Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.05.2001.

TAZ, 08.05.2001

Kees Wartburg merkt zu Neil LaButes "Bash"-Drama an: "Neil LaButes Dramaturgie ist einfach zu fixiert auf Pointen, zu herrlich durchkomponiert, ein zu schön gemeißeltes Beichtendrama, das jeweils von Mitleid zu Grauen hingedrechselt ist, um nicht von einem Boulevardtheater des Todes zu reden."

Sebastian Rudolph, Hamlet-Darsteller in Schlingensiefs nahendem Zürcher Spektakel, wundert sich in seiner Kolumne zu den Vorbereitungen des Stücks: "Das ganze Wochenende waren wir von morgens bis abends im Theater, nur unterbrochen von Pressekonferenzen und komaartigem Schlaf. Abgesehen von dem begrüßten Medienspektakel macht sich allerdings ziemliche Feindseligkeit gegen unser Projekt breit."

Weitere Artikel: Peter Fuchs setzt seine Betrachtungen über den Umgang mit Behinderten aus systemtheoretischer Sicht mit der sechsten Folge fort. Björn Gottstein resümiert die Wittener Tage Neuer Kammermusik. Außerdem gibt's Buchbesprechungen, unter anderem zu Hansjörg Schertenleibs Roman "Von Hund zu Hund". Siehe unsere Bücherschau ab 14 Uhr.

SZ, 08.05.2001

Fritz Göttler grübelt, warum Thierry Fremaux keine deutschen Filme zum Festival in Cannes eingeladen hat. Größter Feind der jungen deutschen Regisseure sei "die eigene Vergangenheit, das deutsche Kino mit seinen großen Perioden, den Zwanzigern und den Siebzigern - die in der fremden Filmwelt präsent sind durch Dutzende von Goetheinstituts-Events. In diese Perioden verkriecht sich auch der Cannes-Programmatiker Thierry Fremaux, der seine Bewunderung für und seine Liebe zu Fassbinder und Hauff, Wenders und Schlöndorff kundtut." Mit dem jungen Film ist Göttler aber auch nicht zufrieden: "Ihm fehlt jeder Charme".

Werner Burkhardt lobt Peter Zadeks "Bash"-Inszenierung. Auch ihn hat vor allem Judith Engel beeindruckt, die ihren Part einer Kindsmörderin "mit einer ganz nach innen genommenen Leidenschaft erzählen" und Pausen machen kann, "die unendlich scheinen und doch keine Löcher sind. Hut ab vor den beiden Herren! Doch ihr gehört der Abend. Ihr und Peter Zadek."

Weitere Artikel: Harald Staun meditiert über Fußball ("Die Wahrheit liegt auf dem Platz - die Lüge aber, sie liegt gleich daneben, und ohne sie wäre das Spiel bedeutungslos."), und Axel Rühle porträtiert den Krimiautor Jakob Arjouni.

Besprochen werden Soul-, Blues und Gospelaufnahmen von Johnnie Taylor, eine Ausstellung mit Bildern aus Wilhelm Trübners Frankfurter Jahren 1896-1903 im Frankfurter Haus Giersch, der Film "The Wedding Planner", Conor McPhersons Stück "Dublin Carol" in Stuttgart, ein Ballettabend von Angelin Preljocaj mit Barenboim an der Berliner Staatsoperund die Eröffnung der Sommerkonzerte in Ingolstadt mit Anne-Sophie Mutter und den Wiener Philharmonikern.

Auf der Medienseite berichtet Hans Leyendecker, wie der FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte mit "faulen Journalisten" umspringt: Auf seiner homepage hat er eine Liste aller Journalisten veröffentlicht, die sein Buch "So lügen Journalisten" zur Besprechung angefordert, dann aber doch nicht besprochen haben. "Er will als erster Autor die Schnorrer der Branche kenntlich machen." Dass Journalisten schnorren, finden wir allerdings weniger erstaunlich als die Tatsache, dass einer Redakteur sein kann, Vorlesungen an der Uni Lüneburg halten, mehrere Bücher schreiben und daneben noch eine homepage unterhalten kann mit zahllosen Links zum Thema Spionage.

