Heute in den Feuilletons

Die Unkosten wird er generös begleichen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.06.2012. Während iranische Großayatollahs den Rapper Shahin Najafi per Kopfgeld jagen lassen, lobt sich Martin Mosebach in der FR das Blasphemieverbot und findet es ganz in Ordnung, "wenn in ihrem Glauben beleidigte Muslime blasphemischen Künstlern einen gewaltigen Schrecken einjagen". Bernd Neumann und die Welt bekräftigen in einer gemeinsamen Manifestation ihre Ablehnung der Gratismentalität. Die FAZ liest David Maraniss' Biografie des kiffenden Barack Obama.

FR/Berliner, 19.06.2012

Gutes Timing: Während der Rapper Shahin Najafi nach islamistischen Morddrohungen derzeit untertauchen muss, bringt die FR ein Lob des Blasphemieverbots. Denn für Martin Mosebach kann es nicht angehen, dass entsprechende Provokationen gänzlich ohne Reibeflächen als Triumph gefeiert würden: "In diesem Zusammenhang will ich nicht verhehlen, dass ich unfähig bin, mich zu empören, wenn in ihrem Glauben beleidigte Muslime blasphemischen Künstlern - wenn wir sie einmal so nennen wollen - einen gewaltigen Schrecken einjagen. Ich begrüße es, wenn es in unserer Welt wieder Menschen wie Jean Jacques Rousseau gibt, für die Gott anwesend ist. Es wird das soziale Klima fördern, wenn Blasphemie wieder gefährlich wird." Aha. Und Kunstzensur fordert Mosebach eigener Ansicht nach im übrigen auch nicht, ein echter Künstler würde sich schließlich von nichts abhalten lassen: "Die daraus entstehenden Unkosten wird er generös begleichen, auch wenn sie seine Existenz gefährden."

Außer Spesen nix gewesen, denkt sich Ulrike Simon (online zu finden bei der Mitteldeutschen Zeitung) auf der Medienseite nach den Fernsehbeiträgen eines von Gebührengeldern nach Griechenland gereisten ARD-Teams, das dort vor antiker Kulisse Wahlergebnisse vorlas: "Rätselhaft bleibt, welcher Mehrwert diesen Aufwand gerechtfertigt haben soll. Die Erkenntnis, dass es in Athen nachts dunkel, die Akropolis aber beleuchtet ist, kann es nicht gewesen sein."

Besprochen werden die Ausstellung "Ein Wunsch bleibt übrig", mit der sich Kasper König vom Museum Ludwig in Köln verabschiedet, das Ballet "Renku" an der Staatsoper in Hamburg und der zweite Ring-Durchlauf an der Oper Frankfurt.

Welt, 19.06.2012

Im Interview mit Tim Ackermann und Eckhard Fuhr kann Kulturstaatsminister Bernd Neumann Geschenke verteilen: Er hat noch einmal 25 Millionen Euro aus dem Nachtragshaushalt für die Kultur herausgeschlagen, verkündet er zunächst, dann sein Ceterum Censeo "Man darf die Gratismentalität nicht hinnehmen". Sein Plan: "Zuerst einmal bin ich für eine Aufklärungskampagne, um das Bewusstsein für das geistige Eigentum zu wecken, eine wirklich massive Kampagne. Zweitens sind selbstverständlich auch die Urheber und die Verwerter gehalten, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die von den Nutzern akzeptiert werden. Und drittens müssen im neuen gesetzlichen Rahmen auch Sanktionen vorgesehen sein, die durch sogenannte Warnhinweise zunächst einmal angekündigt werden."

Weiteres: Stefan Keim informiert uns über die prekäre Lage der Duisburger Oper. Dankwart Guratzsch klagt, dass es Besserverdiener keinem Quartiersmanager recht machen können, egal ob sie die Stadt verlassen oder in sie zurückkehren. Besprochen werden eine Ausstellung in Mainz über die Nazarenern in Rheinland Pfalz und ein "Godot"-Gastspiel des Freedom Theatre.

NZZ, 19.06.2012

Wem gehört die Erinnerung?, fragt Andrea Köhler ihren Bericht über das Problem, wie im unterirdischen Memorial Museum am Ground Zero die Geschichte der Attentate dokumentiert werden sollen. "Schon der Name - Memorial Museum - ist ein Widerspruch in sich selbst. Ein Mahnmal ist dem Gedenken, ein Museum den Fakten verpflichtet. Mahnmale sollen Gefühle wecken, während Museen den Auftrag haben, Anschauungsmaterial und Zeugnisse zu präsentieren. Hinzu kommt, dass das 9/11-Museum nicht irgendwo, sondern am Ort des Schreckens selber steht und die unidentifizierten sterblichen Überreste der Toten beherbergt."

