Heute in den Feuilletons

Jubelgalerie für die Geheimdienste

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.06.2013. Trita Parsi erinnert sich in der SZ mit Wehmut an die lange abgekühlte Freundschaft zwischen Iran und Israel. Im dritten Teil unserer Prism-Presseschau stellt der Perlentaucher fest: alle werden überwacht, nur nicht die Überwacher. Auch die FAZ meint: Jeder kann zum Opfer der Überwachung werden. Die NZZ findet die schönsten Neubauten Deutschlands in der Provinz. Alle nehmen Abschied vom FAZ-Feuilletonisten Henning Ritter.

Perlentaucher, 25.06.2013

Die Prism-Skandal besiegelt eine krasse, womöglich nicht wieder gut zu machende Niederlage der Demokratie, schreibt Anja Seeliger im dritten Teil ihrer Fragen zu Prism: "Was geht mich das an?" Hier wendet sie sich gegen die weitverbreitete Gleichgültigkeit angesichts der Enthüllungen und zeigt unter Aufbietung vieler Links und Quellen: Techniken, die angeblich der Terrorbekämpfung dienen, werden längst gegen Bürger eingesetzt, die die Regierung - manchmal in Zusammenspiel mit Unternehmen - diskreditieren will: "Obama hat beteuert, es gebe regelmäßige 'checks and balances' der Überwachungsmaßnahmen. Aber das stimmt nicht. Seit der Einführung des FISA Amendments Act 2008 brauchen die Geheimdienste keinen Verdächtigen mehr, um Abhörgenehmigungen zu erhalten. Jetzt können sie pauschale Abhörgenehmigungen für eine unbegrenzte Menge Menschen erhalten, ohne auch nur eine bestimmte Gefahr beschreiben zu müssen. Und auch der Kongress hat nichts getan, um die Öffentlichkeit vor der Schnüffelei zu beschützen, im Gegenteil, er ist heute 'eine Jubelgalerie für die Geheimdienste', erklärt der Journalist und NSA-Spezialist James Bamford in einem Chat auf Reddit."

Noch mehr Lektüre: Auf Irights.info hat John Hendrik Weitzmann Leseempfehlungen zu weiterführenden Artikel besonders in Bezug auf Cloud-Dienste zusammengestellt.

TAZ, 25.06.2013

Katrin Bettina Müller berichtet über das Festival Theaterformen in Hannover, das in einem Schwerpunkt Koproduktionen aus dem Kongo zeigt. Marcus Woeller sieht vor allem "Fetischismus und Selbstbeweihräucherung" in der Nachstellung von Harald Szeemanns Kunstausstellung "When Attitudes Become Form" von 1969, die die Prada Foundation jetzt zeigt. Isolde Charim denkt über Bildhauer und Alpinismus nach. Rudolf Walther berichtet von einer Tagung in Frankfurt, die an den Philosophen Alfred Schmidt erinnerte.

Besprochen wird der Comic "Die Insel der 100.000 Toten" von Fabien Vehlmann und Jason (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Und Tom.

Aus den Blogs, 25.06.2013

Gefunden im Musicnerd-Blog The Needle Drop: Ein neues, ziemlich relaxtes Stück der Indierock-Jazzer von Badbadnotgood. Das schwingt entspannt in den Tag:

Welt, 25.06.2013

Im Feuilleton schreibt Ekkhard Fuhr den Nachruf auf Henning Ritter, mit dem er ab 1986 in der FAZ zusammenarbeitete: "Er war ein frei schwebender, ein flanierender, ein, um einen modernen Begriff zu verwenden, den er wahrscheinlich vermieden hätte, hochgradig vernetzter Intellektueller. In der Feuilleton-Redaktion fand er als verantwortlicher Redakteur für die wöchentliche Seite Geisteswissenschaften den Platz, der seiner Lebensform entsprach."

Im Aufmacher erinnert Hannes Stein an die Schlacht von Gettysburg vor 150 Jahren.

Besprochen werden ein Konzert Cat Powers in Berlin und Hans Neuenfels' Wagner-Spektakel "Wie ich Welt wurde" mit Edita Gruberowa in ihrer letzten Bühnenrolle in Zürich.

NZZ, 25.06.2013

"Im Verborgenen blühen Deutschlands schönste Bauten", meint Roman Hollenstein mit Blick insbesondere auf das neue Kunstmuseum in Ravensburg: "Seinen ganz besonderen Charme verdankt der nach neusten bauökologischen Erkenntnissen errichtete Neubau der lebendigen Außenhülle, die aus alten, von Abbruchbauten stammenden Ziegelsteinen errichtet wurde. Sie verleihen dem Ende 2012 fertiggestellten und im vergangenen März eingeweihten Museum schon jetzt zeitlose Patina."

Weiteres: "Mit kraftvollen Bildern und wenigen Worten wollte er seinen Lesern gute Sitten beibringen", schreibt Brigitte Kramer in ihrem Nachruf auf den spanischen Schriftsteller Javier Tomeo. Martin Meyer erkennt in den türkischen und brasilianischen Demonstrationen das Markenzeichen "einer Welt, deren Unbehaustheit gerade im Politischen als wachsender Identitätszerfall zwischen Regierenden und Regierten fasslich wird".

