Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.03.2005. Die SZ berichtet über neueste Entwicklungen im Streit um die Mailänder Scala. Die NZZ schildert den Niedergang der renommierten Editions du Seuil. Die taz porträtiert das Berliner Underground-Label Royal Bunker. Die FR freut sich über die Neuerwerbungen des Frankfurter MMK. Die FAZ hat ein neues Meisterwerk entdeckt: Heinrich Breloers Film über Albert Speer.

SZ, 18.03.2005

Henning Klüver bringt uns im Streit um die Mailander Scala auf den neuesten Stand: "Derby-Stimmung wie bei Inter gegen Milan ist aufgekommen, und die Opposition sieht endlich eine Möglichkeit, der Berlusconi-Mehrheit ein Jahr vor den nächsten Kommunalwahlen ein Bein zu stellen, sie vielleicht sogar zum Rücktritt zu zwingen. Zurückgetreten ist bereits der liberale, für Kultur zuständige Stadtrat der Mitte-Rechts-Regierung, angewidert von die Stillosigkeit, mit der der langjährige Intendant Carlo Fontana mit fadenscheinigen Gründen auf Wunsch von Riccardo Muti vom Verwaltungsrat auf die Straße gesetzt wurde. Fontana aber soll, so will der Bürgermeister beweisen können, in den letzten Stunden seiner Amtszeit noch einmal den Manna-Topf über die Mitarbeiter besonders zweier Gewerkschaften ausgeschüttet und Verträge verlängert, Gehälter erhöht und Abfindungen verdoppelt haben. Alles Lüge! rufen die Gewerkschaften und haben wie Fontana Verleumdungsklage eingereicht. Der Bürgermeister droht im Gegenzug der widerspenstigen Scala eine Notverwaltung durch einen Staatskommissar an."

Weiteres: Ingo Petz meldet, dass Weißrussland nun offiziell die Liste derjenigen Musiker zusammengestellt hat, die im weißrussischen Radio noch gespielt werden dürfen. Verboten wurden sämtliche kritischen Bands wie NRM, Neuro Dubel, Krama, Kriwi oder Drum Ekstasy. Christoph Kappes jagt Patentjäger, die sich die Rechte auf vergessene Patente, lange eingeführte Techniken oder gar elementare Kulturmerkmale sichern wollen, zum Beispiel für die Farben Magenta, Orange und Lila. Karl Bruckmaier behauptet, dass das neue Album von Beck "Guero" ganz wie eine gute alte Beck-Platte klingt. Titus Arnu berichtet, wie Mangas den deutschen Comic-Arbeit erobern, bei einigen Verlagen wie Egmont-Ehapa sorgen sie inzwischen für siebzig Prozent des Umsatzes. Die GEW-Vorständlerin Sanem Kleff erklärt in einem Interview mit Alex Rühle, warum sie islamischer Religionsunterreicht an deutschen Schulen keinen Sinn ergebe, und wenn dann nur so, wie katholischer Unterricht in Berlin erteilt wird. Tilmann Buddensieg feiert die prachtvoll restaurierte Villa Stuck in München, die mit einer Schau über den Art-Nouveau-Künstler Siegfried Bing wiedereröffnet wurde.

Besprochen werden Sarah Kanes Stück "Zerbombt" an der Berliner Schaubühne (das C. Bernd Sucher gehasst hat: "Ein grauenvoller Abend. Weil Sarah Kane illusionslos alles in den Schmutz zieht: die Liebe, das Begehren, die Zärtlichkeit.") und Bücher, darunter Benjamin Libets "Mind Time" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FR, 18.03.2005

