9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

März 2014

Haribo-bunte Headlines

31.03.2014. In der Welt fürchtet Monika Grütters, dass das Gedenken an die deutsche Einheit an einer seltenen Fledermausart scheitern könnte. NZZ und taz gedenken des Militärputsches in Brasilien vor fünfzig Jahren. In der taz fordert Wissenschaftstheoretiker Peter Finke eine Bürgerwissenschaft. In Frankreich wird die rechtsextreme Vergangenheit der postmodernen Ikone Maurice Blanchot aufgearbeitet. In der FAZ beklagt Hannelore Schlaffer die Vergreisung des Kulturpublikums. Und im Standard opponiert Marlene Streeruwitz gegen die Vernichtung der Lebendigkeit.

Umgehung des Trennungsgebots

29.03.2014. Ingo Schulze prangert in der SZ die Machtpolitik des Westens in der Ukraine an. Vladislav Inozemtsev sieht das mit der Verwantwortung des Westens in Eurozine ganz anders und fordert ihn auf, endlich nicht mehr die russischen Oligarchen zu unterstützen. Die russische Autorin Alissa Ganijewa guckt inzwischen für die Literarische Welt russisches Staatsfernsehen und rauft sich die Haare. Najem Wali verzweifelt in der NZZ an der Kulturszene in Ägypten. Der Tagesspiegel stellt Hildebrand Gurlitts Kollegen vor.

Harmonisch integriert

28.03.2014. Die taz weist auf zwölf Seiten nach: Deutschland war doch schuld am Ersten Weltkrieg, und Christopher Clark hat unrecht. Das Berliner Ebook-Startup Readmill wird offenbar an die Dropbox verkauft. Netzwertig sieht das nicht unbedingt als Erfolg. Nach Twitter sperrt Erdogan auch Tor und Youtube, melden Netzpolitik und die SZ. Die Wende im Fall Gurlitt wird begrüßt. Neu: Frank Schirrmacher rät zu Mäßigung im Journalismus. Und unser wirtschaftlicher Erfolg ist gesichert: Wir kaufen uns einfach einen Seite 3-Artikel im Handelsblatt - dann wird's schon flutschen.

Aber bitte ohne Zwiebeln

27.03.2014. Die Zeit meint: Wer die Ukraine für eine Nation hält, hat Stalins Nationalitätenpolitk missverstanden. Auch Helmut Schmidt versteht die ganze Aufregung um diese Ukraine nicht. Jung & Naiv hat in 19 Videos die tatsächliche Lage in der Ukraine erkundet. Seyran Ates stimmt Hamed Abdel-Samads These vom "Islamischen Faschismus" in der Zeit zu. Die taz beschreibt die Medienpolitik der mexikanischen Drogenkartelle.Und Neues über Gurlitt.

Ein Tröpfchen auf kochende Lava

26.03.2014. Was lieben die Deutschen so an Russland, fragt Moritz Schuller auf cicero.de mit Blick auf die Deutschland-Passage in Wladimir Putins Krim-Rede. In der FAZ schreibt  Jüri Reinvere über die Angst der baltischen Länder vor Russland und der der eigenen Geschichte. Die SZ begrüßt das Urteil des Bundesverfassunggerichts zum ZDF. Berliner Zeitung und FAZ finden es mickrig. Die Blogs interessieren sich dafür nicht die Bohne. Netzpolitik fasst die netzpolitischen Erfolge der Bundesregierung in ihren ersten hundert Tagen zusammen. Und BHL erklärt den Franzosen, wen sie wählen, wenn sie Front National wählen.

Besonders erbärmlicher Zustand

25.03.2014. Düstere Zeiten. Nein, es gibt keine Parallele zwischen Kosovo und Krim, meint Daniel Vernet in Slate.fr. Götz Aly entsorgt in der Berliner Zeitung gleich das ganze Selbstbestimmungsrecht der Völker. Caroline Fourest analysiert in huffpo.fr die Erfolge des Front National. Roberto Saviano fasst sich in L'Espresso angesichts der italienischen Drogenpolitik an den Kopf. Hélène Cixous beklagt im Standard den allgemeinen Kulturverfall. Erdogan meint es ernst mit der Twitter-Sperre, stellt Netzpolitik fest. Frank Schirrmacher zieht schon den Kapuzenpulli ins Gesicht.

