9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Oktober 2017

Ordentlich weiter arbeiten

30.10.2017. Der Guardian kommt in zwei Artikeln auf die russische Propanda pro Trump in den amerikanischen Wahlen zurück. Die Auflösung der Grenzen zwischen Werbung und Inhalt war dabei ein Hauptproblem, meint Emily Bell.  Der Tagesspiegel trifft auf den krassen Wahn der "Reichsbürger". Im Standard empfiehlt der Kulturhistoriker Wolfgang Müller-Funk, Joseph Roth zu lesen um die Oktoberrevolution zu verstehen. Zeit online bringt ein flammendes Plädoyer für mehr öffentlich-rechtliches Fernsehen.

Baseball-Schläger neben ihrem Bett

28.10.2017. Katalonien hat seine Unabhängigkeit erklärt, Madrid will Neuwahlen. Die taz schildert den dramatischen Moment. Politico.eu notiert, dass die EU zu Spanien steht. Im New Yorker legt Ronan Farrow nach und präsentiert neue Opfer, die Harvey Weinstein schwere Vorwürfe machen.  In der FAZ zieht Dieter Grimm der Religionsfreiheit Grenzen.  Die NZZ kommt auf Alain Finkielkrauts Buch "Die Niederlage des Denkens" von 1987 zurück - eine noch heute aktuelle Kritik am Multikulturalismus.

Grâce aux agriculteur.rice.s

27.10.2017. Im Tagesspiegel prangert Klaus Rasch, dessen Frau in Berlin ermordet wurde, das Berliner Staatsversagen an. Bei Zeit online begrüßt der Raul-Hilberg-Biograf René Schlott die von Götz Aly angestoßene Auseinandersetzung um das Institut für Zeitgeschichte. In der Welt ruft Necla Kelek dem Anwalt Johnny Eisenberg, der ihr verbieten will, eine Berliner Moschee salafistisch zu nennen, ein "Allahu akbar, Herr Anwalt" zu. Die  Académie française hat laut Figaro einen Brandbrief gegen die "inklusive Schreibung" veröffentlicht, die eine "tödliche Gefahr" für die französische Sprache darstelle.

Und Putin kann auch zufrieden sein

26.10.2017. Die Debatten um sexuellen Missbrauch gehen weiter: Die SZ bringt eine Reportage über eine große Gruppe von Männern zumeist pakistanischer Herkunft, die in verschiedenen britischen Städten mehr als tausend junge Mädchen jahrzehntelang sexuell missbraucht und zwangsprostituiert hatten. In Paris protestieren Feministinnen laut Libération gegen eine geplante Roman-Polanski-Retro der Cinémathèque, diese verwahrt sich gegen den "Zensurversuch".  Die FAZ empfiehlt eine Arte-Reportage über den jüdischen Jungen, der in Berlin von antisemitischen Mitschülern gequält wurde. Die FAZ stellt auch den Diskurs über Katalonien als bloßes Opfer des Franco-Regimes in Frage.

Ideen für Schuluniformen

25.10.2017. An tunesischen Schulen herrscht Unruhe, berichtet das Blog Nawaat.org: Schülerinnen wollen die für sie vorgeschriebene unkleidsame Schürze nicht mehr tragen. Die Debatten um #MeToo gehen weiter. In amerikanischen Medien zirkuliert ein Papier über "Shitty Media Men". Erstes Opfer ist Leon Wieseltier, der eine Zeitschrift gründen wollte und nun kein Geld mehr bekommt. In der NZZ spricht György Dalos über seinen marxistischen Phantomschmerz. Und in China ist die große Ära des "Xi-Jinping-Denkens" angebrochen. FAZ und SZ suchen eine Erklärung.

Das Unheilbare zu puffern

24.10.2017. Die Diskussion um den Fall Harvey Weinstein ist noch nicht ausgestanden. Heike-Melba Fendel äußert in Zeit online ihr Unbehagen über die Berichterstattung und ihre Bebilderung. Juliette Binoche spricht in Le Monde über die Verletzlichkeit von SchauspielerInnen und die Stärken, die sie brauchen. Und Brit Marling erzählt in Atlantic, warum sie die Kraft fand, Weinsteins Hotelzimmer schlicht zu verlassen. Politico.eu blickt mit Erstaunen auf den offiziellen Geldsegen, der auf die AfD wartet. Die FAZ setzt sich für Open Data ein.

