Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
12.08.2003. Die SZ beklagt die allgemeine Inkompetenz der Angelsachsen in Dingen der modernen Oper. Die taz besucht die Dreharbeiten zu einem indischen Film, der zum Teil im Berlin der Nazizeit spielt. Die NZZ fürchtet, dass Dänemark seinen Humor verliert. Die FAZ beweist die Existenz Troias.

SZ, 12.08.2003

Reinhard Brembeck nimmt die Uraufführung von Hans Werner Henzes Oper "L'Upupa" zum Anlass, einmal genüsslich auszubreiten, wie überlegen die Kontinentaleuropäer den Angelsachsen in der zeitgenössischen Komposition sind. Denn abgesehen von Ives, Cage und Co. würden die Amerikaner gerade mal "gut gemachte Allerweltsoper" zustandebringen, seien aber zu versnobt, um die "zentraleuropäische Avantgarde" überhaupt schätzen zu können.

Stephan Maus führt ins Brandenburgische, zum GPS Target Waypoint N 52.57959 E 13.69414, wohin der Chaos Computer Club die internationale Hackerszene zum Sommercamp eingeladen hatte: "Wer je geglaubt hat, Hacker seien unsoziale, isolierte Wesen, die ihre Allmachtsphantasien am Computer sublimieren, der kann sich auf diesem Camp vom exakten Gegenteil überzeugen. Zwischen Klapperstorch und Breitmaulfrosch lebt noch einmal der gute, alte Hippie-Geist des zivilen Widerstands auf. Woodstock, Version 5.1."

Weiteres: Sonja Zekri berichtet, dass Daniel Libeskind das Militärhistorische Museum in Dresden umbauen soll. Aus diesem soll nämlich eine Institution werden, die sich mit dem Imperial War Museum oder dem Hotel des Invalides messen lassen kann. Wie von Alexander Kissler zu erfahren ist, hat streitlustige Psychoanalytiker Aron Ronald Bodenheimer einen interessanten Vorschlag gemacht: "Wir Juden sollten die Shoah vergessen", zitiert Kissler. Helmut Mauro hat sich in Salzburg die Reihe von Pianisten-Debüts angehört. Volker Wörl macht einige Verbsserungsvorschläge zu unserem Rentensystem. Thomas Thieringer spricht mit Jürgen Flimm über die Lage des Schauspiels bei den Salzburger Festspielen. Susan Vahabzadeh schreibt einen Nachruf auf den Tänzer und Schauspieler Gregory Hines.

Besprochen werden eine Schau der Arbeiten von Bethan Huws in der Kunsthalle Düsseldorf, die Ausstellung "Water Rites" in Kleve, in der die Fotografien Lucinda Devlin eine Kulturgeschichte des Kurbades zeigt, und Bücher, darunter Ernst Augustins Roman "Die Schule der Nackten", Jan Costin Wagners Krimi "Eismond" sowie eine Kulturgeschichte der menschlichen Haarpracht (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FR, 12.08.2003

Manfred Schneider ist entsetzt von der Vorstellung, das amerikanische Verteidigungsministerium könnte eine Terrorbörse im Internet einrichten: "Will nicht die Politik definitiv in der Virtual Reality zufälliger Medien-Meinungen versinken, dann wird es Zeit, dass in der westlichen Welt noch einmal ein Kaiser Constantin auftritt." Alexander Kluy stellt ein Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin zur Stadtentwicklung am Beispiel von Mumbai, Sao Paulo, Shanghai und Johannesburg vor. Sylvia Staude schreibt den Nachruf auf den Tänzer Gregory Hines.

Besprochen wird Sönke Wortmanns Film "Das Wunder von Bern" in Locarno ("ambitioniert, aber gescheitert"), eine Ausstellung mit Fotos des Benetton-Fotografen Oliviero Toscani von 39 Überlebenden des SS-Massakers am 12. August 1944 in Sant'Anna di Stazzema und die Memoiren der Schriftstellerin Lenka Reinerova (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 12.08.2003

Jan Kuhlmann erzählt von den Dreharbeiten in Berlin zu "Netaji - The lost hero", ein Film über den indischen Unabhängigkeitskämpfer Subhas Chandra Bose, der in den vierziger Jahren den Pakt mit den Nazis suchte: "Der Schauspieler Bernd Uwe Reppenhagen, verkleidet als Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop, tritt an den Konferenztisch, wo die indische Delegation um den indischen Politiker Subhas Chandra Bose, gespielt von Sachin Shrikant Khedekar, auf ihn wartet. 'Heil Hitler', brüllt er und reißt den rechten Arm in die Höhe. 'Vande Mataram', ruft Rajit Kewal Kapur in Gestalt von Boses jungem Assistenten und schwingt den Arm in einer unbeholfenen Imitation des Hitlergrußes. Amüsiert fragt der blonde Politiker: 'Was bedeutet das?' Der Inder antwortet: 'Heil dem Mutterland!'"

