9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juli 2018

Die Idee des bösen Genies

31.07.2018. Während die britische Regierung katastrophale Umfragewerte hat, über die Sky News berichten, ist Labour mit den Antisemiten in eigenen Reihen beschäftigt, von denen sich Jeremy Corbyn laut Financial Times partout nicht distanzieren will. AFP berichtet, dass die syrischen Behörden Ordnung machen: Erste Syrer erfahren offiziell, dass ihre Angehörigen tot sind - aber 80.000 Syrer, die vom Regime verschleppt und gefoltert wurden, sind noch vermisst. Die taz fordert das "Deutschland der Weißen" auf, sich mit Rassismus auseinander zu setzen.

9punkt

31.07.2018. Buchmarkt: Amazon, der Gatekeeper & Fachbuchhandel ade? oder die Chancen im stationären Fachbuchhandel - Pressefreiheit in der Türkei: Journalisten für Recherchen vor Gericht - Konsolidierung in der Druckindustrie: CPI wird von Circle Media Group übernommen - Hashtag #MeTwo: Einfach mal zuhören - "Sturmhöhe" oder zum 60. von Kate Bush: Die Feministin der Tat.

Mehr wie eine Bewegung

30.07.2018. Wer hätte das gedacht: Der Brexit hat eine zivilisierende Wirkung. Und zwar auf die Rechtspopulisten anderer Länder, die nun alle ganz lieb in der EU bleiben wollen, konstatiert die Financial Times. Die sozialdemokratischen Parteien suchen sich unterdessen ein neues Vorbild: Es heißt Jeremy Corbyn, beobachtet politico.eu. In der taz erklärt der Soziologe Andreas Reckwitz die alten und die neuen Schichten. Und der Guardian freut sich: Die wilden Zeiten führen zu erhöhtem Absatz ernstzunehmender Sachbücher.

Tief verankertes Schuldgefühl

28.07.2018. Nach der Özil-Debatte folgt der Hashtag #MeTwo, um Rassismus in Deutschland anzuprangern. Deutsche sollten lernen, sich Rotkäppchen unterm Hidschab vorzustellen, rät die Amerikanerin Rose-Anne Clermont in der Berliner Zeitung. In der NZZ kritisiert der Theologe Abdel-Hakim Ourghi die westlichen Verfechter des Kopftuchs, die die Musliminnen nur in ihrer Opferrolle bestärkten. In Tel Aviv wird ein Naturkunde-Museum eröffnet, das über die Evolution schweigt - auf Druck der Religiösen, berichtet die FAZ.

Diese Graswurzelarbeit

27.07.2018. Im Guardian warnt Timothy Garton Ash die Politiker der EU vor einer Demütigung Großbritanniens im Brexit-Prozess. Watson.ch erinnert nach dem Suizid der Femen-Mitbegründerin Oksana Schatschko daran, welch extremen Gewaltdrohungen die Aktivistinnen der Gruppe in Osteuropa ausgesetzt waren. In politico.eu und der SZ verteidigen angesehene Rabbiner das muslimische Kopftuch. Und auch die Debatte um Mesut Özil geht weiter: "Willkommen bei der Bringschuld! ", ruft Düzen Tekkal dem Fußballer in der Welt zu.

Mit Berlusconi war es viel klarer

26.07.2018. Nur das Rumoren der Debatte über Mesut Özil übertönt noch die Schläfrigkeit der Hundstage. Die Zeit räsonniert über die hybride Identität des Fußballers, der als Türke in Deutschland dritter Generation rein türkischsprachig aufwuchs. Sascha Lobo beklagt in seiner Spiegel-online-Kolumne, dass die Hysterisierung der Debatte jede Differenzierung verhindert. Außerdem: Die SZ bringt einen flammenden Aufruf Roberto Savianos gegen die doppelten Populisten in seinem Land.

Ein Gespinst der Nichtkommunikation

25.07.2018. Facebook zensiert die nackten Busen der Grazien von Rubens - wogegen flämische Museen prostestieren - nicht aber Morddrohungen gegen den FBI-Ermittler Robert Mueller, staunt Buzzfeed. Zeit online prangert eine neue Untat des Rassismus an: Die Wikipedia ist von achtzig Prozent von weißen Männern geschrieben.  Die SZ liest ein Papier der AfD zur Rückgabe von Kunst aus der Kolonialära und findet es argumentativ geschickt. Im Tagesspiegel fordert Zafer Senocak Respekt für Mesut Özil.

