Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.08.2007. Die SZ spricht mit dem russischen Kunstsammler Pjotr Awen über die explodierenden Kunstmärkte. Die FAZ findet den Entwurf für die Kölner Moschee altbacken. Die NZZ findet, dass Heiner Müllers "Quartett" prima nach Salzburg passt. Und die FR greift Berichte des Kölner Stadtanzeigers  auf, nach denen die Zeitungen gut verdienen, wenn sie nur die Verdienste des Bundeswirtschaftministeriums angemessen ins Licht stellen.

NZZ, 13.08.2007

Heiner Müllers "Quartett" nach Laclos' "Liaisons dangereuses" ist in Salzburg recht gut am Platz, findet Barbara Villiger Heilig in ihrer Besprechung von Barbara Freys Inszenierung mit Barbara Sukowa: "Das Festspielpublikum, gut besetzt mit Prominenz, wirkt wie eine Persiflage auf vergangene Pracht. Insbesondere die Damen beweisen, trotz Kosmetik, Chirurgie und Brillanthalsbändern, dass der 'Faltenwurf der Jahre' nicht zu glätten ist. Heiner Müller, aus dessen 'Quartett' (1981) dieser Ausdruck stammt, sieht für das bittere, böse, zynische und auch makaber-schlüpfrige Zweipersonenstück als Spiel-Zeitraum vor: Salon vor der Französischen Revolution / Bunker nach dem dritten Weltkrieg. Der Carabinieri-Saal mit seinem minimalistischen Prunk, ein festliches Verlies, passt da perfekt."

Weitere Artikel: Claudia Schwartz besucht für eine ganzseitige Reportage das Berliner Hansaviertel, das vor 50 Jahren als "Internationale Bauausstellung" erbaut wurde. Martin Girod resümiert das Filmfestival von Locarno und würdigt den Mut der Jury, die den radikalsten Film, Masahiro Kobayashis "The Rebirth" mit dem Hauptpreis auszeichnete. Besprochen werden das Konzert der Rolling Stones in Lausanne und das Eröffnungskonzert von Luzern mit Beethovens Neunter, gespielt vom Lucerne Festival Orchestra unter Claudio Abbado, die Beethovens Neunte gaben.

Welt, 13.08.2007

Peter Claus resümiert das Filmfestival von Locarno, bei dem die Jury ein Herz für die "Kunst" zeigte, indem sie Masahiro Kobayashis Film "Ai No Yokan" auszeichnete. Sonst gab es aber viel Braves: "Es hat erstaunt, dass die jungen Filmemacher, die in Locarno in der Mehrzahl sind, selten Mut zu ungewöhnlichen Erzählweisen haben, von Verstörendem erst gar nicht zu reden... Das Locarno-Angebot lässt die Vermutung aufkommen, dass die allgemeine Zukunftsangst auch Leben und Arbeiten junger Filmautoren und Filmregisseure beeinflusst. So wurde das diesjährige Festival am Lago Maggiore über die Filme hinaus zu einem aussagekräftigen Spiegel des Alltags in der westlichen Welt."

Weitere Artikel: Eckhard Fuhr nimmt den aktuellen Spiegel-Titel über "Preußens Gloria" und für den Herbst angekündigte Sachbücher zum Anlass, über die Gegenwart der Romantik nachzudenken. Der Generalsekretär des Landesmusikrates Nordrhein-Westfalen Robert Zahn feiert die wahre und sehr lebendige Volksmusik, die mit der im Fernsehen nun bedrohten Volkstümlichkeit wenig zu tun hat. Ulrich Weinzierl schreibt einen Nachruf auf den Heimat- und Sexfilm-Regisseur Franz Antel. Auf der Forum-Seite liefert Andrea Seibel Impressionen aus Südafrika, das seinen "eigenen Weg" sucht. Im Magazin erinnert Hans-Jörg Schmitt an die tschechoslowakische Widerstandskämpferin Milada Horakova, die 1950 in einem stalinistischen Schauprozess zum Tode verurteilt wurde.

Besprochen werden Philipp Stölzls "allzu operettige" Inszenierung von Hector Berlioz' Oper "Benvenuto Cellini", Barbara Freys Inszenierung von Heiner Müllers "Quartett", ebenfalls in Salzburg und eine Ausstellung im ZKM in Karlsruhe, die sich mit dem Schachtürken-Erfinder Wolfgang von Kempelen beschäftigt. Auf der DVD-Seite werden unter anderem Filme des neben Hayao Miyazaki zweiten großen Studio-Ghibli Anime-Regisseurs Isao Takahata und Hans-Jürgen Syberbergs umstrittenes Mammutwerk "Hitler. Ein Film aus Deutschland" empfohlen.

