Heute in den Feuilletons

Two things to say about him

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.06.2009. Michael Jackson ist tot. Wir bringen erste Reaktionen aus amerikanischen Blogs und der New York Times und ein wunderschönes altes Video. Außerdem: In der FR erklärt die iranisch-deutsche Filmemacherin und Autorin Siba Shakib ihre Erleichterung darüber, dass Hussein Mussawi nicht einfach an die Macht gekommen ist. Die taz erklärt, was die Isländer mit "Aldrei for eg sudur" meinen. Die SZ hat schon Stefan Krohmers "Dutschke"-Film gesehen.

FR, 26.06.2009

Michael Jackson ist tot. Er wurde gestern mit einem Herzstillstand in Los Angeles ins Krankenhaus eingeliefert, schreibt Sebastian Gehrmann. Dieses Video von 1972 zeigt Michael in seiner ganzen Glorie:



In einem langen Interview erklärt die iranisch-deutsche Filmemacherin und Autorin Siba Shakib, warum der Wahlbetrug im Iran gewissermaßen ein Glück ist: Wäre Mussawi - für sie auch nur ein Vertreter des religiösen Establishments - an die Macht gekommen, "dann wäre alles beim Alten geblieben. Der Wahlbetrug ist der Anlass, auf den sich nun alle Unzufriedenen einigen können; alle anderen Ziele, entwickeln sich aus der Dynamik der Bewegung heraus. So gesehen wird Mussawi von dieser Bewegung als Galionsfigur instrumentalisiert. Es geht den Menschen nicht um das, was in der westlichen Presse in den Vordergrund gestellt wird: nämlich dass Mussawi Präsident wird. Ich kann es immer nur wiederholen: So naiv sind die Iraner nicht."

Im Feuilleton porträtiert Elisabeth Kiderlen den Großayatollah Hossein Ali Montazeri, einst Weggefährte von Khomeini, der die Islamischen Verfassung des Iran erst begründete und dann kritisierte, was ihm zwölf Jahre Hausarrest einbrachte. Wolf Kampmann resümiert das Berliner Festival Shared Sounds. Harry Nutt berichtet über das Poesiefestival Berlin. Die Unesco hat Dresden jetzt tatsächlich von der Liste der Weltkulturerbestätten gestrichen, berichtet Bernhard Honnigfort. In Times Mager hält Judith von Sternburg fest, dass die Zahl der Computerunfälle ständig wächst. Auf der Medienseite verabschiedet Harry Nutt seine ehemalige Chefin Bascha Mika, die nach 11 Jahren Chefredaktion die taz verlässt. Neue Chefredakteurin wird Ines Pohl, zur Zeit Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin.

Besprochen werden Matthias Fontheims Inszenierung von Tschechows "Möwe" am Staatstheater Mainz, die Ausstellung "MfS-Zentrale" des Künstlers Thomas Kilpper im einstigen Stasi-Hauptquartier in Berlin-Lichtenberg und Eva Illouz' Buch "Die Errettung der modernen Seele" (dem Oliver Pfohlmann den Aufmacher widmet, mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Weitere Medien, 26.06.2009

Die New York Times hat auf ihrer Homepage ein riesiges Dossier zu Michael Jackson zusammengestellt, mit ausführlicher Bilderstrecke, einen Überblick über wichtige Artikel der Times zu Jackson und einer etwas aufwendig gestalteten Seite mit Leserreaktionen.

Brooks Barnes schildert die Umstände von Michael Jacksons Tod: "Michael Jackson, whose quintessentially American tale of celebrity and excess took him from musical boy wonder to global pop superstar to sad figure haunted by lawsuits, paparazzi and failed plastic surgery, was pronounced dead on Thursday afternoon at U.C.L.A. Medical Center after arriving in a coma, a city official said. Mr. Jackson was 50, having spent 40 of those years in the public eye he loved."

Hier die Los Angeles Times zum Thema.

Aus den Blogs, 26.06.2009

Die Welt trauert auf Twitter, und zwar unter den Links: #michaeljackson und MJ's und Rip Mj und RIP Michael Jackson.