Silke Hohmann hat die Neuankäufe von Museumsdirektor Udo Kittelmann begutachtet und kam beschwingt aus dem Frankfurter MMK zurück: Nicht nur die Neuerwerbungen gefallen ihr, sondern auch die Art, wie sie mit den älteren Werken des Museums in einen Zusammenhang gebracht werden. "Es sind die Zwischenräume zwischen den Bildern, in denen das Erzählen beginnt. Die Korrespondenzen sind laut und deutlich vernehmbar, wenn ein für seine Verhältnisse wenig hintergründiger, dabei witziger Sigmar Polke ('... Höhere Wesen befahlen', 1968) mit einem ungewohnt unalbernen John Bock ('Ohne Titel', Selbstporträt) korrespondiert. Der sich dann doch wieder als der akribische Chaosforscher erweist, wenn er einen irgendwo ins Dachgestänge geklebten Kaugummi ('Mrs. Wrigley's') von einer Kamera überwachen lässt. Mit ein bisschen Inszenierung und ein wenig verhaltener Didaktik wird im ersten Stock erst die Losung 'Malerei!' ausgegeben, um sie dann wieder zu brechen. Etwa, in dem für ein großes Gemälde Gerhard Richters ein Sockel gebaut wird, oder 'Zwei Pfaueneier' von Andreas Slominski leibhaftig zwischen Bildern an die Wand geschmissen wurden, dass der Dotter nur so spritzt."

Nikolaus Merck hat sich gelangweilt bei Thomas Ostermeiers Inszenierung von Sarah Kanes "Zerbombt" an der Berliner Schaubühne, der Abend hätte glatt "eine Katastrophe werden können. Dann aber erscheint Thomas Thieme als Soldat. Mit ihm erhält die Unternehmung unerwartete Erdung. Eine Bombe schlägt ein, die von Gewalt durchherrschte Außenwelt . . . ach, alles egal. Nur Thieme . . . Thieme. Er bringt als einziger den angepeilten Wirklichkeitsbezug auf den Punkt." Außerdem erfahren wir, dass alle fünf Stücke von Sarah Kane auf dem Spielplan der Schaubühne stehen.

Weiteres: Peter Michalzik fragt sich, warum Freiburgs grüner Bürgermeister Dieter Salomon eigentlich ständig das Theater der Stadt miesmacht. Andere Politiker haben ihm die Spielregel erklärt: "Es ist, so sagen sie dann, für einen Politiker, und zwar egal welcher Couleur, grundsätzlich karrierefördernd, gegen Kultur zu sein." In der Reihe "Inventur" widmet sich Hans-Jürgen Linke Arno Schmidts "Leviathan". Times Mager sammelt Zitatfetzen aus dem Bundestag. Auf der Medienseite fasst Günter Frech die Kritik an der geplanten Veränderung des Urheberrechts zusammen.

NZZ, 18.03.2005

Frankreichs Verlagswelt befindet sich in einem gewaltigen Umbruch, berichtet Marc Zitzmann anlässlich des gerade eröffneten Pariser Salon du livre. Große Konzerne wie Hachette bauen ihre Vormachtstellung auf Kosten kleiner Verlage aus. Jetzt hat es die renommierten Editions du Seuil erwischt, die 2004 von Herve de La Martiniere übernommen wurden. La Martiniere hatte im August 2004 eine Vertriebsgesellschaft gegründet, "die schon im September derart kläglich versagte, dass die Editions Odile Jacob zu Sodis (Gallimard) überwechselten. Während der 'rentree litteraire', der Hauptgeschäftszeit zu Saisonbeginn, mussten viele Buchhändler bis zu fünfzehn Tage auf ihre Bestellungen warten. Wegen der erlittenen Einnahmeneinbussen verklagten vier von Volumen vertriebene Verlage (darunter die Editions de Minuit und Christian Bourgois) die Gruppe Le Seuil-La Martiniere vor Gericht. Endlich kündigte im November der angesehene Verleger Jacques Binsztok und streikten im Dezember die Mitarbeiter zum ersten Mal seit Mai 68 - Ersterer bekundete seine Skepsis bezüglich der Fusion, Letztere waren aufgebracht über 'das Fehlen eines wirklichen Unternehmensplans sowie jeglichen sozialen Dialogs'." Gehen musste auch Claude Cherki, seit 1989 Generaldirektor von Seuil. Doch er "hatte an der Transaktion mit La Martiniere Geld verdient, was viele im Haus unmoralisch anmutete".

