9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

März 2023

Schwachstellen in Netzwerken

31.03.2023. Jetzt wo die Taliban dran sind, werde sie wieder richtig fromm und heiraten nach der zweiten gleich auch noch eine dritte Frau, berichtet Zeit online. In der SZ erinnert Norbert Frei die BDS-Bewegung an die Juden-Boykotte der Nazis. Menschen und KI könnten künftig eine "Evolutionseinheit" bilden, glaubt der Evolutionstheoretiker Paul Rainey im Tagesspiegel. Derweil fordert eine Gruppe um Yuval Noah Harari, eine Zeitlang mit KI aufzuhören, meldet die FR.

Kein Dialog mit dem Westen

30.03.2023. Es gibt auch in der Linken Gruppen, die das Verteidigungsrecht der Ukraine unterstützen, erinnert Anastasia Tikhomirova in der taz. Auf einen bedeutenden Unterschied zwischen dem Irak-Krieg von 2003 und dem Krieg gegen die Ukraine macht Michael Thumann in der Zeit aufmerksam: Putin ist stolz auf seine Kriegsverbrechen. Die SZ hofft, dass die Türken der Welt bei der kommenden Wahl zeigen, wie man Demokratie verteidigt. In Israel wurde noch nie nicht demokratisch gewählt, erinnert Martin van Creveld in der Welt. Indien geht es wesentlich schlechter, als die Welt glaubt, sagt der Wirtschaftshistoriker Ashoka Mody, der in der NZZ das korrupte indische Bildungssystem anklagt.

Rasende Kausalketten

29.03.2023. In der FAZ ist der israelische Schriftsteller Ron Segal überzeugt, dass die israelische Demokratie ohne Verfassung  von innen angreifbar bleibt. Und von außen:  Denn Netanjahu lenkt mit seiner Politik nur vom Iran ab, warnt die Welt. Die taz beobachtet Angriffe auf schwarze Immigranten in Tunesien und Algerien. Auf Zeit online wehrt sich Minitta Kandlbauer gegen Zuschreibungen wie weiß, schwarz oder Latina: "Dieses identity policing von multiethnischen Menschen ist eine rassistische Tradition." Welt, SZ und FAZ erinnern an den Historiker Wolfgang Schivelbusch.

Mit Halsabschneidern und Blutsäufern

28.03.2023. Russland entmenschlicht seine eigenen Bürger, erklärt in der Berliner Zeitung der im Exil lebende russische Schriftsteller Dmitry Glukhovsky, der in Russland wegen seiner Kritik am Ukrainekrieg angeklagt ist. Selbstverständlich ist der Westen mit Schuld am Krieg, er hat Putin gewähren lassen, urteilt die FR. In der SZ sieht der Schriftsteller Daniel de Roulet alle drei Schweizer Pfeiler - das Rote Kreuz, die Neutralität und die Banken - zusammenbrechen. Spon fragt, warum die Franzosen gerade den letzten demokratischen Staatspräsidenten kaputt streiken. Die Israelis erteilen der Welt gerade eine Lektion in wehrhafter Demokratie, lernt die taz. Tagesspiegel, taz und Zeit online überlegen, was der gescheiterte Klimavolksentscheid in Berlin bedeutet.

Maschine für den Musterabgleich

27.03.2023. In der FAZ entwirft Viktor Jerofejew ein Friedensszenario, in dem die Krim und der Donbass leider bei Russland verbleiben. Ebenfalls in der FAZ fürchtet Peter Graf Kielmansegg, dass der Klimawandel der Freiheit Grenzen setzt. Laut New York Times gibt Noam Chomsky Entwarnung: KI kann sich mit dem menschlichen Verstand nicht vergleichen. In der Welt fragt Rebecca Schönenbach, ob Annalena Barbocks "feministische Außenpolitik" auch für muslimische Frauen gilt.

Die Beseitigung der bestehenden globalen Ordnung

25.03.2023. Der afghanische Autor Taqi Akhlaqi  umreißt in einem bewegenden Text für die NZZ das "Ausmaß des Vergessens", das sich über sein Land breitet. Zwei Texte setzen sich mit der konstitutionellen Krise in Israel auseinander: Joseph Croitoru erzählt in der taz die Geschichte der Auseinandersetzung um den Obersten Gerichtshof. Alan Posener benennt in der Welt die gelähmte politische Mitte in Israel als eigentliches Problem. In der SZ fürchtet Stefan Kornelius, dass der Ideologe Xi noch gefährlicher ist als als der Revisionist Putin.