FR, 13.08.2007

Thomas Kröter widmet sich Vorwürfen Kölner Kollegen an die Werbeagentur des Bundeswirtschaftsministeriums. "Sie berichten - wir schalten dafür Anzeigen: Das ist der Kuhhandel, der angeblich nicht nur in einem Fall örtlichen Medienunternehmen angeboten wurde. Der Chefredakteur oder ein anderer wichtiger Mitarbeiter sollte eine Veranstaltung moderieren, dazu sollte über den Redaktionsbesuch mindestens eines Staatssekretärs berichtet und außerdem eine redaktionell begleitete Telefonaktion gestartet werden - der materielle Lohn für dieses publizistische Bemühen: Anzeigen im Wert von rund 30.000 bis 40.000 Euro. So berichtet es der Kölner Stadt-Anzeiger."

Dass unbedingt das ZDF das Geburtstagskind Punk nun in einer Reihe würdigt, ringt Jan Freitag ein Schmunzeln ab. Daland Segler schreibt zum Tod des österreichischen Filmregisseurs Franz Antel. Harry Nutt erinnert Polen in einer Times mager daran, dass die Restitution von Kulturgütern schon im Nachbarschaftsvertrag von 1991 geklärt ist.

Besprochen werden Philipp Stölzls Version von Hector Berlioz' "Benevenuto Cellini" bei den Salzburger Festspielen, eine Neuauflage von Katsushika Hokusais "Sechsunddreißig Ansichten des Berges Fuji" sowie Adelbert von Chamissos Erzählungen "Die Gauner."

TAZ, 13.08.2007

Andreas Schlieker besucht eine Ausstellung zum 80-jährigen Bestehen der chinesischen Volkbefreiungsarmee, die nicht nur die größte Armee der Welt ist, sondern eine veritable eigene Welt. "Zur Armee gehört ebenfalls eine große 'Kulturabteilung' mit tausenden Schauspielern, Sängern und Tänzern. So kann man sich von der vermeintlichen Friedensliebe des Militärs täglich im Fernsehen überzeugen: In eigenen Unterhaltungsshows knödeln uniformierte Tenöre Heimatlieder, das Publikum klatscht im Takt, und das Armeeballett tanzt dazu. Jeden Augenblick könnte ein chinesischer Karl Moik in Uniform aus den Kulissen springen. In den Kinos laufen von der Armee produzierte Filme, selbst Armeeschriftsteller gibt es."

Weiteres: Isabella Reichert bilanziert das Filmfestival von Locarno, der Goldene Leopard für Masahiro Kobayashis kompromisslosen "Ai no yokan" geht für sie völlig in Ordnung. Auf der Medienseite zitiert Daniel Schulz Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin, der bei der journalistischen Berichterstattung über den G8-Gipfel die seltene Überprüfung von Informationen beklagt. Reinhard Wolff meldet, dass Reuters bei einem Beitrag über die russische Nordpol-Beflaggung Material aus James Camerons "Titanic" verwendet hat.

Auf den Tagestemenseiten informiert Wolfgang Gast, dass in den Dienstanweisungen eines Mitglieds einer Stasi-Spezialeinheit ein expliziter Schießbefehl für die Grenzsoldaten aufgetaucht ist. Christian Semler meint, aus juristischer Warte sei das nichts Neues.

Empfohlen
wird das Album "Robyn" von Robyn (laut Kirsten Riesselmann mit einem Song, "für den die Repeatfunktion geboren wurde").

Und Tom.

SZ, 13.08.2007

Sonja Zekri unterhält sich mit Pjotr Awen, Präsident der Alfa-Bank und Kunstsammler, über explodierenden Kunstmärkte, russische Kunst und Leidenschaft: "Wenn ich etwas wirklich haben will, dann kaufe ich es. Das bereitet mir ein physisches Vergnügen - wie beim Sport oder im Geschäft. Nur ist Kunst entspannender." Außerdem verrät Awen, dass Picassos "Dora Maar mit Katze" nicht von einem russischen Oligarchen gekauft wurde (für 95 Millionen Dollar), sondern von einem georgischen.

Ja, Hector Berlioz ist ein "romantischer Extremist", gibt Wolfgang Schreiber zu. Aber Philipp Stölzls Salzburger "Benvenuto Cellini" ist ihm doch etwas zu aufgetakelt. "Stölzl packt das Stück ins - dramaturgisch naive - Konzept einer kunterbunten Opernästhetik, in der auch für Offenbachs Operette, das Musical, wagnerschen Feuerzauber und 'Batman' genug Platz zu sein scheint."