Weitere Artikel: Ulf Meyer stellt Moshe Safdies neues Holocaust-Museum in Jerusalem vor. Karl Corino porträtiert den verstorbenen Sammler Werner Schweikert, mit dessen gewaltiger Sammlung an deutschen Übersetzungen belletristischer Weltliteratur jetzt niemand etwas anzufangen weiß. Besprochen wird die Uraufführung von Michael Nymans Oper "Love Counts" in Karlsruhe. Die Musik ermüdete Elisabeth Schwind, "dass der Abend dennoch auch musikalisch beeindruckte, lag insbesondere an den beiden fabelhaften Solisten Ulrich Schneider und Beverly O'Regan Thiele", schreibt sie.

Auf der Filmseite resümiert Frank Wittmann das Filmfestival in Ouagadougou. Catherine Silberschmidt stellt ein Buch über afrikanisches Kino vor. Und Alexandra Stäheli hat "spannungsreiche 'films du sud' beim Internationalen Filmfestival Freiburg gesehen. Besprochen wird Terry Georges Film "Hotel Rwanda".

In den USA scheinen frei zugängliche Websites an Beliebtheit zu gewinnen, berichtet Martin Hitz auf der Medien- und Informatikseite. Der Grund: die Online-Werbung boomt. "Es herrscht Krisenstimmung in der amerikanischen Internet-Branche. Nicht ganz überraschend betrifft die Krise das Werbeaufkommen. Eher überraschend ist indes, dass nicht ein zu wenig, sondern ein zu viel an Werbung den Managern die Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Werbe-Banner und Buttons im Wert von knapp zehn Milliarden Dollar sind laut ersten Schätzungen des Internet Advertising Bureau 2004 auf amerikanischen Websites verkauft worden, gut 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Gemäß einem Bericht der New York Times hat die große Nachfrage bereits zu einem Mangel an hoch frequentierten und damit attraktiven Werbeplätzen geführt. Auftrieb erhalten könnten dadurch die unlängst noch kurz vor dem Untergang geglaubten Gratisangebote im Internet. Unter Druck geraten könnte zumindest in den USA dagegen das 'Paid Content'-Geschäftsmodell."

Weiteres: Detlef Borchers resümiert die Cebit in Hannover. Bor. meldet, dass auch die Schweiz zufrieden auf die Messe zurückblickt.

Welt, 18.03.2005

Krimis genießen in Deutschland einen zweifelhaften Ruf. Die Autorin Anne Chaplet ahnt, warum: "Weil die Deutschen verklemmt sind. Denn sie lesen zwar in großer Zahl Romane, in denen es spannend zugeht, stehen aber nicht öffentlich zu dieser Neigung. Sie zieren sich gern. Oder woran liegt's, dass das liebenswürdigste Publikum, eben noch gebannt an der Autorin Lippen hängend, es nach der Veranstaltung kaum über sich bringt, für ein handsigniertes Hardcover aus dem Genre "Spannungsroman" den Gegenwert von zwei Kinokarten auf den Tisch zu legen? Die sicher charmanteste Begründung: 'Krimis lese ich nur im Taschenbuch.' Denn: 'Hardcover traut man sich ja nicht wegzuschmeißen.'"
Stichwörter: Deutschland, Krimis

TAZ, 18.03.2005

Aus Anlass der Dokumentation "Gegen die Kultur" hat Kirsten Riesselmann das Berliner Underground-Labels Royal Bunker in seinem Kreuzberger Kellerclub besucht. Voll krass ist es da: "Marcus Staiger, angetan mit einer Royal-Bunker-Jeans und einem knallroten Royal-Bunker-Sweater, kocht Tee. Stefan Pethke, die eine Hälfte des Filmemacherteams, wird zum Croissant-Einkauf geschickt. An der Wand hängt in Postergröße Puff Daddys hyperdarwinistisches Mantra: 'Life is not a game / Only the fittest and most aggressive will survive / Sleeping is forbidden / A second cannot be wasted / Once seconds are lost, you lose / And losing is for losers.' Ein sinnfälliges Motto für ein Label, das seinerzeit die lautmäulige Berliner Battlerap-Szene gebündelt und sich mit harten, pornografischen Lyrics hervorgetan hat. Das die Ursuppe für die MCs Kool Savas, Sido und Eko Fresh war, schwer von Anfeindungen, Beefs und Dissings heimgesucht wurde. Und heute für sein Überleben als Markt-Mini-Player kämpfen muss."