Auf der Medienseite informiert Stephan Russ-Mohl über das neue Phänomen, dass pensionierte Schweizer Journalisten Online-Medien - etwa Journal 21 oder Infosperber - gründen und ihren ehemaligen Arbeitgebern, Konkurrenz machen; die klassischen Medien hätten noch nicht gelernt, das Potenzial der Altgedienten zu nutzen.

Besprochen werden unter anderem Maurizio Maggianis Roman "Himmelsmechanik" und der Debütroman "Bugatti taucht auf" der Dramatikerin Dea Loher (siehe hierzu unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr.

Aus den Blogs, 19.06.2012

Stefan Winterbauer wertet auf meedia.de neue Zahlen der Association of American Publishers aus, nach denen die Umsätze mit E-Books diejenigen mit Hardcovern überholt haben: "Demnach wurden mit Hardcover-Büchern in den USA 2012 bis dato 229,6 Mio. Dollar umgesetzt, ein Plus von 2,7% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Mit E-Books wurden im gleichen Zeitraum 282,3 Mio. US-Dollar umgesetzt, ein Plus von 28,1%. Mit Paperbacks (Taschenbüchern) wurde ein Umsatz von 299,8 Mio Dollar gemacht - ein Minus von 10,5% im Vergleich zum Vorjahr!"
Stichwörter: Ebooks, USA

TAZ, 19.06.2012

Julia Grosse informiert über eine Plakatkampagne in der Londoner U-Bahn, die die Stadtbewohner dazu auffordert, doch schnell noch einmal "durchzuputzen", bevor "Mutti kommt". Besprochen werden das neue Album "The Inertials" des britischen Produzenten Cristian Vogel, der Reportageroman "The Corner" - "Spannenderes gibt es zurzeit kaum zu lesen - von David Simon und Ed Burns über die Verelendung eines Stadtviertels in Baltimore und Lothar Müllers Studie "Weiße Magie" über die Epoche des Papiers (mehr dazu in unserer Bücherschau das Tages ab 14 Uhr).

Und Tom.

SZ, 19.06.2012

Hubert Wetzel hält nicht gar so viel vom Alarmismus, der durch manche Beiträge zur Debatte um Stuxnet scheint, den Computervirus, der eine iranische Atomanlage lahmgelegt hat, scheint. "So etwas können nicht Hinz und Kunz in der Garage zusammenbasteln." Die türkischen Rückgabeforderungen an zahlreiche Museen weltweit stelle derzeit viele Ausstellungen vor Probleme, informiert Tim Neshitov. Thomas Steinfeld besucht die von den Erdbeben in Norditalien stark beschädigten, historischen Bauten. Reinhard Brembeck resümiert die musica viva in München.

Besprochen werden das neue Album der Peaking Lights, das man sich hier komplett im Stream anhören kann, ein neues Ballettprogramm am Opernhaus Düsseldorf und Bücher, darunter gesammelte Poetikvorlesungen von Sibylle Lewitscharoff (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 19.06.2012

Wie war er nun im Bett? War er wirklich ein Kiffer-Dude? Jordan Mejias liest David Maraniss' im Vorfeld von Skandalmeldungen umflatterte Buch über Barack Obama und kommt auf seine Kosten: "So entpuppt sich die New Yorker Freundin, die in den Memoiren auftaucht, als Kunstfigur, zusammengesetzt aus mindestens zwei Romanzen. Und der auch von Obama beschriebene Marihuanakonsum an der High School auf Hawaii konkretisiert sich höchst lebhaft in den Gepflogenheiten der Choom Gang, deren Ehrgeiz darin bestand, möglichst häufig in ihrem Choomwagon, einem alten VW-Kleinbus, den Joint kreisen zu lassen. Nicht bloß deshalb schimmert bei Maraniss überall die Verwunderung durch, wie ein solcher Junge das Weiße Haus erobern konnte."

Außerdem: Andreas Platthaus ist gespannt auf Maori-Literatur aus Neuseeland, die den Schwerpunkt der kommenden Frankfurter Buchmesse darstellt. Paul Ingendaay notiert die Sorgen einer bestens qualifizierten, spanischen Studienabsolventin, die nun in der Krise wenig Aussichten auf beruflichen Erfolg hat. Frank Lübberding berichtet vom Sarrazin-Abend in der sauerländischen Provinz.

Auf der Medienseite zeigt sich Peer Schader sehr beeindruckt vom Angebot der deutschen Videoplattform MyVideo, die sich zu einer ansehnlichen Quelle für legale Serien- und Film-Streams gemausert hat.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Bildern von Helene Schjerfbeck im Ateneum in Helsinki, Paul Hindemiths Inszenierung von "Mathis der Maler" am Opernhaus Zürich, die die letzte unter der Ägide des scheidenden Intendanten Alexander Pereira darstellt, das Stück "Tiny Kushner" am Nationaltheater Mannheim in der Regie von Nicole Schneiderbauer und Robert Teufel, ein "state of the art"-Ballettabend am Opernhaus Düsseldorf und Bücher, darunter neue Erzählungen von Philipp Schönthaler (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).