Heute in den Feuilletons

Mit Geld und Freibillets bestochen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
09.08.2011. Die NZZ erzählt, wie Heinrich von Kleist sich als Theaterkritiker gründlich unbeliebt machte. Der Telegraph erzählt, wie Mao Chruschtschow blamierte. Die Blogs melden: Ai Weiwei twittert wieder. Es geht ihm gut. Er nimmt zu. Die NYRB bringt Norman Mailers furchtbaren (aber leider auch witzigen Verriss) von Mary McCarthys Roman "Die Clique" aus dem Jahr 1963. In der SZ staunt Assaf Gavron über die spontanen Proteste in Israel.

Aus den Blogs, 09.08.2011

Diverse Medien melden neue, rege Aktivitäten im Twitteraccount von Ai Weiwei. Gepostet werden vor allem kulinarische Angelegenheiten - was sich freilich auch auf das Gewicht des in Gefangenschaft deutlich dünner gewordenen Künstlers auswirkt. Hier der aktuelle Stand der Dinge.
Stichwörter: Ai Weiwei

Weitere Medien, 09.08.2011

(via bookslut) Und wir dachten, dass sei wieder nur so eine langweilige Politiker-Erinnerung! George Walden vom Telegraph hat sich definitiv nicht gelangweilt mit Henry Kissingers Buch über China: "There are surreal moments, one of them a history-changing visit to Beijing by the Soviet leader Khrushchev in 1958, when Sino-Soviet tensions were incubating. To put the Russian leader at a disadvantage, the Chairman [Mao] conducts their second meeting in his pool, with interpreters patrolling the sides. Khrushchev, who cannot swim, wears water-wings."

(via bookslut) Die NYRB hat Norman Mailers ätzenden Verriss von Mary McCarthys Vassar-Roman "Die Clique" online gestellt. Kein Wunder, dass Sibylle Lewitscharoff deutsche Literaturkritik schlaff findet. Mr Mailer 1963: "The reviews came in on wings of gold, 'Brilliant' 'Sheer' 'Superlative' 'Highly' 'Generous' 'Wonderfully Worth' 'Great Joy To.' Not since Elizabeth Janeway wrote 'The Walsh Girls' has any lady-book been given such praise by people such as these. Yet it has happened to Mary, our saint, our umpire, our lit arbiter, our broadsword, our Barrymore (Ethel), our Dame (dowager), our mistress (Head), our Joan of Arc, the only Joan of Arc to travel up and down our raddled literary world, our poor damp kingdom, her sword breathing fire while she looked for a Dauphin to save us, looked these twenty years, and brought back nought."

Mit recht beeindruckenden Bilder berichtet der Guardian von der letzten Londoner Sommernacht. Auch The Big Picture bringt eine Bilderstrecke von den andauernden Straßenschlachten in London.


Welt, 09.08.2011

Sascha Lehnartz referiert neue alte Gerüchte um den Tod Albert Camus', der bekanntlich mit seinem Verleger Antoine Gallimard bei der Fahrt von der Cote d'Azur nach Paris in einem Sportwagen ums Leben kam - die nicht allzu belegten Gerüchte lauten, dass der KGB die Reifen des Wagens manipuliert haben soll. Ekkehard Kern wundert sich über das ZDF, das auf der Suche nach jungem Publikum (aktueller Altersschnitt: 63 Jahre) in seinem Spartenkanal ZDF.Kultur sogar Sendungen über Computerspiele bringt. Tim Ackermann schreibt zum Tod des polnischen Konzeptkünstlers Roman Opalka. Hannes Stein schwärmt von einer neuen Fernsehserie, die er als New York-Korrespondent schon sehen kann - "Covert Affairs" (Website) über den CIA, aber ganz anders. Jenny Hoch unterhält sich mit dem Autor Paolo Giordano, dessen Bestseller "Die Einsamkeit der Primzahlen" verfilmt wurde und in die deutschen Kinos kommt. Und der unermüdliche Manuel Brug berichtet vom Lehar-Festival in Bad Ischl.

FR/Berliner, 09.08.2011

Sebastian Moll freut sich, dass der New Yorker Bürgermeister und Milliardär Michael Bloomberg 130 Millionen Dollar für Wohltaten an schwarzen Jugendlichen bereitstellt, davon 30 Millionen Dollar aus eigener Tasche und 30 Millionen aus der von George Soros und somit hilft, die "psychosozialen Spätfolgen jahrhundertelanger Diskriminierung" abzubauen. Nikolaus Bernau erinnert an den Berliner Museumsstreit vor 90 Jahren, der zur Modernisierung der Museen im heutigen Sinne beitrug. Daniel Kothenschulte erklärt, "warum eigenständige Filmmuseen heute besonders wichtig sind".

Besprochen werden Konzerte des Metal-Festivals Wacken, der Roman "Coby County" (mehr hier) von Leif Randt und Rupert Wyatts Film "Planet der Affen - Prevolution" (mehr hier).

