Heute in den Feuilletons

Manet beim Denken zusehen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.02.2013. Die taz und andere Zeitungen berichten über offizielle iranische Proteste gegen die Vorführung von Jafar Panahis Film "Pardé" bei der Berlinale. "Die Welle gegen Amazon rollt", titelt die FAZ, nachdem einige Kleinverlage und Blogger ihr Konto beim Konzern gelöscht haben. Es hat gewisse Vorteile, bestimmte Bücher digital lesen zu können, antwortet Ulrich Johannes Schneider in der FAZ auf den Internetkritiker Roland Reuß. Die SZ erkundet Vor- und Nachteile des Dark Web.

TAZ, 20.02.2013

Dschawad Schamaghdari, der Kino-Beauftragte im iranischen Kulturministerium, ist empört über den Silbernen Bären für Jafar Panahis trotz Berufsverbot entstandenen Film "Pardé" und droht dem Regisseur mit Strafverfolgung, berichtet Bert Rebhandl, der jedoch keine unmittelbaren Konsequenzen fürchtet: "Schamaghdari weiß vermutlich, dass das Ausmaß an Repression, das dagegen notwendig wäre, weder machbar noch politisch sinnvoll ist. Seine Äußerung wirkt deswegen ein wenig wie eine rhetorische Pflichtübung. Gleichwohl muss Panahi neue Unannehmlichkeiten befürchten. Das Katz-und-Maus-Spiel geht weiter."

Im Gespräch mit Jasmin Kalarickal plädiert die britische Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo dafür, das Wort "Neger" aus Kinderbüchern zu streichen - obwohl "Pippi Langstrumpf" für sie auch dann noch rassistisch ist: "Die Geschichte, dass Pippis Vater irgendwo hinsegelt und sagt 'Ich bin jetzt König', das ist kurz gesagt die Geschichte von Kolonialismus, das ist Rassismus."

Weitere Artikel: Elise Graton stellt das Magazin Contemporary And vor, das Kunstschaffenden aus Afrika eine Plattform bietet. Margarete Stokowski ist enttäuscht, dass man bei der Facebook-App "Bang with Friends" keine Verbraucherkritiken eingeben kann. Der Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs versichert, dass der deutsche ESC-Beitrag "Glorious" von Cascada "ohne Zweifel kein Plagiat ist, sondern nur eine sehr sehr gut gemachte Stilkopie".

Besprochen werden Paul Thomas Andersons neuer Film "The Master" (der Diedrich Diederichsen "ein zuverlässig gewartetes, perfekt organisiertes ästhetisches Universum" erschließt) und René Polleschs Stück "KapiTal der Puppen" am Staatsschauspiel Dresden.

Und Tom.

Welt, 20.02.2013

Im Feuilleton stellt Mara Delius ein Buch des amerikanischen Philosophen Michael Sandel vor, "Gerechtigkeit. Wie wir das Richtige tun". Alan Posener erklärt, warum Frank Schirrmacher in seinem neuesten Buch "Ego" Richard Dawkins' Begriff der "Vampir-Ökonomie" so sehr missverstanden hat, dass vieles für mangelnde Lektüre-Erfarung spricht. Besprochen werden eine Ausstellung der Comiczeichnungen von Manfred Schmidt im Wilhelm-Busch-Museum in Hannover und ein Schumann-Konzert mit Paavo Järvi und der Kammerphilharmonie Bremen.

NZZ, 20.02.2013

Als ein "Versuchslabor der Moderne" beschreibt Marion Löhndorf die Londoner Ausstellung "Manet: Portraying Life" mit Porträts von Edouard Manet. Indem dort "in jeder Hinsicht Vollendetes und bloß Versuchtes" Seite an Seite ausgestellt ist, lade die Ausstellung ein, "Manet beim Denken zuzusehen, beim Arbeiten, Suchen, Erfinden, Experimentieren, beim Rückgriff auf die alten Meister und beim Erproben zeitgenössischer und in die Zukunft weisender Themen und Stile."

Weiteres: Kornel Ringli meldet den Bau eines unkonventionellen Bürogebäudes von Bearth & Deplazes in Landquart. Susanne Ostwald gratuliert Mike Leigh zum Siebzigsten. Besprochen werden eine Pariser Ausstellung mit Malereien und Skizzen von Félix Ziem sowie Bücher, darunter der Roman "Sydney Bridge Upside Down" des Neuseeländers David Ballantyne (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 20.02.2013

"Die Welle gegen Amazon rollt", titelt Jan Wiele im Aufmacher, der allerdings nur einige Kleinverleger und Blogger ausmacht, die nach der ARD-Doku gegen den Konzern rebellieren, während die größeren Verlage auffällig still bleiben. Einen wichtigen Hinweis gibt Wiele aber all jenen, die nun ihr Amazon-Konto löschen wollen: "Wer sein Konto schließt, verliert auch alle bisher bei Amazon angeschafften E-Book-Inhalte für das Lesegerät Kindle. Diese hat man nämlich nicht erworben, sondern nutzt sie nur als Lizenzprodukt."