Die Krim ist kein Wurstbrot

24.03.2023. Die NZZ erklärt, warum Putinkritiker Alexei Nawalny bei den Ukrainern so unbeliebt ist. In der Welt entwirft der ehemalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko einen 5-Punkte-Plan um die Russen daran zu erinnern, dass Putin ein Versager ist. Die FR befürchtet, sich demnächst von einem seelenlosen Avatar heilen lassen zu müssen. Die SZ fragt, warum Homosexualität afrikanischen Politikern so oft als "unafrikanisch" gilt, obwohl sie vor der Kolonialherrschaft in Afrika akzeptiert war.

Grundrecht auf Verständlichkeit

23.03.2023. Mit dem Krieg will Putin Europa in die vierziger Jahre zurückbomben, warnt in der FAZ der bulgarische Autor Georgi Gospodinov. Die SZ reist durch die Republik Moldau zu Putin-Anhängern. In der Welt warnt KI-Forscher Christian Bauckhage vor Künstlicher Intelligenz, die Menschen ersetzen könnte. Genau das ist doch der Punkt, meint Sascha Lobo in Spon mit Blick auf menschliche Fehler. Uganda hat ein verschärftes Anti-Homosexualitäts-Gesetz beschlossen und steht damit in Afrika nicht allein, berichten FAZ und taz. In der Berliner Zeitung rät der Historiker Rainer Eckert zu einem offensiveren Umgang mit der Herkunft als Ostdeutscher.

Eine zweite Kopernikanische Wende

22.03.2023. In der SZ setzt Bernard-Henri Lévy seine ganze Hoffnung auf die israelische Zivilgesellschaft, die autokratischen Pläne Netanjahus im Zaum zu halten. Aber die Deutschen müssen sie dabei unterstützen, fordert die taz. Während dessen sitzen die Autokraten im übrigen Nahen Osten fester im Sattel denn je, beobachtet die FAZ. "Wandel durch Handel funktioniert auch in China nicht", warnt in der NZZ der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu den Westen. Im Tagesspiegel fordert die amerikanische Journalistin Nikole Hannah-Jones Reparationszahlungen für die Nachfahren der amerikanischen Sklaverei.

Abhängigkeit einer vernetzten Gesellschaft

21.03.2023. In der FAZ fragt Wolfgang Kleinwächter, welche Auswirkungen Cyberwaffen auf künftige Kriege haben werden und wer dabei alles Akteur sein kann. In der SZ fürchtet der israelische Historiker Tom Segev, Netanjahu könnte einen Krieg anzetteln, um seine Macht zu erhalten. Die Berliner Zeitung erinnert daran, dass der Begriff "Kulturschaffende" von den Nazis erfunden wurde. KI wird nie Verantwortung übernehmen, warnt in der FR die Philosophin Judith Simon. Und: Deutschland hat seine CO₂-Ziele übererfüllt. Könnten wir uns nicht mal ganz kurz freuen, fragt Spon.

Kleinstädtische Sensationen

20.03.2023. Der Haftbefehl gegen Wladimir Putin wird durchaus eine Wirkung haben, hofft die taz. Der Iran überwacht Frauen jetzt lieber mit Kameras und KI statt mit Sittenpolizei, meldet die FAZ. In der SZ warnt Stefan Kornelius vor einer Wahlrechtsreform, die Regionalparteien wie Die Linke und die CSU einfach aus der Gleichung kürzt.

Chaos ist einfach nur Chaos

18.03.2023. Der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs macht Wladimir Putin zum Paria, stellt ZeitOnline fest, Straffreiheit kann es für ihn nun nicht mehr geben. Die SZ sperrt sich gegen Russland-Exegesen, die dem Land Nihilismus und Mongolenherrschaft in die DNA einschreiben. In der FAZ bewundert Zaal Andronikashvili, wie die georgische Jugend für Europa auf dem Strahl der Wasserwerfer tanzt. Vor zwanzig Jahren traten die USA und Britannien den Krieg gegen den Irak los, Guardian und SZ ziehen eine deprimierende Bilanz.

Aus einfachsten materiellen Gründen

17.03.2023. Während ukrainische Flüchtlinge mit Klaviermusik in Polen empfangen werden, weist das Land Flüchtlinge aus anderen Ländern aus rassistischen Motiven ab, sagt die polnische Aktivisitin Zara in der taz. Karl-Markus Gauß erklärt in der SZ, wie Russland aus der rumänischen Sprache mit kyrillischen Zeichen eine moldawische Sprache machen wollte. Die taz berichtet über die rassistischen Ausschreitungen in Tunesien. Der Abgrund ist zum Greifen nah, fürchtet die SZ mit Blick auf den immer schärferen innerisraelischen Streit um die Pläne der Netanjahu-Regierung.