Was sie getan und gewagt haben

24.03.2014. Wenn's drauf ankommt, scheuen Yahoo, Google, Apple und Microsoft offenbar nicht davor zurück, die Mailkonten ihrer Nutzer zu durchstöbern, berichten verschiedene Quellen. Laut Huffpo.fr muss man wohl eher die französischen Städte aufzählen, wo der Front national nicht zur zweiten Runde in den Bürgermeisterwahlen antritt. In der FAZ sieht sich EU-Kommissarin Nellie Kroes auf der Höhe der digitalen Entwicklung. Die taz fragt: Ist die Wikipedia ein Einfallstor für die PR von Unternehmen?  Facebook ist es jedenfalls nur, wenn sie ordentlich zahlen, meldet Boingboing.

Der Eindruck der individuellen Freiheit

22.03.2014. Der New Yorker und The Verge erzählen, wie türkische Twitter-Nutzer die Zensur umgehen. Felix Stalder lotet in Le Monde diplo die Dialektik von Kommunikation und Daten aus. Im Tagesspiegel erklärt der Anwalt Peter Raue, warum er die Idee der Restitution des "Welfenschatzes" schlechterdings obszön findet. Im Guardian rät Timothy Garton Ash der ukrainischen Regierung zu einer offensiv föderativen Politik.

#DictatorErdogan

21.03.2014. Recep Tayyip Erdogan hat Twitter abgeschaltet. Darüber wird auf Twitter fleißig getwittert. Die taz bringt ein Dossier zu Syrien. Der Filmemacher Orwa Nyrabia erzählt, wie es dort in den Gefängnissen zugeht. Der Faschismus-Vorwurf ist eher gegenüber Russland als gegenüber der Ukraine gerechtfertigt, findet der Osteuropa-Historiker Stefan Plaggenborg in der FAZ.

Ein Rowdy und kein Pionier

20.03.2014. In der Berliner Zeitung zeigt sich Juri Andruchowytsch bestürzt über die Putinophilie der deutschen Öffentlichkeit. Die NZZ lotet die Mittel der Satire in der Türkei aus. Die SZ meint:  Valery Gergiev soll trotz flagranten Putinismus Chefdirigent der Münchner Philharmoniker bleiben. Netzpolitik stellt ein EU-Programm zur Datensammelei vor, das Martin Schulz ganz bestimmt kassieren wird. Larry Page träumte auf einer TED-Konferenz von der Sammlung aller Gesundheitsdaten. Techcrunch ist skeptisch.

Die Weltkarte, neu gezeichnet

19.03.2014. Es gab in der Krim schon mal ein Referendum, und da haben 54 Prozent der Bewohner für die Ukraine gestimmt. Das war 1991, und Gilles Hertzog bringt es in La Règle du Jeu in Erinnerung. In Open Democracy wenden sich zwei EU-Experten vehement gegen die Parallelisierung von Kosvo und Krim. Die NSA speichert ganze Gespräche ganzer Nationen, zeigt die Washington Post, und damit kann man fast alles über jeden nachweisen, weist die SZ nach. Paul Lendvai erinnert in der FAZ an die Besetzung Ungarns vor siebzig Jahren.

Das Spektrum dieses Scheiterns

18.03.2014. In der New Republic erklärt Timothy Snyder, warum das Referendum auf der Krim beim besten Willen keins war. So richtig existiert die Ukraine doch gar nicht, meint Götz Aly dagegen in der Berliner Zeitung. In Frankreich erinnert ein Film an Ilan Halimi. Erstmals in der FAZ feiert mit  Ranga Yogeshwar ein Autor das Internet als Chance der Demokratie. Die SZ rauft sich die Haare, kann frau zugleich Feministin und nicht Rassistin sein? Vaterlose Söhne werden unterdessen kriminell, warnt die Welt.

Ein potenziell bedeutender Informant

17.03.2014. Voilà, die Krim ist annektiert. Europa lässt genau jene Nation im Stich, die sich gerade mutig zu seinen Werten bekannte, kommentiert Richard Herzinger. In der taz schreibt eine in Simferopol geborene junge Ukrainerin einen Abschiedsbrief an die Krim. Die FAS druckt ein Gedicht Hassan Yahyas über den Majdan. Die FAZ fürchtet sich vor dem kommenden intelligenten Haus. Medienblogs schwirren vor Gerüchten über die kommende Streaming-Revolution in Europa.