Auf der Forschung-und-Lehre-Seite schätzt unterdes Ulrich Johannes Schneider von der Leipziger Uni-Bibliothek die neulich von Roland Reuß vorgetragene Generalkritik an der Digitalisierung im Buchwesen als lächerliches "Zeter und Mordio" ein - und antwortet unter anderem mit ein paar pragmatischen Argumenten: "Wer an der Philosophie der Vorsokratiker interessiert ist, kann die von Reuß erwähnte Ausgabe von Diels/Kranz nun in zwei Gestalten genießen. So findet man die Erstausgabe aus dem Jahr 1903 im Volltext bei archive.org - Vorteil für den kundigen Nutzer des Internets! Die letzte gedruckte Ausgabe des Werkes stammt von 1951, war damals die sechste Auflage und findet sich nachgedruckt bei Weidmann 2005, angeboten für stolze 218 Euro - Nachteil für die minderbemittelte Studentenbörse! "

Als epochal feiert Julia Voss eine Stockholmer Ausstellung der Malerin Hilma af Klint, die vor Kandinsky abstrakt malte und dennoch unbekannt blieb - was sie auch sich selbst zu verdanken hat: "Als sie 1944 starb, verfügte sie, dass ihre abstrakten Bilder, die sie zu Lebzeiten nie ausgestellt hatte, zwanzig Jahre lang unter Verschluss bleiben sollten; sie glaubte, die Zeit sei noch nicht reif."

Weitere Artikel: Christoph Lauer von der Piratenpartei teilt mit, dass er seine Aktivitäten bei Twitter einstellt, die ihn nur Zeit und Nerven kosteten.

Besprochen werden der Film "The Master" von P. T. Anderson, die Ausstellung "Schönheit und Revolution - Klassizismus 1770-1820" im Städel Frankfurt und eine Ausstellung über den Fluchthelfer Gilberto Bosques in der Akademie der Künste Berlin.

SZ, 20.02.2013

Kevin Knitterscheidt hat sich in die Tiefen des Dark Webs, jener Internetbereiche jenseits von WWW und Suchmaschinenauffindbarkeit also, vorgewagt und kehrt von dieser Reise so staunend wie verunsichert zurück: Einerseits ermöglicht der verlässlich anonymisierte Datenaustausch auch dem Waffen- und Drogenhandel über Portale wie Silk Road (mehr) den Komfort des Onlineshoppings, andererseits stellt er die Grundlage für einen freien und sicheren Kommunikationsaustausch von Dissidenten dar: "Nur über das Dark Web können Whistleblower unerkannt Dokumente auf Wikileaks oder ähnlichen Plattformen veröffentlichen. Nur hier kann man auch über eine chinesische Leitung ansonsten gesperrte Informationen über das Tiananmen-Massaker oder die Falun Gong abrufen. Will man das nicht aufs Spiel setzen, so bleibt fraglich, wie man der damit auch aus dem Schatten der Gesellschaft getretenen Kriminalität begegnen möchte - einer Kriminalität, die sich unabhängig von Herkunft, sozialem Milieu oder vorhandenem Hintergrundwissen jedem anbietet, der nur einen Internetzugang hat."

Weitere Artikel: Henning Klüver beklagt angesichts zahlreicher drängender Probleme die schwache Rolle der Kultur im italienischen Wahlkampf. Christine Dössel besichtigt im Literaturarchiv Marbach den Vorlass von Tankred Dorst und Ursula Ehler. Stephan Speicher besucht den nach 280 Jahren wiedereröffneten Riesensaal des Dresdner Residenzschlosses, wo die ausgestellten Prunkwaffen "ungeheuer effektvoll inszeniert" werden. Hermann Unterstöger entnimmt einer heimatkundlichen Studie, dass Kaspar Hauser seine Kindheit möglicherweise im Schloss Wanghausen verbrachte (mehr dazu hier). Außerdem wird gemeldet, dass der iranische Kultusminister gegen den Silbernen Bären für Jafar Panahis Film "Pardé" (unsere Berlinale-Kritik) protestiert.

Besprochen werden Paul Thomas Andersons neuer Film "The Master", die Aufführung von Moritz Rinkes "Wir lieben und wissen nichts" am Theater Bern und Bücher, darunter Ansgar Oberholz' Berlin-Mitte-Roman "Für hier oder zum Mitnehmen?" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).