Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
09.05.2001.

TAZ, 09.05.2001

Kaspar König, Direktor des Museums Ludwig in Köln will im Blick auf die Hauptstadt die Region NRW stärken und wendet im Interview mit Harald Fricke sich gegen das "Guggenheim-Phänomen, was wirklich eine multinationale Krake ist, die bereits Informationen vermarktet, das führt zu Monopolisierung. Uns geht es um Autonomie, darum, so weit wie möglich selbstständig zu sein, ohne privatisieren zu müssen."

Katja Nicodemus erzählt, warum der neue Film von Eric Rohmer nicht in Cannes läuft: "In 'L' Anglaise et le duc' schildert Eric Rohmer die Französische Revolution und die Schreckensherrschaft nämlich skandalöserweise aus dem Blickwinkel der Monarchie, was ganz und gar nicht ins jakobinische Staatsverständnis, geschweige denn zum wichtigsten Filmfestival der Grande Nation passt."

Weitere Artikel: Brigitte Werneburg resümiert eine Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung über die Wissensgesellschaft im Internetzeitalter. Und Birgit Glombitza bespricht Andreas Dresens Film "Die Polizistin".

FAZ, 09.05.2001

Jürg Altwegg hat die letzten Fernsehinterviews mit Francois Mitterrand gesehen, die erst jetzt (unter anderem bei Arte) gezeigt werden: "Nochmals ergötzt man sich an seiner perfiden Zunge. Mitterrand hatte sich längst zum großen Darsteller entwickelt, der die Wärme der Scheinwerfer genoss und absolut nichts von sich preisgab: Kein Satz, der nicht schon zu Lebzeiten hätte gesagt werden können. Oder schon damals überflüssig und nur hämisch war."

Verena Lueken kommt auf den Tarifvertrag zwischen den Hollywoodstudios und den Autoren zurück. Lange Zeit hatte man einen harten Streik befürchtet. Die Einigung kam überraschend schnell "Die Autorengewerkschaft WGA war angesichts der abflauenden Wirtschaftslage offenbar verhandlungsbereiter, als es noch vor einigen Monaten zu vermuten war. Viele Autoren finden das Ergebnis daher enttäuschend, wenn auch wahrscheinlich nicht enttäuschend genug, um es in ihrer Urabstimmung abzulehnen und doch noch in den Streik zu treten." Nun stehen allerdings noch Verhandlungen mit den Schauspielern an.

Weitere Artikel: Joseph Croitoru erzählt im Aufmacher, wie Norman Finkelsteins Buch "Holocaust-Industrie" in Israel aufgenommen wurde - relativ gleichgültig, so scheint es. Rose-Maria Gropp war bei einer New Yorker Auktion zugegen, bei der sieben Bilder der Sammlung Berggruen versteigert wurden - eine "Montagene Sainte Victoire" von Cezanne erzielte 35 Millionen Dollar. Peter Gorsen beschreibt die Umbaupläne des Architekten Hans Hollein für die Wiener Albertina. Hubert Spiegel resümiert die Jahrestagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die von Sprache und Musik handelte. Dietmar Polaczek kommentiert den Abgang Arnold Eschs beim Deutschen Historischen Institut in Rom. Dieter Barteztko berichtet, dass in der Domus Aurea, Neros Palast in Rom, eine Kuppel einstürzte. Auf der Stil-Seite porträtiert Anja-Rosa Thöming die brasilianische Sängerin Marisa Monte.

Besprochen werden eine Ausstellung in Frankfurt über Celan und seine Frau Gisele Celan-Lestrange, Spike Lees Film "It's Showtime", die Dramatisierung von Sandor Marais "Glut" im Wiener Volkstheater, die Deutschlandtournee des Orchestre des Paris unter Christoph Eschenbach, das Musical "The Producers" von Mel Brooks am Broadway, Strawinsky "Sacre" als Ballett an der Berliner Staatsoper, Das Stück "Arabische Nacht" in Mannheim und eine Ausstellung der schwedischen Design-Kooperation "10-Gruppen" in Stockholm.

