Heute in den Feuilletons

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Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
11.09.2012. Der New Yorker bringt einen Vorabdruck aus Salman Rushdies Erinnerungen an die Zeit der Fatwa und des Lebens im Versteck. Im Tagesspiegel macht sich der palästinensisch-israelische Psychologe Ahmad Mansour Sorgen um Antisemitismus in der muslimischen Community. In der FAZ hat Oskar Lafontaine herausgefunden, warum sich linke Ideen nicht durchsetzen: Es liegt an der Sprache. Die SZ bleibt skeptisch nach Robert Menasses Plädoyer für eine Überwindung der europäischen Nationalstaaterei.

Weitere Medien, 11.09.2012

Der New Yorker bringt einen Vorabdruck aus Salman Rushdies stark erwarteten Erinnerungen an die Zeit seinens Lebens im Versteck. Der Autor der "Satanischen Verse" erzählt , wie er lernte, mit der Fatwa zu leben. Geschrieben ist der Text in der dritten Person: "Er brauche einen Namen, erklärte ihm die Polizei von Wales. Sein eigener war nutzlos; es war ein Name, der nicht genannt werden durfte, wie der von Voldemort in den damals noch nicht geschriebenen Harry Potter-Büchern. Er konnte kein Haus unter seinem Namen mieten oder sich ins Wählerverzeichnis eintragen lassen, weil man dafür seine Privatadresse angeben musste, und das war natürlich ausgeschlossen. Um sein demokratisches Recht auf freie Meinungsäußerung zu schützen, musste er sein demokratisches Recht aufgeben, seine Regierung zu wählen ... Die Schutztruppe hatte einen Namen: Operation Malachit. Er wusste nicht, weshalb man den Job nach einem grünen Stein benannt hatte, und sie wussten es auch nicht. Sie waren keine Schriftsteller, und die Motive für Namen waren ihnen unwichtig. Aber jetzt war er an der Reihe, sich neu zu nennen. 'Besser wohl kein asiatischer Name', meinte Stan. 'Die Leute zählen manchmal eins und eins zusammen.' Also musste er auch seine Rasse aufgeben. Er würde ein unsichtbarer Mann mit weißem Gesicht sein."

Außerdem zu lesen ist im New Yorker Anthony Gottliebs Besprechung des Buchs "Homo Mysterious: Evolutionary Puzzles of Human Nature" von David Barash über die Selbstüberschätzung der evolutionären Psychologie.

Aus den Blogs, 11.09.2012

Das Medienhaus Burda beseitigt einen Interessenkonflikt und verkauft den News-Aggregator nachrichten.de, der in einem seltsamen Kontrast zu den Forderungen des Konzerns nach Leistungsschutzrechten stand, meldet Martin Weigert in netzwertig: "Das Medienhaus tat also genau das, was es Google News und anderen Aggregatoren anlastet: Inhalte von fremden Verlagsangeboten 'abgreifen', zur Schaffung eigener Dienste nutzen und damit etwa durch Werbung Umsätze generieren."

TAZ, 11.09.2012

Judith Butler erklärt noch einmal, dass sie die "antiimperialistische" Hisbollah zwar als links oder progressiv bezeichnet hat, damit aber keine Unterstützung ausdrücken wollte: "Niemals könnte ich ein Bündnis mit einer egal welcher Person oder Gruppe eingehen, die antisemitisch, gewalttätig, rassistisch, homophob oder sexistisch ist."

Weiteres: Aram Lintzel decouvriert die grassierende Kritik am Spektakel: "Die Spektakelrede tritt oft mit dem Entlarvungsgestus der Ideologiekritik an, schleppt aber selbst jede Menge ideologischen Ballast mit." Besprochen werden eine Retrospektive zu Lewis Baltz in Hannovers Kestnergesellschaft, ein neues Album von Matthew Herbert, die beiden Romane von Emmanuele Carrère und Alexis Jennis "Limonow" (Leseprobe) und "Die französische Kunst des Krieges" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

NZZ, 11.09.2012

Überhaupt nicht anfreunden kann sich Joachim Güntner mit den Plänen, mit der Gedenkstätte Buchenwald ausgerechnet einen Ort größter Barbarei zum Weltkulturerbe zu machen, auch wenn er weiß dass berühmte ehemalige Häftlinge wie Jorge Semprun oder Ivan Ivanji die Idee unterstützten: "Dennoch bleibt fraglich, was das Ganze soll. Uns Lehren in historischer Dialektik zu erteilen, ist Sache des musealen Programms, also der Art und Weise, wie Besucher über das Lagergelände geführt und wie sie dort unterrichtet werden. Buchenwald zum Weltkulturerbe zu erheben, betrifft hingegen nicht die Arbeit der Gedenkstätte, sondern ihren Status. Dieser Status ist ungefährdet."