FR, 08.05.2001

Simone Meier vom Zürcher Tages-Anzeiger freut sich in einem Gastbeitrag in der FR: Zürich kommt wegen des Schlingensief-Neonazi-"Hamlet" in die Weltpresse. Aber es gibt auch Anlass zu Melancholie: "Wie es bei den Kollegen aus der Boulevard-Branche ist, kann ich nicht sagen, aber wir vom Feuilleton leiden grundsätzlich sehr häufig an Deutschland. Denn ist es etwa nicht so, dass die Snobs der täglichen deutschen Online-Feuilletonauslese Perlentaucher nicht wissen, dass es neben der NZZ auch noch andere Schweizer Zeitungen gibt? Schlingensief hat uns - wenn auch noch nicht in der Wahrnehmung des Perlentaucher - vorübergehend gerettet. Er besorgte uns zwei Wochen vor der Ankunft der Neonazis den wunderbarsten Theaterskandal." (Tut uns ja leid, die Kapazitäten des Perlentauchers sind begrenzt. Und bei unserem Link des Tages zu Schlingensief konnten wir vor einigen Tagen nicht aus dem Tages-Anzeiger zitieren, weil seine neumodische Java-Technologie keine Links auf archivierte Artikel erlaubt! Zum Trost der Hinweis, dass der Tages-Anzeiger heute ein langes Gespräch mit dem sonst recht maulfaulen Rolling-Stones-Bassisten Bill Wyman bringt.)

"Tugendterror und jakobinischen Eifer" hat Christian Schlüter beim FDP-Parteitag ausgemacht: "Allen Ernstes vorgeschlagen wurde nämlich, das die Abwesenheit staatlicher Institutionen kompensierende zivilgesellschaftliche oder ehrenamtliche Engagement, den praktizierten 'Bürgersinn' bereits in den Schulzeugnissen zu vermerken."

Frauke Hartmann über Zadeks Inszenierung von Neil LaButes Mörderstück "Bash": "'Bash' - das ist wie ein Schlag vor den Kopf." Sie spricht allerdings mehr über das Stück als die Inszenierung.

Rudolf Walther berichtet über die Krise des Haffmans-Verlag, dessen Überleben mehr oder weniger von seinen beiden Erfolgsautoren David Lodge und David Sedaris abzuhängen scheint: "Für Gerd Haffmans hat die finanzielle Krise einen benennbaren Grund: 'Die Agenten machen uns das Leben schwer', klagte er im Zürcher Tages-Anzeiger. David Sedaris, so Haffmans, sei von ihm entdeckt und 'vom Putzmann zum Millionär' gemacht worden. Aber den Vorschuss für dessen neues Buch war so groß, dass der Taschenbuch-Lizenznehmer Heyne den größten Teil aufbringen musste. Ein kleiner Verleger findet obendrein keine Bank, die bereit wäre, mit Krediten in riskante Vorschuss-Geschäfte einzusteigen. Für Großverlage und Medienkonzerne sieht die Lage da anders aus. Pleiten in der Größenordnung, die den Haffmans Verlag ruinieren, bestreiten jene aus der Kriegskasse, wie es im Branchenjargon heißt."

Weitere Artikel: Martina Hartmann resümiert einen hoch besetzten, von der Heinrich-Böll-Stiftung veranstalteten Kongress über die "Wissensgesellschaft", bei dem auch über das Netz theoretisiert wurde. Karin Ceballos Betancur liefert Eindrücke von der Buchmesse in Buenos Aires. Besprochen wird Erkki-Sven Tüürs Wallenberg-Oper in Dortmund.