Die Schlüssel der Kirche

24.07.2018. Die Debatte über Mesut Özils Rücktrittsbrief dominiert die Medien. Viele machen sich seinen Rassismus-Vorwurf zu eigen. In der SZ widerspricht Migrationsforscher Özkan Ezli. Sehr kritisch äußert sich auch der deutsch-türkische Boxer Ünsal Arik in der FAZ, der vor allem Özils Engagement für Erdogan anprangert. Die NZZ staunt über die vielen Fraktionen unter den wenigen Christen in Israel. In politico.eu mahnt der polnische Politiker Robert Biedroń die EU, Polen keine Subventionen zu entziehen - statt dessen sollte sie vor allem proeuropäische lokale Initiativen unterstützen.

Starke Entfremdung

23.07.2018. Mesut Özils Rücktritt aus der Fußballnationalmannschaft schafft das Szenario für die nächste unversöhnliche Debatte: In seiner Erklärung sieht er sich als Opfer des Rassismus - viele Kommentatoren stimmen ihm zu. Kritiker machen auf Özils Wahlkampfeinsatz für Tayyip Erdogan aufmerksam. taz und FAZ kommentieren Steve Bannons drohendes Engagement in Europa. Die NZZ erklärt, warum aus der erträumten "Konservativen Revolution" nach Botho Strauß' "Anschwellendem Bocksgesang" nichts wurde.

Pompöse Besuche

21.07.2018. Menschenrechte sollten nicht nur im eigenen Land gelten, sondern überall: In der New York Times empfiehlt Natan Sharansky Barack Obama und Donald Trump die Lektüre eines 50 Jahre alten Textes des damaligen sowjetischen Dissidenten Andrej Sacharow. Und auch im eigenen Land muss man immer wieder für die Freiheit kämpfen, sekundiert Heinz Bude in der taz. Das dürfte die rumänische Orthodoxe Kirche nicht gern hören, die lieber auf Macht und Geld setzt, lernt die NZZ. Und die taz lässt sich von der Hamas erklären, was im palästinensischen Kino geht und was nicht.

So homogen wie Hamburger

20.07.2018. Die FR ist empört über Mark Zuckerberg, der auf Facebook alles Mögliche verbietet, aber die Holocaust-Leugnung erlaubt. Liegt's am Sommerloch? Immer noch wird über das "Pro und Contra" der Zeit zur Seenotrettung diskutiert. In der Welt fordert Gunnar Heinsohn eine nach IQ auslesende Einwanderungspolitik. In der SZ fordert Gert Heidenreich eine wehrhafte Demokratie gegen rechts. Emma.de spricht mit Studenten der Humboldt-Uni, die sich gegen ein von erzkonservativen Verbänden dominiertes Islam-Institut wehren.

Im Widerspruch zum christlichen Verständnis

19.07.2018. Die Labour-Partei schafft sich eine ganz eigene Definition des Antisemitismus, berichtet der Guardian: Israel darf man jetzt nur noch mit den Nazis gleichsetzen, falls man damit keine antisemitischen Absichten verbindet. Ex-Papst Benedikt hat auch so seine Probleme mit Israel, beobachtet Rabbiner David Bollag in der NZZ. Alle sind sehr zufrieden damit, dass die Position der Öffentlich-Rechtlichen gerichtlich gestärkt wird, besonders natürlich die Öffentlich-Rechtlichen. Die Zeit entschuldigt sich für ihr Pro und Contra zu privaten Seenotrettern und teilt mit, was die Autorin des "Contra" eigentlich hatte sagen wollen sollen.

Beim Hühnchen-Rupfen

18.07.2018. in der FR warnt Madeleine Albright vor einem neuen Faschismus und konstatiert, dass der Faschismus fast stets legal an die Macht kam. Heute sind aber nicht die Dreißiger, insistiert Götz Aly in der Berliner Zeitung. In der SZ prophezeit der Philosoph Srećko Horvat seinen kroatischen Landsleuten einen gewaltigen Kater nach den WM-Feierlichkeiten, bei denen die Fußballer leider mit einem Rechtsextremen auftraten. Bülent Mumay staunt in seiner FAZ-Kolumne darüber, wie sich Tayyip Erdogan stets als Opfer inszeniert

In kurzer Hose mit Holzgewehr

17.07.2018. Wenn Äußerungen über Donald Trump bisher finster waren, so drehen sie nach seinem Treffen mit dem bewunderten Wladimir Putin ins Apokalyptische. Wir verlinken auf das beeindruckende Statement John McCains auf der Seite des amerikanische Senats. Der Guardian entwickelt  unterdessen ein Szenario für die Zeit nach Trumps Wiederwahl. Die Berliner Zeitung schildert die totale Auslastung Berliner Bibliotheken und die für die fernere Zukunft in Aussicht gestellte Lösung des Problems. Im Freitag spricht die Lehrerin Hildegard Greif-Groß über Mobbing, Religion und Politik.

