Heute in den Feuilletons

Überhaupt keine Allüren

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
29.09.2008. Nicht nur die FAZ verzweifelt: Die Welt wird jetzt ohne Paul Newman auskommen müssen. In der FAZ erinnert sich auch Michael Ballhaus an den großen Schauspieler. Und die taz seufzt: "Raindrops Keep Falling On Our Head". Während Newman, so die SZ, nun an der Pforte des Paradieses steht. In der NZZ zweifelt Cora Stephan an der Freiheit der befreiten Frau.

NZZ, 29.09.2008

Eine eher bittere Bilanz der Frauenemanzipation zieht die Autorin Cora Stephan: "Superwoman" ist jetzt keine Illusion mehr. "Superwoman weilt mitten unter uns. Kurz: Am weiblichen Wesen wird, kann, ja soll die Welt genesen. Was für ein Triumph der feministischen Idee! Welch Sieg allgemeiner Einsichtsfähigkeit, sogar der Männer!" Aber die Männer machen mehr daraus als die Frauen: "Mann stimmt zwar vernünftigerweise mit ein in die Jubelgesänge auf die neue Frau, schweigt aber sonst und genießt seine Autonomie. Niemand erwartet mehr, dass er den treusorgenden Alleinverdiener macht; arbeiten geht Superwoman ganz freiwillig, und um die Kinder kümmert sich notfalls der Staat. Sofern sie sich nicht in einen Teilzeitjob abschieben lässt, um noch besser für alle und alles geradezustehen - das gibt Männern die Chance, den Vorteil wieder auszugleichen, den die kleinen Streberinnen einst durch bessere Bildungsabschlüsse verbuchten. So erklärt sich, dass der bundesdeutsche Mann noch immer im Durchschnitt mehr verdient als eine Frau."

Weitere Artikel: Peter W. Jansen lässt in seinem Nachruf Paul Newmans größte Rollen in "Die Katze auf dem heißen Blechdach" oder die des Zockers "Fast Eddie" in Robert Rossens "The Hustler" Revue passieren. Thomas Sträter erinnert an den brasilianischen Schriftsteller Joaquim Maria Machado de Assis, einen der bedeutendsten Romanciers Brasiliens, der heute vor hundert Jahren verstarb.

Besprochen werden die Ausstellung "Le Printemps de Septembre" in Toulouse und eine Inszenierung von Puccinis "Boheme" im Theater Basel.

FAZ, 29.09.2008

Drei Abschiedsartikel zum Tode Paul Newmans. Verena Lueken meint in ihrem Nachruf: "Dass es Paul Newman gab, war immer eine Selbstverständlichkeit, es hatte etwas Aufregendes, von ihm zu wissen, etwas Lichtes, ohne das wir, das heißt mit allem Pathos: die Welt, jetzt zurechtkommen müssen. Ikone, Legende, Superstar - das sind Etiketten, die an Leuten kleben, die Paul Newman nicht das Wasser reichen können. Sagen wir also: Er war einzigartig." Der Kameramann Michael Ballhaus erinnert sich an die erste Zusammenarbeit bei "Die Farbe des Geldes: "Ich wäre am liebsten vor ihm niedergekniet. Paul hat sich dann aber völlig normal verhalten und hatte überhaupt keine Allüren. Im Gegenteil, er war lieb, hilfreich bei der Arbeit und machte viele Witze." Und Jordan Mejias hat erste Reaktionen unter Kollegen auf Newmans Tod gesammelt.

Weitere Artikel: In der Glosse berichtet Jürg Altwegg, wie der zeit seines Lebens im 19. Jahrhundert bis in die jüngste Vergangenheit sehr verehrte Schweizer Naturforscher und Evolutionstheoriegegner Louis Agassiz nun auch öffentlich als der Rassist und Rassentheoretiker dekuvriert wird, der er war. Von einer Münchner Konferenz zum siebzigsten Jahrestag des Münchner Abkommens berichtet Matthias Hannemann. Robert von Lucius hat beim Berliner Literaturfestival afrikanische Dichterinnen und Dichter gehört. Das sächsische Hartmannsdorf, dessen Bewohner ihre alte Bürgermeisterin wiederwählten, obwohl sie gar nicht mehr zur Wahl stand, hat Kirstin Kruthaup besucht. Hannes Hintermeier war zugegen, als das Bremer Tabak-Kollegium tagte. Gerhard Rohde berichtet von einem Frankfurter Kolloquium zum Werk des Komponisten Maurizio Kagel, das plötzlich und unerwartet zur Gedenkveranstaltung geworden war. Den Wirtschaftshistoriker Hartmut Berghoff, seit dem Frühjahr Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Washington, porträtiert Katja Gelinsky. Paul Ingendaay stellt die Siegerfilme beim Festival von San Sebastian vor. Uwe Walter gratuliert dem Historiker Michael Stürmer zum Siebzigsten.

Besprochen werden Achim Freyers Inszenierung von Peter Tschaikowksys "Eugen Onegin" an der Berliner Staatsoper, eine Aufführung von Gustave Charpentiers "Louise" an der Deutschen Oper am Rhein, die Theaterversion von Charlotte Roches "Feuchtgebieten" in Halle, und Bücher, darunter ein "Schreibheft"-Band, für den Peter Handke mit Zarko Radakovic Texte serbischer AutorInnen gesammelt hat (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

TAZ, 29.09.2008

Zwei Arzthelferinnen aus der Praxis von Dorothea Ridder erinnern sich für Gabriele Goettle auf 882 Zeilen an die Ärztin.