NZZ, 08.05.2001

Barbara Villiger Heilig bespricht Peter Zadeks Inszenierung des Neil LaBute-Stücks "Bash". Drei Personen erzählen, wie sie zu Mördern wurden. Als Star des Abends feiert sie Judith Engel: Sobald sie " auf der Bühne sichtbar wird, gehört jegliche Aufmerksamkeit ihrer einzigartigen, in transparentem Schimmer ruhig leuchtenden Erscheinung."

Bernard Imhasly berichtet über einen neuen Bundesstaat im Süden Indiens: Jharkand. Die dort lebenden indigenen Völker, die Adivasi, erhoffen sich vom Zusammenschluss unter anderem "ein Ende der Zurücksetzung". Nationalistische Hindus reagierten darauf, indem sie mit einer Prozession und Fahnenbündeln Hanuman, den Affenkönig, feierten. "Die Schreine und Fahnen sollen verkünden, dass die Adivasi Teil der Gemeinschaft der Hindus sind, genauso wie ihr mythischer Vorvater im Hindu-Pantheon seinen Platz in der Hierarchie zugewiesen bekam. Und dieser Platz, Hanumans Heldentaten und Helferdienste hin oder her, ist genau umschrieben: der dunkelhäutige, affengesichtige Diener."

Helmut Mayer berichtet über eine Tutzinger Tagung, auf der über "Markeninszenierung und Konsumbiografie" debattiert wurde. Mit dabei war Florian Illies, der über "Markenbewusstsein und schlechtes Gewissen" sprach. "Das klang zwar protestantisch musterschülerhaft, wollte aber doch nicht unbedingt zum Nennwert genommen werden. Die wohlkalkulierte Pointe lag im Gegenteil darin, streng und existenziell Klingendes wie 'Schuld' und 'schlechtes Gewissen' auch für den vorbildlichen Markenkonsumenten zu reklamieren, obwohl im Wesentlichen nur beschämende Entgleisungen und peinliche Ungeschicklichkeiten im Umgang mit Markencodes damit gemeint waren."

Weitere Artikel: Joachim Güntner berichtet, wie das katholische Forschungsinstitut in Hannover den Forderungen des Hildesheimer Bischofs nach mehr Praxisbezug und Konzentration auf ethische Fragen nachkommt. Alois M. Haas gratuliert dem Philosophen Werner Beierwaltes zum Siebzigsten. Und Ilma Rakusa malt ein "Stadtbild in Blau".

Besprochen werden eine Ausstellung im Strassburger Palais Rohan über die Archäologie im Elsass und in Lothringen in den Jahren der deutschen Annexion, eine Aufführung von Turgenjews "Ein Monat auf dem Lande" im Stadttheater Bern und Bücher, darunter ein Band mit Textbildern und Sprachwerken von Heinz Gappmayr: "Text Farbe Raum" (siehe auch unsere Bücherschau des Tages heute ab 14 Uhr)

FAZ, 08.05.2001

Die FAZ hatte um halb neun noch die gestrige Ausgabe im Netz, wir können darum nicht auf die Artikel verlinken. Vielleicht kommt's ja später noch.

Benjamin von Stuckrad-Barre hat eine große Reportage über das Literarische Quartett am letzten Freitag geschrieben. Zwei Dinge nehmen wir daraus mit. Erstens: Harald Schmidt hat in seiner Show am Vorabend dem Quartett vorgegriffen, die gleichen Bücher diskutiert, ganz ernsthaft, ohne Parodie (nur den Reich-Ranicki-Akzent konnte er sich wohl nicht ganz verkneifen). Und darum wirkte das wahre Quartett dann wie eine Parodie. Zweitens: Stuckrad-Barre mag Iris Radisch nicht: "Die mit Armgeruder pro Wort-Bedeutsamkeit reklamierende Radisch müht sich, Ranicki alles recht zu machen, des weiteren mit allen Mitteln die sympathische Antje Kunstmann auszustechen." So steht's da.