Ich liebe Blumen!

15.03.2014. Der Guardian erklärt, warum das Referendum über die Krim illegal ist. In der Welt fürchtet Marko Martin allein den Kalten Krieg im Inneren Russlands. taz, FR und NZZ inspizieren in den "Schwarzen Hefte" Heideggers nationalsozialistisches Denken. Die taz beobachtet zudem, wie sich in Syrien unter dem Banner des Antiimperialismus eine rot-braune Allianz formiert. Die FAZ fragt, warum niemand Uli Hoeneß vor seiner Entourage schützte.

Reines Anzeigengeschäft

14.03.2014. Zu den ärgsten Feinden des Netzes müssen die Reporter ohne Grenzen nach den Geheimdienstenthüllungen auch die USA und Großbritannien zählen. Auch Mark Zuckerberg macht sich neuerdings Sorgen: "Ich habe Präsident Obama angerufen." Die SZ gibt ihre Kooperation mit Putins Propagandajounal Russland heute vorerst auf, meldet die taz. Ist Putins Freund und Unterstützer Valery Gergiev für München noch tragbar?

Selbstgemachtes Luxusproblem einer saturierten Gesellschaft

13.03.2014. Im Kampf gegen die ukrainischen Faschisten ruft Russland die rechtsextremen Parteien Europas um Hilfe, meldet Spiegel Online. Die taz warnt die Bewohner der Krim im Falle einer Abspaltung von der Ukraine vor steigenden Telefonkosten. FAZ und Zeit schließen die Antisemitismus-Debatte um Martin Heidegger mit einem Schuldspruch ab. Und Tim Berners-Lee gratuliert seinem Internet zum 25. Geburtstag.

Extra Schneeberge

12.03.2014. In BHLs Blog La Règle du Jeu appellieren litauische Autoren an ihre europäischen Kollegen, keinen Krieg zwischen der Ukraine und Russland hinzunehmen. Netzwertig stellt das niederländische Itunes für Zeitungen Blendle vor, in dem ein Zeitungsartikel zwischen 20 und 80 Cent kostet. Die taz wundert sich, dass der Spiegel sein Sturmgeschütz der Demokratie im Falle Heideggers im Schrank ließ. Die NZZ porträtiert New Yorks neuen Bürgermeister Bill de Blasio. Die FAZ fragt, ob sich Europa gegenüber den Internetkonzernen bewähren wird. 

Sieger wird es nicht geben

11.03.2014. Im Guardian erklärt der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow, warum er trotz seiner Eigenschaft als russischer "Volksgenosse" lieber nicht von Putin gerettet werden will. In Le Monde schimpft Juri Andruchowytsch über die russische Propaganda. In der FAZ fürchtet Swetlana Alexijewitsch einen Krieg. In der Welt polemisiert Necla Kelek gegen Pankaj Mishra, der für sein Buch "Aus den Ruinen des Empires" den Preis für europäische Verständigung erhält. Wir binden Edward Snowdens Intervention beim SXSW-Festival in Austin ein.

Noch immer alle Brösel

10.03.2014. Timothy Snyder erklärt im Blog der NYRB, wie die russische Propaganda funktioniert. Das Blog von transparency.org zählt russisches Geld in London. In der FAZ wehrt sich die ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk gegen den Faschismus-Vorrurf. Mario Vargas Llosa erklärt in El Pais, warum die lateinamerikanische Politiker auch die venezolanischen Studenten als Faschisten bezeichnen. In britischen Medien wird über Julian Assange gestritten.

Aufmerksamkeitsheischende Überreaktion

08.03.2014. In einem offenenen Brief fordern in Deutschland lebende Kulturschaffende aus Russland und der Ukraine Wladimir Putin zum Rückzug von der Krim auf. In der taz ermahnt Wolfgang Templin die deutschen Medien: Fallt nicht auf die russische Propaganda herein! Ed Snowden beschreibt den Kuhhandel zwischen NSA und europäischen Geheimdiensten. Und Newsweek enthüllt das Gesicht hinter Bitcoin: es ist verängstigt, verärgert und übernächtigt.