Und dann gibt es keine Grenzen mehr

16.03.2023. Was zur Zeit in Israel geschieht, kommt einem Putsch von oben gleich, schreibt Yuval Harari in SZ online. Die taz gibt Entwarnung: Der Rassismus nimmt ab, es kommt halt drauf an, wie man rechnet. Die SZ erzählt, wie die Chinesen eine KI entwickeln, die nach Möglichkeit von vornherein innerlich gleichgeschaltet ist. Religion ist keine Privatsache, sagt die deutsch-iranische Schriftstellerin Noshin Shahrokhi bei hpd.de.

Fungi, Brot-Brechen oder Live Drumming

15.03.2023. Die Hohenzollern haben nicht "Verzicht" geleistet, wie sie selbst verkündeten, sondern sie haben eine juristische Niederlage erlitten, stellt der Historiker Stephan Malinowski in der FAZ richtig. Im Haus der Kulturen der Welt wird es nicht nur keinen Rassismus, Sexismus, Transphobie, sondern auch keinen Antisemitismus geben, verspricht der neue Leiter Bonaventure Ndikung in der SZ. "Putin wird sich und sein Regime mit diesem Krieg so oder so in eine Niederlage steuern", ist Gerd Koenen in der FR überzeugt.

Kleinstadt im Staat

14.03.2023. Der Bundestag soll verkleinert werden. Aber wie überzeugend sind die Pläne der Ampelkoalition, fragen die Zeitungen. Die Washington Post macht sich Sorgen über den Zustand der ukrainischen Armee nach einem Jahr Krieg. Die Welt schildert den innernigerianischen Streit um die Benin-Bronzen, Nachfahren der Könige gerieren sich wie die Hohenzollern. Und die NZZ fürchtet: Amerikanische Studenten leben in einer Hölle aus Mikroagressionen.

Nicht ohne innere Gewalt, leider

13.03.2023. "Die Islamische Republik muss endlich Geschichte werden", ruft wütend die Literaturwissenschaftlerin Nacim Ghanbari in der SZ. In Berlin erarbeiten einige Gruppen ein "dekoloniales Erinnerungskonzept". Eine richtige Idee haben sie noch nicht, überlegen aber schon mal, wen sie ausschließen werden, so die taz. In der FAZ erzählen Reinhard Bingener und Markus Wehner, wie sich die SPD immer enger an Russland band.

Kann man lernen, aber nicht lehren

11.03.2023. In der NZZ verabschiedet Robert Misik mit George Orwell den Pazifismus als ernstzunehmende politische Position. In der FR verteidigt Susan Neiman die komplizierte Moral gegen die Einfachheit des Autoritarismus. In der FAZ plädiert Eva Menasse für historische Expertise und Gelassenheit im Meinungskampf. Die SZ hegt Zweifel an der Aufrichtigkeit einer feministischen Außenpolitik. Spiegel und taz recherchieren zu den Vergiftungen junger Frauen und Mädchen im Iran.

Der Ingrimm der Georgier

10.03.2023. Die Hohenzollern geben klein bei und ziehen ihre Klagen auf Entschädigung zurück. Der Tagesspiegel sieht trotzdem keinen Grund zur Entwarnung, die SZ wartet vom Herrn Prinz noch auf ein Wort zu den Klagen, mit denen er Journalisten und Historikerinnen überzogen hat. Die Georgier haben mit ihren Protesten ihre Regierung gezwungen, das Ausländische-Agenten-Gesetz zurückzunehmen. Es dürfte nur taktischer Rückzieher sein, fürchtet der Jurist Guram Imnadse in der taz. Die Kultur in Tiflis steht zu Europa, die Politik zu Moskau, ahnt auch die NZZ. Der SZ graut es vor dem Zombie Urbanism, den die Digitalkonzerne jetzt auch nach München bringen werden.

Wenn man die Neuronen im Kopf komplett ersetzt

09.03.2023. Die Nordstream-Saga ist wie eine Netflix-Serie, findet die FR, eine, die von Gier handelt. Die Zeit erzählt, wie eine mecklenburg-vorpommerische Finanzbeamtin einige brenzlige Akten um die "Klimastiftung" in den Kamin ihrer Mutter warf. Und wurde die Pipeline dann auf Geheiß der Ukraine ins Wasser gejagt? Die FAZ lässt den Computer mit dem  australischen Philosophen David Chalmers zu Bewusstsein kommen. Die SZ fragt: Was ist in der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung los? Dieser so vornehmen und stinkreichen Institution mit leichter Schlagseite nach rechts?