In taz zwei schreibt Ekkehard Knörer im Nachruf auf Paul Newman: "Wie Newman als Butch Cassidy mit Katherine Ross auf dem Fahrrad zu Burt Bacharachs Ohrwurm 'Raindrops Keep Falling On My Head' herumkurvt, das ist fraglos eines der ikonischen Bilder des Hollywood-Kinos der Sechziger." Hier ist es:



Und Tom.

FR, 29.09.2008

Bei der öffentlichen, 5-stündigen Lesung der Shortlist-Autoren im Literaturhaus Frankfurt verging die Zeit für Johannes Schneider sehr langsam: "Die Hölle ist eine Lesung, die niemals endet. Diese endete gerade noch rechtzeitig". Auch wenn ihn zum Beispiel der Auszug aus Uwe Tellkamps Roman "Der Turm" positiv überraschte: "Tellkamp ist wunderbar, nicht nur, wie er in der ausgewählten Szene aus einem Musikzimmer des im DDR-Alltag eingekapselten Dresdner Bildungsbürgertums eine Welt entfaltet, auch, wie er diese Welt im Gespräch erläutert."

Weitere Artikel: In einer Times Mager sinniert Hans-Jürgen Linke über den Niedergang des Kapitalismus. Im Rahmen des Hamburger Filmfests ging der diesjährige Douglas-Sirk-Preis an den kanadisch-armenischen Regisseur Atom Egoyan für seinen besonderen Beitrag zur Filmkultur. Daniel Kothenschulte würdigt in einem Nachruf Paul Newman.

Besprochen werden das Roman-Debut des US-Schriftstellers Alan Drew, "Die Wasser des Bosporus", die beiden heute anlaufenden US-Serien "Dexter" und "Californication" und Achim Freyers Inszenierung von Tschaikowskys "Eugen Onegin" an der Berliner Staatsoper (ein "Maskenball der Langsamkeit", stöhnt Jürgen Otten).

Welt, 29.09.2008

Claudia Lenssen schreibt den Nachruf auf Paul Newman. Berthold Seewald beobachtete Hans-Ulrich Wehler bei der Vorstellung des letzten Bands seiner deutschen Gesellschaftsgeschichte. Peter Zander hat eine offensichtlich nicht ganz gelungene Neuverfilmung der "Brücke" für Prosieben gesehen. Hans-Peter Schwarz gratuliert dem Historiker und Welt-Kolumnisten Michael Stürmer zum Siebzigsten. Uwe Schmitt hat sich Michael Moores Wahlkampffilm "Slacker Uprising" angsesehen, den man im Internet herunterladen kann - aber nur in den USA und Kanada.

Besprochen werden Dramatisierungen von Charlotte Roches "Feuchtgebieten" in Halle (hier) und von Daniel Kehlmanns "Vermessung der Welt" in Braunschweig (hier) und Tschaikowskys "Eugen Onegin" in der Regie von Achim Freyer an der Berliner Staatsoper.

SZ, 29.09.2008

Tobias Kniebe verabschiedet sich von Paul Newman und hat auch schon eine Vision von der Ankunft des Schauspielers im Jenseits: "Nun steht er, so stellen wir uns das vor, an der Pforte des Paradieses. Und ganz sicher wird es dort eine echte Paul-Newman-Szene zu sehen geben. Er wird erst zu Boden schauen oder zur Seite, sein halb herausforderndes, halb verlegenes Grinsen grinsen und ein paar Dinge aus seinem Leben aufzählen. Dass er Frank Sinatra erfolgreich aus dem Spaghettisoßengeschäft verdrängt hat; dass er im Guinness-Buch der Rekorde als ältester Rennfahrer geführt ist, der je ein professionelles Autorennen gewonnen hat; und dass er bei Leuten, die es wissen mussten, allgemein als der schlechteste Fischer der Ostküste galt. Ganz zum Schluss aber wird er den Wächter des Paradieses unvermittelt ansehen. Mit diesem blauen Leuchten in den Augen. Mit einem dieser Newman-Blicke, gegen die auf Erden kein Widerstand möglich war."

Weitere Artikel: Bei einer Podiumsdiskussion an der Harvard Business School gaben sich die versammelten Ökonomie-Professoren derart wenig beunruhigt, dass es Susanne Klingenstein schon wieder unheimlich war. Gustav Seibt referiert einen "anregenden" Essay in der London Review of Books, in dem der marxistische Historiker Perry Anderson über die kemalistische Türkei und ihren Weg in den Postkemalismus nachdenkt. Die Wiedervereinigungs-Pläne von Led Zeppelin kommentiert Thomas Steinfeld. Jörg Häntzschel stellt eine Studie vor, die erklärt, wie mit die Bush-Regierung mit der Konstruktion "Feindlicher Kombattanten" das Recht aushebelt. In den Nachrichten aus dem Netz erklärt Niklas Hofmann, warum der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales das Gegenteil eines Altruisten ist. Johannes Willms gratuliert dem Historiker Michael Stürmer zum Siebzigsten. Auf der Medienseite erklärt Michael Kläsgen, wie Nicolas Sarkozy in Frankreich die Bildung großer Medienkonzerne vorantreibt.

Besprochen werden Tschaikowskys "Eugen Onegin" von und mit Daniel Barenboim, Achim Freyer und Rolando Villazon, Stefan Bachmanns Version des "Zauberbergs" am Berliner Maxim-Gorki-Theater, Ivo van Hoves Inszenierung von "Rocco und seine Brüder" in Bochum, eine Kippenberger-Ausstellung in St. Georgen im Schwarzwald, Amos Gitais Film "Trennung", neue DVDs, darunter die Box "Kontaktabzüge" mit Filmen, in denen Fotografen über ihr Handwerk nachdenken, und Bücher, darunter Lloyd Jones' Roman "Mister Pip" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).