Wei Zhang beschreibt, wie wenig China mit der Schenkung von Uli Siggs Sammlung zeitgenössischer Kunst anfangen kann: "Bis anhin hatten nur die Partei und die Akademie über die Macht verfügt, chinesische Künstler zu krönen." Auf der Medienseite berichtet Joseph Croitoru von den Schwierigkeiten israelischer Medien, sich gegen die Einflussnahme der Regierung und der ihr nahestehenden Milliardäre zu behaupten.

Besprochen werden Jan Lauwers' Produktion "Marketplace 76" bei der Ruhrtriennale, Mahlers Neunte unter Lorin Maazel in Luzern, Julie Otsukas Roman "Wovon wir träumten" (Leseprobe), Patrick McGuinness' Ceausescu-Roman "Die Abschaffung des Zufalls" und Pierre Simenons Roman "Im Namen des Blutes" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Welt, 11.09.2012

Hannes Stein erzählt die Geschichte des offenen Briefs, den Philip Roth im New Yorker veröffentlichte, um sich über einen Fehler in der Internetenzyklopädie zu beschweren. Matthias Heine erzählt, dass der Künstler Shepard Fairey zu einer Millionenstrafe verurteilt wurde, weil er für sein Obama-Hope-Plakat aus dem letzten Wahlkampf ein Agenturfoto verwendet hatte und urheberrechtlich belangt wurde. Tim Ackermann berichtet über juristische Weiterungen der Beltracchi-Affäre. Gerhard Gnauck gratuliert dem litauischen Autor Tomas Venclova zum 75.

Besprochen wird die Uraufführung eines Stückes von Justine del Corte, das praktischer Weise von ihrem Ehemann Roland Schimmelpfennig inszeniert wurde, im Wiener Akademietheater.

Weitere Medien, 11.09.2012

Der palästinensisch-israelische Psychologe Ahmad Mansour macht sich im Tagesspiegel Sorgen um Antisemitismus in den muslimischen Communisties und fordert mehr Anstrengungen an deutschen Schulen: "Lehrer an deutschen Schulen dürfen nicht, wie es bisher oft der Fall ist, davor zurückscheuen, konfliktreichen Schulstoff wie die Geschichte und Gegenwart des Nahen Ostens zu behandeln. Wirkliche Begegnungen mit jüdischen Jugendlichen oder Familien bewirken oft sehr viel, auf beiden Seiten. Doch sie finden so gut wie gar nicht statt."

Joseph von Westphalen erklärt in seiner Abendzeitungskolumne die Vorteile des Boulevards gegenüber der Pekinente: "Dumm nur, dass man die meisten Stellen, wo die Kästen mit den Zeitungen an der Straße stehen, nicht gerade als Boulevard bezeichnen kann."

Götz Aly zitiert in seiner FR-Kolumne aus einem Artikel des Berliner Tageblatts. Da erklärte "Ministerpräsident Charilaos Trikoupis im griechischen Parlament lapidar: 'Leider sind wir pleite.' Die üppigen ausländischen Kredite konnten nicht mehr bedient werden, das Geld war nicht für die vorgesehenen Investitionen verwendet worden, sondern im Sumpf von Staatsapparat und Armee versickert. Trikoupis trat zurück." Das war 1895. Außerdem in der FR, aber leider nicht online, ein Artikel über das Internetauktionshaus Artnet, das sich gegen eine Übernahme durch eine Investorengruppe wehrt.