Auf seiner Achse des Pop streift Thomas Winkler neue Alben der Bands Kirmes, Fettes Brot und Fink. Cristina Nord unterhält sich mit Regisseur Wes Anderson über seinen Film "Die Tiefseetaucher", die Authentizität von Pudelmützen und die richtige Colorierung von Seepferdchen. Gerrit Bartels berichtet aus Leipzig von der Verleihung des Europäischen Verständigungspreises an die Schriftstellerin Slavenka Drakulic.

Und Tom.

FAZ, 18.03.2005

Frank Schirrmacher hat Heinrich Breloers Dokufiktion über Albert Speer gesehen, die in einigen Monaten im Fernsehen laufen wird, und ist überwältigt von diesem "Meilenstein in der filmischen Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus". Und wie Tobias Moretti den Hitler gibt, das ist ein "Ereignis". "Der österreichische Schauspieler liest Hitler gleichsam in der Gosse auf, die ordinären und gewalttätigen Züge des Charakters werden fassbar, ohne dass der Film-Hitler zur Karikatur wird. Breloer schafft es durch präzise Bauten und Kameraeinstellungen, Schauspiel und Vorbild miteinander fast bis zur Ununterscheidbarkeit zu parallelisieren. Berühmte Fotos erwachen zu einem geisterhaften Leben, das den Zuschauer erstarren lässt." Nach dem Film "Der Untergang" handelt es sich also schon um das zweite von Frank Schirrmacher entdeckte Hitler-Meisterwerk des Jahres.

Weitere Artikel: "Ri" meditiert in der Leitglosse über den von Horst Köhler in einer Rede zitierten Montesquieu-Satz "Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu erlassen." "vw", Andreas Platthaus und Mark Siemons liefern geistvoll spitze Messenotizen aus Leipzig. Regina Mönch kritisiert "Ungereimtheiten und Peinlichkeiten" bei der Vergabe von Geldern des Berliner Kulturfonds. Reiner Burger berichtet, dass die nach dem Zweiten Weltkrieg enteigneten Hugenberg-Erben ihre ehemaligen Besitztümer auch nach einem Gerichtsprozess nicht zurückerhalten.Auf der Medienseite berichtet Jürg Altwegg über zwei im Irak und der Elfenbeinküste verschwundene französische Journalisten, Fred Nerac und Guy-Andre Kieffer.

Für die letzte Seite flaniert Hannes Hintermeier über die Londoner Buchmesse und schildert die Zustände im britischen Buchmakt, zehn Jahre nach Aufhebung der dortigen Preisbindung: "Das Paradoxe der Situation: Trotz des brutalen Preisdumpings sind durch die Freiheit der Preisgestaltung die Bücher insgesamt im Durchschnitt teurer geworden." Joseph Hanimann berichtet über einen gallischen Aufstand gegen Google, das amerikanische Bibliotheken digitalisieren und damit nach Auffassung des Bibliotheque-nationale-Direktors Jean-Noel Jeanneney das angelsächsische Weltbild propagieren will - Jeanneney fordert jetzt 200 Millionen Euro von der EU. Und Andreas Rossmann würdigt die Arbeit des in Rente gehenden Kölner Stadtkonservators Ulrich Krings.

Besprochen werden werden Poul Ruders' Oper "Proces Kafka" in Kopenhagen, Wagners "Parsifal" in Denis Kriefs Inszenierung in Venedig und Sarah Kanes Stück "Zerbombt" in der Berliner Schaubühne.