Heute in den Feuilletons

Queseria Mürsch

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
11.03.2013. Hans Christoph Buch berichtet für den Tagesspiegel aus einem demoralisierten Kuba. Das Literaturcafé testet den Ebookreader Tolino. Im Deutschlandfunk rechnet Sabine Pamperrien mit den China-Verteidigern Helmut Schmidt und Tilman Spengler ab. In der FR erinnert sich Amos Oz an den Kibbuz. Die NZZ besucht die zweitbeste Schweiz der Welt. Die LA Times empfiehlt 3D-Drucker bei Kopfverletzungen. Dezeen empfiehlt 3D-Drucker für Nylonkleider.

NZZ, 11.03.2013

Aufregende Kunst von zum Teil "fröhlicher Schönheit" hat Samuel Herzog bei der Kunstbiennale in Montevideo erlebt. Vor allem aber hat er bei seiner Reise gelernt, warum man Uruguay nicht nur wegen seiner vielen Banken die Schweiz Südamerikas nennt: "Glaubt man den Medien, so geht es den Uruguayern allerdings in fast jeder Beziehung doch deutlich besser als den Bewohnern der meisten anderen Staaten Südamerikas: weniger Korruption, weniger Kriminalität, bessere Wohlfahrt und Bildung usw. Außerdem machen die Bauern hier den besten Käse südlich des Äquators - vor allem jene aus der Gegend von Colonia del Sacramento und Nueva Helvetia, wo auch heute noch die Wappen aller Schweizer Kantone das Dorfzentrum zieren und es ebenso eine 'Queseria Mürsch' gibt wie eine Straße namens Calle 'Frau Vogel'." (Im Bild: die Gewürzhäufchen von Sonia Falcone, die sie in der Iglesia Francisco de Asis aufhäufte, mehr hier)

Weiteres: Michael Bangert macht einige Anmerkungen zum Papstwechsel aus altkatholischer Sicht. Besprochen werden Johan Simons bäuerliche Version des "König Lear" in München ("Was soll der Quatsch?", fragt Barbara Villiger Heilig) und Herbert Fritschs Opernregiedebüt mit Peter Eötvös' "Drei Schwestern" in Zürich .

TAZ, 11.03.2013

In seinem Wochenrückblick kommentiert Friedrich Küppersbusch Hartmut Mehdorns Verpflichtung für den Berliner Flughafen: "Das Projekt BER ist also inzwischen das Dschungelcamp der Marktwirtschaft." Zum zweiten Jahrestag der Unfallserie von Fukushima druckt die taz einen Auszug aus dem Buch "Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft" von Joachim Radkau und Lothar Hahn.

Besprochen werden Anna Viebrocks düstere Inszenierung von Händl Klaus' Stück "Gabe/Gift" und Eva Kotátkovás Ausstellung "Theatre of Speaking Objects" im Kunstverein Braunschweig.

Und Tom.

Aus den Blogs, 11.03.2013

(via BoingBoing) Der Perlentaucher hat mit einigem Nachdruck Chris Andersons Buch "Makers" über die Möglichkeiten der neuen 3D-Drucker empfohlen. Skeptikern, die sich immer noch fragen, wozu das eigentlich gut sein soll, sei dieser Artikel in der LA Times empfohlen: Die 2000 gegründete Firma Oxford Performance Materials hat mittels eines 3D-Druckers ein Schädelimplantat ausgedruckt: "An unidentified man had 75 % of his skull replaced with a 3-D printed implant made by Oxford Performance Materials, a Connecticut company. The surgery this week was the first time a patient received an implant made specifically for him using 3-D printing technology. The patient, whose name and injury OPM would not disclose, had his head scanned as part of the procedure. ... The 3-D printing technology is ideal for implants custom-shaped to each patient's anatomy, the company said."

In Amsterdam plant das Architektenbüro DUS den Bau des ersten 3D-gedruckten Kanalhauses, meldet Dezeen. "DUS Architects will print components for the house on-site using a purpose-built printer called the KamerMaker (Bild) and plan to start work in the next six months. 'This year we want to print the entire facade and the first room bit by bit,' architect Hedwig Heinsman told Dezeen. 'Then in the following months and years we will print other rooms.'"