Die Erosion des Vertrauens

16.07.2018. Für ein paar Sekunden unterbrachen Aktivistinnen von Pussy Riot das WM-Finale und erinnerten daran, dass wir es bei Russland nicht mit einem "himmlischen Polizisten" zu tun haben - Masha Gessen schreibt im New Yorker. Golem.de zeigt, wie Russland und Wikileaks kooperierten, um Trump in seinem Wahlkampf zu helfen - Trump nennt die EU unterdessen in einem CBS-Interview "einen Feind". Die Debatte über die Flüchtlingsretter geht weiter: Man solle nicht die Moral nur um vermeintlicher Objektivität willen beiseite schieben, meint Zeit online.

Kontextgebundenheit von Wertzuschreibung

14.07.2018. Die von der Zeit ausgelöste Debatte um die privaten Flüchtlingsretter geht weiter. Das Warten auf eine vernünftige Aufnahmeregelung schließt keine "Lizenz, ertrinken zu lassen" ein, mahnt die SZ. Kann es sein, dass auch afrikanische Potentaten Verantwortung haben, fragt die Welt. In der taz erklärt Luc Boltanski, was er unter "Ökonomie der Bereicherung" versteht. Atlantic bringt eine Reportage über junge Säkulare im Irak und ihre Geschichten. Der Tagesspiegel geht aufräumen mit Gunda Borgeest. 

Aus dem Diskurs raus

13.07.2018. Helle Empörung löste gestern ein Zeit-Artikel Mariam Laus aus, die die hohe Moral der privaten Flüchtlingsretter in Zweifel zieht - Titanic-Chefredakteur Tim Wolff antwortete mit einem Pro und Contra-Tweet "Zeit-Mitarbeiter erschießen". Nick Cohen attackiert in der NYR Daily die BBC, die sich vor lauter Ausgewogenheit nicht traue, die Wahrheit über das Brexit-Desaster zu sagen. In der NZZ erzählt der Historiker Pawel Machcewicz, wie in Polen Geschichte gleichgeschaltet wird.

Gäbe es ein Strafrecht für Behörden

12.07.2018. Nach dem Prozess gegen Beate Zschäpe stellen sich die selben beschämenden Fragen wie davor: Wie kann es sein, dass die Polizei (wie übrigens auch die Medien) nicht rechtsextreme TäterInnen in Betracht zog? Fatma Aydemir stellt sie in der taz. Heribert Prantl fordert in der SZ eine Auflösung des Verfassungsschutzes. Der "Social Credit Score" à la chinoise ist nicht ein chinesisches Problem, sondern ein digitales, meint Sascha Lobo in seiner Spiegel-online-Kolumne.

Es waren alle wie auf Koks

11.07.2018. Nach acht Jahren Hausarrest durfte Liu Xia endlich ausreisen. Le Monde dämpft die Freude - in China wurde gerade wieder ein Dissident zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. In der SZ  fordert Rebekka Habermas einen anderen Umgang mit dem Thema Restitution von Kunstwerken. In republik.ch erläutert Ulrike Guérot, wie die Eurokrise und der grassierende Nationalismus in Europa zusammenhängen. Die Brexiteers verlassen die Regierung, weil sie sich vor ihren Wählern nicht verantworten wollen, vermutet die New York Times.

Keine Gesichter, keine Geschichten, keine Bilder

10.07.2018. Noch gibt es nur die Meldung: Liu Xia, die Witwe von Liu Xiaobo, soll auf dem Weg nach Deutschland sein. "Wir haben einen Moment der Klarheit erreicht", schreibt Anne Applebaum in der Washington Post nach den neuesten Brexit-Volten. Es geht nicht um Migration, es geht um Rassismus, schreibt die FR zu Italiens Weigerung, Flüchtlingsschiffe in Häfen zu lassen. Die SZ erklärt Hintergründe des Streits zwischen Thilo Sarrazin und dem Verlag Randomhouse um sein jüngstes Islam-Buch. Auf emma.de antwortet Alice Schwarzer auf den Vorwurf der Uebermedien, Emma sei "rechts".

