommen".

"Goldrausch" ist die Überschrift eines Artikels von Waleri Fatajew, in dem das Phänomen Beutekunst von einer neuen Seite beleuchtet wird. Seit einiger Zeit tauchen in Russland vermehrt Amerikaner auf, "die auf der Suche nach verschwundenen Besitztümern von Holocaust-Opfern sind und nun Ansprüche geltend machen". Allerdings sei das Unterfangen aussichtslos, "da die USA kein Anrecht auf im Umlauf befindliche Kulturgüter Russlands und anderer Länder haben".

Wer hätte gedacht, dass der berühmte russische Schriftsteller Lew Tolstoj Orientalist war und eine große Affinität zu Indien hatte? "Nur wenige wissen, dass er eine ganze Reihe indischer Gleichnisse und Aphorismen ins Russische übersetzt hat". In Walentin Osipows demnächst auf Russisch erscheinendem Buch "Tolstoi und Indien" wird der geneigte Leser mehr darüber erfahren. Fürs erste müssen wir uns mit einigen in der Literaturnaja Gazeta veröffentlichten Aphorismen und einem zweiten Artikel über den "genialen, aber nicht unbedingt klugen Tolstoj" begnügen, der sich vor allem "für den Irrgarten der menschlichen Psyche" interessierte. Aleksej Warlamow würdigt darin Tolstojs "umfangreiche, aber dennoch präzise Romane, (?) in denen nichts Überflüssiges oder Zufälliges zu finden ist, in denen große Wahrheiten und kleine Details gleichermaßen zu ihrem Recht kommen."