Dezeen hat noch mehr zum Thema aufgespürt: So stellte Dita von Teese jetzt das erste, von dem New Yorker Designer Michael Schmidt entworfene und 3D-gedruckte Nylonkleid vor (Bild), berichtet das Architekturblog. Und hier wird der erste Teil eines 3D-gedruckten Autos vorgestellt, das in zwei Jahren als URBEE 2 komplett aus dem Drucker laufen soll: "So far in its development, 3D printing has largely been used to produce unique or customisable items in single editions or small runs, but the arrival of the URBEE 2 suggests it could also be applied to mass production on a huge scale. 'A future where 3D printers build cars may not be far off after all,' said Jim Bartel, vice president of RedEye On Demand. 'URBEE 2 shows the manufacturing world that anything really is possible. There are few design challenges additive manufacturing capabilities can't solve.'"

Auf salon.com hat Katie Mcdonough einen besonders verabscheuungswürdigen kapitalistischen Trick aufgespürt: Junge japanische Mädchen werden mit 121 Dollar pro Tag und einem Minirock dazu verführt, Werbung auf einem Oberschenkel vorzuführen.

Weitere Medien, 11.03.2013

Helmut Schmidt wird vom deutschen Publikum als moralische Autorität angestaunt, weil er China die Menscherechte vorenthalten will und gar noch das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens verteidigt. Sabine Pamperrien macht in einem höchst lesens- und hörenswerten Radioessay über die China-Verteidiger Schmidt und Tilman Spengler im Deutschlandfunk auf die Kehrseite dieses Diskurses aufmerksam: "Grundsätzlich bestreitet er damit die Universalität der Menschenrechte. Er stellt ganz klar heraus, dass es sich bei Kapitalismus, Demokratie und Menschenrechten um europäische Errungenschaften handelt, zu denen andere Zivilisationen nicht gezwungen sein sollten."

Welt, 11.03.2013

Michael Pilz porträtiert den Sänger Adam Ant, der gerade seinen Burn-out-Krankheitsverlauf musikalisch verarbeitet hat. Gerhard Midding schreibt zum Tod des Regisseurs Damiano Damiani.

Besprochen werden Johan Simons Inszenierung des "König Lear" an den Münchner Kammerspielen, die Aufführung der "Götterdämmerung" durch Dieter Dorn und Jürgen Rose in Genf.

Tagesspiegel, 11.03.2013

Abstumpft, ausgemergelt demoralisiert wirken die Kubaner nach Jahrzehnten der Misswirtschaft auf der Insel, schreibt Hans Christoph Buch in einem kleinen Reisebericht. Zweifelhafte Parolen können die Wirklichkeit auch nicht mehr übertünchen: "'Seid der Geschichte würdig - die Blockade gegen Kuba ist der größte Genozid des 21. Jahrhunderts!' Der Widerspruch zwischen Propaganda und Wirklichkeit ist zur zweiten Natur geworden, etwas anderes als staatlich kontrollierte Mangelwirtschaft kaum noch vorstellbar, und das einzige Verbot, das keine Beachtung findet, ist das Rauchverbot."

Aus den Blogs, 11.03.2013

Wolfgang Tischer testet im Literaturcafé den Ebookreader Tolino, mit dem die angeschlagenen Größen der deutschen Buchbranche Amazon nun doch noch Konkurrenz machen wollen. Sein Eindruck ist nicht so schlecht: "Innovativ ist der Tolino nicht - weder technisch, noch optisch, noch softwareseitig. Statt Kindle-Killer ist er eher Kindle-Clone. Und dennoch hat uns das 'System Tolini', das wir mal als 'halboffen' bezeichnen wollen, im Test sehr gefallen." Als Gründe nennt Tischer: "Die EPUB-Unterstützung, der Speicherkartenslot, die Cloud, der Hotspot-Zugang, der problemlose Import von E-Books und die Möglichkeit der Onleihe."
Stichwörter: Amazon, Ebooks, Tolino, Kindle, Onleihe, Clouds