Death Valleys für Frauenrechte

08.03.2023. Am Weltfrauentag wird über Feminismus gestritten: Sollte er universal sein oder intersektional, ist er eine Frage der Haltung oder des biologischen Geschlechts? In der NZZ begrüßt die italienische Schriftstellerin Lidia Ravera die Wucht, mit der sich Giorgia Meloni und Elly Schlein, designierte Vorsitzenden der Partito Democratico, Zutritt zum "Männerklub der Politik" verschafft haben. In der Welt fordert der Leipziger Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann gleiche Diskursmacht für Ossis wie Wessis.

Steiniger Weg zur Hochsprache

07.03.2023. Die "Letzte Generation" hat das Grundrechtedenkmal beschmiert, um ein "größeres Unheil" anzuprangern, schreibt Wolfgang Ullrich im Tagesspiegel. Die FAZ sieht die Aktion kritisch. Die taz bringt ein Dossier zum "Antifeminismus". Das Editorial macht klar: Was uns nicht passt, ist rechts. Im gleichen Dossier kritisiert allerdings auch Gilda Sahebi die Toleranz westlicher Linker gegenüber religiöser Unterdrückung, sofern sie andere Kulturen betrifft.

Das sächsische Gastgebervölkchen

06.03.2023. Die Historikerin Botakoz Kassymbekova erklärt in der Berliner Zeitung, wie der Imperialismus à la russe funktioniert und warum er im Westen nicht verstanden wurde. Im Tagesspiegel analysiert Ilko-Sascha Kowalczuk die Mischung aus reaktionärer Ideologie und linker Verortung bei Sahra Wagenknecht. Die Angst vor einem Atomkrieg ist immer berechtigt, aber deshalb der eigenen Angst andere zu opfern, ist keine Option, meint Claudius Seidl in der FAZ. Die "Letzte Generation" beschmutzt ein den Grundrechten gewidmetes Denkmal mit Erdöl - die SZ findet das abstoßend.

Die Fähigkeit anzugreifen

04.03.2023. In der NZZ beschreibt der ukrainische Militärkorrespondent Juri Butusow die grausame Logik des Krieges: Der Schlüssel zum Erfolg ist, dem Feind Verluste zuzufügen. Die taz beschreibt, wie in Uganda der Hass auf Homosexuelle mobilisert wird. Rechtsextreme Tendenzen auch in Tunesien beschreibt der Tagesspiegel. Die Feuilletonschefs der FAZ fragen Meron Mendel zum Existenzrecht Israels, jetzt wo auch dort Rechtsextreme mitregieren: "Die Anerkennung halten wir aufrecht angesichts der Holocaust-Erfahrung, oder nicht?"

Auf Kosten des allgemeinen Untergangs

03.03.2023. Sind Juden weiß? Ja, für "Antirassisten" ganz eindeutig. Aber Mirna Funk ärgert sich in der Welt gewaltig über die Zuschreibung. Bei den Salonkolumnisten erzählt Jacques Julliard, neunzig, wie er schon in den Fünfzigern lieber mit Camus Gegen-, als mit Sartre Rückenwind bekam. In der taz ist Dirk Knipphals geschockt über die Unsolidarität Frank Berberichs, der seine Lettre International ohne Subventionen betreibt, mit der Zeitschrift Sinn und Form, die ihm mit Staatsgeld Konkurrenz macht.

Tote pro Meter

02.03.2023. Im Tagesspiegel schildert Catherine Belton die Atmosphäre eisiger Einsamkeit, in die sich Wladimir Putin begeben hat. Dennoch ist der Krieg vor allem ein Zeichen für den Niedergang des Westens, so die überraschende These von Albrecht Koschorke in der Zeit. "Wieder einmal werden wir Syrer unter den Trümmern vergessen", schreibt der in Aleppo geborene Schriftsteller Khaled Kalifa in der NZZ. Lettre-International-Herausgeber Frank Berberich hat mit seiner Klage gegen Sinn und Form einen Teilerfolg erzielt. Die Zeitungen schreiben mit Staunen und Befremden über diesen Streit.

Euer Mathias

01.03.2023. Solidarität mit der Ukraine? Nicht in Burjatien, Tatarstan, Dagestan, Tschetschenien, Baschkirien, Chabarowsk, Murmansk, Leningrad oder Nischni Nowgorod - ihre Eliten schicken alle mehr Soldaten als gefordert an die Front, erklärt die Kulturjournalistin Irina Rastorgujewa in der FAZ. In der NZZ warnt Sergei Gerassimow vor einer Diskriminierung russischer Kultur in der Ukraine: Sonst werden wir nach dem Sieg einen Bürgerkrieg haben. ZeitOnline erklärt die politische Bedeutung traditioneller Medizin in China. Springer machte 2021 rund eine dreiviertel Milliarde Euro Gewinn, wird aber Journalisten aus Kostengründen entlassen, berichten FAZ und SZ.