Edo Reents porträtiert Walter Leisler-Kiep als (mehr oder weniger) sympathischen Hochstapler, und in dem Artikel finden wir folgenden passenden Schreibfehler: "An dem Mann prahlt alles schon deshalb ab, weil er es gar nicht als Vorwurf empfindet."

Eduard Beaucamp resümiert die Beutekunstdebatten: "Die Deutschen waren die Initiatoren der Raubkunstkampagne, sie wurden nach dem verlorenen Krieg dann Opfer ihrer eigenen Verbrechen. Doch größere Energie als auf die Erinnerung eigener Taten wurde nach der Wende auf die Rückführung erbeuteter deutscher Kulturgüter, vor allem aus Russland, aufgeboten." Initiatoren, das klingt vornehm!


Gerhard Stadelmaier zu Zadeks Inszenierung von Neil LaButes Möderbekenntnissen "Bash": "LaBute deutet mit dem Zeigefinger auf seine Firguren. Zadek schaut nach den Druckstellen, die dieser Zeigefinger auf der Haut der Beichtenden hinterlässt." Aber auch Stadelmaier redet mehr über die Schauspieler und das Stück als über die Inszenierung. Ein gutes Zeichen?

Paul Ingendaay vergleicht Strategien der Modernisierung bei der FAZ und bei El Pais: "Gegen das Prinzip dieser Zeitung (so nennen die FAZler die FAZ, d. Perlentaucher), Veränderungen an der optischen Gestaltung nur mit dem Dessertbesteck vorzunehmen, hier eine zarte Linie hinzuzufügen und dort ein Häkchen anders zu biegen, wirken die Design-Verjüngungen bei El Pais aus den ersten Blick wie der Einsatz von Bulldozer und Abrissbirne."

Weitere Artikel: Eva Menasse berichtet über ein neues österreichisches Pressegesetz, das die Einsicht von Akten aus juristischen Vorverfahren erschweren soll und unter den Journalisten große Empörung auslöst. Christian Geyer sieht der Justizministerin dabei zu, wie sie "Grenzen für die Biopolitik markiert". Joseph Hanimann hat ein Kolloquium über arabische Literatur in Meknes verfolgt. Gerhard Vinken hat den bedenklichen Zustand des Zisterzienserinnenklosters der elbnahen Stadt Mühlberg in Augenschein genommen. Silke Scheuermann resümiert das Lyrikertreffen in Münster. Hans-Christoph Kraus meldet, dass die Akten der Ludwigsburger Stelle zur Aufklärung von Naziverbrechen dem historischen Institut der Uni Stuttgart zugeschlagen werden. Kurt Flasch schreibt zum Siebzigsten von Werner Beierwalte. Georg Imdahl stellt das Siegener "Museum für Gegenwartskunst" vor. Und Johannes Schmidt zieht eine Bilanz der Ausstellung "Gen-Welten", die in den letzten zwei Jahren mit volkspädagogischem Auftrag durch die Städte tourte und weit weniger Besucher anzog als angenommen.

Besprochen werden eine Inszenierung von Mozarts "Entführung" und von Kagels "Entführung" an einem Abend durch Herbert Wernicke, die Pirandello-Oper "Enrico" in Darmstadt, der Film "Das Frühlingstreffen", das Ballett "Nosferatu" in Paris, eine Ausstellung des Basler Münsterschatzes in New York, das Dokumentarfilmfestival in München, eine Ausstellung über Goethes Aufenthalt in Berlin 1778, eine Ausstellung des Fotografen Paul Almasy in Oldenburg und eine Berliner Tagung über den "Staat der Zukunft".

Im Medienforum geht's um eine amerikanische Fernsehsendung mit Bush-Witzen, um die Deutsche Welle und die "Big Brother"-Show, die jetzt auch im französischen Fernsehen angekommen ist.

C'est trop!