9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

März 2015

Flitterwochen mit der Zukunft

31.03.2015. Im Spectator beklagt Nick Cohen die mangelnde westliche Kritik an Saudi Arabien. Heute erscheint auf Deutsch eine Streitschrift von Raif Badawi: Seine Frau Ensaf Haidar schildert in Resonanzboden den Kampf um seine Freilassung. In der Berliner Zeitung berichtet Götz Aly über den Boom in Israel. In Indien rappen Uppekha Jain und Pankhuri Awasthi  gegen Vergewaltigungen in ihrem Land, das mit allen Kräften die Verbreitung einer BBC-Doku zum Thema behindert. Libération zitiert den Text eines niederländischen Piloten, der vor zwei Monaten genau das Horrorszenario beschrieb, das letzte Woche eintrat.

Teil jener Meute

30.03.2015. In der NZZ weist Necla Kelek darauf hin, dass das Kopftuch zu keiner Zeit und nirgendwo ein Zeichen von Emanzipation oder Freiheit gewesen ist. Nach der Germanwings-Katastrophe gibt es Diskussionen über den Umgang mit der Diagnose Depression und über die Berichterstattung in den Medien. Die Zeit warnt vor den Tücken des Predictive Policing. In der Washington Post wendet sich Tim Cook gegen Gesetze amerikanischer Bundestaaten, die sexuelle Diskriminierung mit religiöser Begründung wieder zulassen wollen.

Der Staat kann!

28.03.2015. Die Welt erinnert an Bismarck und sieht in seinem Kulturkampf den Sündenfall des deutschen Liberalismus. Die NZZ denkt über Selfie-Sticks und perfekte Fremdwahrnehmung nach. Die SZ lässt sich in Vancouver vom Fortschrittsglauben anwehen. Die FR fürchtet den 237-fach beleidigten Tayyip Erdogan. Und die FAZ rudert sich schon mal warm für die Facebook-Galeere.

Die grausame Wahrheit

27.03.2015. In Hundervierzehn erklärt Yu Hua, warum die Chinesen so oft Beschwerde einlegen. Für das Weiße Haus interviewt Barack Obama den "The Wire"-Erfinder David Simon. Im Figaro will Michel Onfray den Sturz unserer Ziviliation nicht mehr aufhalten. Laut Heise will Sigmar Gabriel die Netzpolitik auf keinen Fall mehr den Netzpolitikern überlassen. In der New Republic beharrt Diana Pinto darauf, dass man jüdisch sein und in Europa bleiben kann.

Der schreckliche Nachname

26.03.2015. Die Zeit wundert sich, warum erst in den neuesten Bänden der Heidegger-Ausgabe antisemitische Passagen auftauchen, in allen anderen aber nicht. Golem fragt: Warum sollte man nicht wieder die gute alte deutsche Suchmaschine Metager benutzen? Telepolis erklärt, warum Heiraten in Saudi Arabien so schwierig ist. Die NZZ bilanziert die Verluste historischer Bauwerke im Irak. Und Frankreich beugt sich über den Abgrund Front national.

An der Küste der Ahnungslosen

25.03.2015. Der New Republic graut vor der amerikanischen Todesstrafen-Obsession. Die Welt erzählt, wie man laut Slowfood Tierarten rettet. Im Tagesspiegel erklärt der Produzent Ralph Schwingel, warum er lieber auf den Posten als dffb-Chef verzichtet. Die SZ blickt verzweifelt auf die erodierende ostdeutsche Theaterlandschaft. Und die Öffentlich-Rechtlichen machen laut FAZ Anstalten.

Im Gegensatz zu uns

24.03.2015. Libération porträtiert den Blogger Waleed Al-Husseini und erzählt von der Schwierigkeit, sich als Araber, aber nicht mehr als Muslim zu bekennen. In der SZ erklärt Rüdiger Safranski, was von Heidegger trotz allem bleibt. Im Standard erfahren wir von Barbara Frischmuth: Der andere kann eigentlich nur eine Pflanze sein. Der FR graut vorm Schrumpfen der Bevölkerung. Die Süddeutsche kommt in ganz neuem Gewand und stellt auch die bisher nicht zugänglichen Zeitungsartikel ins Netz, macht sie aber zahlbar.