Gawker bringt den ganzen Klatsch, den die Meldung vom Tod Jacksons jetzt schon ausgelöst hat, zum Beispiel hier und hier.

Andrew Sullivan schreibt in seinem Blog The Daily Dish: "There are two things to say about him. He was a musical genius; and he was an abused child. By abuse, I do not mean sexual abuse; I mean he was used brutally and callously for money, and clearly imprisoned by a tyrannical father. He had no real childhood and spent much of his later life struggling to get one."

(Via turi2) Techcrunch meldet, dass das Netz nach der Meldung wegen der vielen Twitter- und Videoabrufe fast zusammengebrochen sei.

In The Onion zeigt sich der Twitter-Gründer Jack Dorsey unterdes schockiert und tief betrübt darüber, dass Twitter in den iranischen Unruhen für politische Zwecke gebraucht wurde. "'Twitter was intended to be a way for vacant, self-absorbed egotists to share their most banal and idiotic thoughts with anyone pathetic enough to read them,' said a visibly confused Dorsey, claiming that Twitter is at its most powerful when it makes an already attention-starved populace even more needy for constant affirmation. 'When I heard how Iranians were using my beloved creation for their own means - such as organizing a political movement and informing the outside world of the actions of a repressive regime - I couldn't believe they'd ruined something so beautiful, simple, and absolutely pointless.'"

(via 3 quarks daily) Jason Jones besucht für Jon Stewarts Daily Show den Iran. Muss man sehen!

NZZ, 26.06.2009

Joachim Güntner stellt Nachbetrachtungen zur in Deutschland jetzt geregelten Patientenverfügung an: "Dass nun extra ein Gesetz das Selbstbestimmungsrecht der Patienten schützen muss, wirkt wie ein großes Misstrauensvotum, wenn nicht gegen die Ärzteschaft, so doch gegen den medizinischen Betrieb." Olaf Karnik wirbt für ein tieferes kulturelles Veständnis der homophoben Hasstiraden jamaicanischer Reggae- und Dance-Hall-Sänger, und überhaupt: "Es sind in erster Linie die musikalischen und performativen Qualitäten jamaicanischer Artists, die das Publikum ästimiert."

Besprochen werden eine Ausstellung über Geschichte und Gegenwart des europäischen Hochhauses in Paris und eine Ausstellung über Raffaels Frühwerk in seiner Geburtsstadt Urbino sowie das Album "Music For Men" von The Gossip mit der Sängerin Beth Ditto.

Auf der Medienseite beschreibt Heribert Seifert, wie sich das (bisherige) Nachrichtenmagazin Newsweek neu erfinden will: Reportagen und Essays, bei geringerer Auflage und höherem Preis. (Interessant ist in dem Zusammenhang auch ein Artikel von Michael Hirschhorn, der in The Atlantic überlegt, warum ausgerechnet der Economist das einzige Magazin ist, das wächst und gedeiht.)

Welt, 26.06.2009

Die Unesco hat Dresden aus dem Weltkulturerbe gestrichen. Für Dankwart Guratzsch ist dies die logische Folge der bitteren, aber klaren Niederlage des kulturbewussten Bürgertums gegen eine übermächtige Autolobby. Michael Pilz erzählt, wie die Electropop-Musikerinnen Little Boots und La Roux nun auch die letzte Männerbastion geschleift haben: die Knöpfchendreherei an den Pulten. Pilz zitiert einen hübschen Ausspruch von Little Boots: "Synthesizer sind wie Schuhe. Man kann nie genug von ihnen haben."

Tilman Krause unterhält sich mit Fritz J. Raddatz über Johannes Bobrowski, dessen Roman "Levins Mühle" an diesem Wochenende in der Welt-Edition erscheint. Sven Felix Kellerhoff erinnert an den unglücklichlichen Friedensschluss von Versailles vor neunzig Jahren. Uta Baier berichtet von einer Konferenz zur Raubkunst in Prag. Peter Dittmar schreibt zum Tod der Schauspielerin, Brecht-Tochter und eingefleischten Kommunistin Hanne Hiob. Hanns-Georg Rodek meldet, dass die American Academy künftig zehn Nominierung für den besten Film statt bisher fünf zulassen will. Besprochen wird die Ausstellung "Urban Art" in der Bremer Weserburg.