Weitere Artikel: Auch in Hamburg sorgt die Körperwelten-Ausstellung für juristische Streitigkeiten, berichtet Detlef Kuhlbrodt. Angelika Ohland gibt Marcel Reich-Ranicki Recht, der behauptet hat, Jugendliche brauchen keine speziell für sie geschriebene Jugendliteratur. Gerrit Bartels meldet, dass der Siedler Verlag nach München umziehen muss.

Besprochen werden Bücher, darunter Elias Canettis Erinnerungen an seine Zeit in England "Party im Blitz", Max Barrys trashiger Globalisierungsroman "Logoland" und politische Bücher (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Schließlich Tom.

NZZ, 12.08.2003

Einen Blick nach Dänemark wirft Aldo Keel, wo die rechtskonservative Regierung den Kampf gegen die "Vorherrschaft weicher Werte" antritt. "Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen warnt vor der 'schlappen Einstellung der Palaverpädagogen'. Ein neuer Zeitgeist weht, den Beobachter bereits an Äußerlichkeiten zu erkennen glauben. Früher plauderten Regierungschefs, egal welcher Couleur, über ihre Macht mit einer Prise Selbstironie, um nicht schulmeisterlich dazustehen. Der neue Amtsinhaber hingegen spielt seine Macht und seinen Einfluss auch auf der symbolischen Ebene aus. Der berühmte dänische Humor verflüchtigt sich."

Weitere Artikel: Andreas Oplatka fragt sich, warum das Interesse der Franzosen für ihre Nationalheldin Jeanne d'Arc so stark abgenommen hat und begibt sich auf ihre Spur in ihrem lothringischen Geburtsort Domremy. Unter der Ägide von Peter Ruzicka ist Salzburg wieder Salzburg geworden, hält Peter Hagmann fest, sieht sich die Haupt-, Neben- und Abwege des Programms jedoch noch einmal genauer an.

Besprochen werden die Studie der Kulturanthropologin Adriana Petrynas "Life Exposed - Biological Citizens after Chernobyl" (mehr hier) und R. S. Thomas' Lyrikband "Die Vogelscheuche Nächstenliebe" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 12.08.2003

Michael Siebler freut sich über neue archäologische Funde, die die Existenz Troias belegen. Eleonore Büning feiert die Junge Deutsche Philharmonie, die in einem Konzert mit Werken Matthias Pintschers, György Ligetis und Robert Schumanns die Latte für das Festival Young Euro Classics in Berlin hoch legte. Paul Ingendaay meldet, dass der Prado einen neuen Rechtstatus erhält, der ihm größere Autonomie verleiht. Andreas Rosenfelder fürchtet, dass den Budgets der Parteistiftungen drastische Kürzungen bevorstehen. Dieter Bartetztko lobt die historischen Rekonstruktionen von Räumen in dem Lübecker Buddenbrook-Haus. Verena Lueken nimmt Abschied vom Steptänzer und Schauspieler Gregory Hines, der im Alter von nur 57 Jahren starb. Rainer Flöhl gratuliert dem Chirurgen Christian Herfarth zum Siebzigsten (neuerdings werden in der geburtstagsseligen FAZ also offensichtlich auch Ärzte bedacht).

Auf der Medienseite porträtiert Souad Mekhennet einen irakischen Geheimdienstmann, der in Zeiten Saddams westliche Journalisten ausspionierte. Und Michael Seewald meldet, dass Sat 1 das Leben Götz von Berlichingens verfilmen will. Auf der letzten Seite schildert Martin Kämpchen den Erfolg und politischen Einfluss von Indern in der amerikanischen und britischen Diaspora, die durchaus auch in das politische und gesellschaftliche Leben der Heimat eingreifen. Christian Geyer porträtiert Otto Junck, den obersten Bademeister der Stadt Frankfurt. Und Lorenz Jäger verweist auf die neue Nummer der jüdischen Zeitschrift Forward, welche ein Massaker an einem polnischen Dorf untersucht, an dem angeblich jüdische Partisanen beteiligt waren.

Besprochen wird die Ausstellung der Sammlung und der Fotografien Gunter Sachs' in Hamburg.