Solange wird das Schweigen weitergehen

23.10.2017. taz und NZZ versuchen zu verstehen, warum die Tschechen, denen es eigentlich recht gut geht, einem Populisten zum Erfolg verhelfen. In der NZZ beschreibt Serhij Zhadan die schwierige Suche der Ukrainer nach sich selbst. In der FAS reflektiert die Autorin Emma Cline die Zwangslage vieler Frauen nach sexuellen Belästigungen. Im Tablet Magazine geißelt Bernard Henri Lévy die mangelnde Solidarität der westlichen Länder mit den Kurden. Spiegel Online erzählt, wie China Orwells Visionen wahr macht.

Das Bielefeld-Sandwich

21.10.2017. Warum werden nach Terroranschlägen eigentlich immer neue Maßnahmen der Überwachung beschlossen, wenn doch eigentlich Behördenversagen vorliegt, fragt Netzpolitik, nachdem klar wurde, dass ein V-Mann den Attentäter Anis Amri zur Tat aufgefordert hatte. Die Salonkolumnistinnen haben Zweifel an der #MeToo-Aktion. Unter dem französischen Hashtag der Aktion, #balanceTonPorc, wird jetzt auch Tariq Ramadan der sexuellen Belästigung beschuldigt. Die SZ bringt Reaktionen auf den im Perlentaucher veröffentlichten Vortrag Götz Alys über Raul Hilberg und das Institut für Zeitgeschichte.

Von Anfang an Träumer und Fantasten

20.10.2017. Eine ganze Flut von Artikeln befasst sich mit der Affäre Harvey Weinstein. In der New York Times spricht erstmals Quentin Tarantino, der immer schon alles wusste und nie etwas sagte. Und Lupita Nyong'o schildert sehr eindrücklich, wie Weinstein sie sexuell unter Druck setzte. Erst wenn Frauen in Hollywood mehr Macht haben, werden sich die Verhältnisse ändern, glaubt Barbara Schweizerhof in Zeit online. In der NZZ porträtiert Alena Wagnerová den nächsten europäischen Populisten:  Andrej Babiš. Im Guardian fürchtet der Politologe Francesc Badia i Dalmases eine bewusste Eskalation des Konflikts um Katalonien.

Die Falle der bolschewistischen Geschichtsschreibung

19.10.2017. Im Perlentaucher erzählt Götz Aly, wie Fritz J. Raddatz einst ein Buch von Raul Hilberg ablehnte, um Bücher von Che Guevara und Mao zu bringen. In der FR ist Arno Widmann entsetzt über die Geschichtvergessenheit der Ausstellung über die Oktoberrevolution im DHM. In der Zeit kommt Gerd Koenen auf den intimen Clinch der feindlichen Brüder Faschismus und Kommunismus zurück. Politico.eu und FAZ malen sich den harten Brexit aus. Im Interview mit der NZZ versucht Stefan Chwin die Gemütslage in Polen zu erklären.

Eingeübte Halbdistanz

18.10.2017. Eine Kontroverse zwischen Götz Aly und dem Institut für Zeitgeschichte bahnt sich an: Aly wirft dem Institut vor, die deutsche Ausgabe von Raul Hilbergs epochalem Buch "Die Vernichtung der europäischen Juden" nach Kräften behindert zu haben. Die SZ bringt einen Auszug von Alys Text, der Perlentaucher wird ihn heute Nachmittag vollständig veröffentlichen. Die Welt sieht in den Vorwürfen nichts Neues. In Amerika wird weiter über Harvey Weinstein diskutiert: Was sollten wir tun, fragt der Produzent Scott Rosenberg. Und DLF Kultur fragt , was nun ist: Mit "Rechten reden" oder nicht?

Das Gesicht kann nichts mehr verbergen

17.10.2017. In La Repubblica droht Robert Menasse, aus Österreich wegzuziehen, falls sich das Land der drakonischen Flüchtlingspolitik der Visegrad-Gruppe anschließt. Dominik Grafs "Tatort" vom Sonntag löst Kontroversen aus, weil er nicht auszuschließen scheint, dass die Terroristen in Stammheim 1977 ermordet wurden: Stefan Aust und Wolfgang Kraushaar verwahren sich in Bild und FAZ dagegen. taz und Tagesspiegel kommen auf die Tumulte bei der Buchmesse zurück. Und laut MIT Technology Review steigt durch Online-Partnerbörsen die Zahl interethnischer Ehen in den USA stark an.

