Heute in den Feuilletons

Niemand lächelt

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
12.06.2012. In der SZ beschreibt Viktor Jerofejew den Ingrimm, der in Moskau unter Zar Putin herrscht. In der FAZ erinnert Ai Weiwei daran, dass nicht das nur das Geld, sondern auch der Geist die Welt antreibt. Die NZZ fürchtet, dass die Ahnungslosigkeit der griechischen Zeitungen ihnen nun selbst zum Verhängnis wird. In der Welt erzählen junge Israelis von ihrem Leben in Berlin. Comics sind schon lange nicht mehr komisch, stellt die FR klar. Und die taz fordert mehr Disziplin.

NZZ, 12.06.2012

Auf der Medienseite informiert Panagis Galiatsatos über den Kollaps, vor dem jetzt auch Griechenlands Medien stehen, die bis zum bitteren Ende die Blase nährten und dank explodierender Konsumausgaben stetig wachsende Werbeeinnahmen zu verzeichnen hatten: "Es ist bezeichnend für die Ahnungslosigkeit, in der die griechische Gesellschaft insgesamt lebte, dass die internationale Finanzkrise und deren offensichtliche Folgen für das Land nicht einmal die Medien in Alarm zu versetzen vermochten."

Der Berliner Rechtsphilosoph Christoph Möller denkt in einem politischen Essay über Demokratie als permanente Krise nach. Seine Schlussfolgerung: "Vielleicht zeigen sich die Stärken der Demokratie heute an ganz unerwarteten Stellen. Nicht an der lustlosen Art und Weise, in der viele Menschen eine Ordnung als selbstverständlich betrachten, die sie doch recht gut 'bedient'. Eher schon an der Mühe, die sich autoritäre Regime geben müssen, um Demokratisierungsbemühungen zu verhindern."

Weiteres: Sieglinde Geisel folgt in einem Selbstversuch einer Audioführung zu den Kleist-Gedenkorten am Berliner Wannsee. Besprochen wird unter anderem Georges-Arthur Goldschmidts Erzählung "Ein Wiederkommen" und der Roman "Hotel Nirgendwo" der Kroatin Ivana Bodrozic (mehr dazu in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Welt, 12.06.2012

Mittlerweile leben 18.000 Israelis in Berlin, vor alllem junge Künstler. Andrea Backhaus unterhält sich mit der Musikerin Ofri Brin, dem Choreografen Nir de Volff und dem Tenor Assaf Kacholi über das Kunstleben in der Stadt, die bezahlbare Mieten und die Überwindung, die es einen Israeli kostet, nach Deutschland zu kommen. De Volff: "Es gibt tatsächlich einen riesigen Hype um die Stadt. Für junge Israelis ist Berlin das neue Traumziel (...) Das erste Mal habe ich Berlin 1995 besucht. Das war gruselig. Mein erstes Bild: Flughafen Schönefeld, Sicherheitsleute mit einem Schäferhund. Ich dachte: Die warten auf die Immigranten aus Israel."

Auf der Forumsseite beklagt Ulf Poschardt dagegen einmal mehr, dass Berlin keine Metropole von Weltrang ist, viel zu langsam und und unehrgeizig: "Zögerlich, autistisch, überfordert von den kleinsten Problemen des Alltags zuckelt der Berliner durch seinen Kiez und reagiert gereizt und aggressiv auf alle, denen Lebens- wie Arbeitszeit kostbar sind."

Weiteres: Dankwart Guratzsch berichtet, dass "Wohnen am Wasser" im Ruhrgebiet gerade ganz hoch im Kurs steht, weswegen jetzt an den Kanälen von Duisburg und Dortmund Grachten und Yachthäfen mit Segler-Bistros ("Echte Seelete essen Fisch") angelegt werden. Jan Küveler schwärmt von den Folkklassikern auf Neil Youngs neuem Album "Americana". Igal Avidan nimmt die prekäre Finanzlage des Jewish Film Festivals unter die Lupe. Manuel Brug feiert den "Troubadour" von Dmitri Teherniakov und Marc Minkowski am Brüsseler Théâtre de la Monnaie.

FR/Berliner, 12.06.2012

Comics sind komisch? Das war einmal, bemerkt Jens Balzer beim Besuch des Internationalen Comic-Salons in Erlangen: "Inzwischen hat sich das Verhältnis vollständig verkehrt: Zum vorherrschenden Ton gerade auch in der deutschen Comic-Szene ist der Ton der politischen Seriösität und der bedächtigen Beschäftigung mit bedeutsamen Themen geworden (...) Die Leichtigkeit und der Unernst, der - auch avantgardistische! - Comics einst prägte, sind weithin verloren." Christian Schlüter sieht unterdessen neban in Times Mager Art Spiegelmans Auszeichnung mit dem Siegfried-Unseld-Preis als "vorläufigen Höhepunkt einer allgemeinen Nobilitierung" des Comics.

Weiteres: Sebastian Moll informiert über Gentrifizierung in Manhattan. Peter Michalzik dämmert es bei der Europa gewidmeten Theaterbiennale in Wiesbaden, dass "Denken, Diskutieren und sich selbst Relativieren" zum Kontinent einfach dazu gehöre. Besprochen werden neue Stücke von Ulrich Seidl und Rimini Protokoll bei den Wiener Festwochen und das neue, "in seiner luxurierenden Nutzlosigkeit" gar nicht mal schlechte Album von Neil Young.

TAZ, 12.06.2012

Aram Lintzel verteidigt mit Hilfe von Slavoj Zizeks neuem Buch "Die bösen Geister des himmlischen Bereichs" die Disziplin als Mittel auch der linken Politik. Das Credo der Piraten, Disziplin sei der Feind der Kreativität, sei falsch: "Das Problem vieler Piraten ist allerdings, dass sie in einer krass verkürzten Foucault-Rezeption mit den klassischen Disziplinarinstitutionen gleich jede Institution verachten, selbst eine gemächliche Ausschusssitzung empfinden sie als Zurichtung und Quasi-Knast. Ihr Neoanarchismus übersieht dabei den ermächtigenden Charakter von gesellschaftlichen und politischen Institutionen: keine Umverteilung ohne staatliche Institutionen, keine wirksame öffentliche Stimme ohne ein Mindestmaß an Institutionalisierung."

Katja Lüthge resümiert den 15. Internationalen Comic-Salon in Erlangen. Besprochen werden das neue Album "The Power of Appropriation" der Hamburger Musikerin Frau Kraushaar und ein Konzert der kalifornischen Musikerin Julia Holter in der "Berghain-Kantine" Berlin.

Und Tom.