Körperlich unzweifelhaft bereits da

09.07.2018. Während sich die Welt mit der Fußball-WM amüsiert, stirbt der zu Unrecht verurteilte Filmregisseur Oleg Senzow den Hungertod, empört sich Serhij Zhadan in der NZZ. Die FAZ führt den Streit um den Integrationswillen der türkischen Gastarbeiter weiter. Die FAS verteidigt in ihrer Eigenschaft als "Kreative" die EU-Urheberrechtsreform, Zeit Online warnt, dass sie durchaus noch realisiert werden kann. In Libération lobt Alain Minc den Bonapartismus des Emmanuel Macron.

Neuseeland oder Alaska?

07.07.2018. Politico berichtet, wie Ungarns Regierung einen privaten Geheimdienst nutzte, um NGOs zu diskreditieren. Auf Medium erklärt Douglas Rushkoff, wie die Superreichen die Zukunft ohne uns planen. Die SZ stellt die neuen Klarsfelds vor: Alain und Dafroza Gauthier, die dafür sorgen, dass nach dem Genozid in Ruanda auch in Frankreich die Täter auf die Anklagebank kommen. In der taz attackiert Cornelia Koppetsch die neoliberale Angepasstheit der linken Mittelschicht. Und die NZZ meldet: Die Daily Mail, die die Engländer zum Brexit peitschte, schwenkt auf Europhilie um.

Die Verantwortung des Unternehmenstyps Verlag

06.07.2018. Das EU-Parlament hat den umstrittenen Entwurf für eine Reform des Urheberrechts vorerst gekippt. Die meisten Medien sind zufrieden. Nur politico.eu, das dem in der Sache recht aktiven Springer-Verlag gehört, spricht von einem Sieg des Lobbyismus. Die Buchpreisbindung abzuschaffen, wäre "kulturpolitische Eselei", schreibt in der SZ der ehemalige SPD-Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin. In der Welt attackiert der Schriftsteller Joachim Lottmann Jürgen Habermas, der geradezu an allem schuld sei.

Danach wird das Heulen groß

05.07.2018. Das Internet wird trockengelegt. Heute stimmen die EU-Parlamentarier über die Urheberrechtsreform ab - ein Erfolg der Zeitungsindustrie, die hofft, dass sie endlich wieder ein Geschäftsmodell findet, meint Thomas Knüwer in seinem Blog. Jürgen Habermas attackiert in einer furiosen Rede Angela Merkel, die von anderen europäischen Ländern "Loyalität" fordere, wo Solidarität das Gebot wäre.  In Zeit online erklärt Wolfgang Tillmans, weshalb er mit anderen Kulturschaffenden eine Pro-EU-Kampagne starten will.

An die Ränder und weiter

04.07.2018. Die Grenze liegt jetzt nicht mehr zwischen einem Land und dem anderen. Mit dem Begriff von der "Fiktion der Nichteinreise" wird sie um den Flüchtling gezogen, beobachtet die taz. In Polen spitzt sich die Verfassungskrise zu, berichtet die SZ. In der FAZ führt Bülent Mumay ein bitteres Tagebuch der Tage nach dem Sieg Erdogans. Die Wikimedia-Plattform nimmt ausführlich zu Uploadfiltern und der Politik der Verwerterindustrien Stellung.

Die Zugbrücke

03.07.2018. Die Frage ist jetzt nur noch, wo Europa seine Sammellager für Flüchtlinge errichtet, am besten vielleicht in Libyen, vermutet die Berliner Zeitung, dann hätten die dortigen Warlords neben Sklaverei ein weiteres Geschäftsmodell. Na, Hauptsache Seehofer bleibt Innenminister! Die Uebermedien betreiben Gesinnungsprüfung und fragen, ob Emma "rechts" ist. Martin Vogel bleibt bei irights.info bei seiner Kritik an der VG Wort. Die österreichischen Medien wehren sich laut SZ gemeinsam gegen Angriffe auf die Pressefreiheit.

Am Anfang ist die Handlung

02.07.2018. Bestürzt blickt Armin Nassehi in der Welt auf die von der Flüchtlingsdebatte gelähmte deutsche Politik. Nick Cohen staunt im Observer: Die raffiniertesten Brexiters haben sich schon vor der Austrittskampagne in Malta die europäische Staatsbürgerschaft gekauft. Laut golem.de sind die Lobbyverbände der Medienindustrie entsetzt über die mangelnde Folgsamkeit der Digitalstaatssekretärin Dorothee Bär, die sich herausnimmt, gegen die EU-Urheberrechtsreform zu sein.  In der taz erklärt die Rapperin Rebeca Lane, wie schwierig es ist, in Guatemala Feministin zu sein.