FAZ, 11.09.2012

Warum setzen linke Ideen sich nicht durch, obwohl selbst Charles Moore (hier) und Frank Schirrmacher (hier) schon vor einem Jahr begriffen haben, dass sie richtig sind, fragt Oskar Lafontaine. Und liefert gleich die Antwort: Es liegt an der Art, wie über die Verhältnisse gesprochen wird. So sei etwas das Wort "Bankenkrise" in der öffentlichen Diskussion ersetzt worden durch das Wort "Staatsschuldenkrise". Das habe zur Folge, "dass statt einer Zerschlagung der Großbanken und einer strengen öffentlich-rechtlichen Regulierung der Geldhäuser eine Demokratie zerstörende und ökonomisch kontraproduktive Austeritätspolitik zur Lösung der vermeintlichen Staatsschuldenkrise verordnet wird. Zeitgeist, Sprache, Begriffsapparat und die realen Machtstrukturen stehen also der Durchsetzung linker Reformen im Wege."

Weitere Artikel: Paul Ingendaay und eine Journalistengrupppe besuchen mit dem Bestsellerautor Ken Follett das Dorf Belchite, wo Folletts neuer Roman "Winter der Welt" der Welt spielt: "Kein Supermodel arbeitet härter für den Erfolg als Ken Follett", stellt Ingendaay dabei fest. Timo John scheint zufrieden zu sein mit dem Erweiterungsbau des Generallandesarchivs Karlsruhe. Auf der Medienseite wertet Jürgen Oetting einen Streit in der deutschen Wikipedia über Antisemitismus auf den Wikipediaseiten als "intellektuelle Bankrotterklärung des Autorenkollektivs" (mehr Infos bei der Wikipedia).

Besprochen werden eine Aufführung von Wagners "Tristan und Isolde" in Minden (endlich ist "Schluss mit der falschen Askese. Hier in Minden wird wieder geliebt, geküsst", jubelt Eleonore Büning), Jan Lauwers Inszenierung von "Marketplace 76" mit der Needcompany bei der Ruhrtriennale in Bochum, die David-Reed-Ausstellung "Heart of Glass" im Kunstmuseum Bonn und die Uraufführung von Justine del Cortes "Komet" im Wiener Akademietheater.

SZ, 11.09.2012

Burkhard Müller kann sich mit Robert Menasses Plädoyer für eine Überwindung der europäischen Nationalstaaterei schon auch wegen der babylonischen Sprachvielfalt, die jetzt schon in der EU-Verwaltung herrscht, nicht anfreunden: "Man würde einander nicht hören. ... Parlament kommt von 'parlare' oder 'parler', sprechen. Wen man, wenn er spricht, nicht begreift, der bleibt für den Hörer stumm. Würde jemand einen Politiker wählen, dessen Rede er nicht verstehen kann?" Aber die Bayern sitzen doch auch im Bundestag, obwohl keiner sie versteht!

Felix Stephan lauscht in Berlin einer offenbar sehr vergnüglichen Plauderei zwischen Jonathan Meese und Durs Grünbein. Deren "unwahrscheinliche" Künstlerfreundschaft erklärt er sich folgendermaßen: "Es scheint, als bildeten sie eine Art Schicksalsgemeinschaft, die das überzeitliche Prinzip einer absoluten Kunst gegen die institutionellen Zumutungen des Kulturbetriebes sowie gegen die freiheitlich-demokratischen Vereinnahmungen zu verteidigen sucht. Diese absolute Kunst existiert in den Vorstellungswelten beider Künstler als eine Art ideelles Prinzip, das sich zwar jederzeit formal unterschiedlich äußern kann, selbst aber unveränderlich bleibt."

Weitere Artikel: Michael Moorstedt beobachtet bei der Berlin Musik Week viel Ratlosigkeit unter Musikindustrievertretern, wenn es um Geschäftsmodelle im Netz geht (sicher ist man sich nur bei einem Vorhaben: "Man will die Kunden mittels Data-Mining bis ins kleinste durchleuchten."). Egbert Tholl stöhnt über die "dreieinhalb unendlich langen Stunden", die Roland Schimmelpfennigs "Der Komet" am Wiener Akademietheater dauert. Rudolph Chimelli erzählt eine Kulturgeschichte des islamischen Vandalismus. Hans-Peter Kunisch erstattet Bericht aus der Kulturszene des Kosovo. Jens Bisky informiert über Pläne zum Bau einer religiösen Begegnungsstätte in Berlin.

Besprochen werden Andreas Dresens neuer Dokumentarfilm "Herr Wichmann aus der dritten Reihe", ein von Christian Thielemann dirigiertes Konzert der Staatskapelle Dresden in der Münchner Philharmonie und Bücher, darunter Erik Wegerhoffs Studie über das Kolosseum (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).