NZZ, 09.08.2011

Der Medienwissenschaftler Gunter Reus erzählt, wie der bankrotte Kleist sich als Herausgeber der Berliner Abendblätter versuchte. Dabei bewies er zwar Talent für den Boulevard, noch größeres aber dafür, sich unbeliebt zu machen: "Am Sitz des Hofes gibt es nur ein Schauspielhaus, das Königliche Nationaltheater, und an dessen Spitze steht, allgewaltig, eitel, mit besten Beziehungen nach oben, seit 1796 August Wilhelm Iffland. Kleist bemängelt in seinen Rezensionen immer wieder die Auswüchse dieses Theatermonopols: die Qualität des Spielplanes, die seichten Produktionen und die Gefälligkeiten der Zeitungsschreiber. Seine polemischen Stellungnahmen werden von anderen Zeitungen aufgegriffen. Aber Debatten genügen Kleist nicht. Er will die Kampagne. So verbreitet er das Gerücht, Berliner Theaterkritiker seien von Iffland 'mit Geld und Freibillets bestochen'. "

Weitere Artikel: Daniela Tan blickt auf Japan, das dieser Tage nicht an die Atombombenabwürfe von 1945 erinnert, sondern auch mit der neuen Verstrahlung nach dem Reaktorunglück von Fukushima klarkommen muss. Ronald D. Gerste berichtet von einer Ausstellung über die Gründerväter im Smithsonian Museum in Washington. Roman Bucheli besucht das Schwarzwaldstädtchen Staufen, in dem unter anderem Peter Huchel lebte.

Besprochen werden William Dalrymples Erzählungen "Neun Leben", Andres Trapiellos bisher nur auf Spanisch erschienenes Journal "Salon de pasos perdidos" und Albrecht Selges Berliner Nacht-Roman "Wach".

TAZ, 09.08.2011

Detlef Kuhlbrodt huldigt dem Berliner Szenemaskottchen Klaus Beyer, der die Beatles-Alben auf Deutsch einsingt. Uwe Rada erzählt, wie in Dömitz in Mecklenburg-Vorpommmern ein Museum Literaturraum Elbe entsteht. In seiner Kolumne setzt Aram Lintzel auf Sartre, um dem Hass des Anders Breivik die Anerkennung zu verweigern: "So verwandelt sich der Triumph des Hasses schon bei seinem Auftauchen in Scheitern." Besprochen werden eine Ausstellung über den Frankfurter Architekten und Stadtplaner Ernst May im Deutschen Architekturmuseum und Dieter Wedels Sommertheater in Dresden.

Und Tom.

SZ, 09.08.2011

Der Autor und Musiker Assaf Gavron versucht zu erklären, was gerade in Israel passiert, wo am Wochenende über 300.000 Menschen gegen die Regierung demonstrierten: "Das Wort, das einem immer wieder in den Sinn kommt, ist Spirit oder Geist. Weil der ganze Protest ungeplant war und von keiner Gruppe oder Partei organisiert wurde. Weil er von unten begann und immer noch wächst. Weil er jeden eingeladen hat, sich anzuschließen, unabhängig von den Absichten, sich selbst aber nicht mit irgendwem verbunden hat oder bereit war, sich von irgendwem repräsentieren zu lassen. Es muss ein geheimnisvolles Bindemittel geben, das alles zusammenhält. Das ist der Geist, den man fühlt, wenn man durch die Zeltstädte wandert - es gibt Tausende davon in Stadtzentren in ganz Israel". (Gideon Levy hat Ähnliches vor ein paar Tagen in Haaretz beschrieben.)

Weitere Artikel: Ira Mazzoni freut sich über die Restaurierung von Peter Joseph Lennes Park- und Gartenanlage des Schlosses Stolzenfels (mehr hier). In der Reihe Verschollene Länder widmet sich Burkhard Müller der Briefmarke von Neufundland. Stephan Opitz beobachtet ein seltsames Phänomen in der Kultur: "Neue Berufsbilder entstehen und - ganz nebenbei - Begründungsszenarien für den Fluss von Steuergeldern in die richtige Richtung." Damit meint er den "Kulturvermittler", der jetzt von Bundeskulturstiftung und Mercatorstiftung zum "Kulturagenten" hochgejazzt und üppig ausgestattet wurde.

Besprochen werden die Ausstellung "Geheimgesellschaften" in der Frankfurter Schirn (der Titel ist "Etikettenschwindel", ärgert sich Catrin Lorch), das gemeinsame Album von Jay-Z und Kanye West, "Watch The Throne", Dieter Wedels "Die Mätresse des Königs" in Dresden und Bücher, darunter Ron Leshems Roman "Der geheime Basar" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 09.08.2011

Martin Otto beschreibt die verzwickte rechtliche Lage des Internationalen Suchdienstes Aroldsen, die selbst seriösen Historikern sinnvolle Forschungsarbeiten in den Archiven des Suchdiensts erschwere, in denen Akten zu allen KZ-Häftlingen lagern.

Weitere Artikel: Ergriffen bringt Gerhard Stadelmaier seine tief empfundene Bewunderung für Erwin Teufel ("bei allem Veränderten die Verkörperung der Unveränderbarkeit") nach dessen Berliner Rede zum Ausdruck. Michael Hanfeld überblickt die Ausmaße des aktuellen Mauscheleienskandals beim MDR. Andreas Rossmann blickt auf das Programm der anstehenden Bonner Stummfilmtage. Hubert Spiegel hat sich in Marbach die dort ausgestellten Briefe von Franz Kafka an seine Schwester Ottla angesehen. Der Streichung der "lateinischen Schreibschrift" aus den Curricula der Hamburger Schulen sieht Hans-Joachim Grobe mit Unbehagen entgegen. Sabine Frommel berichtet von den Pariser Debatten über Restauration und Umbau des seit 2005 geschlossenen Warenhauses La Samaritaine. Mit Freuden ließ sich Jan Brachmann bei der Bachwoche Ansbach in der "neuen Kunst des Zuhörens" unterrichten. Knappe Nachrufe erhalten der am Donnerstag gestorbene Musiker Conrad Schnitzler, der in den 70ern mit Tangerine Dream spielte, sowie der Christie's-Auktionator Sir Anthony Tennant.

Besprochen werden Bücher, darunter Wolfgang Matz' mustergültige "intellektuelle Biographie" von Walter Benjamin (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).