SZ, 09.05.2001

Wolfgang Farkas erzählt noch einmal die ganze Heiligenlegende, denn heute vor 25 Jahren war der Tag: "Ulrike Meinhof stirbt im Alter von 41 Jahren in ihrer Zelle im Hochsicherheitstrakt. Am Morgen des 9. Mai 1976 wird sie von Justizvollzugsbeamten erhängt aufgefunden. Es gibt keinen Abschiedsbrief. Weder Angehörige noch Rechtsvertreter dürfen die Tote sehen. Noch vor der schlampig durchgeführten Obduktion meldet die Nachrichtenagentur UPI: 'Selbstmord durch Erhängen'." Nach Farkas sind die Todesumstände nach wie vor ungeklärt.

Dazu passt ein Artikel des ehemaligen Klosterschülers Willi Winkler, der sich in der Serie "Das war die BRD" an das RAF-Fahndungsplakat erinnert: "Der Steckbrief, dieses komische Zitat, war eine Auszeichnung: Heilige sehen dich an! Wer den Terror angeschaut mit Augen, wer die jahrzehntelange Repressionsschule durchlaufen hatte, sah auf den Fahndungsplakaten nicht diese unbekannten Leute, sondern eine alte Geschichte, die eigene. Die Köpfe im gerasterten Geviert, einsortiert so gründlich wie Bügelverschlussflaschen in einem Biertragl, waren schon jetzt Märtyrer, wohlvertraut aus dem Schatz von aberhundert Heiligenlegenden, über den ich damals noch zitiersicher gebot."

Helmut Schödel schildert eine Episode aus den Zürcher "Hamlet"-Vorbereitungen des Christoph Schlingensief. Da spielen bekanntlich echte ehemalige Noenazis mit: "Am Züricher Bahnhof registrierten Berichterstatter 'eine Journalistendichte der Sonderklasse', als der Intercity mit den Glatzen an Bord eintraf. Eigentlich waren sie längst in der Stadt. Dann hat Schlingensief sie eine Station vor Zürich in den Zug gesetzt und sie noch einmal ankommen lassen."

Michael Altehen liefert schon jetzt ein mögliches Resümee des Filmfestivals von Cannes: "Die üblichen Verdächtigen: Godard, Rivette, Haneke, Moretti, Lynch, Coen, Ruiz, Oliveira, Hsiao-Hsien, Imamura, Olmi, Makhmalbaf ? dazu in Nebenreihen: Ferrara, Solondz, Hartley und Doillon. Jeder dieser Regisseure ist für ein Meisterwerk gut ? wenn am Ende eines dabei gewesen sein wird, darf man froh sein."

Weitere Artikel: Holger Liebs bilanziert die Oberhausener Kurzfilmtage. Hans-Peter Kunisch schreibt über den Skandalerfolg der Pariser Buchsaison, Catherine Millets Selbstenblößungsbuch "La vie sexuelle de Catherine M.". Willibald Sauerländer hat sich die Wiener El Greco-Ausstellung angesehen. Arnd Wesemann hat Choreografien von Thomas Lehmen und Jan Pusch in Hamburg und Berlin gesehen. Außerdem geht's um neue Platten, etwa um die Avantgarde-Reihe "New Line" bei der Teldec, um Ausgrabungen des Billiglabels Naxos, um Beethoven-Einspielungen unter Peter Maag, um Bruckners Achte unter Harnoncourt und um Einspielungen von Werken Helmut Lachenmanns.

NZZ, 09.05.2001

Für jeden Schriftsteller gibt es auf dem amerikanischen Buchmarkt auch einen nützlichen Ratgeber, erzählt die kroatische Autorin Dubravka Ugre?i: "Falls ein Schriftsteller meint, das Handwerk zu beherrschen, ohne dass er die rechte Spannung herstellen kann, muss er 'The Art of Compelling Fiction' kaufen. Der Verfasser verspricht dem künftigen Schriftsteller die Schlüssel, die eine gewöhnliche zu einer unvergesslichen Geschichte machen. Wenn ein Schriftsteller glaubt, nicht gut beschreiben zu können, dann gibt es für ihn den Leitfaden 'Word Painting: A Guide to Writing More Descriptively'. Wenn er hingegen seine Prosa für zu umfangreich hält, muss er sie verschlanken. Das Buch, das ihm hilft, seine Prosa in Form zu halten, heisst 'Dictionary of Concise Writing'."