Kulturelle Konfliktachse

16.10.2017. Aktualisiert: Im Tagesspiegel fordert Neil MacGregor mehr enzyklopädische Museen weltweit. Bei der Buchmesse kam es zu Tumulten, als linke Gegendemonstranten eine Veranstaltung des Antaios-Verlags stören wollten. Aber es wäre falsch gewesen, diesen Verlagen keinen Stand zu geben, meinen SZ und Welt. Wie es wirklich zugeht, wenn man von Rechtsextremisten bedroht wird, erzählt die Autorin Manja Präkels im Interview mit der FR. Was heute "links" und "rechts" ist, ist heute längst nicht mehr so leicht zu sagen wie in den gloriosen Zeiten der großen Volksparteien, schreibt der Politologe Arnim Schäfer in der FAZ.

Drei von vier Frauen

14.10.2017. In der taz sagt Robert Menasse voraus, dass die EU ohne die Briten so gut wird, dass sie in spätestens fünfzehn Jahren zurück wollen. Im Tages-Anzeiger spricht Philipp Felsch über die RAF, Große Koalitionen und Gewalt in der bürgerlichen Gesellschaft. In Sachen Künstlicher Intelligenz lernt die SZ von Wittgenstein, dass man angesichts eines neuen Wesenszustandes selbst verändert. Und in der Affäre um Harvey Weinstein richten die Zeitungen ihr Augenmerk jetzt auf das Schweigen der Frauen und Weinsteins willige Helfer in Vorzimmer und Vorstand.

So isses, ich hab Recht

13.10.2017. In Kairo wackelt nach einem Schwenken der Regenbogenflagge der Thron Gottes, meldet die taz. In der FR ermuntert der Grüne Malte Spitz zu etwas mehr Kompetenz der Politiker in Sachen Digitalisierung. In der Berliner Zeitung beschreibt Kathrin Schmidt in einer Antwort auf Ingo Schulze die zunehmende Unüberwindlichkeit sozialer Grenzen in Deutschland. Im Interview mit der SZ erklären Per Leo, Max Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn, wie man mit Rechten streitet: Argumentieren statt moralisieren. Die taz plädiert mehr für eine Umarmungsstrategie.

Toxische Form des Komplizentums

12.10.2017. Die SZ denkt über demokratisch-kapitalistische und nationalistische Identitäten nach. Jeder soll Kopftuch tragen können, aber feministisch ist das nicht, meint in der NZZ der marokkanische Schriftsteller Kacem El Ghazzali. Die taz wünscht sich auch diejenigen vor Gericht, die Harvey Weinstein mit ihrem Schweigen jahrelang deckten. Im Guardian erklärt die Schauspielerin Lea Seydoux, warum sie sexuelle Nötigung von Regisseuren nie öffentlich machte. In der New York Times wünscht sich Lena Dunham, dass die Männer im Kampf gegen Sexismus vorangehen.

Ein möglicher Bruch

11.10.2017. Die Katalonen werden nun doch nicht unabhängig - vorerst jedenfalls nicht. Reinste politische Akrobatik, meint dazu Politico. Die FAZ sieht in den Katalanen die Vorhut für eine neue Form der Bürgermobilisierung gegen langweilige demokratische Verfahren. Demokratie kann man auch durch Unfähigkeit kaputt machen, erkennt die Berliner Zeitung mit Blick auf den Berliner Senat. In der SZ erklärt Christoph Butterwegge, warum das bedingungslose Grundeinkommen ungerecht ist. Und: Gleichstellung ist Frauenförderung, erklärt auf Zeit online  die Verfassungsrechtlerin Anna Katharina Mangold.

Jahrelang ein offenes Geheimnis

10.10.2017. Heute wird wird der katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont möglicherweise die Unabhängigkeit erklären - und die spanische Regierung wird den Artikel 155 der Verfassung anwenden, vermutet politico.eu. Stinkbeleidigt antwortet die ARD auf einen Spiegel-Titel, der die Anstalten kritisierte. In der NZZ fordert Karl Schlögel die Aufrechterhaltung der Sanktionen gegen Russland. Nach den Enthüllungen gegen den Filmmogul Harvey Weinstein sprechen laut New York Times und Guardian die Frauen - und die Männer schweigen. Bei Medium verteidigt Lawrence Lessig Hillary Clintons Buch über ihre Niederlage.