TAZ, 26.06.2009

Benjamin Weber berichtet über das isländische Popfestival Aldrei for eg sudur, was so viel bedeutet wie "Ich war noch nie im Süden", das die Stadt Isafjördur nach dem Egalitätsprinzip organisiert: So treten etablierte isländische Künstler neben unbekannten Newcomerbands aus der Gegend auf, der Eintritt ist kostenlos - und alle spielen 20 Minuten lang. Mum aus Reykjavik ist die bekannteste Band in diesem Jahr. (...) Sie haben ohne Frage das Potenzial, allen anderen Bands die Schau zu stehlen - tun es aber nicht. Es geht hier schließlich, wie so oft in Island, um die Gemeinschaft. Und die war selten so wichtig wie jetzt, ein halbes Jahr nach dem Zusammenbruch des Bankensystems."

Besprochen werden der Film "Die Gräfin" von und mit Julie Delpy, eine Bearbeitung der blutigen Legende der Adeligen Erzebet Bathory, und CDs von Nana April Jun, Projekt Transmit und Andreas Willers.

Auf den Tagesthemenseiten untersucht Doris Akrap die Twitternachrichten aus und über den Iran. Auf der Medienseite berichten Ben Schwan und Steffen Grimberg über die Preisträger der Grimme-Online-Awards und eine mögliche Fusion des Grimme-Instituts mit dem Europäische Zentrum für Medienkompetenz ECMC. In tazzwei kündigt Jan Feddersen an, dass auf allen Christopher-Street-Paraden eine Grundgesetzänderung gefordert wird, damit homosexuelle Partnerschaften mit heterosexuellen gleichbehandelt werden.

Auf der Startseite wird der Tod von Michael Jackson gemeldet, der gestern in Los Angeles an Herzstillstand gestorben ist. Und in eigener Sache meldet die taz, dass Chefredakteurin Bascha Mika nach elf Jahren aufhört; Nachfolgerin wird Ines Pohl, bisherige Berlin-Korrespondentin der Mediengruppe Ippen.

Hier Tom.

Tagesspiegel, 26.06.2009

Sonja Pohlmann glaubt nicht ganz an einen reibunglosen Abgang von Bascha Mikas als taz-Chefin. "Finanziell gehe es dem Blatt trotz Krise gut. Trotzdem war Bascha Mika in den vergangenen Monaten als Chefredakteurin nicht unumstritten. Zu Weihnachten sei bereits mit ihrem Rückzug gerechnet worden, heißt es im Haus. Sie habe das Blatt nach außen gut repräsentiert, das Tagesgeschäft aber anderen überlassen, berichten Redaktionsmitglieder. Zudem habe es Streit über die sonntaz gegeben, die nicht so umfangreich, wie ursprünglich vorgesehen, startete. Während die Nachricht über Mikas Abgang in der Redaktion deshalb relativ gleichgültig aufgenommen worden sein soll, habe der Name der Nachfolgerin überrascht. Kaum jemand habe Ines Pohl gekannt."
Stichwörter: Mika, Bascha, Pohl, Ines

FAZ, 26.06.2009

Dieter Bartetzko meldet die verdiente Aberkennung des Welterbestatus des Dresdener Elbtals - nutzt die Gelegenheit aber gleich, um die in Pompeji und andernorts verheerende Wirkungslosigkeit der Unesco und ihres Welterbe-Gutachtergremium Icomos zu beklagen. In Celle hat Patrick Bahners einen Vortrag des Bundesverfassungsrichters Udo Di Fabio über Religion und Liberalität gehört. Ein im Netz nicht genannter Autor denkt über die Geschichte des Ghetto-Begriffs im europäischen Kontext nach. Andreas Kilb hat sich in Friedrichshafen das demnächst eröffnende DornierMuseum der deutschen Luftfahrt (Website) angesehen. In der Glosse von Klaus Harpprecht geht es um den Müll und Monsieur Poubelle, der ihn wegräumen ließ. Einen knappen Nachruf auf die Schauspielerin und Brecht-Tochter Hanne Hiob hat Dieter Bartetzko verfasst. Auf der Medienseite schildert Michael Müller den Kampf des chinesischen Regimes gegen den gewitzten Widerstand von Bloggern und anderen Internet-Nutzern. Marco Dettweiler teilt mit, was über die iranischen Internet-Filtermethoden an Wissen und Spekulationen kursiert.