Funzliges Licht billiger Stadtreklame

23.03.2015. Bei Carta fordern zwei Medienforscher mehr Demokratie in öffentlich-rechtlichen Sendern. Richard Herzinger meditiert in seinem Blog über die symbolische Dimension der Frankfurter Krawalle.  In der Welt verteidigt Onlinejournalist Frank Schmiechen Big Data. Die Berliner Zeitung ist entsetzt: Ausgerechnet Berlin will sich im Humboldt-Forum als "Weltstadt" darstellen.

Für die Rentenansprüche angerechnet

21.03.2015. Das Kopftuchurteil bleibt umstritten. Es ist ein Sieg für die offene Gesellschaft, zumal der Schulfriede dem Kopftuch an der Schule auch Grenzen setzt, meint die FAZ. Die NZZ findet gerade diesen Aspekt des Urteils gefährlich vage. In der Welt findet Heinz Buschkowsky: Das Kopftuch hat im Staatsdienst nichts zu suchen. In der New York Times spricht Noam Chomsky über Rassismus. In der Welt beschreibt Alissa Ganijewa Russland auf den Weg in den kollektiven Wahnsinn.

Ein Werkzeug potenziell evolutionärer Macht

20.03.2015. Alexander Graf Lambsdorff in der Welt und Antje Vollmer in der taz entwickeln höchst divergente Standpunkte zu den griechischen Reparationsforderungen. Irights.info macht sich keine Hoffnung mehr, dass die Öffentlich-Rechtlichen die Creative-Commons-Idee aufgreifen: Sie sind einfach zu arm. Laut FAZ graut den Gentechnikern so langsam vor sich selbst. Der New Yorker erinnert an Richard Stallmans vor dreißig Jahren formuliertes GNU-Manifesto, ohne das es das Internet wohl nicht geben würde. Die Aufregung um das Finger-Fake ebbt langsam ab.

Und noch die Wächter brauchen Wächter

19.03.2015. Die Welt fragt nach dem Attentat im tunesischen Nationalmuseum: Warum hassen die Islamisten Kultur? Paul Berman stöhnt im Tablet Magazine über die Triumphe des Dschihadismus. Angesichts der entfesselten Gewalt in Syrien prangert Jonathan Littell im NYRBlog die kaltschnäuzige Indifferenz des Westens an. Und Deutschland interessiert sich nur für eines: Ist Giannis Varoufakis' angeblicher Stinkefinger eine Fälschung von Jan Böhmermann?

Mein letztes Aufbäumen

18.03.2015. In der NZZ schreibt Najem Wali mit Blick auf den "Islamischen Staat": Dieses Ungeheuer wurde großgezogen. Im Standard spricht der britisch-indische Schriftsteller Rana Dasgupta über die Verlierer des Umbruchs in Indien. Im Tagesspiegel sucht Klaus Staeck nach Gegenmodellen für den Kunstmarkt. Und Wirtschaftsmedien fragen: Was bedeutet Apples Einstieg ins Fernsehgeschäft?

Wer wie kritisiert oder beleidigt werden darf

17.03.2015. Irgendwann ist etwas mit Europa entsetzlich schiefgelaufen, fürchtet die Welt mit Blick auf den deutsch-griechischen Streit. In der Berliner Zeitung erinnert Götz Aly an Zeiten, in denen Deutsche und Griechen kooperierten. Wenn jemand Frieden garantieren kann, dann ist es Religion garantiert nicht, meint Ian McEwan in Eurozine. Bei Carta kritisiert Lale Akgün das Kopftuchurteil des BVG. In Frankreich bekommen nach den Pariser Massakern die Geheimdienste carte blanche. Und Politico wird Europa mit New Yorker Rathausreporterinnen aufrollen.