Weiteres: Der Berliner Soziologe Andrej H. ist in Haft, weil er sich mit einem Mitglied der linksextremistischen Militanten Gruppe getroffen haben soll, berichtet Alex Rühle. In England gibt es Diskussionen um die geplante Neugestaltung der traditionsreichen Hadspen Gardens, notiert Petra Steinberger. Siggi Weidemann gibt bekannt, dass sich die Wiedereröffnung des Nieuwe Rijksmuseum unter anderem wegen Diskussionen um Amsterdamer Fahrradwege auf 2011 verzögert. Mit dem in Berlin von der Polizei erschossenen ehemaligen Afghanistan-Soldaten wird für Johannes Boie deutlich, dass es auch in Deutschland immer mehr betreuungsbedürftige Kriegsveteranen gibt. Alexander Menden verfasst den Nachruf auf Tony Wilson, Journalist, Club- und Label Gründer in Manchester. Fritz Göttler schreibt zum Tod des Wiener Filmemachers Franz Antel. Der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper in Berlin, Renato Palumbo, verlängert seinen Vertrag nicht über 2009 hinaus, informiert "jök".

Besprochen werden Barbara Freys "distanziert-artifizielle" Inszenierung von Heiner Müllers "Quartett", DVD-Veröffentlichungen von Filmen von Takashi Miike und Sam Peckinpah sowie eine Elvis-Box, und Bücher, darunter Natasha Radojcics Bürgerkriegs-Roman "Halids Heimkehr" sowie Gregor Sanders DDR-Roman "Abwesend" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)

FAZ, 13.08.2007

Andreas Rossmann findet die geplante Kölner Moschee auch und gerade im Kontext anderer Moscheebauten kritikwürdig - selbst wenn man sie nicht mit dem Londoner Entwurf (Bild) einer dekonstruktiv inspirierten Riesenmoschee vergleichen will: "Doch nicht erst ein Blick in die Londoner Zukunft offenbart, dass der Entwurf von Gottfried und Paul Böhm alten Mustern verpflichtet ist. Dabei fällt er nicht nur hinter prominente Moscheen außerhalb der Türkei zurück; so etwa hinter die von Louis Kahn in Dhaka, einer rein geometrischen Architektur mit eigens entwickelten Lichträumen (postum fertiggestellt 1983), oder hinter jene von Paolo Portoghesi in Rom (1994), die in Anlehnung an die Moschee von Cordoba die islamische Architektur in eine moderne Sprache mit einem stilisierten Minarett übersetzt. Selbst die von Behruz und Can Cinici entworfene Moschee des türkischen Parlaments in Ankara (1989) verzichtet auf Minarette und belässt es bei einer Abstraktion der Geometrie ohne jegliches Dekor."

Weitere Artikel: Regina Mönch erzählt die Geschichte der Berliner Mauertoten. In der Leitglosse referiert Kerstin Holm familienfreundliche Inititiativen in Russland, die absurde Blüten wie die Ideen zu einem allgemeinen "Empfängnistag" treiben. Sandra Kegel informiert über den "Day Care"-Service kanadischer Firmen für die Eltern ihrer Angestellten. Von Fund einer spektakulären Hadrian-Statue berichtet Dieter Bartetzko. Milos Vec begrüßt es, dass das BKA sich endlich mit seiner NS-Vergangenheit befasst. Jürgen Kesting gratuliert der Sopranistin Felicia Weathers zum Siebzigsten. Auf der Medienseite meldet Nina Rehfeld, dass die New York Times künftig wieder ihren ganzen Inhalt kostenlos online stellen will. Auf der letzten Seite porträtiert Horst Rademacher die Astronautin Barbara Morgan. Annette Zerpner stellt die Pferdeflüstererin Andrea Kutsch vor.

Besprochen werden - dreimal Salzburg - Philipp Stölzls Inszenierung von Hector Berlioz' Erstlingsoper "Benvenuto Cellini", das Netrebko-lose "Stabat Mater" (bei dem "Ersatzfrau" Christine Schäfer laut Julia Spinola "engelhafte Klarheit, Milde und Innerlichkeit" bot) und Barbara Freys Inszenierung von Heiner Müllers "Quartett". Auf der Sachbuch-Seite gibt es Rezensionen unter anderem zu einem Band, der sich mit "Freiheit in philosophischer, neurowissenschaftlicher und psychotherapeutischer Perspektive" beschäftigt und der Selbstauskunft des Autisten Daniel Tammet. Außerdem besprochen wird Alaa Al-Aswanis Roman "Der Jakubijan-Bau" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)