Besprochen werden die Zürcher Inszenierung von Vincenzo Bellinis Oper "Straniera" (die Marianne Zelger-Vogt als "einen Idealfall szenisch-musikalischer Harmonie" erlebt), Britta Wauers Dokumentarfilm "Im Himmel, unter der Erde" über den jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee ("ein berührender Bilderreigen aus Archivmaterial, Interviewsequenzen und persönlichen Erzählungen", findet Claudia Schwartz) und Bücher, darunter Eugen Ruges Roman "Cabo de Gata" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

SZ, 25.06.2013

Thomas Steinfeld verabschiedet sich von Henning Ritter, seinem langjährigen Redakteurskollegen bei der FAZ, den er unter anderem als Meister der kleinen Form und als "Verschenker" würdigt. Ritter "warf mit Ideen um sich... Das Verschenken hatte aber Sinn und Prinzip: Unaufhörlich lud der Verschenkende ein, an seiner Welt teilzuhaben, suchte den Austausch, hegte den Traum, es möchte sich vielleicht eine kleine räsonierende Gemeinschaft zusammenfinden wie zu seinen Lieblingszeiten, kurz vor Ausbruch der Französischen Revolution."

Nostalgisch blickt der Politologe Trita Parsi auf die goldenen Zeiten zurück, in denen Iran und Israel trotz antisemitischer Hetze aus Teheran jahrzehntelange geostrategisch paktiert haben: Erst mit Ende des Kalten Krieges seien die heutigen Spannungen zwischen beiden Ländern enstanden. "Das sind gute Nachrichten, denn es bedeutet, dass weder Krieg noch Feindschaft eine ausgemachte Sache ist. Aber manche wollen Krieg." Welche "manche"? Natürlich diejenigen, die Unschuldsengel Ahmadinedschad mit Hitler verglichen haben, wie Parsi im weiteren erklärt. Wie können die das auch wagen...

Weitere Artikel: Susan Vahabzadeh befürchtet einen herben Image- und Vertrauensverlust, was Crowdfunding von Filmen betrifft, sollte sich der Trend, dass immer mehr Majorfirmen ihre Filme vom Publikum vorabfinanzieren lassen, durchsetzen. Harald Eggebrecht führt durch das heute eröffnende Museum Paläon in Schöningen vor, wo ihm manch "auratischer Schauder" über den Rücken geht.

Besprochen werden Calixto Bieitos Revueabend zu Ehren Georg Büchners im Münchner Residenztheater (den ein zornesroter Christopher Schmidt nach allerlei "abgeschmackten Regieübergrifflichkeiten" völlig in der Luft zerreißt: "Nullnummer der Saison"), eine Aufführung von Bellinis "La Straniera" an der Oper Zürich, mit der sich Edita Gruberova wahrscheinlich von der Bühne verabschieden wird und Bücher, darunter Bill O'Reillys "Killing Kennedy" und die Prequel-Reihe zum Comicklassiker "Watchmen", die allerdings ohne Mastermind Alan Moore auskommen muss (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 25.06.2013

Die Überwachung geht alle an, meint der Experte Markus Morgenroth im Gespräch mit Melanie Mühl und entwirft ein paar plausible Szenarien, die zeigen, wie auch Normalbürger ins Räderwerk geraten können. Oder sich vielleicht sogar freiwillig hineinbegeben könnten: "In nicht allzu ferner Zukunft ist es vielleicht so, dass man bei seiner Krankenkasse einen günstigeren Tarif bekommen kann, wenn man bereit ist, sich permanent überwachen zu lassen. Ein kleines Gerät misst dann vielleicht, wie viel Zigaretten geraucht und wie viel Alkohol getrunken wird, wie viel Schlaf und wie viel Bewegung wir haben. Je gesünder man lebt, desto niedriger werden die Beiträge."

Zum Tod Henning Ritters wird eines seiner Feuilletons aus dem Jahr 1994 nachgedruckt. Er blättert durch die Bücher einer rechten (bis rechtsextremen) Buchhandlung in Paris, die ihre Bücher ausstellt wie Antiquitäten: "In Librairien Libertinage. Was von politischen Bewegungen schließlich bleibt, sind Bibliografien. Nur eine Bewegung, die genügend Bücher hervorgebracht hat oder sich hinreichend viele Ahnen beschaffen konnte, kann zum Bibliotheksphänomen geadelt werden. Eine Zeitlang hat auch die Linke vornehmlich von dem gelebt, was sie an vergessenen oder verkannten Autoren mobilisieren konnte." Den Nachruf schreibt Jürgen Kaube, Henning Ritters Nachfolger auf der Geisteswissenschaften-Seite .

Weitere Artikel: Hubert Spiegel berichtet über einen Symposion in Darmstadt, das klären sollte, ob eine jüngst aufgefundene Zeichnung tatsächlich Georg Büchner zeigt. Andreas Rossmann freut sich über die Sanierung von Hans Scharouns Geschwister-Scholl-Schule in Lünen. Fridtjof Küchemann berichtet über den Plan des Börsenvereins, E-Books mit Signaturen kenntlich zu machen und so vor Schwarzkopien zu bewahren. Die Schauspielerin Bettina Hoppe berichtet von der Gleichschaltung des ungarischen Nationaltheaters in Budapest, wo unter der neuen Leitung nur noch ungarische Nationalepen gegeben werden sollen. Astrid Kaminski erzählt die Geschichte tunesischer Rapper und anderer Künstler, die für Texte wie "Polizisten sind Hunde" zwei Jahre ins Gefängnis kommen. Eleonore Büning fürchtet, das die Fehlentscheidung die Händel-Festspiele in Halle wegen der Flut abzusagen, zum Ruin des Festivals führen könnte. Jaroslav Rudis zeichnet ein Stimmungsbild aus Tschechien nach krassen Korruptionsaffären in der dortigen Politik.

Auf der Medienseite macht Josef Oehrlein klar, dass das Land, das Edward Snowden das Gefängnis erpart, leider selber alles andere als ein Hort der Pressefreiheit ist.

Besprochen wird eine Ausstellung mit Fotografien Tobias Zielonys in Berlin.