Die Qualität der Gesetzgebung in Deutschland

16.03.2015. In der FAZ erklärt Timothy Snyder, warum Europa die Spaltung von 1918 überwunden hat, aber nicht die von 1917. Die Regierung macht laufend Rückschritte in der Netzpolitik, stöhnt Netzpolitik: Erst Störerhaftung, dann Vorratsdatenspeicherung. FAZ und Welt streiten über das Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts. In Telepolis erläutert Joseph Vogl seine Thesen zur Verflechtung von Politik und Finanzen. Und Le Monde staunt über das zahlbare Blog Médiapart, das richtig Gewinn macht.

Die schönste Kopie der Welt

14.03.2015. In der NZZ erklärt Swetlana Alexijewitsch den Weg von Diplomatie und Dialog mit Russland für gescheitert. Peter Sloterdijk plädiert im Tages-Anzeiger dafür, den Terrorismus aus den Schlagzeilen zu verbannen. Pascale Hugues und Michael Müller machen sich im Tagesspiegel Gedanken zum Berliner Stadtschloss. Und die Große Koalition sucht nach akzeptablen Anlässen für Vorratsdatenspeicherung, berichtet die Rheinische Post.

Binäre Logiken

13.03.2015. In Le Monde erklärt André Comte-Sponville, warum Charlie Hebdo verantwortungsvoll mit der Meinungsfreiheit umging. Wer wissen will, wer wir Europäer sind, muss Jan Assmann lesen, meint die FR. Quartz.com sieht im State Building die hauptsächliche Verführungskraft von IS und Boko Haram, die nun liiert sind. Die Welt staunt über Pegida-Ableger in den Niederlanden und Britannien.

Die Masse zwischen den Polen

12.03.2015. Meinungsfreiheit schreibt sich nicht mit "aber" und kann nicht auf Vielfalt oder Gefühle Rücksicht nehmen, meint Kenan Malik in seinem Blog. Die Zeit versucht herauszufinden, was die Öffentlich-Rechtlichen außer Quote wollen, aber niemand will es ihr sagen. Ebenfalls in der Zeit kritisiert Jörg Baberwoski die westliche Position zu Russland. Die Franzosen waren weder tous collabos noch tous résistants, findet laut NZZ eine Ausstellung über das Vichy-Regime heraus.

Was aber aus dem Boden kommt

11.03.2015. Welt und SZ blicken auf die Krim ein Jahr nach der Annexion. In der SZ plädiert Hermann Parzinger  für ein Gesetz, das den Handel mit geplünderten Werken sanktioniert. Der israelische Philosoph Omri Boehm kritisiert in der New York Times die Zurückhaltung deutscher Intellektueller gegenüber Israel. Amerikanische Internetmedien diskutieren über das Ende des bekannten Techblogs Gigaom. Und die Wikipedia klagt gegen die NSA. Und SAP bestimmt nicht.

Ich schweige doch schon!

10.03.2015. Der Einsatz für Toleranz ist nicht "rechts", meint Seyran Ates in der Zeit.  Die taz attackiert die Verteidiger der Vernunft im Namen der Kritik. Huffpo.fr veröffentlicht ein recht harsches Femen-Manifest. Überraschung bei der Süddeutschen: Der Architekt der neuen Paywall wird abgesetzt. Im Tagesspiegel weist Benjamin Korn auf soziale Ursachen der Frustration muslimischer Jugendlicher in Frankreich hin.

Die Robben, die für Greenpeace spenden

09.03.2015. In der FAZ schreibt Viktor Jerofejew eine großartige Hommage auf Boris Nemzow. Im Tagesspiegel erklärt Orlando Figes, warum Putin in der Tradition von Stalin steht. Berliner Zeitung und Welt denken über den Geschichts- und Kulturmord durch IS-Milizen und Boko Haram nach. Der Guardian erzählt, wie die BBC die Whistleblower aus ihren eigenen Reihen behandelte, die die Machenschaften des BBC-Moderators Jimmy Savile enthüllten. Taz und SZ präsentieren neue Modelle der Zahlbarkeit.