FR/Berliner, 11.03.2013

Inge Günther unterhält sich mit dem israelischen Schriftsteller Amos Oz, der in seinem neuen Buch "Unter Freunden" über das Leben im Kibbuz und die Sehnsucht nach dem neuen Menschen erzählt: "Unter den revolutionären Konzepten war die Kibbuz-Revolution die einzige, die ohne Erschießungskommandos, Gulags oder Konzentrationslager auskam. Im Kibbuz gab es nicht mal Polizisten. Der Kibbuz war am Ende nicht erfolgreich, aber er hat auch nicht versagt. Denken Sie an den Schuhmacher in der letzten Erzählung. Er ist Idealist, Internationalist und Pazifist, einWeltreformer bis zum letzten Atemzug. Er hat keine Frau, keinen Familie, niemanden. In einer großen Stadt würde er sterben wie ein Hund, im Kibbuz führt er ein beschütztes Leben. Aber die menschliche Natur verändert sich eben nicht. Auch in der Liebe hat sich seit den Tagen von König Salomon bis heute nichts geändert - höchstens die Zigarette danach, sonst nichts."

FAZ, 11.03.2013

Schriftstellerin Ursula Krechel unterstreicht im Gespräch mit Sandra Kegel die Notwendigkeit eines Romantikmuseums in Frankfurt. Gina Thomas berichtet über einen offenen Brief britischer Schriftsteller, die eine Reformation des britischen Verleumdungsrechts fordern - bisher kann es, auch international, von jedem ausgenutzt werden, der missliebige Meinungen unterdrücken will. Jan Brachmann ist so beglückt von einem Mozart-, Wagner- Schostakowitsch-Konzert der Berliner Philharmoniker unter Andris Nelsons, dass er diesen schon als Nachfolger Rattles sieht. Der Bibliothekar Uwe Jochum wendet sich im Vorfeld eines Kongresses über Bibliothek und Information gegen ein "neoliberales" Bibliothekswesen, das die Potenziale des Internets nutzen will. Marion Titze porträtiert die brandenburgische Bildungsministerin Martina Münch, die zugleich siebenfache Mutter ist.

Besprochen werden ein "King Lear" in den Münchner Kammerspielen und Bücher, darunter ein Essay des Historikers Andreas Möller gegen den Naturbegriff des Landlust-Generation (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 11.03.2013

Peter Richter reibt sich erstaunt die Augen: Mit der (unter anderem von David Fincher inszenierten) Polit-Serie "House of Cards" haben "Fernsehserien damit aufgehört, das zu sein, was sie mal waren". Klug findet er das Manöver, die Serie von vornherein nicht auf einer der üblichen Kabelstationen, sondern instantan komplett in der produzierenden Onlinevideothek Netflix anzubieten - mit weitreichenden Folgen: "Es gibt keine Rückblenden mehr, es wird gleich davon ausgegangen, dass die vorausgegangene Folge auch unmittelbar zuvor erst geschaut worden ist. ... Das diabolische Geflecht von Francis Underwoods Plänen und Intrigen wäre schon von Folge drei an praktisch gar nicht mehr zu überschauen, wenn immer wieder eine Woche Wartezeit dazwischen läge." (Eine weniger schöne Folge ist, dass wir das in Deutschland nicht - oder nur unter Umgehung der Ländersperre - sehen können, weil Netflix bei uns nicht sendet.)

Außerdem: Die Wiener Philharmoniker lassen ihre Geschichte im Nationalsozialismus aufarbeiten, meldet Wolfgang Schreiber und weist dabei auf diese, heute vom ORF ausgestrahlte Dokumentation hin. Henning Klüver meldet zunehmende Finanzierungsprobleme italienischer Opernhäuser. Michaela Metz besucht das Museum für moderne Kunst in Bahia, Brasilien.

Besprochen werden Dieter Dorns "Rheingold" am Grand Théatre in Genf, Pablo Larrains Film "No!", Johan Simons "König Lear" an den Münchner Kammerspielen (Christine Dössel hat keine "Glanzleistungen ... zu vermelden") und Bücher, darunter Hans Beltings "Geschichte des Gesichts" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).