Granate des Boulevards

07.03.2014. Die russische Regierung hat die "unverzeihliche Gemeinheit" begangen, zwei Brudervölker gegeneinander aufzuhetzen, schreibt Michail Schischkin in der NZZ. BHL befürchtet die Sudetisierung Europas. Andere Stimmen geben dem Westen die Schuld an Moskaus Invasion in der Ukraine. Die Welt schreibt einen Nachruf auf die Abendzeitung. Auch amerikanischen Politikern werden die Geheimdienste laut NYTimes langsam unheimlich.

Er taucht, er reitet, er fliegt mit den Kranichen

06.03.2014. Zwei Russen, Michail Ryklin in der Zeit und Wladimir Kaminer bei Facebook, schämen sich für ihren Präsidenten. Enzensberger muss sein Handy nicht wegschmeißen: Es gibt im Netz bereits europäische Alternativen zu amerikanischen Giganten, hält die Zeit fest. In der FAZ fordert Christian Lindner mit treuem Blick auf Martin Schulz, dass die EU Datenaustauschabkommen mit den Amerikanern aussetzt. Gehen deutsche Medien russischer Propaganda auf den Leim? Timothy Snyder ist jedenfalls empört über Artikel bei Spiegel Online. Und warum die Abendzeitung pleite geht.

Keine Heizung erlaubt

05.03.2014. In der SZ bekommt Christopher Clark einen Riesenrüffel von Kollege John C. Röhl: Hätte Clark die Akten richtig studiert, dann wüsste er, dass die Deutschen schuld waren am Ersten Weltkrieg. Sascha Lobo ruft bei Spiegel Online das Zeitalter der Selfieness aus. Horizont.net erklärt, wie man die Springer-Zahlen lesen muss. Slate rät, Putin einfach gar nicht zu ignorieren. Und Berlin ist endgültig out, haben jetzt auch Gawker und der Rolling Stone herausgefunden. Auf nach Krakau!

Wer nicht kuscht oder sich kaufen lässt

04.03.2014. Europa kann Russland sanktionieren, wenn es nur will, sagte Bernard-Henri Lévy auf dem Majdan. Die Russen haben gar keine Angst vor Europa, das viel zu scharf auf ihr Geld ist, meint dagegen Ben Judah in Politico. In der NZZ erklärt der georgische Historiker Lascha Bakradse das Wesen des russischen Imperialismus. Vielleicht ist der Verlust der Krim das Opfer, das für einen klaren Weg nach Westen zu zahlen ist, fragt sich Hervé Bentégea in Slate.fr. Micha Brumlik warnt in der taz vor den postkolonialen Reaktionären. Und wer ist Enzensberger? Fragt Beckedahl.

Anschljus

03.03.2014. "Russland wiederholt 1968", schreibt Maria Aljochina von Pussy Riot in der New Republic. Trotzdem regt sich auch in Russland Protest gegen die Besetzung der Krim, berichtet die FAZ. Die taz erklärt, warum auf der Krim alles so ruhig erscheint: Medien werden lahmgelegt und angegriffen. Außerdem: HMEs Rat, das Handy wergzuwerfen. Und die FAZ studiert das Freihandelsabkommen zwischen EU und Kanada, das eine Blaupause für das Abkommen mit den USA sei - und der Musikindustrie eine Menge Sanktionsmöglichkeiten gibt. 

Optimierung des Herstellungsprozesses

01.03.2014. Die NZZ bringt einen unbekannten Text Hans Blumenbergs, der scharfe Kritik an Hannah Arendts Eichmann-Buch übt. Die taz bringt ein Tagebuch zur Ukraine. Dort droht russische Bruderhilfe, meldet Spiegel Online. Die FAZ eröffnet eine Serie, in der sich Geisteswissenschaftler mit der Digitalisierung auseinandersetzen. Als erster schreibt Hans Magnus Enzensberger: "Wer ein Mobiltelefon besitzt, werfe es weg." Aber Hilfe, wer hat die FAZ so geschrumpft? Dafür ist der Kokainhandel ein prächtiges Geschäft, erklärt Roberto Svaiano der Berliner Zeitung. Und nature.com erzählt, warum der wissenschaftliche Springer Verlag Dutzende von Texten aus seiner Datenbank löschte.