Mal ist es die Schoa, mal der Holocaust

07.03.2015. In der Welt erklärt Amos Oz, warum ein Verräter in der Politik ein Held sein kann. Die SZ ahnt, warum der IS antike Stätten wie Mossul und Nimrod zerstört: Er will das kulturelle Gedächtnis im Nahen und Mittleren Osten auslöschen. Die taz fasst sich an den Kopf: Ein E-Book ist kein Buch, entschied der EuGH. Mit dem Heidegger-Lehrstuhl könnte auch die kontinentale Philosophie verschwinden, fürchtet die NZZ. In der Zeit erklärt Gil Bachrach, warum ihm "Opfergetue" inzwischen fast genauso auf die Nerven geht wie Antisemitismus.

Wie viele Wasserhähne sind verschwunden?

06.03.2015. Die taz porträtiert Marina Litwinenko, die für die Aufklärung des Mords an ihrem Mann Alexander Litwinenko kämpft. In der Welt erklärt Herta Müller, warum aus den Trümmern von Diktaturen nicht immer neue Demokratien sprießen. Berliner Medien staunen über die Farce um die Besetzung des Direktorenpostens der Berliner Filmhochschule dffb. Libération erzählt von einem Prozess in Frankreich, der Facebook in die Bredouille bringen könnte. Die FAZ freut sich auf eine weitere Regulierung des Internets.

Umbenannt in Putingrad

05.03.2015. Spiegel Online erzählt, wie die Geheimdienste ihren Souverän mal wieder hintergangen haben. Bei Heise erfährt man, was der Iran so als Cyberkriminalität verfolgt. In der Zeit erklärt der SPD-Politiker Torsten Albig, wie er das Internet befreien will, indem er es reguliert. Der Freitag fragt unterdessen, warum alle Medien Angst vor Google haben, aber nicht vor Facebook. Die NZZ erzählt, was die Schwiegermütter mit der Selbstmordrate in China zu tun haben. In der taz benennt die Politologin Lilija Schewzowa die symbolische Dimension des Mordes an Boris Nemzow.

Möglichst unaufwendig im Brot

04.03.2015. In der Basler Zeitung kritisiert Anne Applebaum die westliche Politik gegenüber Russland. Bei Stefan Niggemeier erklärt Springer-Lobbyist Christoph Keese, warum er Geld sehen will, wenn Bayern "nach spannendem Elfmeterschießen" gewinnt. Le Monde erzählt von Selbstzensurfällen in Kunstinstitutionen nach den Pariser Massakern. Großbritannien wird von Kindesmissbrauchaffären erschüttert, die bis in höchste Kreise reichen, berichtet die FAZ. Der Guardian verlangt dennoch eine liberale Behandlung mitschuldiger Behördenmitarbeiter. In der FAZ kritisiert Filmhistoriker Lars Henrik Gass das jetzige System der Filmförderung.

Komplett entdiabolisiert

03.03.2015. Slate.fr erzählt, wie schwer es für rückkehrwillige Dschihadisten in Syrien und Irak ist, tatsächlich zu brechen und zurückzukommen. Auf starke-meinungen.de erklärt Alan Posener, warum er trotz Pascal Bruckner am Begriff der "Islamophobie" festhält. Und sonst heideggert es sehr kräftig heute: Bei Peter Sloterdijk gar auf französisch. Die FAZ verabscheut Heideggers Schwarzen Hefte und Markus Gabriel in der SZ die Uni Freiburg, die mit Heideggers Lehrstuhl kippelt.

Ein ungerichteter Zustand

02.03.2015. Wie konnte der Mord an Boris Nemzow in der direkten Nachbarschaft des Kreml geschehen, fragt die SZ. Bernard-Henri Lévy sieht Nemzow als den "hellsichtigsten Opponenten der rotbraunen Tyrannei, die über Russland kam".  Es waren verstörte und verängstigte Menschen, die gestern in Moskau demonstrierten, schreibt Zeit online.. Medium.com beschreibt, wie man per Anfrage beim Department of Homeland Security eine veritable Selfie-Sammlung erhält. Die NZZ zitiert einen wenig poetischen Ausspruch Ho Chi Minhs über China. Im Standard denkt Marlene Streeruwitz. Über Angst. Nach.