Das sich Einsuppen im Vertrauten

09.10.2017. In Britannien erregt eine scharfe Polemik des niederländischen Journalisten Joris Luyendijk Aufsehen: Er erklärt, das der Brexit für die Briten so oder so traurig ausgehen wird. Katalonien ist ein Fall von "Erfindung der Tradition" erklärt José Antonio Sanahuja in der SZ. Die FR widerspricht dem Steinmeierschen Heimatbegriff. Die Rolle der New York Times bei der Enthüllung der Affäre um den Filmmogul Harvey Weinstein ist nicht ganz so glorios, wie sie tut, meint das Hollywood-Blog thewrap.com.

Ephemeres Aroma der Zeit

07.10.2017. In der Berliner Zeitung hat Ingo Schulze den Schuldigen für den Aufstieg der AfD gefunden: Es ist der Neoliberalismus. In der NZZ meditiert Cécile Wajsbrot über verborgene Strahlungen, die am Ende auch die Gesellschaften prägen. Während der Spiegel einen Titel über die Macht der Öffentlich-Rechtlichen bringt, wehrt sich tagesschau.de ausgerechnet im "Faktenfinder" gegen den Begriff des "Staatsfunks". Eine Abspaltung Kataloniens könnte auch andere Konflikte wieder aufbrechen lassen, meint die Politologin Sabine Riedel in der taz. Im Tagesspiegel schreibt Shimon Stein den Nachruf auf Sylke Tempel.

Enormer materieller Verzicht

06.10.2017. Politico.eu macht sich Sorgen um Rumänien, wo ein Referendum gegen die Homoehe vorbereitet wird - und gute Chancen hat: EU-Regeln würden damit gebrochen. In der FAZ legt die Ökonomin Justyna Schulz dar, warum die polnische Forderung nach Reparationen nicht abwegig ist. In der Welt fordert der Thinktank-Gründer Chandran Nair, dass sich die Welt nicht allein an westlichen Werten orientieren solle.

So eine Schwarze Null

05.10.2017. Der Showdown in Katalonien geht weiter: Der katalanische Ministerpräsident ruft händeringend nach "Vermittlung", weil er sonst die Unabhängigkeit erklären muss. Die taz streitet über das Pro und Contra: Eine der Fragen wäre wohl, ob die Wahlbeteiligung von 42 Prozent wirklich ausreicht, um die Unabhängigkeit auszurufen. In Deutschland wird weiter über die AfD diskutiert: Die Ossis sind durchanalysiert, aber warum reüssiert die AfD in Bayern und Baden-Württemberg, fragen Zeit und SZ. Und Golem.de notiert: Die Bundesregierung verzichtet lieber auf die geplante Evaluierung des Leistungsschutzrechts.

Es gibt hier keine Vermittlung

04.10.2017. 59 Menschen sind bei dem Massaker von Las Vegas ums Leben gekommen - und Amerika ist bei den Waffengesetzen in den letzten Jahren nicht um einen Zentimeter vorangekommen, stöhnen die Kommentatoren. Es gibt Sicherheitsgesetze für Leitern, durch die in Amerika 300 Menschen im Jahr umkommen, aber nicht für Waffen, die hundertmal mehr Menschen, stöhnt Nicholas Krisof in der New York Times. Der spanische Premier Mariano Rajoy hat die Unruhen in Katalonien selbst zu verantworten, meint politico.eu. Die Bundestagswahl war auch eine Genderwahl, schreibt Ralf Bönt in der Welt.

Sintemal das Gebot muss erfüllt sein

02.10.2017. Spiegel online und politico.eu kritisieren den vorhersehbaren Clinch zwischen katalanischen Separatisten und Zentralregierung in Spanien. Der größte verbleibende Revolutionär in der arabischen Welt ist ein Mann von 91 Jahren, schreibt Kamel Daoud in der New York Times mit Blick auf den tunesischen Präsidenten Essebsi und sein Engagement für Frauenrechte. FAZ-Kolumnist Bülent Mumay geht der Hut hoch angesichts von Imamen, die Frauen in der Türkei verbieten wollen, in Hosen zu gehen. Und der neuerdings fromme Mark Zuckerberg entschuldigt sich, dass er die amerikanischen Wahlen vermasselt hat.