Besprochen werden Inszenierungen von Bizets "Carmen" und von Karol Szymanowskis "König Roger" in Paris, ein, wie ein gänzlich unbgeisterter Martin Halter meint, "sang- und klangloser" Schiller-Liederabend mit Rene Pollesch und Carl Hegemann in Mannheim, ein Konzert der Band Mötley Crüe in Köln, Petra Seegers Film über den Hirnforscher Eric Kandel (Joachim Müller-Jung hat auch mit Kandel gesprochen; hier die Perlentaucher-Kritik), die Fotoausstellung "Barack Obama: The Freshman" in Los Angeles und Bücher, darunter Guillermo Martinez' Roman "Roderers Eröffnung" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 26.06.2009

In München startet das Filmfest und Rainer Gansera hat in Stefan Krohmers "Dutschke"-Biografie auch schon einen bestechenden Film gesehen: "Vor allem kann 'Dutschke' eines spürbar machen, was so noch nie zur Darstellung gelangte: die Unschuld des Aufbruchs, den vielbeschworenen Zauber, der jedem Anfang innewohnt - und der gerade nicht auf Heiligsprechungen oder Verklärungen hinausläuft. Krohmer schildert präzise die inneren Verwerfungen und Widersprüche, die Verbohrtheiten und Anmaßungen, die recht schnell zum Zerfall der 68er-Bewegung führen." Tobias Kniebe weist auf den Eröffnungsfilm, Terry Gilliams "Imaginarium of Dr. Parnassus", hin.

Weitere Artikel: Catrin Lorch und Stefan Koldehoff wittern einen Kunstskandal: Kann es sein, dass in die große Retrospektive in Bonn mindestens ein falscher Modigliani geschmuggelt wurde, der dann mit Wertsteigerung verkauft werden soll? Gottfried Knapp kommentiert die Dresdner Welterbestatus-Aberkennungs-"Schmach" und sieht am Rhein schon Ähnliches kommen. Thomas Steinfeld hat neue Bücher über das Bauhaus gelesen und kann nach der Lektüre verkünden, dass in den Köpfen der Bauhaus-Lehrer Ideen "antimodernistischer" Esoterik spukten. Wenig begeistert resümiert Christopher Schmidt die diesjährigen, zu spielverliebten Schillertage (Website) in Mannheim. Zum "Tag der Architektur" äußert Gerhard Matzig die Hoffnung, dass der "unsinnige Streit" zwischen "Traditionalisten" und "Modernisten" endlich der Suche nach einer "intelligent verhandelten Baukunst" weicht. Einfach nur "jämmerlich" fand Johan Schloemann Josef Winklers Kärnten- und Politiker-Beschimpfung zur Eröffnung der Bachmann-Tage: "Winklers Rede war kein Auftakt für neue deutschsprachige Literatur, sondern ein Fall für den Gemeinderat." Michael Frank meldet einen Wasserschaden im Kunstmagazin der Wiener Albertina. Robert Probst porträtiert das Institut für Zeitgeschichte (Website), das sein sechzigstes Gründungsjubiläum feiert.

Auf der Medienseite berichtet Arne Perras über die Ermordung von Journalisten in Somalia: "In Mogadischu kämpfen derzeit radikale Islamisten und deren Milizen gegen die schwache Übergangsregierung des Präsidenten Scheich Sharif Ahmed, der die Vereinten Nationen hinter sich hat. Nach Einschätzung des Journalisten Kadiye wird die freie Presse aber von allen Seiten torpediert, um sicher zu stellen, dass Kriegsverbrechen in Somalia nicht dokumentiert werden."

Besprochen werden Bücher, darunter Jan Costin Wagners neuer Krimi "Im Winter der Löwen" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).