Ein Schriftsteller namens François Ceresa hat für den Verlag Plon eine Fortsetzung von Hugos "Elenden" geschrieben. Die Erben des Schriftstellers wehren sich vor Gericht, berichtet Marc Zitzmann (erstaunlich, dass das über hundert Jahre nach dem Tod des Klassikers noch möglich ist): "Dass Ceresa in seinem 500-seitigen Band nicht bloß Hauptpersonen von Hugo wie Marius und Cosette wiederverwertet, sondern gar den im Originaltext in den Fluten der Seine untergegangenen Polizisten Javert wieder auftauchen lässt, verdammen die Erben als 'eine rein kommerziell motivierte Fälschung und eine Verletzung der Unversehrtheit des Werkes'." Demnächst klagen die Erben Homers gegen die Verhunzung der Odyssee durch James Joyce.

Weitere Artikel: Christoph Egger stellt das Programm der heute in Cannes beginnenden Filmfestspiele vor. Alfred Zimmerlin resümiert die Wittener Tage für Neue Kammermusik und Wilhelm Droste das Budapester Buchfestival. Besprochen werden eine CD-Kassette mit sämtlichen Liedern Schuberts, CDs mit Werken des Wetschweizer Komponisten Pierre Maurice und einige Bücher, darunter Dokumentationen zur Finkelstein-Debatte. (Siehe unsere Bücherschau ab 14 Uhr.)

FR, 09.05.2001

Slavenka Drakulic schreibt über den "Konsens der Lügen", der es Serben und Kroaten unmöglich macht, ihren Kriegsverbrechern selbst den Prozess zu machen oder sie wenigstens an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu überstellen. "In meinem Teil der Welt gilt 'The Hague' als einer der verhasstesten Orte auf Erden, figuriert die Stadt als das Zentrum der Verschwörung gegen die Kroaten und die Serben." Die Kroaten seien fest überzeugt, da sie angegriffen worden waren, hätten sie gar keine Kriegsverbrechen begehen können. Die Serben wiederum glauben, dass sie die ärmsten Opfer Milosevics sind. Und "solange es bestenfalls zaghafte Ansätze dafür gibt, dass sich in diesen beiden Staaten der Wunsch nach der Wahrheit Bahn bricht, so lange begreift man Recht und Gerechtigkeit als Bedrohung sowie als schlimmste Sorte von Abstrafung und Demütigung. Das ist völlig logisch und entspricht dem aktuellen Konsens, was als Wahrheit gilt. Und bis sich das ändert, ist eines klar: Recht und Gerechtigkeit müssen in Den Haag eingefordert werden, andernfalls werden sie nirgends eingefordert."

Joachim Otte berichtet von einem Exzess des Amorphen beim 12. Lyrikertreffen in Münster. "Der Schweizer Urs Allemann ... versuchte im radikalen Ausloten von antiken Formen wie 'alkäisch' oder 'asklepiadeisch' durch extreme Rhythmisierung und das Stapeln von Klangkonvoluten ein Numinosum freizusetzen, 'wie es nicht / vorstellbar ist aber sagbar'. Dabei bediente sich Allemann Wortmonstren wie 'schambergborstenstriegelnd' oder Zeilen wie 'glossokyprisch grr Gaumenglück'. Dieser Exzess des Amorphen innerhalb strenger Form macht wohl den Reiz für diejenigen aus, die einen Zugang zu diesen schwierigen Gebilden finden."

Ein Blick auf das Festivalprogramm von Cannes ? und Peter Körte fühlt sich wie bei einer "Altherren-Weltmeisterschaft. Coppola ist Ende 60, Godard 70, Ermanno Olmi auch schon fast, Rivette 73, Shohei Imamura 74, und Manoel de Oliveira hat die 90 lange hinter sich gelassen. Wer das Durchschnittsalter der Regisseure im offiziellen Programm errechnen wollte, könnte schwermütig werden und sich fragen, ob nicht das weltbekannte Rentnerparadies Florida ein besserer Versammlungsort wäre."

Weitere Artikel: Wladimir Kaminer berichtet Neues aus der Schönhauser Allee, und Stefan Raulff untersucht das plötzliche Interesse an Bands der Neuen Deutschen Welle wie Malaria!. "Die stoisch-verhackten trockenen Sounds, die wie bei D.A.F. auch mal die Grenze des Martialischen abschritten ('Tanz den Mussolini'), und der trotzig-distanzierte Tonfall, in dem kurze Sätze, Phrasen und Stichwörter gebellt wurden, vermittelten inklusive aller ironischen Beigaben die Kraft eines selbstbewussten Untergrunds."